Читать книгу Das gläserne Tor - Sabine Wassermann - Страница 11

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Sie hatten es sich anders überlegt: Sie hatten jemanden ausgeschickt, ihn zu töten. Wer immer es war, er machte sich nicht die Mühe, leise aufzutreten. Warum auch, schließlich lag er, Anschar, bäuchlings im Wüstensand, und das aus purer Erschöpfung. Er versuchte sich einzureden, noch nicht verloren zu sein, aber ohne Wasser war er es. Den ganzen Tag war er mit kurzen Schritten am Fuß der Felsenkette herumgestolpert und hatte etwas gesucht, womit sich die lästige Fessel durchtrennen ließ. Ohne sie wäre er weitergewandert, hin zur nächsten Felsenkette einige Wegstunden weiter nördlich. Doch scharfe Kanten gab es hier nicht, der Wind hatte die Felsen rund geschliffen. Es gab auch nichts, womit sich der brennende Durst stillen ließe. Pflanzen, ja ... an einigen Stellen bedeckten sie weitflächig den Boden, doch sie waren hart und ledrig, selbst die Wurzeln. Doch jetzt würde er noch ein letztes Mal in seinem Leben kämpfen und den ausgeschickten Jäger um seinen Wasservorrat erleichtern. Selbst im Sterben war ein einziger Wüstenmann kein Gegner für einen der Zehn.

Er verbarg das Gesicht in der Armbeuge. Aus dem Augenwinkel sah er eines der langen, unförmigen Gewänder flattern und die Beschläge seiner Schwertscheide in der Sonne aufschimmern. Sie wollten ihn tatsächlich mit seiner eigenen Waffe erschlagen. Seit wann glaubten diese Korbflechter, damit umgehen zu können? Als sein Suchtrupp erschlagen worden war, hatten sie nur ihre Spieße und Steine benutzt. Mit schierer Überzahl hatten sie gesiegt – die Schande ließ noch immer sein Blut kochen und weckte seine Lebensgeister. Ein Schatten näherte sich ihm, Finger berührten seine Schulter. Er fuhr hoch, packte die Gestalt und warf sie zu Boden. Ein Schrei, viel zu hell für einen Mann, gellte in seinen Ohren und erstarb abrupt.

Unter ihm lag eine Frau. Ihre Augen waren geschlossen, das Schwert war ihr aus der Hand geglitten. Wahrhaftig, es war die Rothaarige!

»Bei Inar, das kann einfach nicht wahr sein! Was tust du hier?« Er gab ihr links und rechts einen kräftigen Klaps auf die Wangen. »Wach auf. Wach auf1.«

Sie tat es nicht. Die Angst, sie getötet zu haben, brandete durch seinen Körper, und ihm wurde noch heißer, als es ohnehin schon war. Er hob Grazia auf und trug sie in den Schatten zweier dicht beieinanderstehender Felswände, fast schon eine kleine Schlucht. Vorsichtig legte er sie auf den Boden, steckte die Hand unter die Kapuze ihres Umhangs und betastete ihren Schädel. Ein wenig Blut fand sich auf seinen Fingerkuppen, aber schlimm schien es nicht zu sein.

»Komm schon, Feuerköpfchen.« Erneut versuchte er sie zu wecken, indem er an ihrem Kinn rüttelte. Sie atmete flach. Das war ihm schon vor Wochen aufgefallen, aber jetzt beunruhigte es ihn. Und warum hatte sie so merkwürdig steif in seinen Armen gelegen? Er rollte ihr Gewand hoch. Zum ersten Mal sah er ihre nackten Unterschenkel. Ein nicht zu verachtender Anblick, vor allem deshalb, weil er so ungewohnt war. Es folgte eine Fülle einstmals weißen Stoffes, und dann fand er die Erklärung, eine Art Brustpanzer, der sie von den Achseln bis zu den Leisten bedeckte. Anschar überlegte, ob er das Ding entfernen sollte, aber es sah nicht so aus, als sei das einfach. Außerdem musste es ja seinen Grund haben, weshalb sie es trug. Vielleicht weil ihre Taille so ungewöhnlich schmal war? Da er keinen zusätzlichen Schaden anrichten wollte, schlug er das Gewand wieder herunter. Sie wirkte entspannt, sogar ein kleines Lächeln lag auf ihren Lippen. Anschar knüpfte das Bündel von ihrer Schulter. Darin fanden sich nur ihre Habseligkeiten, ein wenig zu essen und noch viel weniger zu trinken. Er schüttelte den Kopf, als er den nur halb gefüllten Lederschlauch hochhielt. Wie lange sollten sie damit überleben? Einen Tag oder gar zwei?

»Da, wo du herkommst, weiß man wohl nicht, was Durst ist, was?« Er öffnete ihren Mund und ließ etwas Wasser hineinlaufen. Sie schluckte, doch sie wachte nicht auf. Dann trank auch er. Es kostete ihn große Überwindung, den Schlauch wieder sinken zu lassen, denn sein Durst war längst nicht gelöscht. Doch es genügte, die nächsten Stunden zu überstehen.

Hunger hatte er keinen, also ließ er den geschmacklosen Brei, wo er war. In einer geflochtenen Tasche fand sich außer einem hellen Kleiderbündel eine kleinere Tasche aus weißem besticktem Stoff. Er schnürte sie auf und schüttelte sie aus. Wie er es erwartet hatte, fiel auch das Ding heraus, mit dem Grazia ihn hatte loskaufen wollen. Es war ein flaches rundes Schmuckstück, auf sehr feine und fremdartige Weise verziert. Was sollte daran nützlich sein? Und dieser Papierstapel, der an einer Seite zusammengefügt war? Anschar befingerte die Blätter. Sie waren mit äußerst gleichmäßigen Schriftzeichen bedeckt.

»Du musst wirklich von sehr weit her kommen«, sagte er, legte den Papierstapel beiseite und fand eine weitere Tasche, diese war jedoch winzig und mit einem metallenen Verschluss versehen. Darin fanden sich ein bunt bemaltes und zerknicktes Stück Papier und – Münzen.

»Wer hätte gedacht, dass du etwas bei dir hast, von dem ich auf Anhieb sagen kann, was es ist?« Er nahm eine Münze zwischen die Finger und hielt sie ins Sonnenlicht. Ein Kopf war zu erkennen, mit streng zurückgekämmten und erstaunlich kurzen Haaren. Und einem hässlichen Bart unter der Nase. Wer sollte das sein? Die Münzen des Hochlandes zeigten das Götterpaar Inar und Hinarsya, vielleicht war dieser hier ebenfalls ein Gott. Aber in einem so fernen Land konnte es ganz anders sein. Wie auch immer, in seiner Heimat war dieses Geld so wertlos wie die Fellschnüre, welche die Wüstenbewohner als Zahlungsmittel gebrauchten.

Wenigstens für das Bündel Grasbänder hatte er Verwendung.

Er legte die Decke unter Grazias Kopf und stand auf, das Schwert in der Hand. Mit einem vielversprechenden Zischen glitt es aus der Scheide, und wenige Augenblicke später hatte er sich seiner Fußfessel entledigt. Er verscharrte sie im Sand, für den Fall, dass später Männer aus dem Dorf kamen, um nach seiner Leiche zu sehen. Eine überflüssige Maßnahme, denn was machte es für einen Unterschied, ob er hier getötet wurde oder zwei Tagesmärsche weiter östlich in der Sonne verreckte? Aber das waren nur Gedanken, sie beeinflussten sein Handeln nicht. Einer der Zehn gab niemals auf.

Anschar steckte das Schwert in die Scheide zurück. Es gab keinen Aufschub, wenn er das Unmögliche versuchen wollte. Jetzt in der Hitze des Tages lief es sich zwar mühseliger als nachts, aber mit diesem bisschen Wasser war keine Zeit zu verlieren. Er machte sich aus den Grasbändern einen Schwertgurt und band ihn sich um die Mitte. Dann, nach einem letzten Versuch, Grazia aufzuwecken, fesselte er ihre Hände. Er würde das dumme Ding, das an sein Schwert, aber nicht an Wasser gedacht hatte, tragen müssen.

Ihr Hinterkopf schmerzte, aber das war nicht das Schlimmste. Da war diese unerklärliche Schaukelei, die ihr Übelkeit verursachte. Noch bevor es ihr gelang, die Augen zu öffnen, erspürte sie schweißnasse Haut unter den Armen. Fremder Schweißgeruch stach in ihre Nase. Und – das Schlimmste von allem – ihre Kehle war wie ausgedörrt. Dunkel erinnerte sie sich daran, dass sie dem leicht abhelfen konnte. Sie musste sich nur konzentrieren, an die Havel denken, an die Unmengen von Wasser, die ein fremder Mann durch sie hindurchgepumpt hatte. Es fiel ihr schwer. Sie war in der Wüste, das wusste sie. Sie erinnerte sich auch, in der Nacht fortgelaufen zu sein und Anschar gefunden zu haben. Dann war er über ihr gewesen, wie ein Raubtier hatte er sie angefallen und sie zu Boden gestoßen.

Die Lider zu heben, war eine kaum zu bewältigende Anstrengung. Sie versuchte es, aber die Sonne stach erbarmungslos in ihre Pupillen. Tränen traten ihr in die Augen. Allmählich begriff sie, dass jemand sie trug. Dass er sie trug, wie ein Kind auf dem Rücken. Ihr linker Arm lag über seiner Schulter, ihr rechter hing unter seiner Achsel.

Er lebte. Er schleppte sie durch die sonnendurchflutete Wüste.

Ihre Beine lagen um seine Hüften. Er hielt sie an den Kniekehlen. Ihren nackten Kniekehlen.

»Lass mich los!« Sie wollte sich von ihm abstoßen, doch ihre Hände waren vor seiner Brust zusammengebunden. Zappelnd versuchte sie loszukommen; plötzlich lag sie auf dem Rücken im Sand und er über ihr.

»Schön, dass du wach bist.« Er streifte ihre Arme über den Kopf. »Du hast mir wirklich Sorgen gemacht.«

So nah war sie ihm noch nie gewesen, und sie fand es beängstigend. Schamröte schoss ihr ins Gesicht, und der Sand ließ ihren Rücken glühen. Ihre Beine waren immer noch bis fast zu den Oberschenkeln entblößt. Zum Glück schien Anschar in seiner Verwirrung dafür keinen Blick zu haben. »Bitte geh weg«, bat sie beherrscht, damit er es nicht doch noch merkte. Er zögerte, schien etwas Beschwichtigendes sagen zu wollen, sah sie aber nur an. Schließlich rollte er sich auf den Hintern, schnaufte und schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund. Hastig stand sie auf und schlug ihr Gewand herunter.

Jetzt erst merkte sie, dass er erschöpft war. Wie lange mochte er sie schon durch die Gegend tragen? Und wohin? Weshalb er sie gefesselt hatte, wurde ihr immerhin klar. Es kostete viel Kraft, bei Tag durch diese Gegend zu laufen – auch noch mit ihr auf dem Rücken. Aber dann fiel ihr ein, wie es dazu gekommen war. Sie stapfte um ihn herum und versuchte ihn wütend anzufunkeln. »Warum hast du mich ...«, in Ermangelung eines passenden Wortes klopfte sie sich auf den Kopf. »Binde mich los!«

Sie schnappte nach Luft, als er aufstand und sein Schwert zog. Er durchschnitt die Bänder an ihren Handgelenken mit aufreizender Beiläufigkeit. Jetzt sah sie, dass er sich ihr Bündel an einen Grasgürtel geknüpft hatte. »Meine Sachen?«, fragte sie, von Furcht durchdrungen, er könnte die Erinnerungen an ihr altes Leben zurückgelassen haben. Wortlos drückte er ihr das Bündel in die Hände.

»Du findest mich seltsam«, murmelte sie, während sie prüfte, ob alles da war.

»Allerdings.«

Sie tupfte sich mit dem Rand der Kapuze den Schweiß vom Gesicht und betastete den Hinterkopf. Tatsächlich waren da eine Beule und eine schorfige Stelle.

»Wir müssen weiter.« Er steckte das Schwert weg, nahm ihr das Bündel ab und schulterte es. »Dort vorne ist eine weitere Felsenkette, siehst du sie? Es sind nur noch etwa zwei Stunden zu laufen, dann können wir im Schatten rasten, bis zum Einbruch der Nacht. Bis dorthin werden uns die Wüstenbewohner wohl nicht verfolgen, sollten sie dazu Lust verspüren.«

Er marschierte los. Nach wenigen Schritten blieb er stehen und sah sich besorgt nach ihr um. Ihr blieb nichts anderes übrig, als hinter ihm herzulaufen. Wie kam er dazu, kein Wort darüber zu verlieren, dass sie ihm das Leben gerettet hatte? Eine Entschuldigung für den Angriff erwartete sie schon gar nicht.

»Und dann? Gehen wir weiter in der Nacht? Was ist morgen?«

»Ich weiß nicht, was morgen ist. Diesem Sippenältesten habe ich nicht die volle Wahrheit gesagt.«

»Nein? Bist du etwa doch ein Sklavenhändler?«

Er warf ihr aus den Augenwinkeln einen Blick zu, der für seine Verhältnisse milde war. »Das bin ich nicht. Was ist?«

Sie war stehen geblieben, denn mit einem Mal schmerzte das Sonnenlicht. Tief zog sie sich die Kapuze in die Stirn, aber es half wenig. Der Schweiß rann ihr aus allen Poren. Sie war für diese heiße Welt einfach nicht geschaffen. »Ich ... ich kann nicht laufen. Ich bin so erschöpft.«

Wäre der Sand nicht so heiß, hätte sie sich wieder hinsinken lassen. So wartete sie, ohne sich entscheiden zu können, ob sie weiterlaufen oder auf ewig hier stehen bleiben sollte.

»Werde nicht schwach, Feuerköpfchen.« Er knüpfte den Wasserbeutel vom Gürtel und wickelte die Schnur ab. »Sterben können wir besser bei den Felsen dort.«

»Das ist mir schnuppe«, erwiderte sie auf Deutsch. Auch das Reden in der fremden Sprache war mit einem Mal viel zu anstrengend. Sie machte keine Anstalten, den dargebotenen Beutel anzunehmen.

»Komm schon! Gibst du etwa auf, nachdem du mich gerettet hast? Es gibt noch Hoffnung, auch wenn sie klein ist. Trink!«

Wovon sprach er? Doch nicht etwa von dieser sagenhaften Oase? So etwas schien es hier weit und breit nicht zu geben, auch nicht bei der nächsten Felsenkette, denn die hatten er und sein Trupp ja wohl auf dem Herweg durchquert. Grazia schüttelte den Kopf, als er ihr den schlaffen Beutel vor die Nase hielt.

»Will ich nicht.«

»Wieso nicht?«

»Brauch ... nicht.«

»Du brauchst das ganz dringend.«

Mit zusammengepressten Lippen schüttelte sie den Kopf. Kurzerhand hielt er sie am Kinn ruhig und drückte den Daumen zwischen ihre Zähne.

»Wehe, du beißt jetzt zu. Du hast einen blauen Hintern, wenn du das tust.«

Sie war sich nicht sicher, das richtig verstanden zu haben, dennoch hielt sie still. Die Öffnung des Lederbalgs schob sich in ihren Mund, und dann blieb ihr nichts anderes übrig, als zu trinken. Es war wohl an der Zeit, Anschar zu erklären, warum sie so wenig Wasser mitgenommen hatte. Aber ihr fehlte die Kraft, jetzt davon anzufangen. Sie hatte für nichts mehr Kraft. Ergeben schloss sie die Augen. Seine Arme fingen sie auf.

In der Nacht erwachte sie an eine schrundige Felswand gelehnt, eingehüllt in ihren Umhang. Es war kalt. Langsam kehrte die Erinnerung zurück ... Sie hatte Anschar gefunden, und er hatte sie getragen. Bis hierher zu jener zweiten Felsenkette. Siedend heiß wurde ihr bewusst, wie sehr er sich mit ihr abgeplagt hatte, dabei war er doch selbst geschwächt.

»Anschar?«, flüsterte sie und zuckte zusammen, als sie ihn neben sich tief und entspannt atmen hörte. Er lag auf der Seite, seine Hand umschloss den Griff des Schwertes. Das Licht der beiden Monde war so hell, dass sie seine geschlossenen Lider erkennen konnte. Seine Zöpfe hatten sich wie Schlingen um seinen Hals gelegt. Und seine Arme – selbst jetzt ließ sich erkennen, dass sie rot waren, verbrannt von der Sonne. Sie hätte daran denken sollen, ihm einen Umhang mitzubringen. Langsam stand sie auf und ging zu ihm. Noch sehr viel langsamer bückte sie sich und spreizte dicht über seiner erhitzten Haut die Finger. Sie wollte ihn mit Wasser kühlen. Aber würde er es nicht merken? Ein Tropfen fiel von ihrem Zeigefinger. Ein zweiter, dann ein Rinnsal. Als er grunzend den Kopf drehte, zog sie die Hand zurück. Leise entfernte sie sich.

Der Weg, ein kleine Schlucht zwischen Dutzenden zuckerhutförmiger Felsblöcke, die aus dem Sand ragten, war leicht zu erkennen. Sie suchte sich eine Felsspalte, verrichtete ihre Notdurft und ging weiter, bis sie einen Felsblock fand, auf dem sich bequem sitzen ließ. Ein Tier huschte von ihr fort, einer bepelzten Eidechse ähnlich. Sie schüttelte sich. Hoffentlich gab es hier keine Skorpione oder Ähnliches. Im Dorf war sie von dergleichen verschont geblieben, aber das konnte hier inmitten der Wildnis anders sein.

Zwischen den Füßen fand sie eine Muschel. Länglich war sie, mit natürlichen Mustern versehen und kalkweiß. Grazia blies den Sand weg und hielt sie ins Mondlicht. Sofort dachte sie an den Fluch der Götter. Anschar hatte ihr davon erzählt. Die Argaden glaubten, wenn man eine Muschel fände, so sei dies eine stille Mahnung der Götter, sich an den Fluch zu erinnern. Seit Hunderten von Jahren waren Argad und das ferne Land Temenon, eine weitere Hochebene tief im Südosten, verfeindet. Vor Hunderten von Jahren nämlich war die gesamte Wüste ein Meer gewesen. Argad hatte Schiffe gegen Temenon ausgesandt, um es zu erobern, was nie gelungen war. Der Krieg hatte angedauert, Jahre, Jahrzehnte ...

Ein wenig hatte sie sein Bericht an die Sage um Troja erinnert; auch hier war die Rede von mehr als tausend Schiffen gewesen, die das Meer überquert hatten, um die Stadt eines fremden Volkes zu belagern. Zur Eroberung von Temenon war es jedoch nicht gekommen, denn die Götter hatten die Prophezeiung ausgesprochen, dass sie die Völker voneinander trennen würden, wie eine Mutter zwei raufende Bälger, wenn es den Menschen nicht gelänge, dem Krieg ein Ende zu machen. Argads Könige aber hatten nicht auf sie gehört, unerbittlich hatten sie ihre Schiffe ausgesandt. Irgendwann war der Meeresspiegel gesunken, doch auch das hatte sie nicht zur Besinnung gebracht. Erst als das Meer verschwunden war und Trockenheit sich auf Argad zu legen begann, hatten sie begriffen, was der Fluch bedeutete. Der Krieg war nicht beendet, doch jetzt konnte niemand mehr die Wegstrecke zurücklegen, um zu tun, was die Götter gefordert hatten: den Frieden suchen. So tat seitdem der Fluch des Wassermangels unaufhaltsam sein Werk.

Grazia glaubte von all dem selbstverständlich kein Wort, außer dass es hier wohl tatsächlich einmal ein Meer gegeben hatte. Sie musste lächeln, als sie daran zurückdachte, wie schwer sie sich damit getan hatte, die Geschichte zu verstehen. Den Argaden waren die Wörter für Schiffe und Segeln nicht mehr geläufig, mühsam hatte Anschar sie sich abgerungen. Was ein Schiff war, wusste er gar nicht so richtig. Krieger dicht gedrängt auf großen hölzernen Booten, die schwimmend eine große Strecke zurücklegten? Für ihn unvorstellbar.

»Was tust du da?«

Sie erschrak so sehr, dass sie die Muschel fallen ließ. »Ich dachte an den Fluch.«

»Du hast eine Muschel gefunden?« Er hob sie auf, betrachtete sie kurz und gab sie ihr zurück.

»Ich finde sie schön«, erwiderte sie.

»Das ist sie ja auch. Nur was dahintersteckt, ist es nicht.«

»Ich kenne das Meer.«

»Ach! Wie ist das möglich?« Es klang spöttisch, aber dann fügte er ernst hinzu: »Du kommst wirklich von sehr weit her, nicht wahr? Hier gibt es weit und breit kein Meer, die Götter sind gründlich gewesen. Wie sieht es aus?«

Wie sollte sie das in Worten erklären, noch dazu in fremden? »Wo hier Sand ist, ist Wasser. Alles ist voll Wasser. Und der Wind macht – er geht auf das Wasser. Über das Wasser. So«, sie blies auf ihre Hand und machte eine wellenförmige Bewegung. »Es ist schön, wenn das Wasser über die Füße läuft. Und das – die Muschel, davon gibt es viele. Auch die Tiere darin.«

»Tiere darin? Wie meinst du das?«

Grazia deutete auf die Muschel. »Das war ein Tier. Die Muschel ist nur ...« In Ermangelung eines passenden Wortes zupfte sie an ihrem Mantel. »Kleidung. Ein Haus.«

»Du kommst aus einer Gegend, in der in Muscheln Tiere hausen?«, fragte er verblüfft.

»Hier war auch ein Tier darin.«

Kopfschüttelnd setzte er sich neben sie und klemmte das Schwert zwischen die Knie. »Mag sein. Seitdem die Götter unsere Welt mit ihrem Fluch größer gemacht haben, weiß man so vieles nicht mehr. Vor allem nicht, wie man der Trockenheit Herr wird. Die Suchtrupps nach dem letzten Gott auszuschicken, war eine Verzweiflungstat. Wie soll man ihn finden?«

»Warum nennt ihr ihn den letzten Gott und nicht, wie ist sein Name?«

»Das Götterpaar Inar und Hinarsya hat drei Kinder, die Götter der Luft, des Wassers und der Erde. Das ist die Dreiheit der Elemente. Der Luftgott heißt Nihayem. Der Erdgott Nihar. Der Gott des Wassers verlor seinen Namen, als sie ihn in die Wüste verbannten.« Er legte den Kopf in den Nacken, wie um die Sterne anzuschauen. »Die anderen sind in ferne Welten verschwunden. Aber sie blicken auf uns herab. Sag mir, Feuerköpfchen, hast du etwa nicht aufgepasst, als ich dir das erzählt habe? Mehrmals sogar?«

»Doch. Ich gebe mir Mühe, wirklich.«

Er sah sie von der Seite an und lächelte. »Ja, das tust du.«

»Die Kinder der Elemente sind ... waren die Nihaye. Halbgötter«, sagte sie, um es ihm zu beweisen. Oder ihre Verlegenheit zu überspielen. Es gefiel ihr, wenn er sie länger als notwendig ansah, aber es machte sie auch unsicher.

»Richtig.«

Die Worte schwirrten ihr im Kopf herum. Der letzte Gott, die Halbgötter. Wasser. Sie betrachtete ihre Hände und berührte ihre Lippen, um dem Kuss jenes Mannes auf dem Steg nachzusinnen. War es denkbar? Hatte er denn nicht ausgesehen wie ein Gott? Aber der Gedanke, er könne jener letzte Gott gewesen sein, war so absurd, dass sie ihn von sich wies. Dennoch war da ihre seltsame Fähigkeit. Es war an der Zeit, sich Anschar zu offenbaren. Sobald ihn der Durst zu quälen begann, musste sie es ja tun ... »Anschar.« Nervös knetete sie die Finger. »Ich muss dir ...«

»Still.« Er war aufgestanden, machte ein paar Schritte und starrte in die Ferne. Was war dort? Sie lief an seine Seite. Am Ende der Schlucht, draußen auf der Ebene, brannte ein Feuer.

Ein Lagerfeuer? Leute aus dem Dorf konnten es nicht sein, denn das lag hinter ihnen.

»Keine Sorge, Feuerköpfchen. Ich glaube nicht, dass es Feinde sind.« Er verließ den Schatten der Felsen und ging ein Stück auf die Ebene hinaus. Dort stand er eine Weile regungslos, gut sichtbar im hellen Mondlicht. Bronze rieb gegen Bronze, als er die Klinge in die Schwertscheide zurücksteckte. Als er wieder bei ihr war, schwang Erleichterung in seiner Stimme. »Ich hatte erwähnt, dem Dorfältesten nicht alles gesagt zu haben. Leider bist du in dich zusammengesackt, bevor ich dir erklären konnte, was ich meinte.«

»Ich war so müde. Und bin es noch. Ich möchte schlafen und aufwachen in ... einem Bett. Nicht hier. Die Wüste ist schrecklich.«

»Das ist sie. Nun, wie es aussieht, ist deine Hoffnung auf ein anständiges Bett in Argad nicht umsonst. Diese Männer dort sind ebenfalls auf der Suche nach dem letzten Gott. Es gab nicht nur den einen Suchtrupp. Es gibt noch drei weitere. Jeder König des Hochlandes schickte einen aus. Die von Scherach und Praned zogen nach Norden und Westen. Die Trupps von Argad und Hersched gingen in südliche Richtung.«

»Warum nicht auch nach Osten?«

»Du denkst mit, Feuerköpfchen«, sagte er, was sie pikiert die Stirn runzeln ließ. Es war nun wirklich kein Kunststück, darauf zu kommen. »Die Priester der Herscheden vermuten die Oase ebenfalls hier irgendwo. Außerdem ist im Osten nichts. Das hier ist Wüste, aber sie ist vielfältig und, nun ja, wie man sieht, gibt es ein Volk, das darin lebt. Ostwärts des Hochlandes ist nur totes Land, und jenseits davon ist Temenon.«

»Vielleicht ist diese Oase ja dort?«

»Das kann schon sein. Jedenfalls geht das die Wüstenleute nichts an, daher habe ich nichts gesagt. Hast du das alles verstanden?«

Sie nickte. »Und dort – das ist so ein Trupp?«

»Ja, der von Hersched. Es sieht allerdings nicht so aus, als hätten sie den Gott. Wobei ...«, er lachte leise. »Wie muss man sich das vorstellen, wenn man einen bei sich hat? Niemand von uns weiß es.« Er holte das Bündel, kehrte zu ihr zurück und schulterte es. »Komm. Ich rieche bis hier, dass die Herscheden etwas am Feuer braten, und, bei Inar, ich will davon etwas abbekommen.«

»Hast du auch meine Sachen mitgetan ... eingepackt?«

Zur Antwort lachte er so laut, dass es die Männer am Feuer hören mussten.

Grazia blieb dicht hinter ihm. Beim Näherkommen zählte sie acht oder neun Männer, die sich um die kleine Feuerstelle versammelt hatten. Es roch tatsächlich nach gebratenem Fleisch – und nach den Ausdünstungen von Tieren, wie sie eines im Dorf gesehen hatte. Es waren sechs an der Zahl, und sie lagerten abseits des Feuers, grunzten und schnaubten im Schlaf. Grazias Magen krampfte sich zusammen. Sie hätte nicht zu sagen vermocht, ob es vor Hunger war oder Furcht.

Anschar gab sich keine Mühe, seine Schritte leise zu setzen, vermutlich wollte er nicht, dass die Männer glaubten, er schleiche sich an. Alle reckten die Köpfe und sprangen auf, die Hände an den Schwert- und Messergriffen. Einer zog ein Bündel Reisig aus dem Feuer und warf es vor seine Füße. Grazia unterdrückte einen Schrei.

»Sie wollen uns nur sehen«, sagte Anschar leise, hob die Hände, um ihnen zu zeigen, dass er seine Waffe nicht gezogen hatte, und rief: »Frieden! Wir sind keine Wüstenmenschen.«

Schweigen folgte. Er legte betont gleichmütig das Bündel ab, nicht jedoch den Schwertgürtel, und trat näher. Die Männer starrten ihn an. Einer fand schließlich seine Stimme.

»Anschar?« Es war ein riesenhafter Kerl, mit Händen wie Bratpfannen, mit denen er sicher drei Gegner gleichzeitig niederzuschlagen verstand. Trotzdem war sein Respekt vor einem der Zehn fast greifbar. »Nicht zu fassen! Anschar von Argad marschiert aus dem Nichts an unser Lagerfeuer. Wo ist dein Trupp? Und warum ...«

»Eins nach dem anderen, Hadur. Was ist, kriegen wir etwas zu essen?«

»Natürlich.« Der Herschede machte eine einladende Geste. »Setzt euch.«

Grazia spürte Anschars Hand auf dem Rücken. Mit sanftem Druck schob er sie zum Lagerfeuer, wo er sich im Schneidersitz niederließ. Die Männer machten Platz und sahen neugierig zu, wie sie umständlich das Gewand ordnete, damit es beim Hinsetzen nirgends aufsprang. Sie waren rau und schmutzig, mit strähnigem, verschwitztem Haar, das ihnen bis weit über die Schultern fiel. Alle trugen dünne, geflochtene Kinnbärte, in denen Goldperlen glänzten. Einige lachten, als sie endlich saß und mit spitzen Fingern einen Bratspieß entgegennahm. Was darauf steckte, ähnelte verdächtig dem eidechsenähnlichen Tier, das sie vorhin gesehen hatte. Natürlich bekam sie auch einen Wasserschlauch gereicht. Sie trank zwei Schlucke und gab ihn an Anschar weiter, der den Kopf in den Nacken warf und das Wasser aus dem Leder presste, bis es schlaff in seinen Fingern hing.

»Hast du deinen Trupp gegen diese Wüstenfrau eingetauscht?«, wollte Hadur wissen.

»Sie ist keine Wüstenfrau.« Anschar keuchte, so sehr hatte ihn das Trinken angestrengt. In Windeseile befreite er einen Spieß vom Fleisch.

»Was soll sie denn sonst sein?«

»Natürlich ist sie eine«, warf ein anderer ein.

Anschar warf den Spieß ins Feuer, wischte die Finger an seinem Rock ab und griff in ihr Haar. Warum war er so grob? »Ist sie nicht! Oder habt ihr je so eine Farbe gesehen?« Da die Männer sie immer noch zweifelnd anstarrten, zog er an ihrem Haar. »Sag etwas in deiner Sprache!«

Was für eine entsetzliche Situation. Grazia zerrte ihre Strähnen aus seinen Fingern und zog die Beine an. Der Rand des Korsetts drückte schmerzhaft gegen ihr Becken. »Ich weiß nichts«, murmelte sie auf Deutsch und versuchte das Gewand über die Füße zu ziehen. Unter den glotzenden Blicken kam sie sich fast nackt vor. Wieder einmal wünschte sie sich sehnlichst nach Hause, in den Kreis ihrer Familie.

Anschar neigte sich vor, um sie anzusehen. Plötzlich begriff sie: Er hasste die Vorstellung, diese Männer könnten glauben, er gebe sich mit einer Wüstenfrau ab. Aber war das ihr Problem? Ihre Schultern erbebten vor Entrüstung, und sie rückte ein Stück von ihm ab. Kurz schloss er die Lider, als täte es ihm leid.

»Ihr habt’s gehört. Sie ist keine Wüstenfrau. Wartet es halt ab, bis ihr sie im Tageslicht seht. Im Übrigen, wenn ich das sage, soll es genügen. Oder ist hier jemand, der mit mir streiten will?«

Alle senkten den Blick, auch Hadur. »Mit einem der Zehn? Bestimmt nicht.« Er räusperte sich und hob den Kopf. »Wie heißt du, Frau?«

»Grazia Zimmermann«, antwortete sie steif.

Fragend hob Anschar die Brauen. »Du hast einen zweiten Namen? Das wusste ich ja gar nicht. Was bedeutet er?«

»Nun ...« Sie musste nachdenken. Da sie das hiesige Wort nicht kannte, versuchte sie es zu umschreiben. »Ein Mann, der Sachen aus Holz baut.«

»Wie?« Hadurs Kopf ruckte zurück, als sei eine Schlange herangeschossen. »Du bist gar keine Frau? Bei Hinarsyas Brüsten, du treibst deinen Spaß mit mir.« Ungezügelt ließ er den Blick an ihrem Leib herunterwandern, aber das unterließ er, als Anschar ihn scharf ansah.

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist der Name von meiner Familie.«

»Einer Familie von Holzbauleuten?«

»Mein Vater ist ...« Grazia machte eine hilflose Geste. »Ich kann das nicht erklären.«

»Lass sie in Ruhe, Hadur.« Anschar streckte die Hand aus. »Gib mir lieber ein scharfes Messer.«

Hadur griff hinter sich und machte eine Bewegung, als wolle er ihm das Messer zuschleudern, sodass es sich zwischen Anschars Beinen in den Sand bohrte. Aber dann schien er sich darauf zu besinnen, dass man einen der Zehn mit so etwas nicht beeindrucken konnte, und er reichte es ihm mit dem Griff voran.

»Danke.« Mit dem Daumen prüfte Anschar die Klinge und fing an, sich den Bart zu scheren. Er schnitt sich nicht, allerdings war das Ergebnis alles andere als eine ordentliche Rasur. Als er fertig war, strich er sich mit dem Handrücken die Haare herunter und schleuderte das Messer zwischen Hadurs Füße. »Jetzt zu euch. Wenn ich mich recht entsinne, hatte Mallayur einen doppelt so großen Trupp zusammengestellt, unter deiner Führung, Hadur. Warum seid ihr jetzt nur noch zu neunt? Und wo ist der Priester, der euch begleitete?«

Hadur zuckte die muskelbepackten Schultern. »Scheint so, als hätte deinen Trupp das gleiche Schicksal ereilt wie meinen. Oder weshalb sonst bist du allein? Wir trafen westlich von hier auf eine Siedlung dieser Wüstenhunde. Der Priester wollte dem Dorfherrn seine Rede aufsagen, wo diese sagenhafte Oase denn wäre – na, das weißt du ja. Da fielen sie über uns her. Sie dachten, wir seien Sklavenhändler. Der Priester war der Erste, der einen Spieß in der Kehle hatte. Schande über mich, dass ich ihn nicht schützen konnte, wie es meine Aufgabe gewesen wäre. Wir wüteten unter ihnen wie der Schamindar, aber nur die Hälfte von uns schaffte es, zu entkommen.« Er schob einen Ärmel hoch und offenbarte einen dicken, blutdurchtränkten Verband. »Ist nicht gerade eine Ehre, zukünftig eine Narbe zu tragen, die der Spieß eines Wüstenmannes geschlagen hat.«

Er spuckte ins Feuer. Einige der Männer brummten Verwünschungen. Grazia, die fast alles verstanden hatte, fragte sich, warum sich diese Krieger für weniger barbarisch als die Wüstenmänner hielten. Bisher hatte sie keine großen Unterschiede festgestellt.

Anschar neigte sich vor und legte die Arme auf die Knie. Ernst sah er Hadur an. »Bei uns war es nicht anders. Nur dass ich allein überlebte. Die Reise verlief lange Zeit ereignislos. Wir hofften, unerschrockenen Leuten zu begegnen, die uns anhören würden. Doch wann immer wir Wüstenmenschen sahen, flohen sie vor uns. Die Reise wurde immer anstrengender, uns wurde schon das Wasser knapp. Eines der Packpferde starb am Biss einer Schlange. Die Hitze ... Nun ja, ihr wisst nur zu gut, wie es uns erging.«

»Dieses Land ist ein einziges trockenes Elend.«

Die Männer nickten und stießen Flüche aus.

»Ich vermute, dass irgendeiner von diesen Hunden zu seinem Stamm lief und von uns Meldung machte. Geschätzte hundert Männer rotteten sich zusammen und griffen uns an.« Anschar deutete zur Felsenkette. »Etwa zwei Tagesmärsche von hier befindet sich ihr Dorf, diese Richtung ist also tunlichst zu meiden.« Grimmig stöhnte er auf und griff sich vom Feuer einen weiteren Spieß. »Wir haben sie unterschätzt. Besser gesagt, haben wir ihre Einfalt unterschätzt. Wir dachten, sie könnten zwischen Besuchern und Sklavenhändlern unterscheiden. Aber da machen sie keinen Unterschied.«

»Sie sind Tiere. Wie ein Rudel ausgehungerter Hunde. Und sie stinken auch so.«

»So ist es.«

»Sie verdienen nichts anderes, als dass man sie versklavt.«

Nur zu gern hätte Grazia eingeworfen, dass man von einem Volk, das ständig gejagt wurde, wohl kaum erwarten konnte, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Aber das wagte sie nicht. Sie war froh, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr auf ihr lag.

»Und deine Leute?«, fragte Hadur. »Du weißt zweifelsfrei, dass sie tot sind?«

»Sie sind tot«, erwiderte Anschar und schleuderte den abgenagten Spieß ohne ein weiteres Wort ins Feuer. »Was werdet ihr jetzt tun?«, fragte er nach einer Weile.

»Ins Hochland zurückkehren. Was denn sonst? Die Oase kann schließlich sonst wo sein.« Hadur fuhr sich mit dem Finger über den Hals. »Mir steht die Wüste bis hier! Es war eine verrückte Idee, hier einen Gott zu suchen, und das weißt du auch. Jetzt geht es nach Hause. Mallayurs Prügel sind mir lieber als noch länger hier herumzustapfen.«

Wer war noch gleich Mallayur? Grazia neigte sich zu Anschar. »Mallayur?«

»Der König von Hersched und Bruder des Meya, des Königs von Argad. Mallayur ist ihm Untertan, wie die anderen Könige auch. Er kann es nur schwer hinnehmen, dass Madyur-Meya der Großkönig und alleinige Herrscher des Hochlandes ist, während er sich mit seinem kleinen Zipfel Hersched begnügen muss, der zu seinem Verdruss auch noch am stärksten unter der Trockenheit leidet. Kein sehr angenehmer Mensch, ich hatte oft das zweifelhafte Vergnügen, anwesend zu sein, wenn der Meya ihm eine Audienz gewährte. Einmal habe ich gesehen, wie er einen Sklaven töten ließ, bloß weil der ihm im Weg stand.«

»Du beleidigst unseren König«, sagte Hadur.

»Ach, man kann ihn beleidigen? Wirklich?«, höhnte Anschar.

Die beiden Männer funkelten sich an, aber Hadur senkte rasch den Blick. »Du und dein Fundstück seid natürlich eingeladen, euch uns anzuschließen. Auf den Buckeln da hinten ist noch Platz.« Er deutete mit dem Daumen auf die Reittiere.

»Was sind das für Tiere?«, fragte Grazia und erntete einen verständnislosen Blick.

»Sturhörner.«

»Sturhörner? Weil sie ... stur sind?«

Es folgte ein Scherz, den sie nicht verstand, der aber die Männer in anzügliches Gelächter ausbrechen ließ. Auch Anschar lachte, aber er war nicht bei der Sache, das spürte sie. Er vertilgte inzwischen das dritte Stück Fleisch, ohne darum gebeten zu haben. Wüsste sie es nicht besser, so würde sie glauben, er sei der Anführer und nicht Hadur, der doch zweifellos einen prächtigen Bandenführer abgab.

»Zum Glück konnten wir bei unserer Flucht einige Sturhörner retten«, sagte Hadur. »Wir werden jetzt schlafen und uns noch in der Nacht auf den Weg machen.«

Anschar nickte. »Gut. Hast du eine Decke für die Frau und einen Mantel für mich?«

Hadur nickte seinem Sitznachbarn zu, der zu einem der schlafenden Sturhörner ging und mit beidem zurückkehrte. Grazia bedankte sich und folgte Anschar zum Rand des Lagers einige Schritte außerhalb des Feuerscheins. Sie hätte es vorgezogen, in den Schutz der Felsen zurückzukehren, aber sie glaubte ohnehin nicht, hier ein Auge zutun zu können. Sie breitete die Decke auf dem Boden aus, legte sich darauf und schlang den Mantel fest um sich. Anschar setzte sich zu ihr, das Gesicht dem Lager zugewandt, wo sich die Männer ebenfalls in ihre Decken hüllten. Zwei blieben sitzen und hielten Wache.

»Hat dein erster Name auch eine Bedeutung?«, fragte er unvermittelt.

»Ja.« Sie überlegte, wie sich die Anmutige in argadische Worte fassen ließ. »Mein Vater nannte mich nach drei schönen Göttinnen.«

»Sagtest du nicht, ihr hättet nur einen Gott?«

Sie nickte, aber das zu erklären, war ihr jetzt viel zu mühselig.

»Schöne Göttinnen«, wiederholte er versonnen. »Fleckige Gesichter haben die aber nicht, oder? Hat es eigentlich mit deiner Hautkrankheit zu tun, dass du immer so darauf bedacht bist, deine Füße zu bedecken?«

»Wie bitte?«

»Die Flecken haben sich vermehrt.«

Sie berührte ihre Wange. »Das kommt von der Sonne. Hier ist so viel Sonne. Das habe ich schon erklärt. Die Füße ...« Fast unbewusst zog sie die Beine an. Er schien tatsächlich keine Ahnung zu haben. Nun, das war nicht weiter verwunderlich, er kam ja aus einem gänzlich anderen Kulturkreis. »Bei uns zeigt man die nicht. Schon die Fesseln gelten als ... als ...« Sie schwieg. Selbst in ihrer eigenen Sprache wäre sie jetzt ins Stocken geraten. »Unschicklich«, schloss sie auf Deutsch.

»Unpraktisch«, meinte er. »Ich verstehe es nicht, aber das ist ja auch egal. Versuch jetzt zu schlafen, Feuerköpfchen.«

Eine Hand presste sich auf ihren Mund und riss sie aus dem Schlaf. Anschar beugte sich über sie, blickte sie so eindringlich an, dass ihr angst und bange wurde, und legte einen Finger an die Lippen. Sie schluckte unter seinem harten Griff und nickte, als sie begriff: Sie musste leise sein. Er gab sie frei und bedeutete ihr, aufzustehen. Dann deutete er in Richtung des Nachtlagers. Das Feuer war bis auf einige glimmende Scheite heruntergebrannt, darum herum lagen die Männer und schnarchten. Die beiden, die Wache halten sollten, lagen auf dem Boden. Hatte er sie etwa ... Undenkbar! Oder doch?

Anschar schüttelte langsam den Kopf, als sie ihn fragend ansah. »Das erkläre ich dir später«, flüsterte er kaum hörbar. »Komm.«

Sie folgte ihm in die Dunkelheit, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend. Als Anschar stehen blieb, sah sie auf. Vor ihr ragte eines dieser riesigen Sturhörner auf. Es war wie ein Berg.

Da soll ich hinauf?, formte sie die Frage mit den Lippen. Er hielt eine vom Sattel herabbaumelnde Schlaufe vor ihre Nase. Das sollte wohl ein Steigbügel sein. Überfordert von dieser merkwürdigen Situation, zögerte sie und hätte vor Schreck fast aufgeschrien, als er sie an den Hüften packte und hochhob. Sie klammerte sich an die Satteldecke, ruderte mit dem Fuß, um die Schlaufe zu erwischen, und als sie es geschafft hatte, warf sie das andere Bein über die Kruppe des Tieres. Das Kleid rutschte ihr hinauf bis zu den Oberschenkeln. Wäre es nicht dunkel gewesen, hätte sie sich geweigert, ganz sicher.

Vor sich ertastete sie einen Griff aus Grasgeflecht und hielt sich daran fest. Anschar nahm das Zaumzeug und führte das Tier äußerst bedächtig vom Lager fort. Immer wieder wandte er sich zur Feuerstelle um. In der rechten Hand hielt er das blankgezogene Schwert. Nun erst begriff Grazia, dass er die Männer als Feinde betrachtete. War ihr irgendetwas entgangen, während sie geschlafen hatte? Diese Kerle hatten sich raubeinig gebärdet, sie aber nicht bedroht. Und jetzt hatte Anschar zwei von ihnen getötet – im Schlaf! Ihr wurde übel vor Furcht, als sie daran dachte, was geschehen mochte, sollten die anderen aufwachen.

Schlagartig wurde ihr klar, was es hieß, in einer barbarischen Welt gelandet zu sein. Und sie war Teil dieser Welt.

Das Sturhorn bewegte sich träge und erstaunlich leise. Nur ab und zu schnaufte es vernehmlich. In mindestens zwanzig Lederschläuchen, die vom Sattelgriff hingen, gluckerte Wasser. Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie ihre Sachen nicht bei sich hatte. »Halt!«, zischte sie und rüttelte am Griff. Das Tier beeindruckte das nicht; erst als Anschar am Zügel zog, blieb es stehen. Er warf den Kopf zurück. Selbst in der fahlen Düsternis konnte sie erkennen, dass er ungehalten war.

»Meine Tasche«, flüsterte sie. »Ich habe meine Tasche vergessen!«

Er schüttelte den Kopf.

Sie machte Anstalten, abzusteigen. Blitzschnell hielt er sie mit einem harten Griff am Oberschenkel zurück.

»Ich gehe nicht ohne meine Sachen«, sagte sie leise, aber so bestimmt wie möglich. »Wenn du sie nicht holst, tue ich das!«

»Bist du von Sinnen?«

Sie wollte nicht laut werden, daher knurrte sie ärgerlich wie eine Katze. Er stieß ein ergebenes Seufzen aus, schob das Schwert in die Scheide und schlich zum Lager zurück. Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Sein Schatten glitt zu der Stelle, wo sie geschlafen hatte. Mit kerzengeradem Rücken ging er in die Knie und tastete herum, während er den Kopf hochreckte. Sie flüsterte ein Stoßgebet, dass er die Tasche finden möge. Endlich kehrte er zurück und reichte sie ihr hinauf. Hastig kontrollierte sie, ob auch alles darin war, obwohl sie nicht gewagt hätte, ihn ein zweites Mal zu schicken. Er nahm indes wieder die Zügel auf. Grazia schlang den Beutel um sich und packte den Sattelgriff. Der Rücken des Sturhorns schwankte. Sie musste alle Beinmuskeln anspannen, um nicht abzurutschen.

Aus der Richtung des Lagers hörte sie einen Mann grunzen. Plötzlich saß Anschar vor ihr, in der Hand die blanke Klinge.

»Halt dich fest«, raunte er. »Wenn das Sturhorn nicht auf unserer Seite ist, dann sei Inar uns gnädig – sie werden es nicht sein.«

»Großer Gott«, stieß Grazia auf Deutsch hervor.

»Was hast du gesagt?«

Sie wiederholte es. Er stieß ein ungläubiges Schnauben aus.

»Dein Gott ist groß? Dann bete zu ihm, Feuerköpfchen. Bete!«

Er schlug mit der flachen Klinge auf die Flanke des Tieres. Durch den gewaltigen Körper ging ein Ruck. Das Sturhorn riss den Kopf hoch, warf ihn hin und her. Für einen Moment befürchtete Grazia, es werde steigen und sie abwerfen. Hinter sich hörte sie verwunderte Rufe und den Aufschrei eines Mannes, der sich nach vorn warf. Eine Hand packte ihr Bein und zerrte sie herunter.

Sie wurde herumgewirbelt und fand sich rücklings auf dem Boden wieder. Ein spitzbärtiger Mann beugte sich über sie. Aufschreiend stieß sie die Hände vor. Sein Gesicht war verzerrt vor Wut, sodass ihr das Blut in den Adern gefror. Er riss seinen Dolch aus der Scheide, doch bevor er zustechen konnte, glitt Anschars Klinge durch seinen Hals und schleuderte ihn beiseite. Vor sich sah sie das Sturhorn, darauf Anschars alles überragenden Oberkörper. Er lenkte es mit hartem Zügelgriff, während er mit dem Schwert erneut ausholte.

»Steh auf!«, donnerte er über das Geschrei der Männer hinweg. »Steh auf!«

Ihre Knie waren wie Butter. Sie kämpfte sich auf die Füße, von Furcht erfüllt, er könne sie zurücklassen. Ein zweiter Mann fiel durch sein Schwert, einen dritten stieß er mit dem Fuß beiseite. Dann ließ er die Zügel los, um nach ihr zu greifen. Das Schwert fast blind in der Luft wirbelnd, beugte er sich herab und packte sie unter der Achsel. Einen Herzschlag später fand sie sich vor ihm auf dem Sattel wieder. Sie schlang die Arme um seine Mitte. In ihren Ohren rauschte es, sodass sie die Schreie der Herscheden nur gedämpft vernahm. Sie betete, ja, das tat sie, aber die Worte nahm sie kaum wahr. Über Anschars Schulter hinweg sah sie die Männer, darunter drei oder vier, die in ihrem Blut lagen und sich nicht mehr rührten. Das Sturhorn stampfte über den Boden und wirbelte den Sand auf. Sie zitterte vor Erleichterung, dass Anschar sie nicht zurückgelassen hatte. Er hätte es tun können. Doch sie glaubte, Angst in seinen Augen gesehen zu haben. Angst um sie.

Das Tier galoppierte über die Kämme eines Dünenfeldes, wo es trotz seiner Massigkeit nicht einsank. Der Ritt schien Stunden zu dauern. Grazias Hinterteil schmerzte, ebenso ihr Rücken, denn sie saß seitlich auf dem Sturhorn und hatte sich Anschar zugewandt, um sich an ihm festzuhalten. Die Fischbeinstäbe des Korsetts drückten in ihre Achsel. Sie konnte nichts dagegen tun, nur die Wange an seine Schulter legen und die vorbeiziehende Landschaft betrachten. Im rötlichen Mondlicht warfen die Dünen bizarre Schatten. Sie schienen einem Traum zu entspringen.

Grazia lauschte, ob die Männer ihnen auf den Fersen waren, doch sie waren offenbar weit weg. Nur das Knirschen des Sandes und das Schnaufen des Tieres drangen durch die Nacht. Der Sand verschluckte die Geräusche wie Schnee.

Anschar zwang das Tier zu einer langsameren Gangart. Es prustete und schnaufte, schien aber nicht müde zu sein. Er streckte den Rücken und ließ die Zügel hängen.

»Geht’s dir gut?« Er hörte sich müde an.

»Ja, nur tut mir alles weh. Sind wir sicher?«

»Ich denke schon. Im Grunde glaube ich nicht, dass sie uns verfolgen. Sie werden schnell gemerkt haben, dass sie kaum noch Wasser haben.«

»Du hast ihnen alles Wasser genommen?«

»Ich habe ihnen genug gelassen, um es bis zu den Wüstenbewohnern zu schaffen. Wo das Dorf ist, wissen sie ja.«

Grazia versuchte das Gehörte zu verarbeiten. Im Dorf würde man die Männer ebenfalls für Sklavenhändler halten und sie womöglich alle in die Höhle sperren. Oder Schlimmeres mit ihnen tun. Sie schauderte. »Ich möchte ausruhen. Nur kurz, bitte.«

Er brachte das Sturhorn zum Stehen, stieg ab und half ihr herunter. Die Knie knickten ihr weg, sie sackte in den Sand und presste die Beine an sich, um sich zu beruhigen. »Es war so furchtbar«, flüsterte sie. »Warum hast du das getan? Waren das nicht Freunde?«

»Freunde? Herscheden? Du machst Scherze.«

»Ich dachte, du magst nur die Wüstenmenschen nicht.«

»Ich mag die Herscheden nicht. Die Wüstenmenschen hasst man. Du erkennst den Unterschied?« An einem Büschel Gras, das aus dem Sand ragte, säuberte er sein Schwert und schob es in die Scheide zurück. »Sie dachten, ich schliefe, das konnte ich aber nicht. Irgendwann merkte ich, wie Hadur mit jemandem zu flüstern anfing, auf eine Art, die sofort misstrauisch macht. Und da hörte ich, wie er davon redete, mich bei einer passenden Gelegenheit während der Rückreise zu töten.«

»Aber warum?«

»Das weiß allein Inar. Hadur hatte keinen Grund, das zu tun.«

»Vielleicht der König, der ihn ausgeschickt hatte? Wie war sein Name? Mallayur?«

»Du meinst, Hadur hätte in seinem Auftrag gehandelt? Mhm. Nein. Der hat auch keinen Grund. Wäre ich allein gewesen, hätte ich vielleicht versucht, die Antwort aus Hadur herauszupressen. Vielleicht auch nicht – die Zeit der Gefangenschaft hat mich etwas träge gemacht. Aber deinetwegen ging das sowieso nicht. Stunde um Stunde lag ich wach, bis ich sicher war, dass alle schliefen. Dann bin ich aufgestanden, habe die Wachen getötet und sämtliches Zaumzeug durchgeschnitten, damit sie uns nicht hinterherreiten können. Man kann die Sturhörner ohne Zaumzeug zu nichts bewegen. Die heißen nicht umsonst so.«

Er erzählte es, als sei es ein Leichtes gewesen. Währenddessen hatte er einen der Beutel vom Sattel geknüpft und hielt ihn dem Tier vor die Schnauze.

»Und du hast das getan und die Wasserbeutel aufgesammelt, und kein Mann wachte auf?«, fragte sie fassungslos. Wie man es schaffte, zwei Wachen lautlos zu töten, ohne dass einer lärmte, war ihr unbegreiflich. Und er hielt sich für träge?

»Natürlich wurde ab und zu einer wach. Dann habe ich mich hinter einem Sturhorn versteckt. Die ganze Sache hat Stunden in Anspruch genommen! Die größte Schwierigkeit war, zuletzt das Sturhorn zum Laufen zu bewegen, aber dein Gott hat uns ja erhört. Wenn auch knapp. Hast du auch Durst?«

Sie schüttelte den Kopf. »Was wollten sie ... mit mir tun?«

»Das weißt du wirklich nicht?«

Schluchzend schlug sie die Hände vors Gesicht. Nein, sie wollte es nicht wissen. Fast hätte sie laut geweint, als er ihre Handgelenke umfasste und sanft herunterzog. Er war vor ihr in die Hocke gegangen. Warm lagen seine Finger auf ihrer Haut.

»Es ist ja vorbei. Schscht, Feuerköpfchen. Es ist vorbei.«

Sie nickte.

Er stemmte sich hoch und zog sie mit sich. »Komm, wir müssen weiter.«

Im nächsten Augenblick hing sie an seinem Hals und weinte. Sie kam sich schrecklich hysterisch vor, aber sie konnte nicht anders. Seine Hand strich über ihren Hinterkopf. Eine kurze Weile genoss sie seine beruhigende Nähe, doch dann brachte sein übler Körpergeruch sie wieder zur Besinnung. Sie schob sich von ihm weg und überlegte, ob sie auch so schlimm stank.

»Geht’s wieder?«, fragte er.

»Weeß ick nisch«, stieß sie in einem Anflug von Trotz hervor. Er sollte nicht denken, dass sie eine verzärtelte Dame war. Obwohl es ja stimmte. Schniefend rieb sie sich über die Nase.

Anschar grinste und tätschelte ihre Wange. »Deine Sprache ist komisch. Du könntest mir eigentlich auch ein paar Wörter beibringen.«

»Wirklich?«

»Warum nicht? Habe ich derzeit Besseres zu tun? Also, was hast du gerade gesagt?«

Grazia wollte ihm schon erklären, dass sie bloß berlinert hatte, aber das war ihr dann doch zu umständlich. Außerdem war es gleich, was er lernte, er würde es sowieso nie anwenden können. Also sprach sie es ihm vor.

»Weeßicknisch, weeßicknisch«, wiederholte Anschar. Er sprach es erstaunlich gut aus, wenn man bedachte, dass er aus einer Kultur stammte, die gar nicht wusste, was eine Fremdsprache war. Sie nahm sich vor, die Zeit der Rückreise gut zu nutzen, um sich in seiner Sprache zu verbessern. Drei Monate würde es dauern, hatte er gesagt. Das hieß, hundertzwanzig Tage. Lange Tage. Sehnlichst wünschte sie sich in seine Stadt, wo man zwar nicht telegraphieren, aber baden konnte. Er half ihr wieder in den Sattel, schwang sich vor ihr hinauf und packte die Zügel. Es machte ihr nichts aus, die Arme um seine Mitte zu legen, um sich festzuhalten. Es beruhigte sie. Ein wenig verblassten die Bilder von Kampf und Sterben.

Das gläserne Tor

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