Читать книгу Nervensägen - Sabine Schäfer - Страница 6
Das tut nicht weh
ОглавлениеNachdem ich den Ernst der Lage und den Gesichtsausdruck meiner Neurologin nun auch erfasst hatte, fragte ich sie vorsichtig nach dem, was mich erwarten würde.
Man werde eine Lumbalpunktion bei mir vornehmen und Nervenwasser entnehmen, dann könne man noch einmal gezielt nach Gürtelrose und Co suchen, - eventuell sei es eine Gürtelrose im Kopf, meinte sie wenig überzeugend. Zwei Tage Krankenhaus, und man wüsste mehr.
Komisch war mir nur die Bemerkung, ich wäre doch noch so jung und sie würde sich mächtig Sorgen um mich machen. Und da sie nun Urlaub hätte, würde sie gerne meine Telefonnummer mitnehmen und mich zwischen den Weihnachts-tagen mal zuhause anrufen, dann wäre ich sicher wieder zuhause und könnte ihr berichten. Beruhigen konnte mich diese Aussage nicht, aber dennoch fand ich ihr Bestreben nett.
Ausgestattet mit den MRT-Bildern meiner Halswirbelsäule machte ich mich Montag auf zum Schädel- MRT.
Wieder Raketenröhre, wieder Lärm und Kontrastmittel. Ich war ja schon ein alter Hase in diesen Dingen.
Wortlos gaben sie mir nach kurzer Wartezeit einen weiteren Packen und einen Arztbrief mit und entließen mich in Richtung Krankenhaus.
Kaum aus der Praxis starrte ich gemeinsam mit meinem Mann noch auf der Straße auf die weiteren deutlichen weißen Flecken in meinem Gehirn.
Laienhaft konnte ich mindestens drei erkennen, davon einen wirklich Mächtigen. Um mich selbst und meinen Mann zu beruhigen witzelte ich etwas von, ich hätte eindeutig ein Hirn und das wäre nun bewiesen, -konnte dadurch aber die Stimmung nicht wirklich auflockern.
Mal wieder in Trance lieferte mich mein Mann im Krankenhaus ab.
Ich bekam mein Bett zugeteilt, und schon beim Eintritt in das zugewiesene Krankenzimmer wurde es mir ganz flau.
Ich konnte mein Unglück kaum fassen und setzte mich wortlos mit dem Rücken zu meiner stöhnenden Nachbarin auf meine Liegestätte und wartete auf das, was kommen sollte.
Einige Stöhnattacken und eine kurze Unterhaltung mit der Verursacherin später kam ein Arzt ins Zimmer, um mir wortlos Blut abzunehmen. Nach dieser kurzen Störung wurde meine Nachbarin gesprächiger und saß bald darauf Chips mampfend auf ihrem Bett. Sie war 78 und ihr Mann hatte Parkinson und sie müsse ihn pflegen. Sie selbst hätte schon den x- ten Bandscheibenvorfall gehabt und morgen würde sie entlassen. Das wäre ein Kreuz mit dem Kreuz, sagte sie und stopfe die Chipstüte in ihr Krankenhausnachtschränkchen, um dann zeitgleich wieder mit dem Stöhnen anzufangen. Was sie hierher in die Neurologie gebracht hatte, sollte ich nie erfahren.
Kurze Zeit später - von mir gefühlt, wie endlose Stunden danach - kam der wortlose Blutabnehmer wieder in mein Zimmer und steuerte auf mich zu.
Nach Aufforderung durch den nun doch Wort-reichen erzählte ich ihm meine bisherige Krankengeschichte und beantwortete unzählige seiner Fragen. Kurz darauf kündigte er eine neurologische Untersuchung an, und so begann meine ganz persönliche erste Zirkusvorstellung, der noch unzählige folgen sollten im Laufe der Zeit.
Hier nur ein kurzer Ausschnitt meines mehr oder weniger erfolgreichen
Auftritts:
- Bitte gehen sie entlang einer gedachten Linie geradeaus
- Nun versuchen sie es mal mit geschlossenen Augen
- Fuß vor Fuß setzten
- Auf die Hacke stellen
- Auf die Ferse stellen
- Auf einem Bein stehen, rechts und links
- Strecken sie die Arme nach vorne und schließen sie die Augen
- Bleiben sie einfach stehen mit geschlossenen Augen
- Strecken sie die Arme seitlich aus und versuchen sie nun mit dem Finger ihre Nase zu treffen
Und… und… und….
Danach durfte ich mich auf das flach gestellte Bett legen, und er piekste auf sämtliche frei zugängliche Körperregionen, immer gepaart mit Fragen wie “Spüren Sie dies, merken Sie das, ist es auf beiden Seiten gleich?” Kurz darauf malte er Zahlen auf meine Beine und Arme, hielt mir eine Stimmgabel an verschiedene Punkte, um mich gleich darauf aufzufordern, Laut zu geben, falls das Brummen nicht mehr zu merken wäre. Er klopfte dort mit Reflexhämmerchen, kratzte da an meinen verborgenden Reaktionen und strich vehementer über meine Fußsohlen, um auch da ungekannte Reaktionen auszulösen. Ich musste die Stirn krausen, die Zähne zeigen und noch andere Dinge, die man normalerweise nicht gerade vor Ärzten macht.
Alles in allem kam ich mir reichlich dämlich vor, machte aber alles mit, was er verlangte. Er würde schon wissen, was er da tut, und wenn es was nutzt, warum also nicht.
Als er fertig war, bekam ich keine Note und auch keine Bemerkung zu meinen aufgeführten Glanzleistungen, sondern ein Blatt mit Patienteninformationen zur geplanten Lumbalpunktion, welches ich mir in Ruhe durchlesen sollte, da er später wiederkommen würde, um mir Fragen zu beantworten und den unterschriebenen Zettel abzuholen.
Da saß ich nun mit meinem Informationsblatt und starrte auf den gezeichneten, sehr entspannten Patienten im blassen grauorange, der sich völlig entspannt und leicht nach vorne gebeugt und mit einer Kanüle im Rücken, das aufschlussreiche Nervenwasser entnehmen ließ. Auf der nächsten Seite fand ich ihn dann wieder, diesmal präsentierte er ausdruckslos die Variante im seitlichen Liegen, ebenfalls natürlich mit einer Kanüle im Rücken. Ich las die Informationen über Gefahren und Spätfolgen und über Unabsehbares, ohne in irgendeiner Weise den Sinn zu verstehen. Ich war in einem Zustand, in dem medizinische Fachausdrücke aus einzelnen Buchstaben bestehen, zwar lesbar sind, aber nicht fassbar bleiben.
Am Ende des Informationsblattes musste ich meine Einverständniserklärung geben und unterschreiben. Dies tat ich gleich nach dem Durchlesen, legte das Blatt mit der Rückseite nach oben auf mein Krankenhaustischchen und wartete auf meinen Zirkusdirektor.
Nach zehnminütigem Starren auf die weiße Wand und denkbar nervös, kam er endlich und fragte mich, ob mir etwas unklar geblieben wäre. Gut erzogen, wie ich bin, schüttelte ich natürlich mit dem Kopf und machte ein unberührtes Gesicht, als er mir nochmals sagte, dass ich nach dem Eingriff möglichst 2 Stunden lang ruhig und flach auf dem Rücken liegen müsse und viel trinken solle, da dadurch die eventuellen höllischen Kopfschmerzen nicht kommen würden, - in der Regel und zudem würde die ganze Prozedur auch nicht weh tun, und er käme gleich und dann würden wir das eben machen.
Ich möchte an diesem Punkt auf eine detaillierte Beschreibung verzichten. Erwähnenswert ist eventuell, dass ich während der Punktion durch mein reflexbehaftetes Bein und einen getroffen Nerv fast die Zimmerheizkörper zertrümmert habe und sich mein Zirkusdirektor nach erfolgtem Abzapfen des kostbaren Guts, schwitzend und keuchend die OP-Maske vom Gesichte zog und wortlos und zügig mein Zimmer verließ.
Nicht nur dadurch würden wir zwei keine Freunde werden, das wusste ich an diesem Abend, als ich regungslos flach auf meinem Bett lag und kopfschonend Ruhe bewahrte.
Was weh tut und was nicht, wollte ich ab sofort selbst beurteilen.