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2. Strophe: Von der holden Weiblichkeit und ihren fatalen Folgen

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»Die Demütigung der Frau ist vollkommen, wo man sie unbehelligt auf ein Piédestal abstellen kann.«

Theodor W. Adorno

»Ich will so bleiben, wie ich bin (tralala) – Du darfst...«

Werbesong für kalorienarmen Käse & Co.

Die folgende Strophe ist leider ernst, weshalb sie mit einer deutschen Tragödie beginnt: Johann Wolfgang von Goethes ›Faust‹. Ein philosophisches Stück und so genial, daß nur wenige es kennen, kaum eine(r) es liest und niemand es versteht. Schon gar nicht den zweiten Teil, den nur sehr sadistische Intendanten auf den Spielplan setzen. Aber keine Bange, ihr müßt den ›Faust‹ jetzt nicht durchlesen. Ich konzentriere mich hier auch nur auf ein paar unwesentliche, bisher kaum beachtete Details: die Frauen. Von ihnen wird in dem Stück viel geredet, aber im Grunde tauchen sie die meiste Zeit nur in Nebenrollen, als Traumgestalten und Phantasiegebilde auf. Bis auf Gretchen, doch das kommt erst später.

Zum Einstieg eine kurze Zusammenfassung: Es geht in der Hauptsache um einen deprimierten, alten Gelehrten, dem die Wissenschaft keinen Spaß mehr macht und der das Leben viel zu ernst nimmt. Deshalb macht er einen Frühlingsspaziergang, was aber auch nicht hilft. Zurück in seinem Studierzimmer, gerät er sofort wieder ins Grübeln. Erst ein paar megagute Drogen von einem teuflischen Dealer namens Mephisto bringen Faust gut drauf und machen ihn vorübergehend knackig jung, was bei Saufgelagen, Welteroberungsplänen, Abenteuern und dem Verführen verschiedener Weibsbilder, zum Beispiel Gretchens, von Vorteil ist. Erst ganz zum Schluß, am Ende des zweiten Teils, kriegt Faust dann ob so viel irdischer Freuden die Krise – sonst war’s ja auch keine Tragödie, sondern eine Geschichte über Otto vom Lotto im Glücksrausch. Die Drogen hat Faust am Ende so satt wie am Anfang die Wissenschaft. Wenn er aber nicht weiter auf Droge bleibt, droht ihm die Hölle. Zu diesem Preis hat er von Dealer Mephisto nämlich die Drogen abgestaubt. Ziemlicher Teufelskreis, typischer Drogensumpf. Doch leider gibt es keine vernünftigen Drogenberatungsstellen, weshalb Faust voll philosophisch über andere Auswege aus der Hölle nachdenkt und im Entzugsdelirium erkennt: »Das ewig Weibliche zieht uns hinan.« Mit anderen Worten: Eine Frau muß her. Aber nicht irgendeine dahergelaufene, lebensechte Schlampe, wie sein Drogendealer sie gern empfiehlt, sondern, bitte schön, eine ewig weibliche. Die heißt dann, wie weiter oben bereits erwähnt, Gretchen und wohnt am Ende des Dramas schon lange im Himmel. Auf Wolke sieben, da, wo ideale Frauen hingehören, denn sonst könnten sie schließlich keinen Mann hinanziehen. Gretchen ist am Ende also ein Engel von Frau, aber nur deshalb, weil sie am Anfang des Dramas auf Erden zu einer Schlampe wird – dank Faust. Das klingt jetzt höllisch kompliziert, weil es auch höllisch kompliziert ist.

Also: Naives, blondes Gretchen ist zunächst die reine Unschuld. Der deprimierte, vollgedröhnte Faust hat tierisch Bock auf ein bißchen naive Unschuld, weshalb er sie entjungfert. Leider, so Tucholsky, ist es mit Jungfrauen aber wie mit Fahrscheinen: wenn man einmal ein Loch reinknipst, sind sie komplett entwertet. So auch Gretchen. Die blöde Unschuld wird natürlich sofort schwanger, außerdem geht ihre Mutter während des nächtlichen Techtelmechtels an einem Schlafcocktail von Mephisto drauf. Das macht die naive Schwangere total irre vor lauter Schuldgefühlen, weshalb sie auch das lästige Kind umbringt. Und das war’s dann endgültig mit der Unschuld auf Erden. Sie landet, voll schuldig, als Kindsmörderin unterm Henkersbeil, lehnt in einem letzten lichten Moment eine Rettung durch den drogenabhängigen Faust ab und landet zur Belohnung trotz Mord im Himmel. Tod als Erlösung. Das kennen wir. Nur Faust darf danach noch weiter mitspielen, sonst wäre das Stück ja leider zu Ende. Diese Rollenverteilung kommt dem Drama allerdings zugute, denn: Ein totes Gretchen erspart Faust eine langweilige Ehe mit einer Co-Süchtigen und uns eine alltägliche Schmierenkomödie. Als Belohnung für den schnellen Abgang bleibt Gretchen dem Helden ewig unvergessen und hat am Schluß eine megagute Szene oben auf der Wolke – voll abgehoben sozusagen.

Dieses Muster kennen wir auch heute noch aus anständigen Cowboyfilmen. Der wahre John Wayne verliert am Anfang die engelsgleiche Braut, knallt infolgedessen ein paar Schurken über den Haufen oder rettet die Welt. Am Ende reitet er unverheiratet, weil in eine unerreichbare Tote verknallt, in den Sonnenuntergang und neuen Abenteuern entgegen, in denen er dann zum Beispiel als Peter Weller in ›Robocop‹, als Bruce Willis in ›Stirb langsam‹ oder als Tom Sellek in ›Drei Männer und ein Baby‹ wieder auftaucht. Überall wimmelt es von toten oder sonstwie abwesenden Frauen, die Männer zu Höchstleistungen anspornen.

Die Moral von der Geschieht: Nur ein totes Gretchen ist ein gutes Gretchen, soll heißen, nur über unsere Leichen sind Frauen wirklich ewig weiblich, begehrenswert und einfach Engel. Ein anderer großer deutscher Dichter, Rainer Maria Rilke, hat dasselbe in seinem Poem – nein, liebe Leserin, hier ist nicht das gleichnamige Parfüm von Lancome gemeint –, das da heißt ›Requiem‹, so ausgedrückt:

»Gretel, von allem Anbeginn war dir bestimmt, sehr zeitig zu sterben, blond zu sterben ... «

Was schließen wir daraus? Zum einen, daß der Blondinenwitz eine lange, literarische Tradition hat, und zum anderen, daß es durchaus Sinn macht, Blondiercreme sparsam zu benutzen, um nicht zu früh zu sterben und dann bedichtet zu werden. Soweit, so fiktiv. Die Sache hat aber einen Haken. Die ideale Weiblichkeit ist nämlich ein mörderisches Konzept und keineswegs eine dumme Erfindung der Goethes und Rilkes dieser Erde. Die ideale Weiblichkeit ist in der realen Welt ein Ding der Unmöglichkeit, siehe Gretchen. Alter Tobak also? Nein. Die Weiblichkeit ist ein Käfig voller Närrinnen, zu dem Frauen sich trotz gesetzlich verbriefter Gleichberechtigung wieder vermehrt hingezogen fühlen, und zwar seit dem Zeitpunkt, da das männerfixierte Superweib – im gleichnamigen Film übrigens blond wie Veronica Ferres – in unser Leben trat, also seit Anfang der neunziger Jahre. Widerspruch, dein Name ist heute Superweib. Der »typisch« weibliche Charakter wurde schon immer verehrt, geheiligt, idealisiert. Frauen wurden zu Madonnen, Heiligen, Töchtern der Venus, Friedensengeln und was nicht noch alles an überlebensgroßen Gestalten stilisiert. Heute sind daran lediglich die Begriffe anders: Aus Madonnen wurden allzeit bereite Suppermuttis, aus Heiligen weltferne Öko-Feen, esoterische Salbeifrauen oder sozial penetrante Politikergattinnen, die die Entdeckung jeder neuen, unheilbaren Fußpilzerkrankung dankbar als Lebensaufgabe begrüßen, und aus den Töchtern der Venus wurden die unerreichbaren Topmodels, die topintelligent sind und von denen uns alle naselang berichtet wird, daß sie nie Diät halten und am liebsten Hamburger futtern. Wer’s glaubt, wird selig. Nur nicht auf Erden. Lebendige Frauen hatten und haben mit idealen Wesen wenig gemein. Viele tun trotzdem so und übersehen dabei, was sie sich und anderen damit antun. Diese weiblichen Menschen kastrieren sich und ihresgleichen so erbarmungslos wie somalische, sudanesische oder yemenitische Mütter, die ihren Töchtern die Schamlippen und die Klitoris wegsäbeln, damit sie perfekte Frauen werden. Es stimmt leider: Es sind Frauen, die diese blutige Verstümmelung an ihresgleichen durchführen, so wie ihre Mütter es bei ihnen taten. Unterdrückung funktioniert besonders reibungslos, wo sie die Unterdrückten zu ihren eigenen Unterdrückern macht.

Wir gesetzlich gleichberechtigten, westlich-zivilisierten Frauen sind da natürlich fortschrittlicher. Wir gestalten Unterdrückung noch reibungsloser und betreiben Verstümmelung unblutiger und selbständiger. Zum Wohle der Weiblichkeit legen einige von uns sich nämlich freiwillig unter die Messer, und zwar unter die von Schönheitschirurgen. Die schneiden dann hier was weg, saugen da was ab und polstern da was auf – mit dem nämlichen Ziel der somalischen Mütter, eine perfekte, begehrenswerte Frau zu erzeugen. Und wenn sie sich nicht verstümmeln läßt, dann unterdrückt die zivilisierte, moderne Frau zumindest ihr eigenes Begehren, ihr eigenes Denken, ihre eigenen Wünsche, ihre eigenen Ziele, ihren Mut und ihre Wut, kurz ihre Menschlichkeit. Immer mit dem Ziel, ganz Frau zu sein – denn menschliche, allzumenschliche Gefühle und ureigene Ziele haben vorbildliche Idealfrauen nicht.

Ein Vergleich: Madonna ist ganz der unbefleckten Empfängnis und Geburt des Erlösers verpflichtet, und moderne Supermuttis haben nix als Pampers, pädagogische Religionen und das Wohl des Sprößlings im Kopf. Beide Vorbilder haben allerdings einen Nachteil: Mit unserem Leben haben sie nichts zu tun. Keine Frau kann unbefleckt empfangen, und keine kann ihren Kopf und Alltag ganz mit Pampers vollstopfen. Auch wenn’s weh tut, so ist es leider. Nur ideale Frauen scheren sich nicht um die Tatsachen und kümmern sich ausschließlich um fremde Interessen. Sie suchen ihr Selbst, indem sie es aufgeben. Das ist übermenschlich und unmenschlich zugleich. Real existierende Frauen, die solches Verhalten anstreben und fordern, laufen Gefahr, so unmenschlich, grau, lähmend, lächerlich und frustriert zu werden, wie es der real existierende Sozialismus war. Frauen, die sich dem überlebensgroßen Weiblichkeitsideal verpflichtet fühlen, erleben Verlustängste, Versagensängste, im Extremfall sogar Lebensängste, wenn sie dem Ideal einmal nicht gleichkommen. Weiblichkeit ist ein diktatorisches Vorbild, das unter lebenden Frauen ein Klima von Mißtrauen, Verdächtigungen und Ängsten erzeugt. Typisch weibliche Frauen sind ständig der Gefahr ausgesetzt, Opfer, Komplizen und Spione ihrer Unterdrückung zu werden. Alles in einer Person. Mit guten, geschichtlichen Gründen. Wenn Frauen, ganz Mensch, einen eigenen Wunsch formulieren, eigene Ziele zum eigenen Wohl und nicht zum Wohl anderer durchsetzen wollen, leuchtet sofort ein inneres Warnschild auf: »Vorsicht, unweiblich« steht in blinkenden Buchstaben darauf. »Sie übertreten jetzt eine Grenze. Weitergehen auf eigene Gefahr. «

Aus der Rolle zu fallen, ist für Frauen noch immer eine beängstigende Vorstellung, obwohl die ihnen zugedachte Rolle sie zu halben Menschen macht und obwohl ihnen das Gesetz längst die ganze Menschenwürde zuerkennt. Frauen nehmen sich selten das Recht, das ihnen zusteht, und das nehmen sie sich und anderen Frauen leicht übel. Mächtige Ängste vor der eigenen Macht erzeugen ohnmächtige Wut auf sich selbst und andere, die ähnlich sind.

Ganz unberechtigt sind diese mächtigen Ängste vor der Macht nicht. Frauen, die sich dem weiblichen Ideal nicht vollkommen verpflichtet fühlen, hatten schon immer mit Widerspruch von außen zu rechnen. Ein ganzes Arsenal von Beschimpfungen stand bereit, um Frauen zu denunzieren, die gegen das überlebensgroße Ideal des Weiblichen aufbegehrten und ihre Menschlichkeit einklagten. Hexe wurden sie genannt und im Mittelalter als solche verbrannt. Mannweib, Xanthippe, Zicke, Schlampe, Männermörderin oder Emanze – es läuft alles aufs selbe hinaus. Auch wenn in den westlichen Industrienationen längst keine Scheiterhaufen mehr lodern, hinter diesen Worten lauern alte Drohungen. Frauen, die das überlebensgroße Ideal holder Weiblichkeit für lebenswichtig halten, empfinden diese Drohungen als lebensbedrohlich. Denn Xanthippen, Zicken oder Emanzen wird nach wie vor abgesprochen, hübsch, kommunikativ, lebensbejahend, gesellig oder – das wäre ja noch schöner – erfolgreich bei Männern zu sein.

Noch vor wenigen Jahrzehnten waren es vor allem Männer, die Hetzkampagnen gegen die Unweiblichkeit anheizten und mit Liebesentzug drohten. Der Fortschritt hat sie überholt. Und dieser Fortschritt ist weiblich. Typische Chauvis sind als Feindbilder mega-out. Auslaufmodelle. Weibliche Frauenfeindschaft gewinnt hingegen gesellschaftlich wieder mächtig an Terrain, was den unverbesserlichen Chauvis durchaus von Nutzen ist. Die männliche Logik entpuppt sich dabei als ein guter Witz:

Frage an einen erfolgreichen Chauvi: »Wie kriegst du heutzutage noch so viele Frauen in dein Bett?« Antwort des erfolgreichen Chauvis: »Ich habe ein ganz einfaches Rezept: Behandele eine Friseuse wie eine intellektuelle Emanze und eine intellektuelle Emanze wie eine Friseuse. Das führt in jedem Fall und todsicher zum Ziel.«

Es ist paradox, aber wahr: Weil es zum modernen Weiblichkeitsideal gehört, zumindest ein wenig emanzipiert zu sein, übernehmen heute immer mehr Frauen die Hetzkampagnen gegen unweibliche Weiber, Emanzen und andere Zicken, die ihr Recht auf ein donnerndes, voll erfülltes, kunterbuntes Leben einfordern. Brav gemacht, kann ich da nur sagen und über die auf Weiblichkeit und Dauerwelle frisierten Köpfchen der typischen Anti-Feministinnen streicheln. Ruft weiter in die Welt hinaus, daß ihr »keine Feministinnen« seid – es hält euch ohnehin niemand dafür. Nicht einmal meine Großmutter. Dazu seid ihr einfach zu brav. Voll brav. Ich weiß aber, daß ihr trotzdem ganz schön bissig werden könnt.

Typische Anti-Feministinnen verwandeln sich nämlich ziemlich rasch in keifende Krawalltanten (vgl. 1. Strophe, Thema »Emanzen«). Sobald eine Frau auftaucht, die aufs Bravsein pfeift und ihre gesetzlich festgeschriebene Gleichberechtigung auslebt, legen sie los. »Mannweib«, kreischen sie empört, oder »verbiesterte Schnepfe«. Noch verbiesterter, diesmal allerdings völlig sprachlos, reagieren sie, wenn ein Mann erscheint, der solche Frauen unterstützt, liebt oder lobt. Typische Anti-Feministinnen werden in solchen Momenten zu den Zicken, die sie auf keinen Fall sein wollen. Dumm gelaufen, Schwestern, aber nichts Neues.

Typische Anti-Feministinnen verwechselten schon immer »schön blöd sein« mit »schön«. Und dieselben Menschen, die heute den Fortschritt bejammern, hätten ihn auch vor hundert Jahren schon bejammert – denn daß früher alles besser oder weiblicher war, gehört zu den ältesten und modernsten Erkenntnissen der Menschheit. »Endlich! Die Mode wird wieder feminin«, ist ein Standardsatz von Modejournalen, und das seit ihrer Erfindung vor mehr als zweihundert Jahren.

Typisch feminine Anti-Feministinnen stehen immer auf verlorenem Posten, und zwar exakt da, wo typisch weibliche Moralhüterinnen der fünfziger Jahre standen, wenn sie Marilyn Monroe als frauenfeindliche, untugendhafte, volksgefährdende Männermörderin angifteten – was bekanntlich völlig zwecklos war, denn dadurch wurden sie auch nicht schöner oder begehrenswerter, und der Mythos Monroe wurde bis heute nicht entschärft. Schon gar nicht für die Monroe. Unsterblich ist sie, genau wie Goethes Gretchen, weil sie mörderisch schön und (Selbst-)Mörderin war. Außerdem natürlich stark blondiert. Der Mythos kostete weder ihre Verehrer noch ihre Verächterinnen, sondern sie selbst das Leben – denn sie trug die ihm innewohnende Widersprüchlichkeit am eigenen Leib aus. Zurück zur Gegenwart. Typische Anti-Feministinnen sind heute weit zickiger als typische Feministinnen. Letztere lispeln nämlich leise von überlegenen, matriarchalen, bildschön-friedfertigen Weibern und warten ganz entspannt auf die Rückkehr der Urmutter. Kein Wunder also, daß feministisch angehauchte Trostliteratur wie ›Die Wolfsfrau‹ von Clarisa Pinkola Estes heute mehrheitsfähig ist. Ein Bestseller für alle hypermodernen Frauen. Abwarten, Trostliteratur über märchenhaft starke Frauen schmökern und Salbeitee trinken gehörte schließlich schon immer zu den typisch weiblichen Lieblingsbeschäftigungen. Feministinnen und Anti-Feministinnen waren sich jedenfalls noch nie so nah wie heute: Beide singen sie ein Loblied auf die holde Weiblichkeit und können mit echten, lebendigen Frauen nichts anfangen.

In der Wirklichkeit ist weiblich sein nämlich angenehmerweise komplizierter, sonst hätte ich überhaupt keine Freundinnen mehr. Lebendige Frauen sind weder ganz Madonna noch ganz Hexe. Viele Frauen haben ambivalente, schwankende Gefühle, wenn es um Weiblichkeit geht. Sie spüren, daß weibliche Großherzigkeit oft berechnend, weibliche Liebe nicht selten engstirnig, weibliche Fürsorglichkeit von unterdrücktem Haß durchtränkt ist. Eines ist die wirkliche Gefühlswelt von Frauen jedenfalls nur selten: frei von Schuldgefühlen, Versagerkomplexen, Scham, Wut, Haß oder Neid auf die Frauen, die weiblicher zu sein scheinen als sie. Weiblichkeit ist ein Riß, der mitten durch Frauenherzen geht, Frauen von anderen Frauen trennt und sie doch miteinander verbindet, egal, wo sie stehen. Ich behaupte nicht, daß dieser Widerspruch und die Trennungen unter Frauen neu sind, aber ich behaupte, daß sie sich verschärft haben. Und sie schmerzen da am heftigsten, wo sie am gründlichsten getarnt werden – und das auch von Frauen selbst, zumindest aber mit ihrer Duldung. Und genau das ist heute der Fall, heute, zwanzig Jahre nach der letzten großen Frauenbewegung.

Die typisch weibliche Frau müßte heute eigentlich nach dem Motto leben: »Unterdrückung durch Männer? Das ist doch von gestern, heute erledigen wir das selbst.« Oder: »Der Mann, der mich besser fertig machen kann als ich selbst, muß erst geboren werden.« Traurig, aber wahr. Wie kommt das?

Die Latte »Weiblichkeit« wurde im letzten Jahrzehnt wieder höher statt tiefer gelegt. Das Superweib-Ideal wurde zuvörderst von den Frauen selbst ins Leben gerufen und dann begeistert aufgegriffen von Wirtschaft und Medien – dazu später mehr. An dieser Stelle sage ich nur noch einmal »Hera Lind« und erinnere daran, daß ihr gleichnamiger Frauenroman ein Megaseller ist. Nichts gegen Frau Lind übrigens, sie hat lediglich einen Stoff gewählt, aus dem Millionen Frauenträume wurden, und hat damit Millionen gemacht: Das ist legitim, sie hatte eben den richtigen Riecher. ›Das Superweib‹ liest sich außerdem stellenweise ganz lustig, obwohl der Versuch, real ein Superweib zu sein, ein Frauenleben zwingend zum neurotischen Alptraum macht. Und das ist der Haken.

Beste Freundin, beste Feindin

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