Читать книгу Beste Freundin, beste Feindin - Sabine Werz - Страница 8
3. Strophe: Weiche von mir, Superweib
Оглавление»Die Damen werden täglich verbessert, und jedes Jahr kommt eine vermehrte Auflage von ihnen hervor.«
Jean Paul
Im modernen Superweib steigert sich der weibliche Widerspruch hin zur Schizophrenie. Als »wütend betriebsame Närrin, die den Triumph des Unheils gar nicht erwarten kann«, wurde uns dieser weibliche Typus von dem Philosophen Theodor W. Adorno bereits in den fünfziger Jahren angekündigt. Welch weise Voraussicht auf das Ende dieses Jahrhunderts! Das Superweib ist heute die Galionsfigur aller gescheiterten Emanzipationsversuche und der unvollständigen Befreiung.
Ein schönes Beispiel für das Superweib der neunziger Jahre begegnet uns in der Reklame für die Kaffeemarke Krönung light. Da joggt, arbeitet, aerobict, skatet, tanzt und turtelt sich eine wütend betriebsame Närrin abwechselnd in Leggins, in Anwaltsrobe, im Ballett-Tutu und knallengem Cocktailmini durch den Tag. Einen einzigen Tag! Und weil das noch nicht langt, kreischt sie uns dazu folgende Song-Zeilen ins Ohr:
»Ich bin aktiv den ganzen Tag, soooviel Aroma. Ich fühl mich fit, genieß den Tag mit Krönung light, nur halb soviel an Koffein, das tut mir guuut ... «
Zu gut, möchte ich meinen, irrsinnig gut sozusagen. Auch die Kaffeeröster haben das irgendwann gemerkt und wenigstens den Kreischgesang inzwischen ein paar Stufen zurückgefahren – Schmelzsound jetzt statt Krawallgedröhn. Das hat den Elan dieser Powerfrau allerdings keineswegs gedämpft: Sie joggt, rechtsanwaltet und flirtet auch dazu noch auf Hochtouren.
So ein Superweib ist die perfektionierte, gestählte Neuauflage der Hysterikerin des 19. Jahrhunderts, jene sexuell unbefriedigte Bürgersfrau, die sich dem erstickenden Rollenkorsett ihres madonnengleichen, sexfreien Ehelebens durch Krankheit entzog – und zwar durch eine Krankheit, die als höchstgradig unanständig und widerwärtig galt. Kein Wunder, denn die Hysterikerinnen, die am Ende des 19. Jahrhunderts epidemisch auftraten, zeigten zum Entsetzen ihrer Umwelt Symptome, die an megascharfen Sex erinnern: Sie keuchten, stöhnten, grunzten, schrien ekstatisch, fielen in verzückte Schreie aus, verdrehten die Augen, manche produzierten sogar Scheinschwangerschaften. Ein Skandal in einer zwanghaft heilen Welt, die Madonnen wollte, keimfreie, asexuelle Ehefrauen. Ein anderes, damals gängiges Wort für Hysterie war übrigens Mutterwut, und als Sitz der Krankheit galt die Gebärmutter. Besser kann man es kaum ausdrücken. Hysterikerinnen waren die Hexen des 19. Jahrhunderts, und man sperrte sie in Kliniken. So etwas passiert den heutigen Superweibern nicht mehr. Sie sind wunderbar selbstbeherrscht, haben Sex und Kinder längst und ständig im Angebot. Beides natürlich zur eigenen Freude, sonst wären sie ja gar keine Superweiber, sondern nur frustrierte Karrierefrauen. Und da sei Gott vor! Superweiber laufen vorsichtshalber lieber schnell – Aktenkoffer in der Rechten, Pamperspackung in der Linken – in die Dessousboutique, um sich eine Freude mit einem Korsett zu machen. Oder – oh, wie wunderbar – mit einem neuen Wonderbra. Auch so eine Erfindung, oder besser gesagt: Wiederentdeckung der neunziger Jahre. Und das nicht umsonst, denn Superweib und Wonderbra sind aus demselben Plastik geschnitzt. Susan Brownmiller entdeckte für ihr brillantes Buch ›Weiblichkeit‹ eine uralte Variante dieses Phänomens: »Aus der Kunstgeschichte und aus Dokumenten des 16. Jahrhunderts wissen wir, daß zwei mächtige Königinnen – Katharina von Medici in Frankreich und Elizabeth I. von England – zu den ersten Frauen zählten, die Korsetts trugen ... Es ist hochinteressant, daß die beiden ersten korsettierten Frauen der Geschichte eine Medici und eine jungfräuliche Königin waren – zwei kühne ehrgeizige Frauen, deren Machthunger man als ›unnatürlich‹ bezeichnete ... Könnte es sein, daß der einzige Zug, den ihre Feinde ihnen hinter vorgehaltener Hand absprachen – weibliche Schwäche, ein sanftes, nachgiebiges Wesen – sich am besten in dem exzessiv kleinen und im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Mieder unter Beweis stellen ließ?« Es könnte durchaus. Schließlich glauben Superweiber heute wie gestern daran, daß Strapse und ein Wonderbra unterm Geschäftskostüm nicht nur ein Accessoire, sondern wesentliche Voraussetzung und unverzichtbarer Bestandteil ihres Erfolges sind. Genau wie unbezahlte Überstunden. Unbeschreiblich weiblich zu sein bedeutet für Superweiber, Nachteile und Beengungen hinzunehmen, sie schließlich zu lieben und mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Das war schon immer so. Und Superweibsbilder sorgen dafür, daß es so bleibt.
Arbeiteten sich Frauen im 19. Jahrhundert am Madonna-Komplex ab, in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts dann am Vorbild blonder Atombusenfrauen und/oder antiseptischer Hausfrauen, so arbeiten und scheitern sie heute an allen Fronten des ewig Femininen gleichzeitig. Das Superweibsbild läßt nichts aus. Im Namen der Freiheit. Ein echtes Superweib ist emanzipiert genug, um zu wollen, was sie tut und sich antut. Ein echtes Superweib rebelliert für ihr Recht auf ständige Anspannung, nie endende Strapazen und immer neue Überforderung.
Die ideale, vorbildliche Weiblichkeit der neunziger Jahre beschreibt – klinisch gesehen – eine krankhaft und mehrfach gespaltene Person. Um unbeschreiblich weiblich zu sein, bedarf es heute mehr als bloßer Schönheit: Emanzipiert und autonom, beziehungsfähig und (super-)mütterlich, atemberaubend sexy, aber nicht übertrieben erotisch, berufstätig und häuslich, intuitiv gefühlvoll und blitzgescheit, lebensklug und ein wenig weltfremd, erfolgreich, angepaßt und aufmüpfig, anschmiegsam und 100 Prozent selbstbestimmt, das alles soll Superwoman sein – und wenn möglich puppenlustig wie ein Girlie, denn ernsthaft erwachsen sein ist zur Zeit nun wirklich mega-uncool.
Immer mehr Frauen arbeiten Tag für Tag an diesem Katalog der hinreißenden, weiblichen Eigenschaften mit – bis an den Rand der Erschöpfung und so konsequent aufopferungsvoll, wie es von »echten« Frauen schon immer erwartet wurde. Alle eifern sie fleißig dem Superweib nach, weshalb sie sich an dieser Stelle einen Klaps auf den Hinterkopf redlich verdient haben (Achtung: Ohrfeige): Ich hasse dieses Superweibsbild, weil es der Wirklichkeit beängstigend nah kommt. Ich verabscheue dieses Superweibsbild, weil es sich frauenfreundlich tarnt und unter dem Deckmantel geschäftiger Friedfertigkeit so unverschämt frauenfeindlich ist. Ich fürchte dieses Superweibsbild, weil in einer Gesellschaft, die solche Frauenbilder produziert, das Frausein schnell wieder zur alltäglichen Hölle werden kann – zu einer bunt bemalten Hölle mit Musik und Leuchtreklame. Seid also gewarnt, ihr meine geliebten, letzten, tapfer überlebenden Zicken, und geht dem Superweibsbild nicht auf den Leim. Wie? Kein Problem? Ihr seid viel zu schlampig, nichtsnutzig, faul und lebensfroh, um euch als Superweiber zu verkleiden? Bingo, wir werden sehen.
Doch bevor ich das Superweibsbild in seine Einzelteile zerlege und dabei seine Machart überprüfe, muß ich noch auf die jüngste, verteufelt verlockende Schwester von Superwoman eingehen. Eine Schwester, die uns Zicken rein optisch täuschend ähnlich ist – denn die Industrie ist wachsam. Die »Kleine« heißt Girlie, Mädels, und ist eine der erfolgreichsten Medienfiguren der Gegenwart. Doch laßt mich deutlicher werden: Girlie raubt altgedienten Zicken wie mir den letzten Funken Glauben daran, daß ganz moderne Weiblichkeit irgend etwas mit Vernunft, geschweige denn mit Fortschritt oder gar mit ganz neuen Freundschaftsdimensionen zwischen Frauen zu tun haben könnte. Girlie ist nämlich nichts anderes als ein neues Wort für das altbewährte Spiel, Frauen verschiedener Altersgruppen gegeneinander auszuspielen und fruchtbaren Austausch zu verhindern.
Die puppenlustigen Girlie-Connections oder Barbie lebt!
Das Girlie-Kapitel beginnt mit einem Mann, denn mit ihm begann in deutschen Landen unter anderem Girlies Karriere. Er heißt Matthias Horx und ist ein Trendforscher. Das sind Leute, die sich in schmierigen Kellerbars oder abbruchreifen Bahnhofsschuppen mit Alkoholausschanklizenz rumtreiben, dort, wo die Masse der Menschen nie hingeht. Eben gerade das ist allerdings eine wichtige Voraussetzung für den Trendforscher, denn sie suchen in den Kellerbars nach massenwirksamen Trends, von denen die Masse möglichst überhaupt noch nix weiß, sonst wären es ja auch keine Trends. Damit die Besucher der Kellerbars aber nicht merken, daß sie keine Bargäste, sondern Forschungsobjekte sind, verkleidet sich der Trendforscher als Gast oder schickt Spione vor, die er »Trendscouts« nennt, was soviel wie Pfadfinder heißt, aber trendiger klingt. Die Scouts sehen zwar wirklich aus wie die Kellerbargäste, sind aber in Wahrheit wild darauf, aus den dunklen Löchern ganz schnell auf den lichten Olymp der Besserverdienenden zu gelangen. Und spätestens dann, wenn die Kellerbargäste von den Spionen als Trendsetter geoutet worden sind, suchen die echten Gäste einen noch tieferen Keller und kleiden sich völlig neu ein. Macht aber nichts, für die Trendforscher haben die Trendsetter ihre Schuldigkeit getan, denn nun rasen sie mit Stoffmustern der Kellerbargastklamotten und Polaroidfotos zum nächsten Großindustriellen, um die Stoffmuster und Polaroids möglichst teuer an den Mann (oder die Männin) zu bringen. Die völlig ahnungslose Industrie jenseits der Kellerbars reagiert nicht immer, aber immer öfter begeistert auf die Stoffmuster und flickt daraus trendgerechte Produkte zusammen. Was dabei herauskommt, ist meist ziemliches Gelumpe, aber das Geschäft lohnt sich. Rote Gummibärlimonade zum Beispiel, die so scheußlich schmeckt, wie sie aussieht, verkauft sich als Powerdrink bestens.
Und was hat das alles mit Frauen zu tun? Nun, zur Zeit jede Menge. Denn das Girlie, um das es hier geht, ist so ein voll trendgerechtes Produkt, erfunden in irgendeiner miefigen Gossenschenke. Es ist was ganz Neues von gestern, ich würde sogar behaupten, von vorgestern. Und Moden von vorgestern, bemerkte schon Coco Chanel, begeistern uns, während wir nichts lächerlicher finden als Moden von gestern. Die schultergepolsterten Denver-Clan-Ladys etwa oder die erfolgsbesessenen Business-Frauen: äbäh, mega-out. Anders die kniebestrumpften Girlies: die sind von vorgestern und mega-in.
Nennen wir das Girlie mal beim Namen: Heike Makatsch, erstes Girlie der Nation, wußte nichts von ihrem Glück, bis ›Der Spiegel sie fragte, ob sie ein Girlie sei. Heike zupfte die Polly-Pocket-Haarspangen und ihre Kniestrümpfe zurecht und antwortete konsequent mit »nein« – was ihr nichts half, sie machte dennoch als Girlie Karriere. Trends sind gnadenlos und hören nicht auf das, was lebendige Menschen zu ihnen oder über sie sagen, schon gar nicht auf das, was Frauen sagen. Doch die lebende Heike hatte schließlich die Girlie-Faxen dicke und legte bei Bravo-TV eine Sendepause ein – um, dem Trend zum Trotz, in Ruhe erwachsen zu werden. Makatschs Platz nahm deshalb schwupps ein Girlie der zweiten Generation ein. Nennen wir sie Lumpenmüllers Lieschen. Der echte Name tut nämlich gar nichts zur Sache, mal abgesehen davon, daß ich ihn nicht weiß und viel zu faul bin, mir noch eine Stunde lang Bravo-TV reinzuziehen. Aber so viel kann ich euch verraten, Mädels: Sie ist einmal bezopftes, mal kletschhaariges Gör mit dicken Plateausohlen unter den Füßen, die sie wahrscheinlich braucht, damit sie nicht umfällt. Sie ist sechzehn Jahre jung, hat eine Klappe so groß wie eine Baggerschaufel und ist pflichtgemäß quietschfidel. In den Fußgängerzonen bundesdeutscher Tchibo-Städte kann man sie nach Schulschluß sogar im Dutzend bewundern: Zu dieser Zeit bewegen sich die Girlie-Klone – einen halben Burger im Mund, den Rest in der rechten Hand – nämlich von einer Gymnasiastinnenfalle zur nächsten, sprich: von Schuhläden, Plattenshops und weiteren Burger-Läden zu Ohr-, Nabel- und Bauchringverkäufern. Immer kichernd, quasselnd und vor allem Geld ausgebend. Spaß muß sein, nur daß die meisten dieser Klone reichlich verunsichert und maßlos überfordert aussehen – daher wahrscheinlich das ständige Kichern.
Für uns ältere Girlies darf ich diese Klone mit Gisela Schlüter vergleichen. Ihr erinnert euch? Gisela Schlüter – auch bekannt als Deutschlands witzigste Quasselstrippe – war eine hektische Dampfplauderin aus der Zeit des Schwarzweißfernsehens. Ein sehr frühes Girlie sozusagen, dessen Outfit vom Putzkittel bis zur Federboa reichte. Okay, die Klamotten haben sich geändert und nicht nur die: Damals war den meisten Menschen nämlich durchaus klar, daß das nur Fernsehen war, wogegen es heutzutage verdammt viel schwerer ist, jenseits des Fernsehens noch die Wirklichkeit auszumachen, vor allem für die mediengezeugten Girlies.
Schauen wir sie uns doch an, diese Mattscheibengeschöpfe, die eingeschlagen haben wie das Magnum von Langnese und dereinst die Lätta-Margarine! Die neuen Girlies sind die besten neuen Freundinnen junger Mädchen – und zwar aller Länder – von elf bis etwa sechsundzwanzig Jahren. Denjenigen von euch, die älter sind, gelte folgender Hinweis: Auf Girlie-Terrain befindet ihr euch in Boutiquen, die Fummel anbieten, den ihr zuletzt zwischen 1975 und 1978 getragen habt. Oder noch früher. Kürzlich habe ich bei H & M tatsächlich neongrüne Federboas entdeckt und in ›Amica‹ – oder war es ›Elle‹? – eine Modestrecke zum Thema »Erotisch in Putzkitteln«. Schuhläden meide ich seit Erfindung des Girlies übrigens konsequent, da sie mich zu sehr an Geisterbahnfahrten erinnern und an die Zeit, in der ich so beschränkt war, meine niedlichen Füße in gelbgepunkteten Plastikschuhen mit einer halbmeterhohen Plateausohle zu ruinieren.
Doch egal, ob sie Federboas, Putzkittel oder Plateausohlen zum Kotzen finden oder solche Moden bis zum Erbrechen mitgemacht haben: Am Girlie-Vorbild kommen Frauen heute nicht mehr vorbei. Auf allen Fernsehkanälen amüsieren sich Girlies zur Zeit zu Tode. Dank Matthias Horx? Nee, so ernst können wir den nun auch wieder nicht nehmen – zumal er, wenn er geschäftstüchtig ist, längst den Abgesang auf die Girlies parat hat. Horx entdeckte das Trend-Girl nämlich schon Anfang der neunziger Jahre, also fünf Jahre nach seiner Erfindung in Amerika und ungefähr zehn Jahre, nachdem Cindy Lauper die peppige Görenhymne ›Girls just wanna have fun‹ angestimmt hatte und aus einer Kellerbar in die Hitparaden gelangte. Horx, stets um marktgerechte Tiefe bemüht, sang damals ein geradezu lebensphilosophisches Loblied auf seine Entdeckung. Denn die Industrie, und die deutsche insbesondere, kauft gern lebensphilosophische Lumpen mit Tiefe. O-Ton Horx: »Wie anders Emanzipation sein kann, wenn sie sich nicht in erster Linie aus psychischen Defiziten, seelischen Beschädigungen und ideologischen Konzepten speist, wird uns zum Beispiel durch jenen souveränen Typus junger Frauen klargemacht, die in Großstädten aufwächst. Sie kämen niemals auf die Idee, sich an den Männern ›abzuarbeiten‹. Sie kämen auch niemals auf die Idee, sich in die alten, reduzierten Frauenrollen hineinzubegeben. Emanzipation ist für sie selbstverständlich. Für junge Männer noch lange nicht. In gewisser Weise sind sie Kriegsgewinnler, Profiteure vergangener Kämpfe, aber auch deren Vollender.« Oho, da hat er uns seelisch beschädigten, ideologisch unsouveränen Zicken aber voll einen reingesemmelt, der Herr Horx, was?
An anderer Stelle schwärmte Trendforscher Horx dann auch von der neuen Qualität der Mädelsfreundschaften. Girlies seien Frauen, die zusammenklebten wie Pech und Schwefel oder wie Kaugummi und Nadelfilz, behauptete er sinngemäß. Aber wie gesagt, diese Horx-Phantasien sind auch schon wieder reichlich von gestern. Die Girlies von heute sehen wieder ganz anders aus als die vor fünf Jahren, nämlich so wie von vorgestern und frisch geklont. Das martialische, verstörend wirkende Tank-Girl mit rasiertem Schädel und Sicherheitsnadel in der Backe ist längst sterilisiert worden.
Heute ist ein Girlie ein megahipper, weiblicher Menschentyp, den die britische Mädelscombo Spice Girls nicht nur perfekt verkörpert, sondern zu mythischer Größe vollendet. Und zwar mit Gewinn. Ihre erste Single, ›Wannabe‹, die sich nicht am Mann »abarbeitet«, sondern nur am idealen Lover, landete weltweit auf Platz eins. Das bedeutete nicht Gold, sondern Platin und jede Menge Kohle.
Es sind diese erfundenen, synthetischen Girlies, die die Medien vergöttern und deshalb fachgerecht zu Tode beten. Immer nach dem Motto: Nichts kommt schneller aus der Mode als eine Mode, also halten wir uns ran. Vor allem auf den Musikkanälen.
Zurück zu den Spice Girlies. Es handelt sich bei ihnen und ihren deutschen Schwestern TicTacToe um singende Rasselbands. Solche Rasselbands entstehen dadurch, daß irgend jemand Claudia Schiffer mit Pippi Langstrumpf kreuzt, ihr Alter nach unten mogelt und ihnen Klamotten verpaßt, die wir zuletzt im ›Schulmädchenreport – Zwölfter Teil‹ zu sehen bekamen. Damals kreuzte man Brigitte Bardot mit Pippi Langstrumpf, was nur Pippi Langstrumpf faltenfrei und völlig unbeschadet überlebte. Und Pippi wurde kürzlich immerhin fünfzig!
Die Musik der neuen Girlies bewegt sich zwischen den späten Abbas, den Bangles und ganz frühem Rap. Für ältere Leserinnen und Ex-Girlies: Die Texte der Girlie-Songs liegen inhaltlich irgendwo zwischen Gittes Emanzipationsschlager aus reiferen Jahren, »Ich will alles, ich will alles und das sofort«, und Schmachtschnulzen wie »Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling«. Bei TicTacToe wird letztere Botschaft folgendermaßen verpackt: »Verpiß dich, du weißt genau, ich vermiß dich.« Das ist so neu wie die Neue Deutsche Welle, und die ist bekanntlich auch schon uralt.
Die Leichen der neuen Girlies leben übrigens noch. Es ist gar nicht lange her, da passierte nämlich folgendes: Lucilectric, Supergirl des Sommers 1994, sang damals ein Lied, das folgende Erkenntnis zum Inhalt hatte:
»Komm doch mal rüber Mann und setz dich zu mir hin, weil ich ein Mädchen bin, weil ich ein Mädchen bin. Keine Widerrede, Mann, weil ich ja sowieso gewinn, weil ich ein Määädchen bin ... «
Schön war’s, seufz. Aber weiter im Text. Diese Erkenntnis ist natürlich nicht neu, sondern wurde von einem Früh-Girlie namens Marlene Dietrich so formuliert:
»Frühling kommt, der Sperling piept,
Duft aus Blütenkelchen,
bin in einen Mann verliebt,
weiß bloß nicht in welchen ...
Kinder, heut abend, da such ich mir was aus,
einen Mann, einen richtigen Mann! «
In der Werbung nennt man das Aufpolieren eines alten Produkts übrigens »relaunching«. Kennen wir! Vor knapp fünf Jahren erlebten wir nämlich, wie aus dem Schokoriegel Raider der Schokoriegel Twix wurde. Unter dem Namen Raider lief das Zeug nicht mehr so gut, und anderswo hieß es ohnehin schon lange Twix. Twix wurde uns also per Reklamefeldzug um die Ohren gehauen. Der Schokoriegel blieb dabei der gleiche, war aber unter seinem neuen Namen erfolgreicher. Fazit: Marlene Dietrich war Raider, Lucilectric war Twix. Und zusammen waren sie die vielleicht dümmste Praline der Welt. Pardon, das stimmt natürlich nicht ganz. Zumindest Marlene behauptete sich ein Leben lang als Persönlichkeit und Chefin ihres eigenen Mythos – so wie heute Madonna. Der Mythos Lucilectric wurde hingegen von den Medien verwaltet und zu Tode abgespult. Nur Horx sieht das natürlich anders. Für ihn sind, wie bereits zitiert, alle Girlies souveräne junge Frauen, die gar nicht auf die Idee kämen, sich am Mann »abzuarbeiten«, weil sie nichts als megamäßigen Fun miteinander hätten. Und so haben die Medien kleine Mädchen auch am liebsten – Medien wie die ›Bild am Sonntag‹, unser aller BamS, bekanntermaßen die erklärte Lieblingslektüre aller souveränen Girlies und von jeher der Frauenbewegung verpflichtet.
Im März 1997 erklärte uns ein Kapellenmitglied der scharfen – oder besser: würzigen – Girls in der BamS also folgendes: »Ein Spice Girl ist sexy und muß immer seinen Bauchnabel zeigen. Ein Spice Girl hat jeden Tag mindestens einen Orgasmus – mit oder ohne Mann.« Die BamS zeigte sich begeistert, konnte diesen Blödsinn aber nicht ganz ernst nehmen, bevor nicht auch noch ein (männlicher!) Plattenboß zu Wort kam. Ordnung muß sein. Also wurde ein Plattenboß zitiert – seltsamerweise ohne Angabe des Namens, aber vom Erfolg geküßt, denn der anonyme Plattenboß wußte über die Girlies natürlich besser Bescheid als jedes Girlie selbst, das schließlich genug damit zu tun hat, quietschfidel zu sein und Orgasmen zu haben. Ich zitiere den Plattenboß: »Girlies spiegeln die Realität wider, so wird Glaubwürdigkeit transportiert.« Aha! Da wäre ich nie drauf gekommen. Gut, daß uns das mal einer sagt. Wer immer das auch war. Ich habe ja den blödsinnigen Verdacht, daß es sich dabei um den Autor des Artikels selbst handelt. Nun ja. Jedenfalls spiegeln die Girlies nur eine Realität wider: die der Medien, die jeden Trend aufgreifen, sobald und solange er sich nur gut verkauft. Und weil Lolitaphantasien sich immer gut verkaufen, war BamS bei den vorgetäuschten Girlie-Orgasmen mit oder ohne Mann – hechel, lechz – natürlich ganz vorn mit dabei. Die wahre Realität unserer Kids ist dagegen ein wenig ungeiler: dreiviertel aller Jugendlichen leiden unter psychosomatischen Störungen, 50 Prozent sind ausgepowert, müde und gestreßt. Und was Orgasmen ohne Männer angeht, beweist eine jüngere Studie, daß 15 Prozent weniger Mädchen als noch vor zehn Jahren lustvoll Hand an sich legen. Das macht ja wohl auch nichts, weil, wie wir alle und sogar die BamS wissen, dafür immer mehr Männer Hand an minderjährige Girlies legen. Und das hat nichts, aber auch gar nichts mit dem proklamierten postfeministischen Fun einer selbstbewußten Mädchengeneration zu tun. Dessen ungeachtet rundet die BamS den schönen Schein von der bunten, neuen, emanzipierten Girlie-Welt lieber weiter ab und läßt einen PR-Experten – diesmal namentlich – zu Wort kommen. Der ist zuständig für eine Girlie-Kombo aus Amerika mit Namen Amex Love. Ich zitiere: »Amex Love ist von Beginn an ein Lifestyle-Projekt. Diese Girls führen ein sorgenfreies Leben, ohne große Probleme, ohne jegliche Geldsorgen. Amex Love lebt aus Koffern oder kauft einfach ganz spontan ein, was ihnen gefällt.« Klasse, was?
Ich kann mir nicht helfen, aber für mich klingt Amex verteufelt nach einem Kürzel für die Plastikkreditkarte von American Express und das PR-Konzept so emanzipiert wie das Leben von Barbie. Diese unverwüstliche Plastikpuppe kauft auch immer ganz spontan ein, am liebsten in pinkfarbenen Plastikboutiquen. Mit oder ohne Mann. Ihr Plastik-Partner Ken -ein Mann ohne Geschlechtsteil – taucht eher am Rande auf.
Was ich damit sagen will? Nichts, nur daß die »Girlies von heute mehr mit der Generation ihrer Mütter zu tun haben, als sie heute ahnen« und als die Medien ihnen verraten. Von wem ich das Zitat habe? Nee, nicht von Horx, schon gar nicht aus der BamS, sondern ... von Alice Schwarzer. Ist aber auch nur Neues von gestern, nämlich von 1992.
Nein, ich hab nichts gegen Girlies, schon gar nicht gegen die ersten TV-Trendsetterinnen dieser Bewegung, die Golden Girls, diese vier mehr oder minder verschrumpelten Ladies, die sich in einer TV-Alten-WG tatsächlich mit- und übereinander amüsieren: über Falten, Stützstrümpfe, Alzheimer, Männerbäuche, Käsekuchen, Sex, Elvis Presley. Immer gemeinsam und bis der Tod sie abholt. Die Golden Girls sind so alterslos, so stark und frech, so stolz und aufmüpfig wie Pippi Langstrumpf, und sie sehen ihr auch ähnlich. Sie behaupten an keiner Stelle, eine Realität widerzuspiegeln, führen uns aber vor, wie haltbare Frauenfreundschaften aussehen könnten, wenn Frauen es – dank Erfahrung – unter einen Hut brächten, selbstbewußt und anlehnungsbedürftig, sentimental und nüchtern, zänkisch und friedfertig zu sein.
Die Golden Girls sind eine wunderbare Erfindung. Sie nehmen das weibliche Paradox von der bestmöglichen Seite, nämlich der komischen. Sie sind ein Beweis für die bittere (Noch-) Wahrheit, daß die beiden einzigen Lebensabschnitte, in denen Frauen problemlos weise sind und sich auch so verhalten, der bis zu ihrem neunten und der nach ihrem fünfundsechzigsten Lebensjahr sind. Dazwischen herrscht in der Regel Krieg zwischen Frauen, auch zwischen Medien-Girlies.
Einen solchen Krieg konnten wir zuletzt zwischen TicTacToe und der Girlie-Mitbewerberin Schwester S. beobachten. Schwester S., inzwischen als Sabrina Setlur erfolgreich, dichtete folgende Kampfansage an das Trio aus dem Kohlenpott:
»Wie aufm Klo,
ist die Scheiße von Toe, Tic und Tac ...
ich pack euch in ’nen Sack
und schmeiß den ganzen Sack ins Wasser.
Die Dicke quillt dann weiter auf,
und die bunten zwei werden blasser.«
Damit reagierte sie auf eine gerappte Vorlage des Trios. Die hatten sich in ihrem Song »Ruhrpottniggaz« nämlich folgendes über Schwester S. aus Frankfurt Rödelheim zusammengereimt – oder zusammenreimen lassen, wenn man dem ›Spiegel‹ trauen darf, der feststellte, daß die meisten Texte keineswegs von den Girlies selbst, sondern von ihren Manager(innen) stammen. Wer auch immer hatte sich jedenfalls folgenden Text einfallen lassen:
»Wir sind die wahren, die schwarzen Schwestern, packt eure Dödel ein und geht zurück nach Rödelheim und vergeßt nicht euer Schwesterlein.«
Auch bei Girlies gilt also: Die Konkurrenz schläft nicht, schon gar nicht wenn es um »Dödel« geht und clevere Manager die Texte verfassen. Ein Schuß Frauenzank belebte schon immer das Geschäft. Schlammcatchen zwischen Girls ist in jedem halbwegs gut sortierten Sexshop ein Dauerbrenner.
Ist das jetzt postemanzipiert? Meinetwegen, aber ohne mich. Die neuen, von den Medien vereinnahmten Girlies und viele ihrer Bewunderinnen sind in jedem Fall keine kratzbürstigen, selbstbewußten Golden Girls. Sie sind auch nicht voll entspannt auf Fun. Ihre innere Pippi Langstrumpf hat Sendepause. Sie sind weder post- noch sonstwie emanzipiert, sondern irgendwo lange vor jedem echten und anstrengenden persönlichen Befreiungsversuch unterwegs, nämlich dort, wo die traditionelle Weiblichkeit mit all ihren zerstörerischen Folgen ihr Un ..., sorry, Anwesen pflegt. So berichtete eine dreiundzwanzigjährige Viva-Moderatorin vom Ressort »Boygroups« im TV kürzlich folgendes: »Ich treffe die Jungs von den Boybands ja ganz oft. Von manchen Girls kriege ich deshalb Drohbriefe. Zuletzt von einer Dreizehnjährigen: ›Du fickst sie alle, Du Schlampe, ich bring Dich um.‹«
Bei soviel Hackerei mit der Gartenharke bleibt als passende Antwort eigentlich nur eine Erfolgszeile von TicTacToe: »Ich find dich Scheiße.« Willkommen auf dem Hühnerhof der weiblichen Weltgeschichte, willkommen dort, wo Frauen immer wieder landen, wenn sie sich von irgendwelchen Medienmachern über »echte, moderne Weiblichkeit« aufklären ließen.
Nichts gegen starke Sprüche aus Frauenmund. Im Gegenteil, es lebe die Zicke. Aber: Keine hart trainierte, waschechte Zicke glaubt im Ernst, daß es megalustig oder einfach ist, Sätze wie »Ich find dich Scheiße« einem real existierenden Macho oder einer unterirdischen Dusselkuh mal eben so ins Gesicht zu sagen. Das will trainiert sein und macht nicht immer so viel Spaß, wie die Medien vorgaukeln. Und mal ganz davon abgesehen, daß so was unhöflich ist, geht ein solcher Satz – erst recht aus Mädchenmund – nicht selten nach hinten los. Auch für Mediengirlies – und zwar immer dann, wenn’s ums echte Leben geht.
Vor gar nicht langer Zeit wurde der Mann von TicTacToe-Sängerin Lee Liane Wiegelmann tot auf einem Dachboden gefunden, und eben genau die Medien, die die Girlies zuvor frenetisch bejubelt hatten, wendeten die frechen Sätze gegen die reale junge Frau. Ihre vorher gepriesene unverfrorene Frechheit und Stärke wurde zur moralischen Schwäche umgemünzt. Das Girlie war plötzlich das umgedrehte Gretchen, sprich: Freche Mädchen sind mörderische Schlampen. Eine Hexenjagd der widerlichsten Sorte ließ die Bildschirme flimmern: ›Verpiß dich‹, so der Titel eines weiteren Erfolgssongs des TicTacToe-Trupps, diente zur Untermalung anklagender Bilder von der Beerdigung Frank Wiegelmanns. Unkommentiert und ungeschnitten wurde jedem Arschloch Sendezeit gewährt, der Sängerin Lee als Hure, Schlampe und Mörderin ihres von ihr angeblich aus Karrieresucht verlassenen Mannes beschimpfte. Auf dem deutschen Boulevard war man/frau sich völlig einig: Eine Schlampe, die so frech daherkommt, muß sich nicht wundern, wenn ihr Mann sich umbringt. Die munteren, frechen Girls waren plötzlich ein todernster Skandal, und die uralte Weibchenfalle schnappte wieder zu. Goethe hätte seine Freude daran gehabt. Doch anders als Gretchen überlebten Tic-TacToe die Kampagne.
Trotzdem, ob tot oder am Leben, nach dieser Erfahrung sage ich nur noch eines: Schluß mit lustig und den medialen Girlie-Lügen. Wie die genannten Beispiele zeigen, sind diese Abziehbilder nicht nur keine postemanzipierten, souveränen Frauentypen, sie sind auch keine hyperneuen Vorbilder für dauerhafte Freundschaften unter Frauen. Alles an ihnen ist ein Mythos, ein PR-Konzept – wie die Girlies von Amex Love, die keine Geldsorgen haben, aus dem Koffer leben, ganz spontan einkaufen, was ihnen gefällt, und die sich nicht an depressivaggressiven Ehemännern oder einem Job »abarbeiten« oder an Babys oder einem LBS-Bausparvertrag. Ist doch ganz easy, wenn man Millionärin ist: Girls just wanna have fun. Ich wünsche viel Spaß dabei, aber ohne mich.
Interessieren würde mich freilich, wie es mit den Girlies medientechnisch weitergeht. Etwa so wie bei Trotzkopf? Dann dürfen wir auf Romane und Soaps im Stil von ›Das Girlie als Braut‹, ›Girlie im Mutterglück‹ und sogar ›Girlie als Großmutter gespannt sein. Einer der Hits der Spice Girls heißt schon jetzt kreuzbrav ›Mama, I love you‹. Heim ins Reich, Mädels. Zu Muttern. Oder steckt dahinter vielleicht auch nur ein Manager, der bei Girlie-Müttern noch einen Schwung CDs absetzen will? Jede Frau ein potentielles Girlie? Marktstrategen war’s nur recht, denn die meisten Kaufentscheidungen treffen wir, die Frauen – weshalb Männer uns nur allzugern für blöd verkaufen. Peinlich nur, daß eine Menge Sisters darauf noch abfahren.
Hera Lind hat uns das übrigens bereits nach- und vorgemacht, Superweib, das sie nun mal ist. Ende 1996 trat sie in einer Playbackshow auf – als Spice Girl verkleidet, im Paillettenmini, ›If you wannabe my loven‹ mimend. Und dafür gab’s den ersten Preis von Jury und Publikum. Hohle Vorbilder waren schon immer mehrheitsfähig, vor allem weibliche.
Girlies sind nichts weiter als ein verlockendes Versprechen, das selbst ältere Frauen verlockt, weil sie dieses Versprechen schon aus ihrer eigenen Jugend kennen. So wie meine Großmutter den Trotzkopf. Es ist das Versprechen auf ein lustiges, lockeres, ungetrübtes Leben, und dieses Versprechen gilt, solange weibliche Menschen das »Määädchen« spielen, am besten bis zum fünfundachtzigsten Lebensjahr. Es ist und bleibt allerdings ein leeres Versprechen, das in der Realität noch nie eingelöst wurde. Im Gegenteil: weil und wenn wir » Määädchen« sind, müssen wir eine Menge Nachteile in Kauf nehmen.
Superwoman und Supergirl sind also keine Freundinnen der aufgeklärten Frau, zumindest nicht meine. Sie sind keine Herausforderung, sondern eine Überforderung für alle lebenden weiblichen Menschen. Und Über-Forderungen machen in der Regel angst und sorgen für lähmende Minderwertigkeitsgefühle, Frustration und diffusen Neid. Vorbilder wie Superweiber und Girlies sind häßliche, frauenfeindliche Spaltpilze, die den Blick auf »die andere« verschärfen. Was hat sie Superweibliches, was ich (noch) nicht habe, um in der mediengesteuerten Männerwelt ganz oben zu stehen?
Wie wir am Beispiel der puppenlustigen Girlie-Connections gesehen haben, ist die weibliche Konkurrenz stets und gnadenlos wach – vor allem im beruflichen Bereich, in dem wir plötzlich Rollen übernehmen, die uns jahrhundertelang gesetzlich verboten waren und für die uns jede Menge Training fehlt. Eben hier kommt es zu tumultartigen Szenen zwischen Frauen, die Emanzipation für alten Muff von Annoquark halten und sich dem antifeministischen Fun-Girlie-Gebot verpflichtet fühlen. Dabei gilt es gerade im Job, sich zunächst einmal gegen die Herren der Schöpfung durchzusetzen, die durch die Bank immer noch 30 Prozent mehr als Frauen verdienen –»natürlich« auch deswegen, weil es in der Regel nicht die Männer sind, die die langen Auszeiten zwecks Kinderaufzucht nehmen. Und wie zur Bestätigung dieser Tatsache zischeln die Nicht-Mütter auf Bürofluren im Chor: »Die K. hat jetzt ein Kind und will trotzdem arbeiten. Sauerei, die hat doch einen Mann, der gut verdient, muß sie uns da den Job wegnehmen? Am Ende müssen wir alles für sie machen, wenn das Kind krank ist. Die kann doch gar nicht mehr so wie früher ... « Rödelheim und Iserlohn sind eben überall.
Es tut mir wirklich leid, so vielen Frauen den Spaß an ihrer Unterdrückung und Selbstausbeutung zu verleiden, aber es ist an der Zeit, verschärft über die verschärfte Rivalität unter Frauen zu reden. Es ist – wieder und immer noch – nötig herauszufinden, warum der ärgste Feind der Frau oft die Frau selbst ist oder, um genau zu sein, warum der ärgste Feind der eigenen Befreiung in uns selbst lauert. Eine Feststellung, die Zicken wie mich schmerzt und viele zornige Fragen aufwirft. Eine Auswahl:
Weshalb können Frauen einander eine ebenso tiefe Zuneigung wie abgrundtiefe Verachtung entgegenbringen?
Weshalb tun Frauen einander auf Dauer nicht gut, obwohl sie nichts angestrengter behaupten als das Gegenteil?
Weshalb hassen Frauen im Job an Frauen Ehrgeiz, Macht und Erfolg, nicht oder kaum aber bei Männern?
Weshalb sind Frauen gegenüber männlichen Schwächen nachsichtiger und verständnisvoller als gegen die eigenen und die anderer Frauen?
Welches sind die Bedingungen dafür, daß es häufig Frauen selber waren und sind, die das »Weiberschicksal« in einer Männerwelt bis ins Unendliche verlängern, all unsere sozialen, finanziellen, politischen Benachteiligungen, unsere Demütigung, unsere Schmerzen, unseren Zorn?
Weshalb streuen Frauen sich so häufig selbst und gegenseitig Salz in die eigenen Wunden? Lächelnd, kichernd, quasselnd und ohne dabei mit der Wimper zu zucken?