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7. Die Einladung
Оглавление** Liam **
Unruhig tippte ich mit der Schuhspitze meiner Chucks immer wieder gegen den Holztisch. Es beruhigte mich auf der einen Seite, machte mich aber aus unerklärlichen Gründen dennoch nervös. Seit Nele mir gestern Morgen unmissverständlich klar gemacht hatte, dass es besser sei, wenn wir keinen Kontakt hatten, zerbrach ich mir ohne Unterlass den Kopf über sie. Während der gemeinsamen Nacht in der Bibliothek hatte ich den Eindruck gewonnen, dass wir uns eigentlich gut verstanden, doch offenbar ging es nur mir allein so. Nele hielt mich auf Abstand und setzte alles daran, niemals mehr als fünf Worte mit mir zu sprechen. Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht glauben, dass es an mir lag. Ja, das mochte eingebildet klingen, doch das war ich keinesfalls. Ich besaß einfach nur eine gute Menschenkenntnis und es war offensichtlich, dass Leons kleine Schwester sich vor irgendetwas fürchtete.
»Liam, hey!«, die Stimme meines Bandkollegen Taylor drang an mein Ohr und ich sah irritiert auf. »Wo bist du nur mit deinen Gedanken?«
»Ich ... keine Ahnung, mir geht gerade wahnsinnig viel im Kopf herum.«
»Und das hat nicht zufällig mit der hübschen Brünetten von Leons Party zu tun?«, stichelte Sam, unser Schlagzeuger.
»Das war Leons kleine Schwester, Nele«, sagte ich leise. »Und nein, es hat nichts mir ihr zu tun. Können wir jetzt einfach weiterarbeiten?« Ich stand von der Couch auf und griff mir meine E-Gitarre.
»Nein«, protestierte Rayn gleich. »Können wir vorher noch klären, ob wir die Proberaum-Party am Wochenende machen wollen?«
»Hatten wir das nicht schon beschlossen?« Sam zog die Augenbrauen nach oben.
»Natürlich findet sie statt. Können wir dann jetzt?« Ich warf einen strengen Blick zu meinen drei Freunden, die sich nun ebenfalls aufrichteten und sich endlich dazu durchrangen, mit der Probe zu beginnen.
Wir spielten etwa eine halbe Stunde einige unserer alten Songs, bis ich mitten in einem Song aufhörte und die Gitarre in die Ecke stellte.
»Liam, was ist jetzt wieder?«, stöhnte Taylor genervt auf.
»Mir hängen die Songs zum Hals raus. Wir haben seit eineinhalb Jahren kein neues Album rausgebracht!«, sagte ich genervt. »Wir haben nicht einen neuen Song! Es ist kein Wunder, dass wir kein Geld mehr verdienen!«
»Du warst derjenige, der der Meinung war, dass wir erst einmal keine neuen Songs herausbringen wollen. Außerdem weißt du selbst, dass die Band kaum noch Geld abwirft und dass wir uns alle nebenbei mit unseren Jobs herumquälen. Was ist jetzt schon wieder los?« Rayn schüttelte den Kopf.
»Ja, jetzt bin ich eben anderer Meinung. Ich will mich nicht einfach so geschlagen geben. Wir brechen ab für heute.« Ich sah noch, wie die Jungs einen verwirrten Blick miteinander tauschten, bevor ich den Proberaum verließ und beinahe mit Leon zusammengelaufen wäre.
»Hey, nicht so stürmisch«, sagte dieser.
»Was machst du denn hier?« Ich zog die Augenbrauen in die Luft und sah ihn skeptisch an. Wir gingen durch den Flur nach draußen.
»Ich wollte mich nur noch mal für euern Auftritt bedanken.«
»Schon in Ordnung, Kumpel. Hör mal, ich wollte eigentlich gerade los. Aber hast du vielleicht Lust, am Samstag zur Proberaum-Party zu kommen. Du kannst deine Freundin natürlich mitbringen und vielleicht haben Nele und ihr Freund auch Zeit.«
»Ich kann sie ja mal fragen und schreibe dir dann.«
»Gut. Die anderen Jungs sind noch drinnen.«
»Okay, bis Samstag, Liam.« Ich hob die Hand zum Abschied und machte mich dann auf den Weg nach Hause.
In meiner Wohnung angekommen, ging ich direkt zum Kühlschrank und holte mir ein Bier heraus. Im Wohnzimmer nahm ich mir einen Notizblock und einen Stift, sowie meine Akustik-Gitarre und zog mich auf meinen kleinen Balkon zurück. Ich musste meine Gedanken ein bisschen ordnen und wenn ich Glück hatte, kam dabei noch ein Song heraus.
Doch schon wenige Minuten später wurde mir der Wind aus den Segeln genommen. Ich hatte zwar relativ schnell eine Melodie im Kopf und auf meinem Zettel standen auch schon einige Textzeilen, doch ein richtiges Lied ergab sich daraus noch nicht. Seufzend stellte ich die Gitarre zur Seite und lehnte mich zurück.
Ich war unkonzentriert und meine Gedanken kreisten immer wieder um Nele. Aus irgendeinem Grund wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie am Samstag nicht zur Party erscheinen würde. Warum sollte sie auch?
»Verdammt, Nele«, sagte ich leise und fragte mich, was sie innerhalb dieser kurzen Zeit nur mit mir angestellt hatte.
** Nele **
Zwei Tage nach unserem letzten Streit hatte sich die Situation zwischen Devon und mir wieder etwas entspannt. Meine Gedanken, die gemeinsame Wohnung schnellstmöglich zu verlassen, waren verstummt. Devon verbrachte viele Stunden im Büro, weswegen unsere gemeinsame Zeit eher verhalten ausfiel. Ich war darüber nicht böse, denn im Umkehrschluss bedeutete das, dass er keine Zeit hatte, grundlos auszurasten und mir wieder zu nahe zu kommen.
Ich sank auf die Couch und winkelte meine Beine vor dem Körper an. Ginger brauchte mich in der Bibliothek für den Rest der Woche nicht und verdonnerte mich sozusagen zu einem Zwangsurlaub. Ich hasste die freie Zeit jetzt schon, weil ich nicht wusste, was ich hätte tun können. Nachdem ich aufgestanden war und gefrühstückt hatte, hatte ich die Wohnung in Ordnung gebracht und das Badezimmer geputzt. Das war aber auch schon alles, was meine Aufmerksamkeit erfordert hatte.
Und nun? Nun saß ich hier und zerbrach mir den Kopf über Devon und mich. Ich fragte mich, ob ich von Anfang an hätte merken müssen, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmte. Doch wie hätte ich das merken sollen? Als wir uns kennenlernten, war Devon zuvorkommend und rücksichtsvoll. Er hatte sich Gedanken um mich gemacht und mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Devon hatte mir den Halt gegeben, den ich brauchte. Das Gefühl von Familie und Liebe, das ich gesucht hatte.
Als ich fünfzehn Jahre alt gewesen war, starb mein Vater an Krebs. Er war meine Bezugsperson und hatte alles für mich getan. Bei ihm hatte ich mich sicher und geliebt gefühlt, ganz im Gegensatz zu meiner Mutter. Zu ihr hatte ich nie eine richtige Bindung aufbauen können. Sie war gefühlskalt, erzog mich und meinen Bruder streng. Je deutlicher mir wurde, dass meine Mutter nichts für uns übrig hatte, es aber liebte, über unser Leben zu bestimmen, desto mehr zog ich mich von meiner Familie zurück. Ich verbrachte die meiste Zeit bei Freundinnen und kam manchmal überhaupt nicht nach Hause. An den Wochenenden zogen wir durch die Clubs und ich versuchte, meine Probleme so zu überspielen. Nicht dass diese Situation mich glücklich gemacht hätte, doch sie verschaffte mir immerhin so viel Freiraum, dass ich mein eigenes Leben wieder in den Händen hielt.
Und dann lernte ich Devon vor beinahe vier Jahren in meinem Lieblingsclub kennen. Er hatte mich sofort fasziniert, und dass er zwölf Jahre älter war, störte mich dabei kein bisschen. Ich hatte ihn als Hoffnungsschimmer gesehen, als Chance, endlich wieder geliebt zu werden. Dass seine Liebe mich aber eines Tages zerstören würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
Plötzlich klingelte es an der Wohnungstür und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. Ich stand auf und ging in den Flur. Irritiert meldete ich mich an der Gegensprechanlage.
»Nele, ich bin es. Franzi.« Ich öffnete der Freundin meines Bruders die Tür und fragte mich, was sie hier wollte. Wir verstanden uns zwar gut, aber wir sahen uns nur selten allein, weswegen ich sie niemals als Freundin bezeichnet hätte.
Ich öffnete die Tür, als sie gerade aus dem Fahrstuhl stieg und mit einem Lächeln auf mich zukam.
»Hey«, sagte sie lächelnd und schloss mich in die Arme. Franziska sah wie immer umwerfend aus. Ihr langes, rotbraunes Haar trug sie offen und in schwungvollen Locken, ihre Augen strahlten und auf ihren vollen Lippen lag ein glückliches Lächeln. Ihr ging es gut und das zeigte sie nur zu gern. »Hast du Lust, einen Kaffee trinken zu gehen?«
»Ähm ... Devon müsste jeden Augenblick nach Hause kommen. Soll ich uns nicht lieber schnell einen Kaffee kochen und wir setzen uns ein bisschen auf den Balkon?« Ich wollte meinem Freund nicht schon wieder einen Grund liefern, durchzudrehen, nur weil er eine leere Wohnung vorfand.
»Ja, klar, das können wir auch machen«, sagte Franziska ohne Protest und folgte mir in die Küche, wo ich mit der Pad-Maschine schnell zwei Latte Macchiato zubereitete. Wir nahmen unseren Kaffee und setzten uns auf die Stühle auf dem Balkon.
»Gibt es einen Grund, warum du mich besuchst?«, fragte ich misstrauisch und löffelte den Milchschaum von meinem Latte Macchiato.
»Ja, gibt es. Eigentlich wollte dein Bruder selbst vorbei kommen, aber er hängt noch auf Arbeit fest. Er war gestern noch einmal bei Liam.« Die bloße Erwähnung seines Namens reichte aus, um mein Herz für einen kurzen Augenblick in Aufruhr zu bringen. Hatte Liam meinem Bruder möglicherweise etwas über die Nacht in der Bibliothek gesagt?
»Und?«, fragte ich leise.
»Nichts Besonderes, er hat uns alle zu seiner Proberaum-Party am Samstag eingeladen. Ich möchte eigentlich nur wissen, ob du und Devon mitkommen wollt.« Ein Lächeln huschte über Franziskas Lippen, während mir wahrscheinlich die Farbe aus dem Gesicht wich. Warum lud Liam uns zu dieser Party ein? Und hatte er gesagt, Devon solle mitkommen oder hatte mein Bruder das nur so verstanden?
Meine Hände wurden schweißnass und ich wusste mit ihnen nichts mehr anzufangen. Ich legte eine Hand auf mein Handgelenk und wurde mir der Ironie wieder einmal allzu deutlich bewusst. Liams Gitarre fiel mir ins Auge und ich dachte daran, wie er sie an dem Morgen in der Bibliothek berührt hatte. Was wohl geschehen wäre, wenn Ginger nicht in diesem Moment die Tür geöffnet hätte? Ich wagte es nicht, zu denken, weil mir wieder einmal bewusst wurde, was Devon mit mir angestellt hätte, hätte er davon erfahren.
»Also, Nele, was meinst du? Seid ihr dabei?«, erkundigte sich Franziska noch einmal.
»Sind wir wo dabei?«, fragte Devon plötzlich hinter uns und ich ließ ertappt die Hand von der Gitarre an meinem Gelenk sinken.
»Die Band, die bei Leons Geburtstag gespielt hat, schmeißt am Samstag eine Proberaum-Party. Ihr seid ebenfalls eingeladen. Wie sieht es aus, Devi-Boy, hast du Bock auf Heavy Metal, Bier und Chaos? Oder willst du lieber gemütlich einen Rotwein schlürfen?«, zog Franziska ihn auf. Er lachte. Hätte ich so mit ihm gesprochen, würde ich bereits bewusstlos in der nächsten Ecke liegen. Doch bei der Freundin meines Bruders lachte er einfach nur. Mir wurde speiübel. Ich betete dafür, dass er die Einladung für uns nicht annahm. Es ging mir bei dem Gedanken, dass Liam und Devon aufeinandertreffen würden, überhaupt nicht gut. Diese Situation schrie förmlich nach Problemen und Stress. Was würde geschehen, wenn Devon erfuhr, dass ich bei der Party meines Bruders gewesen war?
»Was meinst du?«, fragte Devon und sah mir durchdringend in die Augen. Sein Blick war herausfordernd, als würde er nur darauf warten, dass ich etwas Falsches sagte.
»Also Nele fand die Band bei Leons Party richtig gut. Du standest doch auch vorn an der Bühne, oder?«, platzte es Franzi heraus. Meine Welt begann sich zu drehen und brennende Magensäure kroch meine Kehle hinauf.
»Na wenn das so ist, dann kommen wir natürlich gern mit.« Während Devon das sagt, schaute er mich direkt an. Mir gefror das Blut in den Adern. Seine stahlblauen Augen waren erbarmungslos und eiskalt. Dass er mich mal wieder dabei ertappt hatte, wie ich ihn belog, musste ihm eine Genugtuung verschaffen.
»Super!«, rief Franziska aus und leerte ihr Glas. Dann sprang sie auf und verabschiedete sich erst bei mir mit einer Umarmung und dann bei Devon. »Wir holen euch am Samstag um neunzehn Uhr ab. Macht euch noch einen schönen Abend.« Franzi verschwand im Inneren und schließlich aus der Wohnung.
Am liebsten hätte ich sie aufgehalten, sie angefleht, zu bleiben. Devons Blick ruhte nach wie vor auf mir und ich wusste, dass ich mich vor ihm schnellstmöglich klein machen musste, wenn ich nicht wieder blaue Flecken davon tragen wollte. Ich stand auf und stellte mich vor ihn.
»Devon, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht anlügen. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht zu der Party gehen, aber als Leon mir noch einmal geschrieben hat, da ...«
»Da dachtest du: Ach, was soll´s. Mein Freund ist sowieso nicht da und bekommt ohnehin nicht mit, was ich treibe?«, fauchte Devon.
»Nein, ich ... ich war nicht lange dort. Nach dem Konzert der Band bin ich wieder nach Hause gegangen. Ich wollte meinem Bruder nur zum Geburtstag gratulieren. Bitte, ich wollte dich nicht anlügen.«
»Und trotzdem hast du es getan. Du widerst mich an.« Devon wandte sich von mir ab und ging zurück in die Wohnung. Ich sank zurück auf den Stuhl und blickte stumm auf meine Hände, die leicht zitterten. Die Angst vor Samstag wurde immer größer. Diese Party würde mich ins Verderben stürzen, das wusste ich von Anfang an ... und ich konnte rein gar nichts dagegen tun.