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JAGUAR

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Andrea hat um sich geschlagen. Sie hat geschrien und getobt und die Hydrokultur beschädigt. Jetzt sitzt sie allein auf einem Sofa und schnauft. Zwei Pfleger kommen. Sie treten links und rechts neben sie. Andrea muss in die Absonderung. So nennen sie die Einzelhaft hier. Ein Raum mit einer Edelstahltür, in den du nicht willst. Darin ist nichts. Auch nichts, mit dem du dich verletzen könntest.

Die Pfleger könnten Andrea packen und dorthin schleifen. So sind sie hier nicht. Selbst wenn Häftlinge auf sie losgehen, setzen sie Gewalt so schonend wie möglich ein.

Kommen Sie Andrea, sagt einer der Pfleger. Gehen wir. Sie sind bestimmt bald wieder heraußen.

Andrea murrt und bewegt sich nicht.

Rauchen wir noch eine, sagt der andere Pfleger. Dann bringen wir es hinter uns.

Andrea setzt sich murrend in Bewegung.

Ich habe diese Frauen lange merken lassen, dass ich sie verachte. Stefanie, meine Psychotherapeutin hier, erklärte mir, das sei nicht gut für die Meinung der Psychologen und Psychiater über mich. Diese Frauen sind die Menschen, mit denen du auskommen musst, sagte sie.

Fragen mich jetzt Psychologen oder Psychiater nach meinem Verhältnis zu ihnen, antworte ich. Wäre ich so viel besser als sie, wäre ich nicht hier.

Ich sitze jetzt manchmal mit zwei von ihnen auf einem Dreiersofa vor dem Fernseher. Ich mag es sogar. Es kann kuschelig sein und wir naschen dabei. Stinkt eine, sage ich es ihr. Dann geht sie duschen und sich umziehen, kommt zurück, hebt einen Arm und ich nicke.

Trotzdem weiß ich bei den meisten nicht, warum sie sitzen. Hier geht es beim Smalltalk eher um Krankheiten als um Verbrechen. Was bist du? Narzisstin? Ach ja. Ich bin Borderlinerin, auch mit einem narzisstischen Anteil. Der Psychopathen-Test bei dir? Positiv? Negativ?

Haftgründe sind unter uns kaum Thema. Bloß bei mir kennen ihn alle. Alles stand in allen Zeitungen. Sogar die New York Post und die Bild berichteten über mich. Der Boulevard wird nicht müde, über mich zu schreiben. Als ich eine vegane Phase beendete, weil ich zwei Kilo abgenommen hatte und mich zu schlank fand, schrieb ein Blatt auf Seite eins.

Eislady ist magersüchtig.

Als wäre ich Angelina Jolie.

Warum die anderen hier sind, ist mir höchstens so wichtig wie die Zahl der Geschwister, die jemand hat. Was jemand getan hat, muss er sich mit den Gerichten ausmachen. Vielleicht mit sich selbst. Sicher nicht mit mir.

Es ist mir deshalb so egal, weil ich weiß. Jeder hat ein Potenzial für alles. Alle Menschen sind Mörder. Bloß haben manche noch nicht zu morden angefangen und die meisten tun es nie. Es bedeutet nichts, wenn jemand unbescholten ist. Ich war auch einmal unbescholten, dann habe ich zwei Männer umgebracht. Wer sagt, dass jemand, der unbescholten an einer Bushaltestelle sitzt und Zeitung liest, nicht morgen einen Mord begeht?

Jeder hat es in sich, zu töten. Im Krieg zum Beispiel. Im Vietnamkrieg haben amerikanische Soldaten ganze Familien in Erdlöcher geworfen und Granaten hinterher. Wir leben in Frieden, aber in dir kann Krieg herrschen und niemand weiß es. Wenn es um dein Leben oder um das deiner Kinder geht. Wenn du es zumindest glaubst. Tötest du. Es ist nur eine Frage der Angst und des Drucks. Bist du noch unbescholten, bedeutet das nur, deine Angst und der Druck waren noch nie groß genug.

Bei anderen Häftlingen zählt für mich deshalb vor allem, wie sie sich mir gegenüber verhalten. Nur unter guten Freunden reden wir darüber, was wir getan haben. Wenn wir einander so nahekommen, dass wir über alles reden.

Klara und ich lernten einander während meiner Untersuchungshaft kennen. In der Justizanstalt Wien-Josefstadt, die sie das graue Haus nennen. Vor ihr waren die Zigeunerinnen meine Freundinnen.

Die Zigeunerinnen waren wie ich. Familie war für sie ein heiliger Bund. Sie waren abergläubisch wie ich. Sie kochten sogar so ähnlich wie die Mexikaner. Sie brachten mir bei, wie du die Aufmerksamkeit von jemandem ablenkst, um Sachen aus seinen Taschen zu ziehen. Stehlen ist nicht mein Ding, aber an langen Abenden fangen die Diebinnen immer als Erste zu erzählen an.

Klara war noch mehr wie ich. Auf eine andere Art. Wir verstanden uns sofort. Ich erzählte ihr von meinen Großmüttern. Sie erzählte mir davon, wie sie alles zerstörte. Und sich selbst wegwarf.

Vergiss dieses Arschloch, sagte ich zu ihr. Lass ihn ficken, wen er will. Du kannst noch immer ein schönes Leben haben.

Wie ist es, fragte sie mich, so zu sein wie du?

Wut verbindet alles und formt es neu zu einem runden Ganzen, sagte ich. Nur wenn ich müde bin, ist alles manchmal viel zu groß. Dann wäre ich gerne unauffällig für mich selbst.

Bleib wütend, sagte Klara.

Sie ging damals in die Garage. Schloss das Tor. Setzte sich in den Jaguar. Ließ die Wagentür offen. Startete den Motor. Eben war sie noch zerrissen. Jetzt ruhte sie in sich. Sie lehnte sich zurück. Schloss die Augen. Eine Tür ging auf. Oliver kam herein. Ihr kleiner Sohn.

Mami.

Oliver setzte sich auf Klaras Schoß. Sie war zu benommen. Sie konnte nichts mehr tun. Ihre Hände lagen kraftlos da, als Oliver seinen kleinen Körper an ihren schmiegte.

Versuchter Mord an Oliver.

So lautete die Anklage.

Ich stehe in meiner Zelle im Forensischen Zentrum Asten vor dem Spiegel. Zähne geputzt. Im Pyjama. Bin ich noch schön? Habe ich noch diese eisklaren Augen? Dieses Gesicht wie aus Porzellan? Diesen Arsch, an dem sie irgendetwas finden? Ich weiß nicht was?

Ich habe Klara nie gefragt.

Hast du damals gewusst, was Liebe ist?

Zelle 14

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