Читать книгу Bloody Marys - das Leben birgt ein tödliches Risiko - Sabine Ludwigs - Страница 6

Оглавление

Affekt

Sabine Ludwigs

Das Restaurant lag verwaist da. Bis zum Mittagstisch blieben mir noch drei Stunden. Es war ein eigenartiges Gefühl, hier zu sitzen und auf Gabi Muchler zu warten. Vermutlich würde sie jeden Moment durch den Lieferanteneingang hereinkommen. Vorausgesetzt, sie hatte heute den gleichen Brief im Postkasten gehabt wie ich.

Ich wusste, was sie sagen würde. Dasselbe wie immer, wenn wir uns sahen.

Die Hintertür quietschte in den Scharnieren, kurz darauf stand sie da. Bleich wie eine Erscheinung, in der bebenden Hand einen Umschlag. Fragend schaute sie mich an.

Stumm deutete ich auf ein identisches Kuvert auf dem Tisch.

Die Zeugenladung vom Schwurgericht Dortmund.

Sie sank auf einen Stuhl, flüsterte wie erwartet: „Diesen Anblick werde ich nie vergessen. Wie er da kniete, bleich, die Haare wild in die Stirn, das blutige Messer in der Hand, und auf dem Boden die junge Frau, die sich mit letzter Kraft gegen ihren Mörder wehrt.“

Gegen ihren Mörder …

O ja, er hatte sie getötet.

Zweifellos.

Aber ich bin mir sicher, dass er bis heute nicht begriffen hat, wie es dazu kam.

Genauso wenig wie Gabi Muchler.

Vor ziemlich genau zwei Jahren haben Andreas und ich den kleinen Hof in Asseln gekauft und unsere gesamten Ersparnisse hineingesteckt. Das Gehöft lag ganz zwischen Äckern, Feldern und Baumgruppen. Niemand hätte vermutet, dass man sich hier mitten im Ruhrpott befand.

Hier wollten wir uns den Traum von der Selbstständigkeit erfüllen. Biologischer Anbau von Kartoffeln, darauf spezialisierten wir uns. Unsere Kartoffelsorten wie Charlotte, Rosara, Alva und Sava lagerten wir kühl in Holzkisten in der eigens dafür umgebauten Scheune. So konnten wir unseren Kunden das ganze Jahr über 1A-Ware bieten. Je nach Jahreszeit, boten wir auch unterschiedliche Kohl- und Salatsorten, sowie Zwiebeln und Gemüse an.

Ein hartes Brot, wie wir bald feststellten. Wenn die Kartoffeln nicht von der Kraut- und Knollenfäule vernichtet wurden, verdorrten sie in der Sommerhitze oder erfroren, weil es im Frühjahr noch einmal Frost gab. Mehr als einmal bereute ich, dass ich meinen Job als Krankenschwester aufgegeben hatte.

Eines Tages kam Andreas die Idee mit dem Restaurant.

„Du kannst klasse kochen, Britta. Wir sitzen an der Quelle. Warum nicht zusätzlich Küche rund um die Kartoffel anbieten?“

Was soll ich sagen? Die „Tolle Knolle“ lief von Anfang an prächtig und mauserte sich rasch zu einem Geheimtipp. „Wir müssen uns nach einer Hilfskraft umsehen“, stellte ich schon bald erfreut fest.

Wir entschieden uns für Ewa Górniak, eine bildhübsche Polin. Sie war Medizinstudentin und wollte sich bei uns etwas dazu verdienen. Viel zahlen konnten wir nicht und boten ihr stattdessen Kost und Logis an.

Ewa sagte zu.

Sie gefiel vor allem den männlichen Gästen. Bei den Frauen war das ganz anders. Die musterten immer gleich Ewas lange blonde Haare, das zu freizügige Dekolleté und verzogen den Mund, wenn Ewa mit ihren Männern schäkerte.

Und Ewa, die konnte gar nicht anders!

Sie himmelte sogar Andreas an. Es lag ihr wohl einfach im Blut. Mehrfach sagte ich zu ihm: „Wir sollten uns jemand anders suchen. Das geht nicht gut, die macht uns noch alle unglücklich.“

Andreas verstand gar nicht, was ich damit andeuten wollte. Außerdem hatten wir Hochsaison, und Ewa arbeitete zuverlässig, strahlte stets vor guter Laune und kochte ebenso gut wie ich.

Wir hätten Freundinnen werden können.

Dass Andreas sie „mein Süßkartöffelchen“ nannte und in der Scheune vernaschte, bekam ich nur durch einen Zufall mit.

An dem Tag hatte ich den Satz neuer Küchenmesser im Auto liegen lassen, Andreas am Nachmittag zwar gebeten sie hereinzubringen, aber wie üblich hörte er nicht richtig zu. Das tat er so gut wie nie, war immer nur mit halbem Ohr dabei. Deshalb musste ich sie schließlich selbst holen.

Ich ging hinaus, überquerte den Hof und wollte eben durch die halboffene Tür in den Wagenschuppen treten, da sah ich die zwei ganz hinten im Halbdunkel stehen.

Andreas und Ewa.

Ewa und Andreas.

Sie waren so miteinander beschäftigt, dass sie mich nicht einmal bemerkten.

Er legte Ewa beide Hände auf den Po und zog sie so nah an sich heran, dass kein Fetzchen Papier mehr dazwischen gepasst hätte.

„Komm her, mein Süßkartöffelchen!“

Sie lachte leise und stammelte. „Andrej, nie … proszę, nein … bitte.“

Er knöpfte Ewas Bluse auf. Sie fuhr ihm durch die Locken, als er ihren BH aufhakte und ihre Brüste liebkoste. Es sah aus, als hätte er das schon sehr häufig getan.

„Ahh, doprze, doskonale,“ murmelte sie. „Gut, Andreas, sehr gut.“

Ich wollte es nicht, aber aus irgendeinem Grund stand ich da und lauschte weiter ihrem Keuchen. Mit sterbendem Herzen und einem Bauch wie mit Sägemehl gefüllt. In meinen Ohren dröhnten ständig zwei Worte. Gestöhnt, nicht gesprochen: „Doprze, doskonale.“ Bei jedem seiner Stöße: „Doprze … doskonale.“ Gut. Sehr gut.

Mein Kopf fühlte sich so schwer und leer an, wie nach einem Saufgelage mit Blackout. Mit abgehackten Bewegungen wankte ich irgendwann ins Haus.

Später kam Ewa in die Küche und wünschte mir mit ihrem stockenden Akzent einen guten Tag. „Was riecht so gut, Britta? Neues Rezept?“

„Kartoffelstrudel mit Bärlauch“, erwiderte ich knapp. „Vorbestellung. Wird gleich für Gasthof Muchler abgeholt“

Ich zog mir Einmalhandschuhe über, weil ich die Zutaten für das Restaurantessen nie mit bloßer Hand anfasste. Danach nahm ich eines der neuen Messer aus der Verpackung, spülte es ab und hackte Zwiebeln.

Ewa beugte sich indes runter zur Backofentür und spähte durch das Fenster hinein.

„Hm“, sagte sie, „dopzre, doskonale!“

Die Silben fielen wie eine schwere, schwarze Decke über meinen Verstand. Ich konnte nichts mehr denken, nichts hören oder sehen. Nur fühlen konnte ich: Wut, mörderische, brennende, alles verzehrende Wut.

Als es aufhörte, lag Ewa bäuchlings vor dem Backofen. Ihr Atem ging schwer und pfeifend. Zwischen ihren Schulterblättern steckte bis zum Heft das nagelneue Messer. Ich wollte es eben herausziehen, als Andreas hereinkam.

Binnen Sekunden wurde er so weiß im Gesicht, als liefe Milch statt Blut durch seine Adern. Mit zwei Schritten war er bei Ewa und streckte die Hand nach dem Messer aus.

„Andrej … nicht … stecken lassen …“, wisperte sie.

„Sofort“, stammelte er, „ich ziehe es sofort heraus.“

Dann geschah alles gleichzeitig: Die Tür flog auf und Gabi Muchler stand im Raum, um den Strudel abzuholen – Ewa schlug mit der linken Hand nach Andreas, der bekam sie jedoch zu fassen und riss gleichzeitig mit der anderen die Klinge aus ihrem Rücken.

Es zischte, als Ewas Atem aus der Wunde strömte und mit ihm ein warmer, roter Sprühregen.

Frau Muchler stand da, starrte auf Andreas, das Messer in seiner Faust, die zuckende Frau zu seinen Füßen. Gabi Muchler kreischte wie eine Harpyie, wirbelte herum und floh.

Die einzigen Fingerabdrücke, die man auf dem Messergriff fand, waren die meines Mannes.

Es war schon immer seine größte Schwäche gewesen, dass er nicht gut zuhören konnte, Feinheiten gingen ihm einfach durch. Selbst in einem so wichtigen Augenblick, in dem es um Leben Tod ging, achtete er nicht richtig auf das, was man ihm sagte.

Oder die Art, wie man es tat.

Ewa hatte nämlich keineswegs gesagt: „Andrej! Nicht stecken lassen“, und ihn somit gebeten die Klinge herauszuziehen – sondern vielmehr: „Andrej, nicht! Stecken lassen.“ Sie versuchte ihn daran zu hindern, die Schneide zu entfernen, ja, sie schlug deshalb sogar nach ihm. Als Medizinstudentin wusste Ewa – ebenso wie ich als Krankenschwester – dass man bei einer solchen Stichverletzung den Fremdkörper stecken lässt, damit die Lunge nicht kollabiert.

Denn das bedeutet den sicheren Tod.

Gabi Muchler riss mich aus meinen Gedanken. „Diesen Anblick werde ich nie vergessen“, wiederholte sie mit schwerer Stimme. „Nun bezahlt er für das, was er getan hat. Und wenn er es noch so leugnet!“


Bloody Marys - das Leben birgt ein tödliches Risiko

Подняться наверх