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ELISABETH

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Am Montag darauf schluckt Olga ihre Schlüssel. Den für ihren Schrank und den für ihr Fach im Kühlschrank. Wir alle wissen, warum sie das tut. Sie hatte keinen Löffel. Hätte sie einen Löffel gehabt, hätte sie den geschluckt.

Olga und eine andere Frau schlucken regelmäßig Löffel. Als Borderlinerinnen tun sie es aus drei Gründen.

Erstens. Aus Protest.

Zweitens. Um auf sich aufmerksam zu machen.

Drittens. Um über die Pfleger zu bestimmen.

Sie zwingen die Pfleger so, mit ihnen ins Krankenhaus zu fahren und dort stundenlang mit ihnen zu warten, während die Ärzte die Löffel unter Vollnarkose aus ihnen herausholen.

Die Hausordnung des Forensischen Zentrums regelt die Verwaltung des Essbestecks deshalb mit vier Punkten.

Erstens. Zuständig dafür ist der Stützpunkt. Er ist rund und aus Glas und sieht aus wie ein Informationsschalter an einem Bahnhof. Wir erreichen ihn durch eine ebenfalls gläserne Tür. Sie ist jeden Tag zwischen sieben Uhr morgens und acht Uhr abends offen. Jede Wohngruppe unseres Traktes hat durch so eine Tür Zugang zum Stützpunkt. Glaswände, die wie Spinnenarme vom Stützpunkt ausgehen, sorgen dafür, dass Häftlinge verschiedener Wohngruppen einander nicht begegen.

Der Stützpunkt ist auch für weitere organisatorische Aufgaben wie das Aufbewahren brennbarer Substanzen zuständig Will ich mir die Fingernägel lackieren, muss ich mir den Lack dort holen. Sie wissen, dass ich nichts abfackeln würde. Sie befürchten, dass eine der Brandstifterinnen ihn mir klaut.

Zweitens. Borderlinerinnen, die sich mit einem Messer oder einer Gabel selbst verletzen oder einen Löffel schlucken könnten, holen ihr Essbesteck vor dem Essen am Stützpunkt ab. Der dort Dienst habende Pfleger führt eine Liste über das ausgegebene Besteck.

Drittens. Die am Stützpunkt diensthabenden Pfleger müssen vor Dienstschluss alle Messer, Gabeln und Löffel zurückhaben. Manchmal suchen sie in den Zellen der Frauen danach. Was schwierig sein kann, weil einige das Messie-Syndrom haben.

Viertens. Häftlinge, die keine Tendenz zur Selbstverletzung haben, behalten ihr Essbesteck. Vor dem Essen schließen sie ihre Schränke auf und holen es heraus. Nach dem Essen waschen sie es ab und schließen es wieder ein. In unserer Wohngruppe darf nur ich das Besteck im Schrank aufbewahren.

Dass wir uns mit dem Besteck gegenseitig verletzen, ist hier kaum ein Thema. Seit ich hier bin, gab es nur zwei kleinere Vorfälle dieser Art. Beim schlimmeren verpasste eine Frau der anderen mit der Gabel einen Kratzer am Hals. Es gab in beiden Fällen ein Verfahren und die Täterinnen bekamen einige Monate zusätzlich. Was ihnen egal war, weil sie ohnedies im Maßnahmenvollzug waren. Es störte sie eher, dass sie für einige Wochen in ihren Zellen bleiben mussten.

Olga schwärmt von der Vollnarkose. Die anderen hören ihr zu. Sie ist eine Heldin.

Ich verstehe es, wenn Borderlinerinnen sich selbst verletzen oder Metallteile schlucken. Es nimmt Druck von ihnen. Ich verstehe es auch, wenn drogensüchtigen Häftlingen eine Vollnarkose den Alltag versüßt. Ich bin bloß für beides nicht der Typ. Während meines Studiums habe ich zur Leistungssteigerung Amphetamine genommen. Das war alles. Deshalb höre ich Olga nur kurz zu und gehe zum Supermarkt.

Montag ist nicht nur Werner-Tag. An Montagen kommt auch ein Kaufmann der Kette Nah & Frisch mit einem 3, 5-Tonner und bringt Obst, Gemüse, Tiefkühlwaren und Zigaretten. Was wir eben so brauchen. An den anderen sechs Tagen der Woche ist der Supermarkt geschlossen. Dann liegen in den Regalen nur die unverderblichen Produkte.

Ein Sozialmarkt ist der Supermarkt nicht. Er ist sogar teurer als normale Supermärkte. Ich schätze, dass die Preise bei uns im Schnitt um dreißig Prozent höher liegen als draußen. Dafür können wir auch Waren bestellen. Alles von der Drogeriemarktkette dm zum Beispiel.

Für meinen Sohn, den ich bald sehe, habe ich dank Werners 150 Euro einen Seifenspender mit neonfarbener Seife bestellt. Mit einem Bewegungssensor, damit er nur die Hände darunter halten muss.

Außerdem will ich dunkle Schokolade kaufen. 85 Prozent. Ich liebe sie zum Kaffee. Ich will Kieselerde-Tabletten bestellen. Sie stärken die Haare und die Fingernägel und ich kann sie essen wie Bonbons.

Er ist auch da.

Ich zögere, als ich ihn sehe. Seine Narbenbeine stecken heute in langen Hosen. Mit seiner schlanken Gestalt überragt er alle. Er steht mit einer blauen Kappe am Kopf da und redet. Als hielte er auf einem normalen Marktplatz Hof. Er redet mit den Pflegern, als wäre er einer von ihnen.

Früher war ich anders. Interessierte mich etwas, sah ich es mir an. Wollte ich es haben, versuchte ich, es mir zu holen. Jetzt warte ich, bis ich im toten Winkel seines Blickfeldes zum Supermarkt kann. Dort sage ich meinen Namen, obwohl ich weiß, dass sie ihn kennen.

Estibaliz Carranza. Ich habe etwas bestellt.

Du bist Elisabeth?

Höre ich in Österreich den Namen Elisabeth, bin meistens ich gemeint. Ich drehe mich um. Seine Hände sind vernarbt wie seine Beine. Die Finger. Als wären sie gebrochen gewesen und nicht richtig zusammengewachsen. Als wären sie mehrmals gebrochen gewesen. Zu verschiedenen Zeiten. Seine Hände sehen aus, als wären sie nicht von ihm. Als gehörten sie früher jemandem, der älter war als er. Als hätte jemand, der sich anschickte zu sterben, gesagt. Hier nimm meine Hände. Ich brauche sie nicht mehr.

Ich halte meinen Blick gesenkt. Ich bin Estibaliz, sage ich.

Ach, ruft er. Estibaliz! Die Eislady.

Nenne mich bitte weder Elisabeth noch Eislady.

Du bist berühmt, Estibaliz.

Alle nennen mich Esti.

Was kaufst du?

Etwas für mich.

Ich bin Martin.

Er kauft eine Dose Red Bull. Nichts weiter. Als hätte er es nicht nötig. Als könnte er einkaufen, wann und wo er will. Danach tippt er an seine Kappe.

Wir sehen uns, Esti.

Sein Gang ist schlampig. Seine ganze Gestalt sieht aus wie gebrochen und nicht richtig wieder zusammengewachsen.

In meiner Zelle will ich malen. Du hast mich Elisabeth genannt, denke ich. Da wusstest du noch nicht, wer ich für alle bin.

Ich nehme den Pinsel.

Als du noch nicht wusstest, wer ich für alle bin. Wen hast du da gesehen?

Ich male mich mit goldenen Farben.

Zelle 14

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