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Nelias Neuanfang

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Leise gähnend und mit einem Notizbuch bewaffnet, das sie in ihrer Handtasche gehabt hatte, lief Nelia am nächsten Morgen die Treppenstufen der Pension nach unten. Das Vive la France war so gut besucht wie immer, doch Florence hatte für ihre neue Freundin extra einen Tisch in der Sonne reserviert.

»Salut, Nelia.« Flo begrüßte sie mit einem Küsschen links und einem rechts. »Das gleiche Frühstück wie gestern?«

»Oui, merci.«

Nelia nahm in der Sonne Platz, legte ihr Notizbuch und den Kugelschreiber ab und atmete tief durch. Die Morgenluft war leicht frisch und vermischte sich mit dem Geruch von Florences Croissants. Sie liebte diesen herrlich süßen Duft, den der sanfte Wind ihr um die Nase wehte. Genau so hatte sie sich einen Morgen in Paris immer vorgestellt.

Mit einem Lächeln auf den Lippen schlug Nelia ihr Buch auf und blickte einen Moment auf die leere Seite. Sie wusste nicht, worüber sie schreiben sollte, ihr war nur klar, dass sie es tun musste. Wenn sie ihren Traum jetzt aufgab, nur weil niemand ihre Kolumne hatte lesen wollen, würde sie ihn für immer begraben. Das konnte sie auf keinen Fall zulassen. Nelia musste wieder zu sich selbst finden und nicht versuchen einer Vorgabe nachzueifern, der sie nicht entsprach. Sie musste ihre eigenen Themen und ihren Stil finden und durfte sich nicht vorschreiben lassen, womit sie sich zu beschäftigen hatte. Erst wenn sie an diesen Punkt kam und auch schriftstellerisch zu sich selbst fand, würden die Leute ihre Arbeit so zu schätzen wissen, wie sie es sich wünschte.

Kennt ihr diese Tage, an denen alles schiefgeht? Ich wusste schon, dass Freitag nicht mein Tag werden würde, noch bevor ich erfuhr, dass es sich um einen Freitag, den 13. handelte.

Wie schlimm kann es schon werden?

Das habe ich gedacht. Wie sich herausstellte, war das ein ziemlich naiver Gedanke, denn die Antwort lautete: Es geht immer noch schlimmer!

Nelia sah von ihrem Notizbuch auf und ärgerte sich, dass ihr Laptop die Gasexplosion neben so vielen anderen Sachen nicht überlebt hatte. Auf ihm war alles gewesen, was wichtig war. Ihre bisherigen Artikel, angefangene Romane, die sie sich nie traute zu beenden, aber auch kleine Kurzgeschichten, die sie manchmal bei Wettbewerben eingereicht hatte.

Was Sicherheitskopien anging, war Nelia nicht die Konsequenteste. Sie wusste zwar, dass es dumm war, ihre Dateien nicht doppelt und dreifach zu sichern, aber normalerweise ließ sie ihr Heiligtum auch nicht aus den Augen.

»Was schreibst du?«, fragte Florence, als sie Nelias Frühstück brachte.

»Ach, nur ein paar Gedanken.« Nelia legte das Notizbuch zur Seite und machte sich sofort über das frische Croissant her. Florence setzte sich zu ihr und nahm das Notizbuch mit einem frechen Grinsen.

»Privatsphäre ist nicht so euer Ding in Frankreich, oder?«, fragte Nelia lachend und die junge Französin schüttelte den Kopf.

»Hab ich nie von gehört. Kann man das essen?«

Nelia verdrehte die Augen und Flo legte das kleine Buch zurück.

»Ich verstehe nicht ein einziges deutsches Wort«, gestand sie. »Was hast du beruflich gemacht?«

»Ich habe für ein Lifestyle-Magazin geschrieben, meine Kolumne war leider nicht sehr beliebt. Deswegen habe ich den Job verloren.«

»Je suis désolée. Das tut mir leid.«

»Es ist nicht deine Schuld. Ich ... ich denke, dadurch, dass ich versucht habe, mich nach irgendwelchen Vorgaben zu richten, habe ich nie meinen eigene Stil gefunden. Das haben die Leute gemerkt und deswegen ist der Funke wahrscheinlich nicht übergesprungen.«

»Es ist wie mit allem. Man merkt, wenn jemand nicht zu einhundert Prozent hinter einer Sache steht.«

»Die Erfahrung habe ich gemacht«, seufzte Nelia und schluckte die Enttäuschung über ihren Misserfolg herunter.

»Aber davon darfst du dich jetzt nicht verunsichern lassen. Du hast die Chance neu anzufangen und es wird sich lohnen, vertrau mir.«

Nelia nickte und Florence stand auf.

»Hast du zufällig einen Laptop hier, Flo? Meiner war in der Wohnung, als sie in die Luft geflogen ist.«

»Oui, ich habe zwei im Büro. Ich bediene eben die Kundschaft und bringe dir gleich einen.«

»Merci

Nelia hatte ihr Frühstück gerade beendet, als Florence ihr einen kleinen, schwarzen Laptop brachte.

»Er ist nicht mehr der Schnellste, aber wenn du möchtest, kannst du ihn erst einmal behalten«, bot Florence an und tauschte die Technik gegen das schmutzige Geschirr.

»Das ist lieb von dir, danke. Aber ich werde mich in den nächsten Tagen nach einem neuen Schätzchen umsehen. Für irgendetwas muss die Abfindung, die ich vom Magazin bekommen habe, ja gut sein.«

»Investitionen in die Zukunft sind immer gut.« Flo zwinkerte ihr zu und verschwand im Inneren des Cafés.

Nelia fuhr den Laptop hoch, der nicht durch ein Passwort geschützt wurde, und öffnete das Schreibprogramm. Sie schrieb die wenigen Zeilen aus ihrem Notizbuch ab und ergänzte ihren Text.

An diesem Tag verlor ich nicht nur meinen Job und damit die Kolumne »Nelias Welt«, sondern auch meine Wohnung, die bei einer Gasexplosion zerstört worden war, und meinen Freund, der mich mit einer lebendigen Barbie betrogen hat.

Das hat mich dazu gebracht, mein gesamtes bisheriges Leben zu überdenken. Ist es Schicksal, dass mir all das an einem Freitag, den 13. geschehen ist? Oder waren es nur Zufälle?

Ich habe für mich selbst entschieden, dass es besser ist, es nicht infrage zu stellen und etwas Unerwartetes zu tun.

Warum ich mich ausgerechnet in einen Fernbus gesetzt habe und nach Paris gefahren bin, weiß ich nicht. Aber ich kann schon nach zwei Tagen sagen, dass es die beste Entscheidung meines Lebens war.

Manchmal muss man etwas riskieren und mutig sein. Man darf nicht an das denken, was sein könnte, sondern sollte es einfach machen.

Ich habe nie zu den Menschen gehört, die sich selbst mit dem Wort spontan beschrieben hätten. Aber diese neue Seite an mir gefällt mir.

Mit einem Lächeln auf den Lippen ließ Nelia die Hände von der Tastatur sinken und meldete sich kurz darauf bei Facebook an. Aus einem Impuls heraus, wollte sie ihren Text mit der Welt teilen, auch wenn sie sich keine Reaktionen erhoffte.

Sie musste endlich einen Schlussstrich unter Nelias Welt ziehen und sich Gedanken um die Zukunft machen. Doch wie konnte sie das tun, wenn sie nicht wusste, wo es für sie hingehen sollte?

Einige Sekunden lang starrte Nelia auf den Text, den sie gepostet hatte, und dachte darüber nach, ihn wieder zu löschen.

Plötzlich kam es ihr albern vor und sie fragte sich, ob ihr Geschreibsel überhaupt jemanden interessierte. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie das soziale Netzwerk nur für ihre Kolumne genutzt hatte. Sie hatte nie private oder persönliche Dinge geteilt, sondern immer nur Werbung für ihre Texte gemacht. Vielleicht war genau das der Fehler gewesen.

Nelia wollte den Laptop gerade zuklappen, als ein leises Ping sie davon abhielt. Jemand hatte ihren Beitrag kommentiert. Sie klickte den Kommentar an und überflog die Zeilen einer ihrer wenigen Fans.

Silke

Ich glaube, jeder kennt diese Tage. Umso bewundernswerter finde ich es, dass du dich dennoch nicht unterkriegen lässt. Spontane Entscheidungen sind immer die besten. Viel Freude in Paris.

Zwei weitere Kommentare und fünf Gefällt-mir-Angaben erschienen plötzlich unter ihrem bildlosen Text.

Linde

Liebe Nelia, manchmal ist ein Neuanfang besser, als auf Vergangenes zu blicken. Auch wenn ich die Kolumne mochte, freue ich mich, in Zukunft von deinen Erlebnissen in Paris zu lesen.

Michi

Paris ist eine traumhafte Stadt. Ich war letztes Jahr selbst dort und wünsche dir schöne Erlebnisse.

Was dir passiert ist, tut mir leid, aber ich finde es bemerkenswert, dass du nicht den Mut verlierst.

»Will ich wissen, warum du wie ein verstrahltes Häschen in den Laptop grinst?«

Erschrocken sah Nelia auf und blickte in Renés graue Augen, die sie wieder einmal völlig aus dem Konzept brachten.

»Ich weiß nicht, willst du?«, fragte sie mit einem kecken Lächeln und er hob die Schultern leicht nach oben. »Ich habe einen kleinen Text bei Facebook veröffentlicht und bin glücklich über die Reaktionen. Es reagieren schon jetzt mehr Leute auf die paar Zeilen als in all der Zeit auf meine Kolumne.«

Nelia aktualisierte die Seite und wieder waren drei neue Kommentare unter ihrem Beitrag aufgetaucht.

Angelina

Was dir passiert ist, klingt furchtbar, aber deine Stärke ist bemerkenswert. Ich wünschte, ich wäre so mutig wie du, alles stehen und liegen zu lassen.

Sabrina

Ich hätte diesen Tag nicht so leicht weggesteckt wie du. Habe eine schöne Zeit in der Stadt der Liebe und lass uns wissen, was du alles erlebst.

Jassy

Ich bewundere dich für deinen Mut. Genieße die Zeit in Paris.

Nelia las René die Kommentare mit einem Lächeln vor, anschließend schloss sie alle Programme und fuhr den Laptop herunter. Sie legte ihre Hände darauf und sah René an.

»Was machst du hier?«, fragte sie und betrachtete ihn forschend.

»Ich wollte kontrollieren, ob du deine Zeit in Paris richtig verbringst. Aber es ist, wie ich es mir schon dachte. Du sitzt hier, tippst irgendwas in den Computer und verpasst das Leben.«

René lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. In diesem Moment kam Florence nach draußen, um ein älteres Ehepaar abzukassieren. Als sie René bei Nelia entdeckte, begrüßte sie ihn mit Küsschen auf die Wange und blieb kurz neben ihm stehen.

»Stalkst du meine Gäste?«, scherzte Flo und René schüttelte den Kopf.

»Nein, ich wollte erfahren, ob Nelia sich die Stadt schon angesehen hat.«

»Eine kleine Führung würde ihr nicht schaden.« Flo grinste.

»Das dachte ich mir«, erwiderte René mit einem Lachen. »Dann werde ich sie jetzt entführen.«

»Sehr gute Idee.«

»Excusez-moi! Ich sitze neben euch, falls ihr das vergessen habt.«

Florence und René lachten und Nelia verdrehte gespielt genervt die Augen. Irgendwann würde auch sie das Verhalten der Franzosen verstehen, dessen war sie sich sicher.

»Vite! Trink deinen Kaffee aus, wir haben viel vor.« Ein freches Grinsen huschte über Renés Gesichtszüge und Nelia legte den Kopf leicht schief.

»Unter Stress kann ich nicht arbeiten«, scherzte sie und leerte die Tasse, bevor sie ihre Sachen in ihre Tasche steckte und aufstand. »Danke für den Laptop, Flo.«

»De rien! Gern geschehen.« Florence stellte Nelias leere Kaffeetasse auf das Tablett. »Passez un bon momente, le deux. Viel Spaß!«

»Merci«, antworteten René und Nelia zur gleichen Zeit und tauschten ein Lächeln. Es sollte überspielen wie nervös sie war, den Tag mit René zu verbringen.

Aber was sollte schon Schlimmes passieren, außer dass sie sich amüsierten?

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