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Kapitel 2

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Nach Abschluß seines geschäftlichen Termins wollte Morgan O’Connor gerade die Commonwealth Bank verlassen, als ihm im Eingangsbereich eine außergewöhnlich gutgekleidete Frau in mittleren Jahren begegnete. Morgan hielt ihr höflich die Türe auf, trat einladend einen Schritt zurück und zog grüßend seinen Hut.

»Guten Tag, Mrs. Winston.«

Die Frau ignorierte ihn. Berge von Rüschen und Spitzen wirbelten an ihm vorüber. Die Feder an ihrem Hut hob und senkte sich. Ihre einzige Antwort war der eisige Blick, mit dem sie ihn musterte. Morgan hob eine Braue und zuckte mit seinen Schultern. Gott sei Dank, dachte er sarkastisch, waren seine Banker nicht so wählerisch wie Mrs. Winston. Um die Wahrheit zu sagen, war die Bank froh um jedes Geschäft, das sie mit ihm abwickeln durfte.

Das war nicht immer so gewesen, überlegte Morgan, als er in seine Kutsche stieg. Während seiner Jahre auf See waren die wenigsten bereit gewesen, ihm finanzielle Unterstützung für seinen geschäftlichen Aufstieg zu leisten. Aber irgendwann war der Tag gekommen, an dem sich das alles änderte. Und wenn er auch nicht mit offenen Armen von der Bostoner Oberschicht empfangen wurde, so öffneten ihm doch mittlerweile viele der Reichen ihre Salons – und taten wenigstens so, als wäre er willkommen.

Er hatte gedacht, daß er die Zeit, in der er von der Crème de la Crème Bostons gemieden wurde – und er nur als Sohn eines betrunkenen Kneipenbesitzers galt –, längst hinter sich gelassen hatte. Weit gefehlt. Er zählte zum Pöbel. Ein irischer Seemann. Im Verlaufe einer Stunde war er wieder einmal zum Außenseiter abgestempelt worden. War minderwertig.

Er war nicht mehr so dumm und verblendet, das nicht zu bemerken.

Und obwohl Morgan es sich selbst gegenüber ungern zugab, brodelte dieses Wissen doch tief in seinem Inneren. Er hatte sich Jahr für Jahr bemüht, hatte hart an sich gearbeitet, um sich und seine Lebensumstände zu verbessern. Er hatte sich das erarbeitet, was für viele aus der sogenannten Bostoner Elite als Selbstverständlichkeit galt – oder was ihnen von ihren Vätern weitervererbt wurde. Denn – um ehrlich zu sein – die Blaublütigen der Stadt waren auch nicht besser als er. Sie hielten sich nur für besser.

Mit einem Fingerzeig deutete Morgan seinem Kutscher loszufahren. Seine Lippen umspielte zwar ein Lächeln, aber seine hellen Augen blickten starr.

Als die Kutsche um die Ecke bog, hatte er in der Bucht einen Blick auf die unruhige See. Neugierig beugte er sich vor.

Gott, wie er die schmutzige kleine Taverne am Meer gehaßt hatte, in der er seine Jugend verbringen mußte. Aber die See war seine Rettung gewesen. Dort hatte er schließlich Zuflucht gefunden. Und sein Glück gemacht.

Es tat ihm nur weh, daß er dieses Glück nicht mit seiner Mutter teilen konnte.

Er grinste spöttisch. Sein Vater war vor beinahe zehn Jahren gestorben. Es war kein Zufall gewesen, daß er kaum eine Woche nach dessen Beerdigung die schäbige Kneipe abgerissen hatte. Und an dieser Stelle hatte er die Niederlassung der O’Connor Schiffsbaugesellschaft gegründet.

Lautes Gelächter von draußen zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Eine Gruppe von Kindern, die auf der Straße spielte, rief und winkte seinem Kutscher. Er lächelte und fragte sich im stillen, ob sie überhaupt wußten, wie gut es ihnen ging. Seine eigene Kindheit war kaum mit solchem Übermut gesegnet gewesen. Nein, das sorglose Lachen hatte er immer seinem Bruder überlassen.

Nathaniel ... Unvermutet dachte er wieder an ihn, denn sein Unterbewußtsein beschäftigte sich ständig mit seinem Bruder.

Nathaniel ... der Bruder, den er so sehr geliebt hatte. Dieser Schuft, dem er sein Leben anvertraut hätte ... und seine Frau.

Nathaniels Charme hatte ihn weit gebracht, dachte Morgan zynisch. Immerhin so weit, daß viele bereit waren, ihm seine Fehltritte zu vergeben.

Aber nicht alle.

Morgan kniff die Lippen zusammen. Ein inneres Feuer schien ihn zu ersticken. Er hatte während der letzten fünf Jahre recht wenig Kontakt zu Nathaniel gehabt; so hatte er es gewollt, und das war nur allzu verständlich. Nach allem, was zwischen ihnen geschehen war, konnte er seinem Bruder wohl kaum vergeben.

Nicht einmal im Traum hätte er daran gedacht, daß sein Bruder ihn so hintergehen ... ihn so verletzen könnte.

Es war soviel geschehen. Zu viel, um es einfach zu vergessen. Zu viel, um zu verzeihen.

Aber niemals wieder würde es Nathaniel gelingen, ihn so zu verletzen. Und auch keiner anderen Frau, selbst wenn sie so reizend wäre wie Amelia, seine Frau.

Einen weiteren Schicksalsschlag würde er nicht verkraften können.

Aufgebracht wälzte sich Morgan in der dicken Polsterung seiner Kutsche, dann ermahnte er sich zur Ruhe. Genug von Nathaniel, sagte er sich. Denn wenn er an seinen Bruder dachte, dachte er an ... sie. Und er wollte definitiv an keinen der beiden denken.

Doch seltsam genug spukten sie immer noch in seinem Kopf herum, als er kurze Zeit später zu Hause ankam – seine tote, untreue Ehefrau und diese entsetzliche Plage von Bruder. Eines der Zimmermädchen ließ ihn herein; er nickte kurz und ging dann geradewegs in sein Arbeitszimmer, wo er sich in ein Kristallglas einen großzügigen Brandy einschenkte. Gedankenverloren schwenkte er das Glas und starrte dabei intensiv auf die Flüssigkeit; seine Stimmung war auf dem Nullpunkt angelangt. Aber auch wenn er es gewollt hätte, er wußte, er würde nicht trinken...

Er hörte ein Klopfen an der Tür. Morgan entschied, es zu ignorieren – doch das war unmöglich, wie sich bald herausstellte.

Die Tür öffnete sich einen Spalt. »Sir?« Es war Simmons.

Seine langen schlanken Hände um das Glas geklammert, schwieg Morgan zunächst. »Was gibt’s?« Man konnte ihm seine Verärgerung anmerken.

Simmons öffnete die Tür und trat ein. »Sir, im Salon wartet eine Dame, die Sie gerne sprechen möchte.«

»Oh?« Leichter Sarkasmus schwang in seiner Stimme mit. Die meisten seiner weiblichen Besucher ließen den Salon aus und marschierten geradewegs in sein Schlafzimmer.

Simmons nickte. »Sir, sie kommt von London.« Er hielt inne. »Nach dem, was sie sagt, scheinen Sie sie zu erwarten.«

»Eine Frau aus London?« meinte Morgan schroff. »Wohl kaum. Sie hat sich sicher in der Adresse geirrt, Simmons. Bitte schick’ sie weg.«

»Verzeihen Sie mir, Sir, aber ich glaube, Sie sollten sie empfangen. Sie scheint mir sehr aufgebracht zu sein. Sie erzählte mir, daß sie nicht mehr die Zeit hatte, Sie von ihrer Ankunft zu unterrichten.«

Morgans Augen verengten sich zu Schlitzen.

Simmons beeilte sich hinzuzufügen: »Ihr Name ist Elizabeth Stanton, Sir. Lady Elizabeth Stanton.«

Morgans Antwort war knapp und ungehalten. »Der Name sagt mir nichts, Simmons. Wie ich bereits erwähnte, hat sie sich in der Adresse geirrt.«

Simmons stand da und schwieg. Er räusperte sich nur und wippte auf seinen Absätzen hin und her.

Morgan verzog sein Gesicht. Mein Gott, dieser Simmons konnte zeitweilig ganz schön hartnäckig sein. Aber noch lästiger war diese Frau, die im Salon auf ihn wartete, diese Lady Elizabeth Stanton. Mit diesem Namen konnte man doch nur eine plumpe, fette Matrone verbinden, die genauso groß wie breit war. Herr im Himmel, dachte er. Was jetzt? Was zum Teufel konnte eine solche Frau nur von ihm wollen? Normalerweise gehörte er nicht zu den Menschen, die sich Probleme aufluden, aber in diesem Fall erschien ihm Simmons außergewöhnlich unnachgiebig.

Unsanft stellte er sein Glas auf den Tisch zurück. »Also gut«, brummte er und war bereits durch die großen Doppeltüren geschlüpft. »Ich gehe zu ihr.« In weniger als zehn Schritten hatte er den Salon erreicht, wo er den ersten Blick auf seine Besucherin erhaschen konnte.

Er hatte völlig daneben gelegen, schoß es ihm durch den Kopf. Was dort vor dem Spiegel stand, war keine plumpe Matrone, sondern eine schlanke, geschmackvoll in Taubengrau gekleidete Person. Sie war ihm halb zugewandt, drehte sich dann jedoch ganz zu ihm herum. Nein, sinnierte Morgan, sie war keineswegs so, wie er sie sich vorgestellt hatte ...

Und das dachte sie auch von ihm.

Total unvorbereitet auf ihre Reaktion mußte er mitansehen, wie sie ihre großen grünen Augen vor Verwirrung aufriß und ihr Gesicht den Ausdruck unsäglicher Enttäuschung annahm. Trotz seiner schlechten Laune war er irgendwie amüsiert. Sie blickte ihn fest an.

»Gütiger Gott«, stöhnte sie. »Wer zum Teufel sind Sie?«

Eine seiner geschwungenen Brauen hob sich. »Simmons hat mich darüber unterrichtet, daß Sie mich zu sehen wünschten.«

»Sie? Ich kenne Sie doch überhaupt nicht!«

»Das kann ich nur bestätigen«, antwortete er trocken. »Aber Sie waren diejenige, die mein Haus aufgesucht hat. Deshalb gehe ich davon aus, daß Sie etwas mit mir zu besprechen haben. Und ich muß zugeben, daß ich sehr neugierig bin, was das sein könnte.«

Sie senkte ihren Blick. Morgan hatte das seltsame Gefühl, daß sie ihn für den leibhaftigen Teufel hielt.

»Es muß sich um einen Irrtum handeln«, sagte sie ausweichend. »Mir wurde gesagt, daß dies hier der Wohnsitz der O’Connors ist.«

»Das ist in der Tat richtig.«

Sie starrte ihn an, als wäre er irgendwie von Sinnen. »Nein, Sie verstehen mich falsch. Ich versuche, den Besitzer der O’Connor Schiffswerft zu finden.«

Morgan verschränkte seine Arme auf dem Rücken. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. »Der bin ich, Madam.«

»Nein. Nein, das kann nicht sein.« Sie sah aus, als bräche sie jeden Augenblick in Tränen aus. »Ich ... ich bin den ganzen Weg von London hierhergekommen! Ich ... ich kann nicht mehr zurück, wirklich nicht! Ich muß Nathaniel O’Connor finden.«

Morgans Lächeln verschwand. Innerhalb von zwei Atemzügen hatte sich die Situation vollkommen geändert. »Nun, den werden Sie hier nicht finden. Soviel ich weiß, ist er nicht in Boston«, meinte er abweisend.

Ihre Finger umklammerten den Griff ihrer Handtasche. »Sie wissen, wen ich meine? Sie kennen Nathaniel?«

Morgan pfiff durch die Zähne. »Oh ja, ich kenne ihn sehr gut. Ich bin sein Bruder.«

Sie erblaßte. Sie wollte etwas sagen, aber ihren Lippen entwich kein Laut. Und zu seiner größten Bestürzung fiel sie vor seinen Augen in Ohnmacht, bevor er auch noch irgend etwas erklären konnte.

Glücklicherweise besaß Morgan schnelle Reflexe. Er konnte sie noch auffangen, bevor ihr Kopf auf den Boden aufschlug. Dann hob er sie auf, schlang einen Arm um ihre Knie und trug sie zur nächstbesten Sitzgelegenheit.

»Gütiger Himmel!« brummte er. »Was kommt denn jetzt noch?«

Sein erster Gedanke war, daß der Zusammenbruch der jungen Frau nichts weiter als ein Trick war – weibliche List aus welchem Grunde auch immer. Er versuchte, seinen Unmut zu verbergen, setzte sich neben sie und klopfte ihr leicht auf ihre beiden Wangen, weil er sich damit erhoffte, daß sie entsetzt losschreien würde.

Aber sie rührte sich nicht.

Morgan runzelte die Stirn. War das Mädchen vielleicht nur zu fest geschnürt? Warum Frauen solche komischen Apparate trugen, verstand er nicht. Für Männer, die sich der Kleidung ihrer Angebeteten so schnell wie möglich entledigen wollten, waren sie schlichtweg eine Plage. Er lehnte sich gegen sie, löste vorsichtig die unzähligen Haken auf der Rückseite ihres Kleides, bis es ihm gelang, hineinzugreifen und nach den Spitzenbändern zu tasten ...

Wiederum keine Reaktion.

Jetzt aber nahm er, selbst durch die Seide des Kleides, zum ersten Mal die Hitze wahr, die ihrem Körper entwich. Was zur Hölle stimmte nicht mit ihr? Er preßte seine Hände erneut auf ihre Wangen. Was war er nur für ein Idiot gewesen, schalt er sich. Das Mädchen hatte hohes Fieber!

Sie stöhnte auf. Morgan nahm sie bei den Schultern und schüttelte sie leicht. Zögernd wiederholte er immer wieder ihren Namen. »Elizabeth! Elizabeth, wachen Sie auf! Geht es Ihnen nicht gut, Mädchen?«

Langsam öffnete sie ihre Augen; ihr Blick war verwirrt und schmerzverzerrt.

»Elizabeth, sagen Sie mir, wo Sie Schmerzen haben«, forderte er sie auf.

Ihre Fingerspitzen tasteten sich zu ihren Brauen. »Hier«, sagte sie schwach.

»Und sonst?«

Sie legte ihre Hand auf ihren Brustkorb. »Und hier.« Es war ein schwaches Flüstern, als kostete sie diese Anstrengung alle Kräfte. »Es tut mir weh«, schluckte sie, »wenn ich atmen muß«. Als sie ihren Kopf zur Seite drehte, flatterten ihre geschlossenen Lider. Ein trockener und erstickter Husten folgte. Morgan erkannte, daß sie erneut in Ohnmacht gefallen war.

Diesmal war er darüber beinahe erleichtert, denn er vermutete, daß sie es nicht sehr gerne gesehen hätte, was er jetzt mit ihr vorhatte. Er zog das Oberteil ihres Kleides über ihre zarten, pastellfarbenen Schultern, beugte sich vor und hielt sein Ohr gegen ihren Brustkorb. Ihr Atem ging stoßweise, und bei jedem Atemzug gaben ihre Lungen ein rasselndes Geräusch von sich.

Morgan fluchte. Innerhalb von Sekundenbruchteilen stand er wieder auf seinen Füßen und brüllte: »Simmons! Jemand muß Stephen holen! Diese Frau ist ernsthaft krank!«

Eine Stunde später stand sein Freund Dr. Stephen Marks neben dem Bett, in das man seine Patientin gebracht hatte. Er war ein kleiner breitschultriger Mann, dessen gutherzige Natur sich in seinem allgegenwärtigen Lächeln und der Wärme seiner Augen ausdrückte.

Er trat vom Bett zurück und sah über die Schulter zu Morgan hinüber, der seine kräftigen Arme vor der Brust verschränkt hielt und ihn schweigend beobachtete.

»Sie kommt aus London, sagtest du?«

Morgan nickte. »Das hat sie jedenfalls zu Simmons gesagt«, meinte er schroff.

»Es steht außer Zweifel, daß sie eine Lungenentzündung hat«, sagte Stephen. »Vermutlich eine Folge der feuchten Seeluft. Aber sie ist jung und erscheint mir recht widerstandsfähig. Das kommt ihr zugute. Im Moment wird es das beste sein, wenn wir versuchen, ihr Fieber zu senken und sie immer wieder trockentupfen.« Er stopfte seine Instrumente zurück in seine Tasche, dann warf er seinem Freund einen ironischen Blick zu. »Ich muß sagen, Morgan, sie weicht ein wenig von deinem Idealtyp ab.«

Morgans Mundwinkel zogen sich nach unten. »Gib dich keinen Spekulationen hin«, meinte er nüchtern. »Sie ist gar nicht wegen mir gekommen.«

»Wer ist denn dann der Glückliche?«

Für einen Augenblick herrschte Schweigen. »Nathaniel.«

Langsam wich der fröhliche Ausdruck aus Stephens Blick. »Was in aller Welt hat eine Engländerin mit einem Mann wie Nathaniel zu schaffen?«

»Das«, knurrte Morgan, »würde ich auch gerne wissen. Und das ist noch nicht alles, Stephen. Simmons sagte mir, daß sie sich als Lady Elizabeth Stanton vorgestellt hat.«

Kastanienbraune Brauen schossen nach oben. »Englands Oberschicht?«

»So scheint es.« Morgan ließ seinen Blick über das Bett schweifen. »Wenn die Dame aufwacht, müssen wir sie einfach fragen, was meinst du?«

Stephen antwortete nicht, musterte seinen Freund jedoch unverhohlen. »Wo ist Nathaniel eigentlich?« fragte er schließlich.

Morgans Gesichtszüge hatten sich verhärtet. Barsch und ohne zu zögern antwortete er: »Du weißt ebenso wie ich, daß ich über seinen Aufenthaltsort kaum etwas weiß. Ich habe ihn seit Monaten nicht gesehen – und das ist auch besser so.« Er deutete auf die junge Frau. »Wird sie wieder gesund?«

»Ich nehme es an«, sagte Stephen gedankenverloren. »Aber es wird vermutlich einige Wochen dauern, bis sie wieder auf den Beinen ist.« Dann griff er nach seiner Jacke, schlüpfte hinein und lachte leise, als er den wütenden Gesichtsausdruck seines Freundes bemerkte. »Du kannst dich ruhig mit dem Gedanken anfreunden, Morgan, daß du eine Zeitlang einen Gast haben wirst.«

Das war es genau, dachte Morgan zynisch, was er eigentlich nicht hatte hören wollen.

Stephen bewegte sich in Richtung Tür, dann hielt er plötzlich inne. »Ich kann dir allerdings einen Vorschlag machen. Soll ich dir Margaret, meine Haushälterin, eine Zeitlang überlassen? Sie ist nicht nur eine hervorragende Krankenschwester, sie wird auch die bösen Zungen im Zaum halten, die darüber spekulieren, warum du eine junge Dame unter deinem Dach wohnen läßt. Ein Skandal ist doch das letzte, was du gebrauchen kannst.«

Ein leicht zynisches Lächeln umspielte Morgans Mund. Er schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig. Mein Ruf ist weiß Gott das letzte, was mich interessiert. Außerdem kann er kaum noch schlechter werden, als er es ohnehin schon ist.«

Stephen griff nach der geschwungenen Messingtürklinke. Morgan wollte ihm höflich zuvorkommen, aber Stephen winkte ab. »Kein Problem, alter Junge. Ich finde schon alleine raus.«

Dann war er alleingelassen – allein mit seinem ungeladenen Gast. Er ging wieder zurück zum Bett und betrachtete das Mädchen. Ihr Gesicht war so starr und weiß, als wäre es aus Alabaster. Ihre durchscheinenden Augenlider schimmerten in einem zarten Rosé. Die pechschwarzen Wimpern warfen Schatten auf ihre Wangen. Ihre Brauen waren schmal und elegant geschwungen.

Doch es war ihre Haut, die seine Aufmerksamkeit am längsten gefangenhielt. Sie war so unglaublich zart und makellos. Er hatte den unbändigen Wunsch, die Wange des Mädchens zu streicheln, um zu fühlen, ob sie wirklich so weich und zart war, wie sie aussah ...

Es war ihm schon wieder passiert, erkannte er. Warum hielt er sie ständig für ein Mädchen, das sie ja wohl kaum noch sein konnte? Vielleicht lag es an ihren weitaufgerissenen Augen, dem beinahe flehenden Gesichtsausdruck, als sie entdeckt hatte, daß er nicht Nathaniel war; aber sie konnte tatsächlich nicht mehr so sehr jung sein – er schätzte sie auf Anfang zwanzig.

Sein Blick schweifte weiter und verweilte an der sanften Rundung ihrer Brüste, die sich unter dem seidenen Hemdchen abzeichneten. Er hatte sie bereits von ihren Unterröcken und ihrem Mieder befreit, bevor Stephen eingetroffen war. Sie trug nur noch ihr Unterhemd. Obwohl sie schlank und groß war, war ihr Körper gut entwickelt und sehr weiblich. Er hatte sich ihr gegenüber zwar als sehr distanziert gezeigt, trotzdem war es ihm unmöglich, ihre starke Sinnlichkeit zu ignorieren.

Oh ja, man konnte sie als hübsch bezeichnen – wenn man auf Blondinen stand, was er allerdings nicht tat. Für seinen Geschmack waren sie meistens zu langweilig und geistlos.

Sie bewegte sich, wälzte unruhig ihren Kopf auf dem Kissen. Morgan beugte sich zu ihr nach unten, denn er hatte ein Geräusch vernommen ... hatte sie ein Wort flüstern hören. Einen Namen.

Nathaniel.

Morgan erstarrte und trat zurück. Jetzt waren seine Gedanken wieder klar und unnachgiebig. Wer immer diese Frau war, er schätzte ihre Gegenwart in seinem Hause nicht. Leider war sie da, was er kaum leugnen konnte – und er wurde wieder an Dinge erinnert, die er längst vergessen geglaubt hatte.

Nun gut, er würde jedenfalls dafür sorgen, daß sie die bestmögliche Pflege erhielt. Mit ein bißchen Glück war sie bald wieder auf den Beinen, und dann würde er sie entschieden darum bitten, so schnell wie möglich abzureisen.

Weil sie stöhnte, konnte er nicht umhin, sie wieder anzusehen. Als ihre Finger eine Ecke der Tagesdecke umklammerten, nahm er einen goldenen Schimmer wahr. Wie gebannt blickten seine Augen auf den Goldreifen, der den Ringfinger ihrer linken Hand zierte.

Ein heftiger Fluch entfuhr ihm. Herr im Himmel! Was hatte Nat jetzt wieder angestellt? Morgan wagte es nicht zu glauben. Nat konnte sich einfach nicht von Schwierigkeiten fernhalten. Gott behüte, daß er sich mit einer verheirateten Frau abgegeben hatte!

Verdammt! dachte er und verließ völlig aufgebracht das Zimmer. Verdammt! Warum war Elizabeth Stanton hier? Und in welcher Beziehung stand sie zu Nat?

Ihn beschlich das Gefühl, daß ihm die Antwort darauf nicht gefallen würde.

Der falsche Bräutigam

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