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Mütterliche Hysterie

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Gestärkt machte sich Nelia auf den Weg zur Boutique von Renés Mutter, um sich zu bedanken und das Outfit zu bezahlen. Laut dem Internet brauchte sie zu Fuß knapp zehn Minuten. Nelia prägte sich den Weg einen Moment lang ein, wusste aber, dass sie spätestens nach den ersten hundert Metern wieder auf ihr Handy sehen musste, um sich nicht zu verlaufen.

Von der Rue Paul Albert aus lief Nelia in Richtung Süden, über den Place Saint-Pierre bis zur Rue Yvonne le Tac, in welcher die Boutique Beau moi lag.

Einen Moment blieb sie auf der anderen Straßenseite stehen und ließ das bunte Pariser Getümmel auf sich wirken. Nelia verschränkte die Arme hinter dem Rücken, lehnte sich an die kühle Hausfassade und schloss die Augen. Sie lauschte der melodischen Sprache der vorbeigehenden Passanten. Vergessen waren die ganzen Unannehmlichkeiten des letzten Tages. Vor ihr lag ein Abenteuer und sie wollte es in vollen Zügen genießen.

Plötzlich legte sich ein Schatten über ihr Gesicht und eine vertraute Stimme drang zu ihr durch. »Verfolgst du mich?«

Nelia riss die Augen auf und blickte in Renés grinsendes Gesicht. Er hatte sich neben sie an die Wand gelehnt und fixierte sie mit seinen grauen Augen.

»Nein, ich wollte zu deiner Mutter, um die Kleidung zu bezahlen. Wie viel bekommst du für die anderen Sachen?«

»Ich will kein Geld von dir Nelia. Und maman habe ich bereits bezahlt.«

»Das kann ich nicht annehmen. Wir kennen uns kaum und nur, weil du im Bus neben mir gesessen hast, musst du nicht hunderte von Euros für mich ausgeben. Ich habe vielleicht sonst nichts mehr, aber Geld habe ich.«

Nelia merkte viel zu spät, wie schnippisch ihre Antwort klang, und es tat ihr sofort leid.

»Entschuldige, du wolltest mir nur einen Gefallen tun.«

»Schon in Ordnung.«

Nelia seufzte und stieß sich von der Wand ab.

»Ich bin es nicht gewohnt, dass man mir so selbstlos hilft.«

»Vielleicht helfe ich dir ja nicht ganz uneigennützig.«

René grinste und Nelia verdrehte die Augen. Sie konnte sich schon denken, worauf ihre Busbekanntschaft anspielte.

»Wie dem auch sei. Ich würde jetzt trotzdem gern in die Boutique deiner Mutter gehen und mir noch ein paar Sachen kaufen. Mit einem Outfit komme ich schließlich nicht sehr weit.«

»Schade, dass ich einen Termin habe.«

»Sehr schade«, scherzte Nelia ironisch und zwinkerte.

»Aber Paris ist nicht so groß, wir werden uns wiedersehen.«

Ein freches Lächeln zog über Renés Gesichtszüge und er betrachtete Nelia genau. Sie ließ sich nichts anmerken und hob stattdessen leicht die Schultern.

»Möglicherweise«, schmunzelte sie, stellte sich auf Zehenspitzen und küsste René auf die Wange. »A bientôt. Bis bald.«

Nelia überquerte die Straße und betrat die Boutique von Renés Mutter. Sie sah sich um und mochte den schlichten, aber stilvoll eingerichteten Laden sofort. Kleiderstange für Kleiderstange nahm sie unter die Lupe und wurde schnell fündig. Sie warf sich ein weißes Spitzentop und schwarze Hotpants über den Arm, einen dünnen blau-weiß gestreiften Pullover, ein dunkelblau gemustertes Kleid im Boho-Stil und einen schwarzen, kurzen Faltenrock.

»Mein Sohn hat mir tatsächlich die richtige Größe gesagt. Ich hätte ihn doch überreden sollen, für mich zu arbeiten.«

Nelia schenkte der blonden Frau, die Renés Mutter sein musste, ein Lächeln.

»Die Sachen sind wunderschön. Vielen Dank dafür. Sagen Sie mir bitte, was Sie für alles bekommen?«

»Nichts. René würde mir die Hölle heißmachen.«

Claudine Garette hob entschuldigend die Schultern. Auf keinen Fall würde sie der jungen Frau, die sie auf Anfang Zwanzig schätzte, Geld für die Sachen abnehmen. Ihr Sohn hatte grob angedeutet, was ihr passiert war – die Strapazen hatte sie sich nicht einmal mit dem Make-up aus dem Gesicht schminken können. Claudine gehörte ohnehin zu den Menschen, die anderen lieber halfen, als ihre Notsituationen auszunutzen.

»Aber diese Sachen werde ich kaufen und selbst bezahlen – also wenn sie mir passen. Keine Widerrede!«, sagte Nelia energisch und entlockte Claudine ein herzliches Lachen.

Langsam verstand sie den schwärmerischen Ausdruck, den die Augen ihres Sohnes angenommen hatten, als er ihr von der Begegnung mit der hübschen Brünetten erzählt hatte. Sie war für ihr Alter sehr schlagfertig und machte einen viel erwachseneren Eindruck, aber trotzdem sah die besorgte Mutter ein Problem dabei. Ihr Sohn hatte so viel durchmachen müssen, er hatte Verantwortung in seinem Leben zu tragen. Sich jetzt auf eine lockere Liebelei einzulassen, konnte fatale Folgen für ihn haben.

»Die Umkleiden sind neben der Kasse.«

»Merci«, erwiderte Nelia lächelnd.

Eine halbe Stunde später hatte Nelia nicht nur die ausgesuchten Sachen, sondern auch zwei Paar neue Schuhe und ein paar Accessoires gekauft. Sie war ein paar hundert Euro leichter, doch das fühlte sich besser an, als ständig auf Almosen angewiesen zu sein.

Gemütlich lief Nelia zurück zum Vive la France, wo sie einen Kaffee trinken und sich anschließend etwas ausruhen wollte.

Die Nacht im Bus steckte ihr in den Knochen und bislang hielt sie nur die Aufregung über diese neue Umgebung aufrecht. Langsam merkte Nelia, wie müde sie war und wie dringend sie ein paar Stunden Schlaf in einem bequemen Bett brauchte.

Als sie Florences kleine Bäckerei erreichte, war diese wieder gnadenlos überfüllt. Doch Nelia hatte Glück und konnte einen der beliebten Plätze vor dem Laden ergattern. Ihr kleiner Tisch stand direkt in der Sonne und sie hatte die beste Aussicht auf die nur wenige Meter entfernte Sacré-Cæur.

»Nelia, da bist du ja schon wieder. Was möchtest du haben?«

Florence schenkte ihr ein Lächeln.

»Un Café au Lait, s'il te plaît.«

»Bien sûr.«

Zum ersten Mal seit Stunden zog Nelia ihr Handy aus der Handtasche und warf einen Blick darauf, während sie auf ihren Milchkaffee wartete.

Als sie sah, dass ihre Mutter bereits zehn Mal versucht hatte, sie zu erreichen, wusste Nelia, dass sie sich gleich, wenn sie zurückrief, etwas anhören durfte. Sie wählte die Nummer ihrer Mutter und der Freizeichenton erklang. Wenige Sekunden später wurde ihr Anruf entgegengenommen.

»Nelia, kannst du mir sagen, wo zum Teufel du bist? Ich habe im Fernsehen gesehen, was passiert ist. Warum hast du nicht angerufen? Dein Vater und ich haben uns Sorgen gemacht! Bist du bei Maximilian?«

Die Worte ihrer Mutter prasselten nur so auf sie ein, sodass Nelia für einen kurzen Augenblick das Telefon von ihrem Ohr nehmen musste.

»Hallo Mama, schön, dass du dich doch für mich interessierst. Ich bin in Paris. Angerufen habe ich nicht, weil das ohnehin nicht in euren Tagesplan gepasst hätte. So wie mein ganzes Leben nicht in euren Plan passt. Nein, ich bin nicht bei Maximilian. Der vögelt wahrscheinlich gerade der nächsten Blondine das Hirn aus dem Kopf. Und übrigens, ich habe den euch so verhassten Job bei Berlin Trends verloren, dafür aber eine Sonderzahlung von siebentausend Euro eingestrichen. Bist du jetzt stolz auf mich?«

Das hätte Nelia in diesem Moment am liebsten geantwortet. Stattdessen atmete sie tief durch und versuchte, ruhig zu bleiben.

»Hallo Mama.«

»Nun sprich schon, Kind. Geht es dir gut?«

»Ja, ich war nicht zu Hause, als es passiert ist.«

»Ein Glück. Weißt du schon, wie es weitergeht und wie hoch der Schaden ist? Kannst du eine Weile bei Maximilian bleiben? Wenn du Geld brauchst, sag Bescheid, wir überweisen es dir sofort.«

»Nein, Mama, ich brauche kein Geld. Und Maximilian und ich haben uns getrennt.«

»Bitte was?«

»Er hat mich betrogen. Ich will nicht darüber reden.«

Am anderen Ende der Leitung wurde es einen Moment still. Heike Winter dachte darüber nach, ob sie sich verhört hatte oder ob ihre Tochter sich mal wieder einen schlechten Scherz mit ihr erlaubte. Es war absolut indiskutabel, dass Nelia die Beziehung zu Maximilian beendete.

»Doch, wir werden jetzt darüber sprechen. Was soll das bedeuten, er hat dich betrogen?«

»Ist das dein Ernst, Mama? Was gibt es daran nicht zu verstehen?«

Nun wurde Nelia doch ungehalten. Sie wusste genau, dass ihre Mutter sich keine Sorgen darum machte, dass das Herz ihrer Tochter gebrochen worden war. Sondern nur darum, dass sie den angeblich perfekten Schwiegersohn in die Wüste geschickt hatte.

»Nachdem meine Wohnung gestern unglücklicherweise in die Luft geflogen ist, habe ich gehofft, dass ich bei Maximilian bleiben kann. Leider hatte er mehr Interesse an so einer lebenden Barbie, als an mir.«

»Ihr könnt doch sicher darüber sprechen?«

»Nein, das können wir nicht, weil ich kein Interesse daran habe.«

»Aber wo bist du denn jetzt, Nelia? Sag mir nicht, dass du in einer stinkenden Turnhalle schläfst, wie sie sie im Fernsehen gezeigt haben?«

»Ich bin in Paris.«

Wieder kehrte Stille ein.

»Du bist bitte wo?«

»In Paris.«

»Woher hast du Geld, um nach Paris zu fahren?«

Nelia verdrehte die Augen. Sie hatte es immer abgelehnt, Geld von ihren Eltern anzunehmen. Der Job bei Berlin Trends war nie sehr gut bezahlt gewesen. Das Geld, das sie verdient hatte, reichte gerade so aus. Natürlich wusste ihre Mutter das.

»Stella hat mir gekündigt und siebentausend Euro dafür gezahlt, dass ich am nächsten Tag nicht wiederkomme. Du siehst also, Mama, gestern war der beste Tag meines Lebens. Job weg - Wohnung weg – Freund weg. Dafür ein fettes Plus von siebentausend Euro auf dem Konto.«

»Und anstatt zu uns zu kommen, fährst du nach Paris?«

Unverständnis schwang in Heikes Stimme mit. Sie fragte sich, ob ihre Tochter noch bei Sinnen war. Nelia war nie der spontane Typ gewesen. Als Heike und Gerd an die Ostsee gezogen waren, hatten sie Nelia, die damals im letzten Schuljahr war, vor die Wahl gestellt, sie zu begleiten, oder allein in Berlin zu bleiben. Nelia war damals gerade achtzehn Jahre alt geworden und wollte keine Veränderung. Sie blieb lieber in der Hauptstadt.

Was um alles in der Welt war also plötzlich passiert, dass sie nach Paris verschwand?

»Ich brauche Zeit für mich und außerdem musste ich unbedingt verhindern, dass ihr mir einen Job in der Bank besorgt«, antwortete Nelia ehrlich und ihre Mutter atmete so laut aus, dass es auch die Menschen am Eiffelturm gehört hatten.

»In Ordnung, Nelia«, resignierte Heike, die wusste, dass ihre Tochter sich sowieso nicht reinreden lassen würde. Vielleicht war es wichtig, dass sie diese Erfahrung machte. Und wenigstens lebte sie nicht unter einer Brücke, sondern in der Stadt, von der sie schon als kleines Mädchen geträumt hatte.

»Aber bitte, wenn du Geld brauchst, sag Bescheid. Ich weiß, dass du immer alles allein schaffen willst, aber das ist eine Notsituation.«

»Danke, Mama.«

»Meld dich bald wieder und ... und erfüll dir deine Träume.«

Nelia verlor für einen kurzen Moment ihre Abwehrhaltung gegenüber ihrer Mutter. Auch wenn Heike das nicht sehen konnte, sie spürte es.

»Das werde ich«, hauchte Nelia und beendete das Telefonat.

Kaum dass sie ihr Handy neben sich auf den Tisch gelegt hatte, brachte Florence ihr den Milchkaffee.

»Lass mich raten ... deine Mutter?«, grinste sie und Nelia nickte.

»War das so offensichtlich?«

»Oh ja. Erzähl mir heute Abend, was sie so Schlimmes verbrochen hat.«

Florence ging zurück ins Café und Nelia lehnte sich nach hinten. Sie schloss kurz die Augen und genoss die warme Sonne.

Zum ersten Mal seit Langem gab Nelia ihrer Mutter recht. Sie musste sich ein paar Träume erfüllen und gleich morgen würde sie damit beginnen.

***

Nelia verschlief den halben Tag und wurde erst durch das Klingeln ihres Handyweckers wach. Als sie einen Blick auf die Uhrzeit warf, blieb ihr noch eine Stunde, bevor sie sich mit Florence auf den Weg zu einer kleinen Cocktailbar machen wollte.

Sie stand auf und zog sich in das kleine Badezimmer zurück, wo sie sich eine lange, ausgiebige Dusche gönnte. Anschließend schlüpfte sie in ihr neues Kleid, trocknete ihre Haare und glättete sie. Nelia legte nur ein dezentes Make-up auf, sprühte etwas Parfüm an ihren Hals und in ihre Haare und dachte sofort an René. Irgendetwas hatte er an sich. Dennoch erinnerte sie sich wieder einmal daran, dass sie nicht nach Paris gekommen war, um sich auf den erstbesten Typen einzulassen.

Sie war hier, weil sie wieder zu sich selbst finden wollte, und nicht, um sich zu verlieben.

Gegen neunzehn Uhr verließ Nelia das Pensionszimmer und ging nach unten. Florence stand schon vor ihrer kleinen Bäckerei und wartete auf sie. Sie hatte sich in Schale geschmissen und trug ein luftiges, gelbes Sommerkleid und schwarze High Heels. Ihr Make-up betonte vor allem ihre leuchtend blauen Augen.

»Du siehst toll aus«, begrüßte Nelia sie und lächelte.

»Du aber auch. Hast du das Kleid bei Claudine im Beau moi gekauft?«

»Ja, sie hat wunderschöne Sachen.«

Von der Rue Paul Albert machten die beiden jungen Frauen gemeinsam auf den Weg in Richtung Süden.

»Du wirst die Cocktails im FleurNuit lieben. Es sind die Besten der ganzen Stadt.« Florence schenkte Nelia ein Lächeln.

»Ich bin bei Cocktails nicht wählerisch. Hauptsache sie schmecken süß und lassen mich meine Probleme vergessen.«

»Ich bewundere, wie gefasst du bist. Wenn mir das alles passiert wäre, hätte ich wahrscheinlich einen Nervenzusammenbruch erlitten.«

Sie bogen in die Rue Yvonne le Tac ein.

»Den habe ich nur nicht erlitten, weil meine Mutter mich so erzogen hat, dass es nie – egal in welcher Situation – eine Option ist, aufzugeben.«

»Deine Mutter klingt nach einer sehr starken Frau.«

»Das ist sie und dennoch treibt sie mich oft zur Weißglut.«

»Welche Mutter hat dieses Talent nicht?« Florence lachte herzlich.

»Das stimmt, aber dennoch. Meine Mutter hat nie verstanden, dass ich von Anfang an ausgeschlossen habe, in der Bank zu arbeiten. Ich war immer zu freiheitsliebend, zu kreativ. Bei meinen Eltern muss alles durchgeplant und durchdacht sein.«

»Ich kann mir vorstellen, dass das schwer war.«

»Ja, deswegen bin ich in Berlin geblieben, als sie die Leitung einer Bank in Rostock angeboten bekamen. Es war befreiend, sich nicht mehr ständig rechtfertigen zu müssen.«

»Meine Eltern waren in dem Punkt immer locker. Sie haben mich in allem unterstützt, haben mich Fehler machen lassen. Aber sie haben mir auch geholfen, wenn ich sie gebraucht habe. So sind sie noch heute. Solange es mir gut geht, sind sie glücklich.«

Nach knappen zehn Minuten zu Fuß erreichten die beiden Frauen das FleurNuit in der Rue Durantin. Sie suchten sich einen Platz vor der Cocktailbar und setzten sich. Sofort kam ein Kellner und nahm ihre Bestellungen auf – zwei Cosmopolitan.

»Erzählst du mir jetzt endlich, wie du René eigentlich kennengelernt hast«, drängelte Flo, nachdem sie ihre Cocktails bekommen und angestoßen hatten.

»Eigentlich gibt es nicht so viel zu erzählen. Ich bin in den Fernbus gestiegen, bin eingeschlafen und als ich wach geworden bin, saß er neben mir. Das ist sicher nicht der Liebesfilm-Moment, von dem du hören wolltest.«

»Wenn du René länger kennen würdest, wüsstest du, dass es genau das ist.«

Florence grinste Nelia an und nippte zufrieden an ihrem Cocktail.

»Bist du in Paris geboren?«, wollte Nelia wissen, um schnell von dem Thema abzulenken.

»Nein, ich bin in Brest, in der Bretagne, geboren. Meine Eltern leben noch immer dort, sie haben ein kleines Hotel.«

»Und was hat dich in die Stadt der Liebe verschlagen?«

»Auch die Familie.«

Nelia entging der traurige Funken in Florences Augen nicht, dennoch war sie verunsichert, ob sie nachfragen sollte. Sie tat es nicht.

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