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DNA

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Meine spanische Großmutter, die Mutter meiner Mutter, war noch jung, als ihr Mann an einem Herzinfarkt starb. Seine Familie trieb sie und ihre beiden Kinder aus dem Haus. Es gehörte ihr nicht und sie hatte kein Bleiberecht. Sie musste auf die Straße. Mit dem, was sie tragen konnte, und um das musste sie noch kämpfen. Ihre eigenen Eltern halfen ihr nicht.

Du hast geheiratet, sagten sie. Jetzt sieh zu, wo du bleibst.

Im Spanien der 1930er-Jahre erforderte schon der Abschluss eines Mietvertrages einen Mann. Frauen konnten kaum für sich sorgen. Es gab keine vernünftige Arbeit für sie. Deshalb litt meine spanische Großmutter mit ihren Kindern Mangel. Viele Jahre lang.

Sie wurde 72. Sie lebte noch, als ich klein war. Ich erinnere mich an eine aufopferungsvolle Frau mit dem drahtigen Körper der Basken. Mit dem hartnäckigen Schatten zerstörter Träume im Gesicht.

Meine Statur habe ich von ihr. Manchmal sehe ich mich im Spiegel an. Und grüße sie.

Meine mexikanische Großmutter, die Mutter meines Vaters, wurde ledig schwanger. Im Mexiko der 1930er-Jahre war eine ledige schwangere Frau schlimmer als eine Hure.

Der Vater ihres Kindes heiratete sie aus Gnade, doch es war keine. Er trank und spielte. Ein Dorfpolitiker mit unbegrenzter Macht in seiner begrenzten Welt. Kam er heim, schlug und schwängerte er sie. Drei Kinder brachte sie zur Welt.

Meine mexikanische Großmutter kam aus einer Familie mit einem Klavier. Sie hatte noch nie Wäsche gewaschen. Die Verwandten ihres Mannes waren Bauern. Sie demütigten sie.

Du kannst nichts, sagten sie. Du bist wertlos.

Sie hielten sie wie ein Tier. Sperrten sie ein, wenn ihnen danach war. Prügelten ihre Kinder so, dass sie ihr Geschrei hören konnte. Sie kratzte sich jedes Mal an den Wänden die Hände blutig.

Sie war stigmatisiert. Das Dreckstück der Familie. Geld bekam sie nur für das Allernötigste. Trotzdem sparte sie heimlich. Süßigkeiten für die Kinder waren der letzte Sinn ihres Lebens. Sie war 33, als sie an gebrochenem Herzen starb.

Ich habe sie nie gesehen, aber ich kenne Fotos von ihr. Sie war hübsch. Meine rotbraunen Haare und mein Porzellangesicht habe ich von ihr. Male ich ein Bild von mir, sehe ich es an. Und danke ihr.

Du bist wie deine Großmütter. Wie deine spanische und noch mehr wie deine mexikanische. Das haben sie mir gesagt. So bin ich aufgewachsen.

Es war immer leicht hingesagt, wie sie in Familien so etwas eben sagen. Doch es lag eine tiefere Wahrheit darin. Ein Omen. Denn auch mich haben sie schlecht behandelt. Ich war das Dreckstück zweier Männer.

Vorfahren geben mehr als ihre Statur, ihre Haarfarbe und ihr Gesicht an ihre Nachfahren weiter. Sie geben auch ihre Erfahrungen weiter. Selbst an Nachfahren, denen sie nie begegnen. Ihre Gefühle. Wut zum Beispiel, die sie selbst nie haben durften.

Das ist nicht bloß etwas, das alte Frauen einander erzählen. Es ist Wissenschaft. Die inneren Spuren deines Lebens machen etwas mit deiner DNA. Eine Generation bildet sich so in den nächsten Generationen ab.

Ich habe es in einem Buch gelesen. Mit meinem Seelsorger darüber gesprochen. Meine Psychotherapeutin hat auch so etwas gesagt. Meine Großmütter. Ich bin. Ein Racheengel.

Zelle 14

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