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2. Maschas Tod

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Seit dem Unfall vor drei Jahren, bei dem der Sohn der Rosenbergs von einem Lkw erfasst worden war, ließ Saletta die Hand ihrer Tochter niemals los, wenn sie an der viel befahrenen Hauptstraße entlanggehen mussten. Sie wusste zwar, dass sie ihrer Tochter vertrauen konnte, dass sie niemals bei Rot über die Straße rennen würde, wie es die Jungen aus der Nachbarschaft taten, um ihren Mut zu beweisen, aber sicher war sicher.

Die Ampelschaltung war noch stets zugunsten der Autofahrer eingestellt und so spielten sie geduldig ihr „Gib-uns-Grün-Spiel“, bei dem es darauf ankam, den Satz im richtigen Moment auszusprechen, sodass direkt darauf das kleine grüne Männchen erschien. Doch ihr Smartphone spielte nicht mit, klingelte und sie angelte es aus der Jackentasche. Ließ Mascha kurz los, um nach dem Handy zu greifen. Eine halbe Sekunde. Vielleicht verstand das Kind dies als Zeichen, dass das grüne Männchen endlich erschienen war. Aber da war keines. Mascha rannte los.

Auch die Fahrerin des schwarzen Audi spielte nicht mit. Fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit auf die Ampel zu. „Rot“, rief Saletta, „Mascha, rot! “

Mascha stockte kurz, aber statt umzukehren, griff sie sich mit der Hand an die Kehle. Sie schien keine Luft zu bekommen und fiel augenblicklich zu Boden. Der Wagen überrollte sie und die schweren Reifen hinterließen Abdrücke auf ihrem kleinen Körper. Die Fahrerin hielt kurz an, fuhr dann aber mit aufheulendem Motor weiter. Saletta begriff nicht gleich. Wer war dieses Kind, das dort lag? Wo war Mascha?

Mit einem Schrei löste sich ihre Erstarrung und sie rannte zu ihr. Der Verkehr kam zum Erliegen, jemand stellte ein Warndreieck auf. Saletta wünschte, die ganze Welt stünde still und spürte doch unaufhörlich ihren eigenen Rhythmus ins Leben hämmern. Da lag sie ja, die Augen weit aufgerissen, starr. Kein Atem, kein Puls, kein Herzschlag. Aus.

Ein Schmerz einte Mutter und Tochter, verzögert um wenige Augenblicke; das ist komisch, hörte Saletta sich wie von fern her denken, es tut weh, als würde mir jemand mit dem Baseballschläger den Schädel zertrümmern. Vorsichtig nahm sie ihr Kind hoch. „Mascha.“ Kein zärtliches Flüstern würde sie zurückholen.

Plötzlich von unbändiger Wut entflammt, spürte sie unmenschliche Kräfte, Kräfte, die sie im Leben nicht für möglich gehalten hätte, die reine Kraft des ungefilterten Hasses. Sie musste diesen Menschen finden, der ihr und ihrem Kind das angetan hatte, sie musste ihn zerstören, sie musste diese Kraft nutzen, bevor sie verschwand.

Mit Mascha im Arm rannte sie los, langsam, vorsichtig, damit sie ihr nicht entglitt, dann schneller, immer schneller, immer zorniger. Sie wusste, sie hatte niemals im Leben etwas Sinnloseres getan, aber sie kannte keinen Sinn mehr und keinen Verstand, sie rannte dem Audi hinterher, es war ein schwarzer Audi, sie durfte das nicht vergessen, aber sie hatte sich das Nummernschild nicht gemerkt, wie dumm sie war, wie achtlos, sie musste ihn finden, vielleicht würde dann alles wieder gut, sie hatte die Kraft, vielleicht könnte sie dem Fahrer ihr Kind entgegenhalten, schau her, und er würde erkennen, was er getan hatte und irgendein Gott würde sie heilen, würde ein einziges Mal Erbarmen haben mit ihr und mit uns und alles würde ungeschehen.

Sie würde noch einmal mit Mascha an der Kreuzung stehen. Ihr Handy würde nicht klingeln. Mascha würde weiter froh vor sich hinplappern. So behauptet es doch die Physik, das muss doch möglich sein, dass wir die Zeit überlisten, die uns all die schrecklichen Ereignisse nur vorgaukelt, die uns eine bessere Wirklichkeit verweigert.

Doch noch war es nicht so weit. Blind vor Tränen rannte und stolperte sie durch den Abendregen, ihr totes Kind im Arm, bis ein Polizeiwagen sie stoppte. Sie nahmen ihr Mascha weg und fragten nach ihrem Namen. Sie wusste ihn nicht. Eine Polizistin wollte sich als mitfühlend erweisen. „Niemanden trifft die Schuld“, sagte sie.

Wirklich nicht?

„Doch“, sagte Saletta. „Jemand muss schuld sein. Und ich werde alles tun, um es zu beweisen.“

Als der Fluss zu Staub zerfiel

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