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REGELN

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Drei Glastüren. Ein Gang. Eine vierte Tür. Dahinter öffnet sich ein heller Raum mit einer Terrasse. Nach drei Seiten Fenster vom Boden bis zur Decke. Ein paar runde Tischchen mit einfachen Stühlen. Eine Küchenzeile, die wenig benützt aussieht. Zimmerpflanzen. Zwei Getränkeautomaten. Ein Pfleger, der mich hergebracht hat, und ich.

Wir bleiben stehen und warten.

Das ist sonst der Besucherraum, sagt der Pfleger.

Nach fünf Minuten ist Weber da.

Frau Carranza.

Händedruck.

Er deutet auf eins der Tischchen.

Ich bin zittrig. Hoffe, dass ich das mit dem Sessel und dem mich Daraufsetzen richtig hinkriege. Es gibt Dinge, die verlernst du. Mit Höflichkeit umzugehen ist eines davon.

Weber spricht über Regeln. Er sagt, dass ich hier Freiheiten haben kann. Bei den Besuchszeiten zum Beispiel. Dass es dafür nur eine Voraussetzung gibt.

Lernen Sie, sich an Regeln zu halten, Frau Carranza, sagt er. Dann ist vieles möglich.

Ich kenne das. Ich kenne es aus den anderen Gefängnissen. Es ist das große Dogma. Damit fängt alles an. Mit dem Einhalten von Regeln.

Sie wissen, was du getan hast. Sie wissen, wozu du fähig bist. Sie wissen, in welchem Ausmaß und mit welchen Folgen du Regeln brechen kannst. Brichst du sie sogar hier im überwachten Raum, denken sie, wirst du es draußen in Freiheit erst recht tun.

Wer sich dagegen an Regeln halten kann, kann sich auch an diese halten.

Du sollst nicht töten.

Hältst du dich an die Regeln, winken dir Haftlockerungen. Im Forensischen Zentrum Asten gibt es dafür drei Stufen.

Stufe eins. Du kannst dich in der Anlage freier bewegen.

Stufe zwei. Du kannst bei begleiteten Freigängen gemeinsam mit einem Beamten einkaufen gehen, ins Kino gehen oder ein Konzert besuchen.

Stufe drei. Deine Freigänge sind unbegleitet. Du kannst sogar draußen arbeiten und musst nur noch zum Schlafen zurück.

Brichst du die Regeln, können sie dich bestrafen. Selbst wenn du wie ich die schwerste aller Strafen schon absitzt. Sie können dich zu einer Ordnungsstrafe in Form einer Geldbuße verurteilen.

Sie können dir den Alltag im Gefängnis erschweren. Dir den Fernseher wegnehmen. In der Justizanstalt Schwarzau haben sie mir

erstens. Die Besuche am Tisch (Tischbesuche) gestrichen und mir nur noch Besuche hinter Glas mit Telefon (Glasbesuche) gestattet.

Zweitens. Langzeitbesuche mit meinem Sohn abgelehnt.

Drittens. Meine Besuchszeit auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum von einer halben Stunde wöchentlich reduziert.

Viertens. Mein Fernstudium in Wirtschaftspädagogik an einer Universität in Barcelona gestrichen.

Fünftens. Mir meine Arbeit in der Gefängniswerkstatt weggenommen.

Wenn sie ein Handy bei mir fanden. Wenn eine Zeitung etwas über mich schrieb und sie dachten, ich hätte es veranlasst. So viel Gefängnis nach innen ist das Forensische Zentrum Asten also auch, entnehme ich Webers Worten.

Ich sehe ihn an.

Ich hätte kein Problem damit, mich an Regeln zu halten. Es ist nur so. Manchmal stehen sie mir im Weg. Mein Gehirn findet immer verlockende Argumente und Möglichkeiten, sie zu umgehen.

Weber spricht über Vertrauen. Ich soll ihm vertrauen.

Auch das wäre kein Problem. Weber scheint ein netter Typ zu sein. Bloß muss er sich einen anderen Job suchen, wenn ich ihm vertrauen soll. Es dürfte weder Staatsanwalt noch Polizist sein. Denn ist das Machtgefälle so, dass eine Seite alle Macht hat und die andere gar keine, ist Vertrauen für die Seite mit gar keiner Macht Selbstaufgabe. Das müsste ihm als Psychologen einleuchten.

Weber hat schon eine Hand am Tisch.

Haben Sie alles verstanden, Frau Carranza?

Ich müsste dankbar sein. Für dieses Gespräch und überhaupt. Es gab Zeiten, da haben sie solche wie mich einfach aufgehängt. Diese Gesellschaft hingegen will zwei Dinge von mir.

Erstens. Sie will mich bekehren. Zum Beispiel will sie mir zeigen, was Liebe ist. Ich sehe etwas in Männern, das sie nicht sind, sagen mir Psychologen, Psychiater und Psychotherapeuten. Das Ergebnis sei ein sich wiederholendes Muster. Alles fängt gut an und endet schlecht. Liebe ist, haben sie mir erklärt, eine Projektion meiner Sehnsucht auf einen anderen Menschen.

Zweitens. Sie will herausfinden, wie ich bin. Weber als Leiter des Forensischen Zentrums Asten ist weder Jurist noch Polizist, sondern Psychologe. Der Leiter der Frauenabteilung ist ebenfalls Psychologe. Sie führen hier Gespräche mit uns und dokumentieren sie, um Entwicklungen abzulesen.

Sie hat getötet, weil sie töten wollte. Diesen Befund gibt es nicht in ihrem Katalog. Der Abgrund wäre damit nicht mehr benennbar, vermessbar und schubladisierbar.

Ja, sage ich zu Weber. Ich denke, ich habe alles verstanden.

Er winkt einem Beamten der Torwache, der mich in meine Wohngruppe bringt. Der Fernseher läuft so laut, als wären hier alle schwerhörig.

Meine Großmütter, denke ich, meine baskische und meine mexikanische. Nur wer weiß, was sie ihnen angetan haben, kann mich verstehen.

Zelle 14

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