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Pariser Leichtigkeit

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Zu Fuß liefen Nelia und René die Rue Paul Albert entlang in Richtung Place Saint-Pierre. Nelia blieb stehen und blickte auf die von der Sonne angestrahlte Sacré-Cæur. Sie war das Herzstück von Montmartre und für Nelia sogar ein bisschen beeindruckender als der Eiffelturm.

»Lass mich raten«, flüsterte sie, »wir besichtigen nicht die Sacré-Cæur, obwohl wir sie direkt vor der Nase haben. Sondern wir fahren zum Eiffelturm?«

»Ich dachte, wir arbeiten erst die Touristenattraktionen ab, bevor ich dir die Geheimtipps zeige.« René zwinkerte ihr zu und sie setzten ihren Weg zur Metro-Station Anvers fort.

Nachdem sie zwei Mal umgestiegen waren, erreichten sie die Haltestelle Bir-Hakheim auf dem Boulevard de Grenelle. René führte Nelia durch die Straßen von Paris. Je näher sie dem Wahrzeichen der Stadt kamen, desto schneller schlug Nelias Herz. Erst jetzt schien ihr bewusst zu werden, dass sie wirklich in der Stadt der Liebe war und dass es sich nicht nur um einen Traum gehandelt hatte.

Ehrfürchtig blieb Nelia auf der Avenue Gustav Eiffel stehen und sah nach oben. Mit einem Mal fühlte sie sich klein und bedeutungslos.

»Ich habe nicht erwartet, dass er so einschüchternd ist«, flüsterte sie und richtete den Blick auf ihren Begleiter. René suchte ihre grünen Augen und stimmte ihr mit einem Nicken zu.

»Ich war schon so oft hier, aber es ist jedes Mal wieder etwas Besonderes. Möchtest du hinauf?«

Nelia betrachtete die Besucherschlangen, die sich bereits so früh vor den Eingängen gebildet hatten, und dachte kurz darüber nach, wieder umzudrehen und sich etwas anderes anzusehen. Ihre Höhenangst war dabei weit ausschlaggebender, als die Vorstellung mindestens zwei Stunden an einem Fleck zu stehen und zu warten. Doch sie war nicht nach Paris gekommen, um einen Rückzieher zu machen. Sie war hier, um ihr altes Leben hinter sich zu lassen und etwas Neues zu erleben.

»Ja, das will ich«, antwortete sie schnell, bevor sie es sich anders überlegen konnte. »Aber ich warne dich vor. Ich habe Höhenangst und brülle möglicherweise alles zusammen, wenn ich erst einmal oben bin.«

René legte einen Arm um ihre Schulter und führte sie zu einem der Eingänge. Sie stellten sich hinter den Touristen aus aller Welt an und René beugte sich leicht zu Nelia.

»Ich werde auf dich aufpassen«, flüsterte er dicht an ihrem Ohr und eine Gänsehaut überzog ihren Körper. »Dir kann nichts passieren.«

Nelia kniff die Lippen fest aufeinander und ließ sich nicht anmerken, wie seine Nähe sie aus dem Konzept brachte. Es war unklug, sich nach so kurzer Zeit wieder auf einen Mann einzulassen, nachdem Maximilian sie so hintergangen hatte. Außerdem kannte sie René kaum, auch wenn sie ihn in den letzten drei Tagen so oft gesehen hatte, wie Max im ganzen letzten Monat nicht.

Während René die Stellung in der Reihe hielt, entfernte Nelia sich ein paar Meter, um ein paar Handyfotos zu schießen. Sie fotografierte nicht nur das Wahrzeichen aus verschiedenen Perspektiven, sondern setzte sich selbst ebenfalls in Szene.

Auch wenn sie wusste, dass diese Bilder gut auf Facebook oder Instagram ankommen würde, machte sie sie nicht deswegen. Nelia wollte Erinnerungen an ihr kleines Abenteuer haben, die sie in vielen Jahren ihren Kindern und Enkelkinder zeigen konnte, mit der Botschaft: »Seht ihr, Kinder, wenn das Leben euch einen Streich spielt, gebt nicht auf. Packt eure Sachen und fahrt an den Ort, von dem ihr schon immer geträumt habt.«

Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen ging Nelia zurück zu René, stellte sich vor ihn und brachte sie beide in den Fokus der Kamera.

»Bitte, lächeln!«, rief Nelia fröhlich und René folgte ihrer Anweisung. Seine Arme glitten über ihren Bauch und Nelia hielt die Luft an, während sie versuchte, ihr Lächeln nicht zu verlieren.

Sie drückte den Auslöser und erhielt ein perfektes Selfie von René und sich. Schnell löste sie sich von ihm und sah verlegen zur Seite. Es war so offensichtlich, dass er ihr näherkommen wollte, und es schmeichelte ihr. Dennoch hinterließ es auch ein schmerzliches Stechen.

»Was hast du mit den Bildern vor?«, erkundigte sich René, als sie in den Fahrstuhl stiegen, der sie auf die Aussichtsplattform bringen sollte.

»Vielleicht schreibe ich heute Abend einen neuen Beitrag und verwende einige davon. Oder ich mache einfach nichts mit ihnen, vergesse sie und finde sie in einem halben Jahr wieder. Du weißt schon, wenn ich mein Handy aufräumen und Bilder und Apps löschen muss, weil mein Speicherplatz knapp wird.«

Der Fahrstuhl setzte sich ruckartig in Bewegung und Nelia packte erschrocken Renés Arm.

»Merde!«, fluchte sie und krallte sich in seine Haut.

»Heute ist kein guter Tag zum Sterben. Dir wird nichts passieren«, versuchte René, ihr Mut zuzusprechen.

Aber das brachte gar nichts. Je höher der Fahrstuhl stieg, desto flauer wurde Nelia. Ihr Körper zitterte, ihr Hals wurde staubtrocken und ihre kleine Welt schwankte gefährlich.

Ein leises Ping erklang, als der Fahrstuhl zum Stehen kam und die Türen sich öffneten. Zögerlich stieg Nelia aus und tastete sich langsam auf die Plattform vor.

Komm schon, du schaffst das, sprach sie sich selbst Mut zu.

René stellte sich vor sie und streckte ihr eine Hand entgegen. »Du bereust es, wenn du dich nicht an den Rand stellst und dir die Aussicht ansiehst.«

Nelias Herz schlug ihr bis zum Hals und wieder machte sie einen unsicheren Schritt nach vorn. Sie atmete tief durch und ergriff schließlich seine Hand.

»Bon.« Ganz langsam gingen René und Nelia zum Rand und sie umklammerte die Metallstreben. Schützend stellte René sich hinter sie und legte seine Hände neben ihren ab.

Nelia rechnete mit allem, aber nicht mit dem Gefühl von Leichtigkeit, das ihren Körper ergriff, als sie über Paris blickte. Die Stadt leuchtete in den herrlichsten Frühlingsfarben, die sich wie kleine Farbtupfer von den weißen Häusern abhoben. Der Himmel war strahlend blau und eine sanfte Brise strich ihr Haar nach hinten. Verschiedenste Sprachen und fröhliches Lachen wehte zu ihnen herüber und Nelia konnte nicht anders, als selbst zu lächeln.

»Das ist perfekt«, flüsterte sie ehrfürchtig und vergaß ihre Höhenangst komplett. Sie hatte nur noch Augen für die Stadt zu ihren Füßen. Nie im Leben hätte Nelia gedacht, dass sie diesen Ausblick genießen könnte. Sie hätte sich immer geärgert, es nicht versucht zu haben.

»Ich weiß«, hauchte René sanft lächelnd und trat einen Schritt näher an sie. Die Stellen, an denen er Nelias Körper berührte, kribbelten. In ihrer Gegenwart fühlte er eine Freiheit, die ihm schon vor Jahren abhandengekommen war.

Nur für einen Sekundenbruchteil schloss er die Augen und sog den Duft ihres Parfüms ein, dass er gestern Morgen für sie ausgesucht hatte. Es war süß und blumig, besaß aber dennoch eine freche Nuance, die in der Nase kitzelte.

Nelias Nähe machte ihn benommen. Alles, was er in den letzten Jahren glaubte, nie mehr erleben zu dürfen, war plötzlich zurück und hinterließ schon nach wenigen Tagen eine brennende Sehnsucht, die ihm fast das Herz aus der Brust riss.

René wusste, dass sein Verhalten unklug war. Nicht nur sich selbst gegenüber, sondern auch in Bezug auf Nelia. Sie hatte erfahren, dass ihr Freund sie betrogen hatte. Sicher waren Männer das Letzte, an das sie momentan dachte. Sie wollte ihre Freiheit und das Leben genießen, nichts spürte er deutlicher. Sich auf ihn einzulassen würde Zwang bedeuten. Zwang in ein Leben, für das sie offensichtlich nicht bereit war.

Schnell wich René einen Schritt von Nelia zurück und stellte sich neben sie. Irritiert betrachtete sie ihn, sagte aber nichts. Er senkte den Blick auf die Menschen zu seinen Füßen, die so klein waren wie Ameisen.

Als er diese Woche geschäftlich nach Berlin gemusst hatte, war ihm das nicht recht gewesen. Dass zu allem Überfluss auch noch sein Rückflug ausgefallen war, hatte seine Laune in den Keller getrieben. Er hatte diesen Freitag den 13. verteufelt, bis er in den Bus gestiegen war und Nelia gesehen hatte.

»Worüber denkst du nach?«, riss sie ihn plötzlich aus seinen Gedanken. Er sah auf und suchte ihre grünen Augen, die leuchteten wie teure Smaragde.

»An dies und das. Wenn ich hier oben bin, werde ich immer ein bisschen melancholisch«, gestand er mit einem Lächeln. »Der Ort bedeutet mir sehr viel.«

»Also ist es doch nicht nur eine Touristenattraktion, sondern ein Geheimtipp.«

»Wenn du so direkt fragst, dann ja.«

»Erzählst du mir die Geschichte dahinter?«, fragte Nelia und sah einen ähnlich traurigen Ausdruck in Renés Augen wie am Abend zuvor bei Florence.

»Damit du sie aufschreibst und verkaufst, um deinen Ruf zu retten?«, fragte er gespielt empört, lachte aber gleich darauf. »Auf gar keinen Fall!«

Nelia setzte in sein Lachen ein und hob die Schultern in die Höhe. »Tzz, dann langweile ich meine wenigen Fans eben mit öden Touristenattraktionen. Auch gut.«

»Ich kann dir einen Deal anbieten.« René lehnte sich lässig über die Brüstung und setzte einen selbstbewussten Blick auf.

»Ich bin für alles offen, was meiner Karriere auf die Sprünge hilft«, spielte Nelia das Spiel mit.

»Ich biete dir ein Foto mit mir an. Dann denken deine Fans wenigstens, du hättest dir den heißesten Franzosen auf dem ganzen Planeten geschnappt. Und vielleicht kocht dein Ex-Freund dann vor Wut.«

»Eingebildet seid ihr Franzosen gar nicht, hm?«, scherzte Nelia. »Ich habe zwar schon ein Bild mit dir, aber doppelt hält besser.«

René zog sie in seine Arme. »Wenn du mich auf die Wange küsst, wirkt es authentischer«, schlug er grinsend vor.

Nelia schüttelte den Kopf, stellte sich aber dennoch auf Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. Überraschenderweise gefiel ihr das Foto bedeutend besser, als das erste.

»Max würde vor Eifersucht kochen.«

»Das hat er doch verdient, oder nicht?«

»Natürlich, aber ... er hat ein Talent dafür, es so aussehen zu lassen, als wäre ich Schuld an unserer Trennung. Das Bild würde ihm in die Karten spielen.«

»Dann bleibt es unser kleines Geheimnis«, flüsterte René und zwinkerte.

»Ich liebe Geheimnisse.«

Nachdem René und Nelia wieder festen Boden unter den Füßen hatten, spazierten sie durch die Stadt und suchten sich eine Brasserie, um eine Kleinigkeit zu essen.

Nelia bestellte sich einen Salat mit Hühnchen, während René ein Fischgericht wählte. Das Essen war ausgezeichnet und nachdem beide noch einen Kaffee getrunken hatten, setzten sie ihren Spaziergang fort.

Bis zu späten Nachmittag erkundeten sie die Umgebung um den Eiffelturm. Nelia schoss Fotos, kaufte kleine Andenken und genoss die Gespräche mit René. Er schaffte es, dass sie all ihre Sorgen vergaß, ohne dass er sich anstrengen musste.

Als sie die Pension erreichten, standen sie ein wenig unsicher voreinander. Nelia sah sich nach Florence um, konnte sie jedoch nirgendwo entdecken.

»Flo arbeitet nur bis zehn Uhr, außer eine ihrer Mitarbeiterinnen wird krank«, erklärte René, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Nelia nickte und blickte zu Boden, bevor sie aufsah und sich in Renés dunklen Augen verfing. Sie schluckte schwer und kniff ihre Lippen aufeinandern.

»Danke für den schönen Tag«, flüsterte sie und René lächelte.

»Dafür musst du mir nicht danken«, antwortete er und machte einen Schritt auf sie zu. Behutsam zog er sie in eine Umarmung und ließ eine Hand auf ihre Wange gleiten. Nelias Herz schlug einen Takt schneller, als sie einander ansahen. Aber das Gefühl, dass alles viel zu schnell ging, gewann.

»Das ist keine gute Idee«, brachte sie mit gebrochener Stimme hervor und wich von ihm zurück.

»Entschuldige, ja ... du hast recht.« René fuhr sich unsicher durch die Haare und wandte sich zum Gehen ab. »À bientôt. Bis bald.«

»À bientôt«, hauchte Nelia, doch da hatte René sich schon von ihr entfernt.

Aus irgendeinem Grund fühlte Nelia sich plötzlich nicht mehr so euphorisch und glücklich, wie noch vor ein paar Stunden auf dem Eiffelturm. Es war richtig gewesen, René zurückzuweisen, und dennoch fühlte es sich ganz und gar nicht so an.

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