Читать книгу Der falsche Bräutigam - Samantha James - Страница 8
Kapitel 3
ОглавлениеVon Schmerzen gepeinigt und beinahe von Sinnen durchlebte Elizabeth die darauffolgenden Tage im Dämmerzustand. Und doch erkannte sie tief in ihrem Unterbewußtsein die Signale, daß sie ernsthaft krank war. Hitzewallungen durchliefen ihren gesamten Körper. Ihr Kopf dröhnte, und jeder Atemzug schien sie innerlich auszuhöhlen. Sie war sich nur schemenhaft darüber bewußt, daß sie sich in ihrem Bett wälzte und stöhnte und daß eine ihr unbekannte Stimme sie dazu aufforderte, etwas zu trinken oder zu schlürfen. Oft fühlte sie eine Hand auf ihrer Stirn; man rieb ihr mit einem feuchten, angenehm kühlenden Tuch über Hals und Schultern. Stimmengewirr erklang um sie herum.
Dann nahm sie eines Tages wieder das strahlende Sonnenlicht wahr, das geradewegs durch das vor ihr liegende Fenster fiel. Langsam erwachte sie wieder zum Leben. Sie wollte ihr Gesicht vor der Sonne schützen, aber das gelang ihr nicht. An dem Stimmengemurmel um sie herum erkannte sie, daß sie nicht allein war. Sie wollte protestieren, weil etwas nicht stimmte – in ihrem Londoner Stadthaus und in ihrem Zimmer in Hayden Park hatten sich die Fenster jeweils am Kopfende ihres Bettes befunden.
Schützend legte sie eine Hand vor ihre Augenlider. »Das Licht tut mir weh«, beschwerte sie sich.
Ein tiefes, herzliches Lachen erklang über ihr. »Nun, dann bin ich ja froh, daß wir Sie wieder bei uns haben.«
Es war die Stimme eines Fremden. Verwirrt öffnete Elizabeth ihre Augen und sah sich einem Mann mit kräftigem braunen Haar gegenüber, dessen fröhlich zwinkernde Augen beinahe die gleiche Farbe aufwiesen. Ein entsetzlicher Schock durchfuhr sie – wie kam dieser Mann in ihr Schlafzimmer? Aber es kam noch schlimmer, er saß auch noch in einem Sessel dicht neben ihrem Bett.
»W-wer sind Sie?« Die Stimme klang nicht wie ihre eigene. Es war ein leises, trockenes Krächzen.
Der Mann lachte leise. »Ich bin Dr. Stephen Marks und habe Sie während der letzten Tage betreut.« Er wandte den Kopf zur Seite. »Ich muß zugeben, daß ich als Amerikaner nicht so recht weiß, wie ich Sie ansprechen soll. Soll ich Sie mit Lady Elizabeth anreden?«
Obwohl sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte Elizabeth bereits entschieden, daß sie Dr. Stephen Marks mochte. Aufgrund seines anteilnehmenden und freundlichen Verhaltens schenkte sie ihm sofort Vertrauen.
Sie ignorierte ihren trockenen Hals und ihre aufgeplatzten Lippen und lachte. »Einfach nur Elizabeth.«
»Gut. Dann nenn’ mich Stephen.« Auf einem Tisch neben dem Kopfende des Bettes stand ein Wasserkrug. Er mußte geahnt haben, daß sie durstig war, denn er schenkte ein Glas Wasser ein und bot es ihr an. »Hier, bitte trink’ das«, murmelte er, rückte ihre Kissen zurecht und war ihr dabei behilflich, als sie sich aufsetzte. Dann reichte er ihr ihren weißen Seidenumhang und drehte sich diskret um, damit sie ihn sich umlegen konnte. Elizabeth lächelte dankbar, als er das Glas an ihre Lippen führte. Es erstaunte sie, wie schwach sie doch war, denn ihre Muskeln schienen sich in Pudding verwandelt zu haben.
Als sie das Glas geleert hatte, fragte er unumwunden: »Weißt du eigentlich, wo du bist, Elizabeth?«
Von allen Seiten stürmten die Erinnerungen auf sie ein – sie rief sich ins Gedächtnis zurück, daß sie im Salon auf Nathaniel gewartet hatte. Aber es war nicht Nathaniel gewesen, der gekommen war – sondern dieser große, unnahbar elegante Fremde ... Sie biß sich auf die Lippen, versuchte diese naheliegende Frage zu klären und ließ dabei ihren Blick über das kostbare Mobiliar im Raum schweifen.
»So wie es aussieht«, murmelte sie, »bin ich wohl nicht im Krankenhaus. Also muß ich annehmen, daß ich mich immer noch im Hause von Nathaniel O’Connor befinde.«
Er zögerte und legte seine Stirn in Falten, dann nickte er. »Erzähle mir doch bitte, Elizabeth, wie du dich fühlst.«
Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich in ihrem gesamten Leben jemals so schlecht gefühlt hatte, und das sagte sie ihm auch. Und kurz darauf fragte sie: »Welcher Tag ist heute?«
»Sonntagmorgen.«
Überrascht riß sie ihre Augen auf. Am Mittwochnachmittag hatte ihr Schiff angelegt. »Oh je«, murmelte sie und erntete ein weiteres fröhliches Lachen von Stephen. Sie biß sich auf die Lippe und sah ihn hoffnungsvoll an. »Glaubst du, daß ich kurz aufstehen kann?«
Er wollte den Kopf schütteln, nahm dann jedoch ihren verzweifelten Gesichtsausdruck wahr. »Ich schlage vor, wir versuchen es einfach mal – ein paar Schritte dürften nicht schaden. Komm, ich helfe dir.« Er zog die Tagesdecke zurück und vermied es, auf ihre nackten Beine zu schauen.
Elizabeth schwang ihre Füße zu Boden und war insgeheim überrascht, wie steif sie war. Trotzdem bot sie ein Bild der Entschlossenheit. Stephen legte ihr unterstützend einen Arm um ihre Taille. Sie lächelte ihn dankbar an und versuchte, sich zu erheben. Bald darauf war ihr Gesichtsausdruck in Verzweiflung umgeschlagen, als sie entdeckte, daß ihre Beine ihren Dienst verweigerten.
Sie ließ sich zurücksinken. »Ach du meine Güte«, sagte sie mit einem zitternden Lächeln. »Ich befürchte, ich bin dazu noch nicht in der Lage.«
Stephen schüttelte nur den Kopf und grinste, als er ihre nackten Beine wieder ins Bett zurückhievte. Sie lehnte sich zurück in ihre Kissen; es kam ihr absurd vor, fast drei ganze Tage hatte sie geschlafen und war doch so müde und geschwächt. Wie sie das verabscheute! »Was ist denn eigentlich mit mir los?«
»Du hast eine Lungenentzündung, befürchte ich. Und obwohl die kritische Phase überstanden scheint, bist du noch sehr krank, Elizabeth.« Er erhob sich aus seinem Sessel. »Deshalb bitte ich dich, dich zu schonen. Ich habe den Koch gebeten, dir etwas Brühe zuzubereiten, und dann werden wir sehen, wie dir das bekommt. Ein bißchen Essen bringt dich wieder zu Kräften. Und wenn du in der Zwischenzeit irgend etwas brauchst, laß es mich bitte wissen.«
Als der Doktor den Raum verließ, trat eine andere Person ein.
Er war es.
Die Tür fiel ins Schloß.
Sie waren allein.
Ein Anflug von Panik beschlich sie. Wie seltsam, denn Elizabeth hatte sich nie für einen Angsthasen gehalten, aber die Konfrontation mit diesem Mann bereitete ihr fast physisches Unbehagen.
Er besaß kaum Ähnlichkeit mit Nathaniel, stellte sie abwesend fest. Dieser Mann hier war größer. Schlanker. Und von seinem Aussehen her zu urteilen der ältere. Er lächelte nicht, so wie Nathaniel es sicherlich getan hätte. Und auch der Ausdruck in seinen Augen war nicht freundlich ...
Statt dessen waren sie kühl und starr auf sie gerichtet.
Seine Kleidung war schlicht, aber elegant – dunkler Anzug mit dazu passender schwarzer Seidenweste. Außer einer Taschenuhr trug er keinen Schmuck. In diesem Augenblick konnte sie nur davon ausgehen, daß sein Verhalten genauso abweisend und widerwärtig war wie sein Aussehen! Die lange Nase, die wachen Augen, das pechschwarze Haar. Diese Augen ... Sie bohrten sich wie Nadelspitzen an ihr fest. In ihnen flackerte Arroganz, Verachtung, kühles, skeptisches Abschätzen auf ... und dann war es vorbei – keine weitere Regung.
Weitere Erinnerungen stürmten auf sie ein. Wie sie in ein tiefes, schwarzes Loch gefallen war. Dunkel und warm. Wie sie die Arme eines Mannes umschlangen ... die Arme dieses Mannes. Sie nahm wieder den Duft von Pimentöl wahr, wie sie die Treppen hochgetragen worden war und wie warme Hände ihren Körper berührt und ihr Mieder gelöst hatten. Auf der heißen Haut ihrer Brüste ...
Sie faßte sich verstört an den Hals. »Sie haben mich angefaßt«, flüsterte sie anklagend. Dieser Mann – dieser Fremde – hatte sie entkleidet. Hatte sie berührt, wie es noch kein Mann zuvor gewagt hatte, wozu niemand nicht einmal Nathaniel – das Recht hatte.
Nathaniel. Gütiger Gott, und das hier war sein Bruder. Ein Mann, an dessen Existenz sie nicht im Traum gedacht hätte – von dem sie gar nicht gewußt hatte, daß es ihn gab.
»Ich fürchte, das war unter den gegebenen Umständen unvermeidlich.« Das klang beileibe nicht wie eine Entschuldigung, bemerkte sie entrüstet. Als er dem Bett näherkam, richtete sie sich auf. Zu ihrem größten Entsetzen war seine Verbeugung so höfisch, wie man sie nur in London erleben konnte.
»Ich glaube, wir sollten unsere Bekanntschaft noch einmal erneuern«, sagte er einlenkend. Ihre Finger wurden von einem starken Händedruck umschlossen – und sie trug noch nicht einmal Handschuhe! Das Gefühl warmer, rauher Haut verursachte ihr starkes Unbehagen. »Morgan O’Connor, zu Ihren Diensten.«
Mit fragend zusammengezogenen Brauen wartete er auf ihre Antwort. »Lady Elizabeth Stanton«, sagte sie kurzatmig. Als sie sprach, versuchte sie, ihm vorsichtig ihre Hand zu entziehen. Aber zu ihrem Leidwesen ließ er sie nicht los. Und die Jahre der guten Erziehung forderten ihren Tribut; sie war zu sehr Lady, als daß sie ihm eine Szene hätte machen können.
Dem Himmel sei Dank, sie brauchte sich nicht weiter zu bemühen, denn plötzlich ließ er ihre Hand los und trat einen Schritt zurück.
»Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, aber ich habe mir die Freiheit genommen, Ihre Koffer vom Hafen herbringen zu lassen.«
Elizabeth blickte ihn an. »Ich danke Ihnen«, murmelte sie. Trotz seiner gewählten Kleidung hatte er etwas von einem Raubtier an sich, was sie zur Vorsicht gemahnte. Mit gemischten Gefühlen beobachtete sie, wie er einen Stuhl neben ihr Bett schob.
Er lächelte kurz, aber sein Blick blieb kühl. »Sie müssen über meine kulturelle Ignoranz hinwegsehen, wenn ich Sie jetzt neugierig frage, warum Sie sich Lady Elizabeth Stanton nennen.«
Machte er sich etwa über sie lustig? Ganz sicher war sie sich nicht. Nervös befeuchtete sie mit ihrer Zungenspitze ihre Lippen und bemerkte nicht, wie ein dunkelgraues Augenpaar diese Bewegung verfolgte. »Ich bin die Tochter des Earl of Chester. Und das versetzt mich in den gesellschaftlichen Rang einer ›Lady‹.«
»Verstehe«, murmelte er. »Ich muß zugeben, Elizabeth, daß mich genau diese Aussage um so neugieriger macht, was denn eine Adlige von meinem Bruder will.«
Während er sprach, hatte er stilgerecht die Hacken zusammengeschlagen. Obwohl Elizabeth diese Geste für vollkommen überflüssig hielt, empfand sie es doch als anmaßend, daß er ihren Titel einfach wegfallen ließ. Es beschlich sie jedoch das merkwürdige Gefühl, daß dieser Mann nichts unbeabsichtigt tat.
Ihr wohlgeformtes Kinn richtete sich auf. Sie ließ sich hier nicht beleidigen, und es wurde Zeit, daß auch er das begriff. »Das läßt sich ganz leicht erklären.« Sie legte ihre gefalteten Hände in ihren Schoß und blickte lächelnd in starre eisgraue Augen. »Ich bin seine Braut.«
»Tatsächlich. Und wie denkt Ihr Ehemann darüber?«
Damit hatte er sie unvorbereitet getroffen. »Mein Ehemann«, wiederholte sie seine Worte. Doch dann fuhr sie entrüstet fort. »Wieso sollte ich Nathaniel mein Jawort geben wollen, wenn ich bereits verheiratet wäre? Also, diese Frage ist infam, mein Herr! Natürlich habe ich keinen Ehemann!«
»Nein?« Seine Hand schnellte nach vorn und umschloß ihr Handgelenk mit eisernem Griff. Es tat zwar nicht weh, aber seine Bewegung war so plötzlich und unerwartet gewesen, daß sie vor Schreck beinahe geschrien hätte. »Und warum tragen Sie dann einen Ring«, meinte er herausfordernd, »wenn Sie unverheiratet sind? Ich frage mich wirklich, ob Sie überhaupt diejenige sind, für die Sie sich ausgeben. Vielleicht ist unsere Lady Elizabeth Stanton nur eine Farce – ein Mittel zum Zweck. Aber wer immer Sie sind, ich warne Sie, denn von meinem Bruder haben Sie wenig zu erwarten.«
Nach Luft ringend entzog sich Elizabeth seinem Griff. Die Boshaftigkeit dieses Mannes war unübersehbar, und sie war es nicht gewohnt, Zielscheibe derartiger Verdächtigungen zu sein. »Selbstverständlich sage ich die Wahrheit. Und weil ich ohne Begleitung reiste«, erklärte sie hastig, »mußte ich mich vor ungebetenen Zudringlichkeiten der männlichen Passagiere schützen. Der einfachste Weg erschien mir deshalb, mich bereits als verheiratete Frau auszugeben – und deshalb trage ich diesen Trauring.«
Er kniff seine Augen zusammen. »Warum reist eine Dame Ihres Standes ohne Begleitung?«
»Ich weiß nicht, ob Sie diese Angelegenheit etwas angeht«, entgegnete ihm Elizabeth schnippisch.
»Sie sind Gast in meinem Hause«, erwiderte er höflich. »Deshalb ist es auch meine Angelegenheit.«
»Ihre Angelegenheit ... Ihr Haus«, zischte Elizabeth angewidert. »Sie undankbarer Kerl! Ich bin doch kein Dummkopf! Sie leben vielleicht hier, aber das Haus gehört Nathaniel!«
Ein unterkühltes Grinsen machte sich auf seinen verkniffenen Lippen breit. Dann antwortete er ihr mit nur einem einzigen Wort. »Nein.«
Elizabeth starrte ihn an. »Nein? Ich darf doch bitten, was meinen Sie damit, Sir? Ich weiß ganz sicher, daß dieses Haus Nathaniel gehört – das war mir gleich bei meiner Ankunft klar! Er hat es mir so exakt beschrieben, daß ich es mir genau vorstellen konnte!«
»Tatsächlich.« Morgan sprach in lockerem Tonfall, aber seine Gesichtszüge blieben starr. »Ich vermute, er hat Sie auch mit Geschichten von der O’Connor Schiffswerft und den Ammenmärchen von seinem florierenden Geschäft geködert, das er in all den Jahren aufgebaut hat.«
»Und wenn es so wäre? Ich wage zu behaupten, daß er allen Grund dazu hat, auf das Erreichte stolz zu sein!« Sie sprach aus tiefster Überzeugung, denn Morgan O’Connor war wirklich mit Abstand der arroganteste Mann, den sie jemals kennengelernt hatte.
Eine dunkle Braue hob sich. »Mein liebes Fräulein«, sagte er gedehnt, »mein Bruder hat in seinem gesamten Leben vermutlich keinen einzigen Tag gearbeitet, und wenn, dann mit Sicherheit weder für noch auf der O’Connor Schiffswerft. Vielleicht wissen Sie es noch nicht, aber es gibt Leute, die Nathaniel als Lügner bezeichnen. Als Betrüger.«
»Mit solchen Leuten habe ich nichts zu tun! Aber es verwundert mich, wie ein Mann gegenüber seinem eigenen Bruder so verleumderisch sein kann!«
»Sie brauchen nur die Dienerschaft zu fragen, dann wissen Sie, daß ich nicht lüge. Sie befinden sich nämlich absolut im Irrtum, wenn Sie etwas anderes annehmen. Denn ich kann Ihnen versichern, daß dieses Haus komplett mir gehört. Und auch die O’Connor Schiffswerft ist ausschließlich mein Eigentum.«
Er sprach ruhig und mit Bedacht. Jede Spur von Arroganz war aus seiner Stimme gewichen. Elizabeth beobachtete ihn, denn ihr Verstand verlangte nach einer Erklärung. Ihr Kopf schmerzte wieder. Als die Sekunden qualvoll verstrichen, machte sich ein unangenehmes Gefühl in ihrer Magengegend breit. Auf einmal war sie sich nicht mehr ganz so sicher – und auch Nathaniels nicht.
Aber bei Gott, sie würde es nicht zulassen, daß Morgan O’Connor diesen Raum in dem Gefühl verließ, daß er gesiegt hatte.
Sie beobachtete ihn, wie er sich vor dem Kamin aufbaute. Einen Ellbogen auf den Kaminsims gestützt, drehte er sich lässig zu ihr um. »So«, meinte er, »dann sind Sie also wirklich Lady Elizabeth Stanton?«
Mit abfälligem Blick entgegnete sie voller Verachtung: »Also was denn nun, mein Herr? Zunächst wollten Sie mir nicht glauben, als ich mich Ihnen vorstellte. Und jetzt scheinbar doch? Ich frage mich, was ich davon halten soll?«
Er antwortete ihr kurz und bündig: »Sie wollen Nathaniel also wirklich heiraten?«
»Er hat um meine Hand angehalten, und ich habe ihm mein Jawort gegeben. Weil mein Vater krank war, konnte ich ihn leider nicht sofort begleiten.« Während sie sprach, faltete Elizabeth unter ihrer Decke die Hände auf ihren Knien – es war wirklich schwierig, Würde auszustrahlen, wenn man nur ein Nachtkleid und einen Überwurf trug.
»Meines Wissens hat Nathaniel bislang noch nie den Wunsch geäußert zu heiraten.« Er schien zu überlegen. »Aber die Tochter eines Grafen, hm? Nun ja, das würde ihm schon gefallen. Jetzt wird mir alles klar. Zweifellos sind Sie sehr vermögend.«
Elizabeth würde es schwindlig. Seine Beleidigung zielte zwar mehr auf Nathaniel ab als auf sie, aber sie spürte den Stachel nicht minder.
Doch er war noch nicht fertig, dieser brutale Kerl! Mit aalglatter Stimme fuhr er fort: »Eine Dame mit Umgangsformen«, meinte er beinahe gedankenverloren. »Eine Dame von Stand. Eine englische Aristokratin ... Warum auch nicht, diesmal hat sich Nat wirklich selbst übertroffen.«
Dunkelgraue Augen musterten sie intensiv und verweilten mit unverhohlener Anerkennung auf den Rundungen ihrer Brüste. Sie fühlte sich, als hätte er sie mit seinem Blick nackt ausgezogen. Tief in ihrem Inneren war sie beschämt, denn kein Mann hatte es jemals gewagt, ihr ein solches Gefühl zu vermitteln – so gewöhnlich und billig.
Seine Augen trafen ihren Blick. »Ja«, sagte er beiläufig. »Ich teile den Geschmack meines Bruders. Aber er wird sich selbstverständlich abgesichert haben, daß er einen solchen Hauptgewinn nicht wieder verliert.« Er hielt inne und ein fast zynisches Lächeln umspielte seine Lippen. »Sagen Sie mir, Elizabeth, wann erwarten Sie Ihr Kind?«
Zunächst begriff Elizabeth nicht. Als er seinen Blick jedoch auf ihren Leib gerichtet hielt, schoß ihr vor Verlegenheit die Röte ins Gesicht. Dann wurde sie zornig.
Zitternd vor Wut umklammerten ihre kleinen Fäuste die Bettdecke. »Mein Gott, wenn ich könnte, würde ich Ihnen ins Gesicht schlagen.«
Und er lachte noch, dieser Halunke, er lachte! »Wenn Sie dazu in der Lage sind, können Sie es gern nachholen.«
Zutiefst entrüstet schrie sie ihn an: »Für Sie immer noch Lady Elizabeth!«
Er schien ihr gar nicht zuzuhören, sondern verließ seelenruhig das Zimmer. Elizabeth war zutiefst entsetzt über ihr undamenhaftes Verhalten. Sie hatte noch niemals in ihrem Leben jemanden angeschrien, nicht einmal ihre Stiefmutter, obwohl ihr danach oft der Sinn gestanden hatte.
Sie starrte auf die Tür, die gerade hinter ihm ins Schloß gefallen war. Kein Wunder, daß Nathaniel seinen Bruder nie erwähnt hatte. Er war mit Sicherheit der verabscheuungswürdigste Mensch, den man sich vorstellen konnte.
Kurze Zeit später fiel ihr auf, daß sie immer noch nicht wußte, wo Nathaniel denn eigentlich war.