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Kapitel 4

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Stephen hatte im Flur auf Morgan gewartet. Mit angewidert verzogenem Mund, die Arme vor der Brust verschränkt, machte er keinen Hehl aus seiner Verärgerung.

»Es tut mir leid, aber das war kaum zu überhören.« In Stephens Tonfall und Verhalten äußerten sich Mißbilligung. »Elizabeth ist nun wirklich momentan nicht in der Verfassung, mit Typen wie dir den Kampf aufzunehmen, Morgan.«

Kampf? Morgan konnte sich nicht helfen, das amüsierte ihn. Als Stephen sprach, hatte er unbewußt immer noch ihren wütenden Blick vor Augen. Es erstaunte ihn, daß Stephen mit seiner Einschätzung so falsch lag – er hatte eher den Eindruck, daß Elizabeth es ohne mit der Wimper zu zucken selbst mit Königin Victoria aufgenommen hätte, was ihren Kampfgeist betraf.

Nein, dachte Morgan noch einmal. Diese Lady war kein Schwächling, sie besaß Rückgrat.

Er hielt seine Antwort in bewußt lockerem Ton. »Was! Du beliebst zu scherzen, Stephen. Ich hab’ doch mit diesem Mädelchen nicht ›im Kampf gelegen‹, oder wie du dich auszudrücken pflegst.«

Stephen blieb hartnäckig. »Trotzdem möchte ich dich daran erinnern, daß sie meine Patientin ist.«

»Und ich darf dich daran erinnern, daß sie unter meinem Dach wohnt.« Trotz seines vagen Lächelns bestand kein Zweifel an der Deutlichkeit seiner Worte.

Stephen verzog sein Gesicht. »Jetzt reicht es aber, Morgan. Du weißt, daß ich der letzte bin, der sich einmischt, aber es wird mit Sicherheit noch eine Weile dauern, bis sie wieder völlig gesund ist. Und als Mediziner habe ich die Pflicht, dafür zu sorgen, daß das so schnell wie möglich geschieht. Sie muß sich auf ihre Genesung konzentrieren – also keine Probleme, keinen Ärger.«

Eine dunkle Braue hob sich. »Also dann würde ich vorschlagen, Stephen, daß wir die Diskussion in meinem Arbeitszimmer fortsetzen, schließlich könnte die Lady uns hier hören und sich aufregen.«

»Ja ... ja natürlich, du hast recht.« Stephen schloß sich seinem Freund an.

Morgans Arbeitszimmer nahm einen Großteil des Ostflügels des Gebäudes ein. Riesige Fenster boten einen Blick auf den Garten, der im Frühling und im Sommer zu leuchtender Farbenpracht erblühte. Obwohl er Amelia die geschmackvolle Gestaltung des Hauses überlassen hatte, war dieser eine Raum komplett nach seinen Vorstellungen eingerichtet worden. Möbel aus Mahagoniholz und üppige, dunkle Ledersessel bestimmten die Einrichtung des Zimmers; das alles wirkte sehr maskulin, schlicht und gemütlich.

Morgan ging zu einem Beistelltisch hinüber und goß aus einer Karaffe ein Glas Brandy für Stephen ein. Er reichte es ihm und beobachtete, wie Stephen das Glas an seine Lippen führte. Dann meinte er salopp: »Nimm’s mir nicht übel, Stephen, aber es scheint mir, als wärest du ziemlich angetan von der Dame.«

Stephen lachte stillvergnügt in sich hinein. »Schweig’, mein Lieber. So reizvoll mir diese Aussicht auch scheint, sind Spekulationen zum jetzigen Zeitpunkt doch verfrüht.«

»Dann ist es ja gut«, bemerkte Morgan. »Weil ich nämlich befürchte, daß sie schon jemandem versprochen ist.«

Stephen räusperte sich und sah ihn irritiert an. »Nun ja. Ich hätte es wissen sollen.« Er machte es sich im nächstbesten Sessel gemütlich, saß jedoch plötzlich kerzengerade. »Großer Gott! Ich wollte sie noch fragen, wer der Glückliche denn eigentlich sei, aber ... sie ist hierhergekommen, um Nathaniel zu besuchen – erzähl’ mir jetzt bitte nicht, daß er der Ehekandidat ist!«

Sein Blick war auf Morgan gerichtet, der wortlos nickte.

Stephen sah ihn verständnislos an. »Er hat zweifellos einen Blick für schöne Frauen, nicht wahr?« Auf einmal runzelte er die Stirn. »Meinst du, sie glaubt wirklich, daß er sie heiraten wird?«

Morgan lachte kurz und heftig auf. »Offensichtlich hat sie keine Ahnung von der Unzuverlässigkeit und den Launen meines Bruders. Kannst du dir vorstellen, daß sie in dem Glauben hierhergekommen ist, dies sei sein Haus? Und er sei auch der Besitzer der Werft? Gott sei seiner Seele gnädig – er hat ihr gesagt, alles gehöre ihm!«

»Sieht so aus, als versuchte er es wieder mit seinen alten Tricks.« Stephen beobachtete ihn. »Du hast ihm immer noch nicht verziehen, nicht wahr?«

Morgan versteifte sich. Er sprach kein Wort, allein sein Schweigen verriet ihn ...

Stephen schüttelte den Kopf. »Manchmal frage ich mich, Morgan, was eigentlich mit dir los ist«, sagte er leise.

Das verwunderte Morgan kaum, waren seine Gedanken doch ebenso düster wie seine Stimmung. Die Zeit hatte ihn altern lassen, dachte er. Und das Leben hatte ihn hart gemacht.

Eine Hälfte seines Mundes verzog sich zu einem beinahe sardonischen Lächeln. »Und ich frage mich, warum du eigentlich noch mein Freund bist, Stephen.«

»Wieso?« fragte Stephen grob. »Weil ich einer von diesen blaublütigen Bostonern bin, die du so ablehnst?« Sein Familienstammbaum reichte weit über zweihundert Jahre zurück. Sein ehrenwerter Name gehörte zu den ältesten und bekanntesten in der Stadt.

Aber Morgan hatte die »Blaublüter«, wie Stephen sie zu nennen pflegte, nicht immer gehaßt. Auch wenn er die gesellschaftliche Oberschicht der Stadt für aufgeblasen und wichtigtuerisch hielt, hatte er sie doch insgeheim beneidet. Schon oft hatte er sich gewünscht, einer von ihnen zu sein – ganz besonders, als er noch ein Junge war.

Als ihre Mutter noch lebte, hatte sie ihn und Nathaniel einmal mitgenommen, um die »Prachtbauten auf dem Hügel« anzusehen, wie sie sie nannte. Eines dieser riesigen Häuser hatte sich gerade in der Fertigstellung befunden. Als die Handwerker gegangen waren, waren die drei durch die leeren Räume stolziert und hatten sich vorgestellt, in diesem großartigen Gebäude zu wohnen. Seit diesem Tag hatte er immer wieder geträumt, daß auch er eines Tages ein solches Anwesen besitzen wurde.

Und so war es jetzt.

Aber er konnte seine Wurzeln niemals verleugnen. Es war mehr als schmerzhaft gewesen, diese Wahrheit anzuerkennen.

Immer noch umspielte die Spur eines Lächelns seinen Mund. »Um ganz ehrlich zu sein, Stephen, überrascht mich deine Loyalität, aber ich schätze sie genauso sehr, wie ich deine Freundschaft zu schätzen weiß. Und du hast natürlich recht. Elizabeth Stantons Gesundheit sollte unser vorrangiges Interesse gelten. Ihre Genesung liegt in deinen Händen. Und ich gebe dir mein Wort, daß ich die Dame nicht weiter belästigen werde.«

Die darauffolgende Woche verging wie im Fluge. Elizabeth war immer noch geschwächt und mußte das Bett hüten, aber ihre Genesung machte gute Fortschritte. Die meiste Zeit schlief sie oder ruhte sich aus – das war laut Stephen, der ihren Gesundheitszustand täglich überprüfte, ohnehin die beste Medizin. Ihr fiel auf, daß dieser Mann äußerst zuvorkommend, witzig, freundlich und mitfühlend war. Deshalb mochte sie ihn sehr.

Stephen war es auch, der sie darüber aufklärte, daß Morgan die Wahrheit gesagt hatte – das schöne Haus war zweifellos sein Eigentum. Und die O’Connor Schiffswerft gehörte ebenfalls komplett ihm.

Elizabeth fand dadurch allerdings wenig Seelenfrieden. Die Zweifel, die sie jetzt plagten, ließen sich nicht von der Hand weisen. Nathaniel – ihr galanter, ritterlicher Charmeur – hatte gelogen. Aber noch ein anderer störender Gedanke quälte sie. Ich liebe dich, hatte er ihr geschworen. So innig. So überzeugend.

War das auch eine Lüge gewesen?

Tief und heftig sog sie die Luft ein. Nein, beruhigte sie sich energisch. Das hätte sie bemerkt. Das hätte sie mit Sicherheit bemerkt.

Oder nicht?

Jetzt, da Stephen sie ins Wohnzimmer begleitete, damit sie sich dort hinsetzen konnte, fielen ihr eine Menge Fragen ein.

»I-ich verstehe einfach nicht«, sagte sie und ließ sich auf dem ihr angebotenen Sessel nieder, »ich verstehe einfach nicht, warum er so etwas tun sollte! Glaubst du, er könnte vielleicht gedacht haben, daß ich ihn weniger achten würde, wenn er mir die Wahrheit sagte? Und er hat mir erzählt, daß er in Boston zu Hause ist.«

Stephen zögerte. »Das stimmt auch«, sagte er langsam.

»Wo ist er dann, frage ich mich ... wo?« Elizabeth blickte Stephen verwirrt an. In ihrer Verzweiflung war ihr sein Zögern kaum aufgefallen.

»Elizabeth, ich muß zugeben, daß es mir schwerfällt, über Nathaniel zu sprechen. Irgendwie fühle ich mich dabei wie ... wie ein ungezogener Schuljunge, der dir Märchen auftischt.«

»Unsinn«, sagte Elizabeth entschieden. Als er aber schwieg, wurde ihr Ton flehend. »Bitte, Stephen. Bitte sag’s mir. Du bist der einzige Freund, den ich hier habe.«

Stephen seufzte. »Elizabeth, du bringst mich in eine unangenehme Situation. Bitte frag’ doch Morgan, wenn du darüber etwas wissen möchtest.«

Morgans Bild erschien vor ihrem geistigen Auge. Elizabeth konnte nichts dafür; allein der Gedanke an seinen stechenden eisgrauen Blick ließ sie erschauern.

Sie nagte an ihrer Lippe. »Oh, Stephen, i-ich würde ja, aber ich werde das Gefühl nicht los, daß Morgan seinen Bruder absolut nicht leiden kann! Und obwohl ich selbst keine Geschwister habe, finde ich das sehr merkwürdig.«

»Das stimmt«, gab Stephen zu. »Sie stehen sich nicht mehr sehr nahe. Aber das war nicht immer so.« Als er sah, wie Elizabeth interessiert die Augen aufriß, schüttelte er seinen Kopf, um jeder weiteren Frage Einhalt zu gebieten. »Es tut mir leid, Elizabeth. Ich kann dir nichts weiter sagen, als daß einer der beiden deine Fragen beantworten sollte.« Er zögerte, dann drückte er ihre Hand, die in ihrem Schoß lag. »Es wäre vielleicht unklug, zu viel von Nathaniel zu erwarten.«

Was für eine verschlüsselte Botschaft. Schließlich blieb ihr nun doch keine andere Wahl, als seinen Rat anzunehmen – Morgan aufzusuchen.

Sie hatte ihn nur noch selten gesehen, was ihr sehr gelegen kam, denn sie fand Nathaniels Bruder zutiefst widerwärtig! Frühmorgens verließ er bereits das Haus und kehrte oft nicht vor dem späten Abend dorthin zurück. Er hatte sich weder die Mühe gemacht, sie zu besuchen noch sich nach ihrem Gesundheitszustand zu erkundigen, bis sie ihm eines Tages über den Weg gelaufen war, als er aus der Bibliothek kam. Sicher, er war sehr höflich gewesen, aber hinter seiner mitfühlenden Fassade hatte sie leisen Spott bemerkt, und das hatte sie, die sonst so ausgeglichen war, aus der Fassung gebracht.

Am späteren Nachmittag hatte ihr Simmons erzählt, daß er in seinem Arbeitszimmer war. Als sie vor der Doppeltüre aus massivem Eichenholz stand, beschlich sie das Gefühl, gleich die Höhle des Löwen zu betreten. Warum ihre Reaktion so merkwürdig war, wußte sie nicht. Sie wußte nur, daß er sie jedesmal aus der Fassung brachte, wie es sonst noch niemandem gelungen war.

Aber das war Unsinn. Er war auch nur ein Mann – ein zugegebenermaßen unsympathisches Exemplar seiner Gattung! – aber immerhin Nathaniels Bruder. Sie straffte ihre Schultern, schalt sich für ihr kindisches Benehmen und klopfte entschlossen an die Tür.

»Herein«, hörte sie seine tiefe männliche Stimme.

Mit dem Mut der Verzweiflung öffnete sie die Tür und trat ein.

Er saß hinter einem riesigen Schreibtisch, der strategisch geschickt in der Nähe der Fenster stand. Wieder war er ganz in Schwarz gekleidet. Als er sie sah, flackerte unverhohlene Überraschung in seinen auffällig hellgrauen Augen auf.

Mit einer geschmeidigen Bewegung richtete er sich auf, und dann war es an ihr, verblüfft zu sein, denn er verließ den Schreibtisch und ging geradewegs auf sie zu. »Aber, Elizabeth, das ist ja eine Überraschung«, sagte er und griff nach ihrer Hand.

Einen Atemzug lang stand Elizabeth stumm und regungslos da. Sie roch das Pimentöl – seltsam, aber es erschien ihr fast schon angenehm! Aber seine direkte Nähe bereitete ihr Unbehagen; denn auch die betonte Eleganz seiner Kleidung konnte die Aura primitiver männlicher Vitalität nicht verbergen, die furchteinflößend wirkte. Wo seine Hand die ihre berührte, schien ihre Haut zu brennen.

Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter. In Panik versuchte sie, ihre Hand zu befreien, und war erleichtert, als er sie endlich losließ. Weil ihr keine passende Bemerkung einfiel, meinte sie schließlich nervös: »Ich hoffe, daß ich nicht störe.«

Sein kahler abschätziger Blick taxierte sie. Die Spur eines Lächelns umspielte seinen verhärmten Mund. »Nein, keineswegs. Es freut mich, daß es Ihnen wieder besser geht.«

Elizabeth drehte sich abrupt zu ihm um. Machte er sich über sie lustig? Zum Teufel mit diesem Mann, sie konnte ihn nicht einschätzen!

»Möchten Sie sich setzen, Elizabeth?« Er deutete auf einen Sessel in ihrer Nähe. Sie nickte und ließ es zu, daß er ihr behilflich war. Dann glättete sie ihre Röcke und beobachtete dabei, wie er zum Fenster ging. Dort blieb er mit auf dem Rücken verschränkten Armen einen Moment stehen, dann wandte er sich um und sah sie an. Es schien fast so, als wäre die Bestie – zumindest vorübergehend – gezähmt, dachte Elizabeth vorsichtig.

Sie räusperte sich und faltete ihre Hände in ihrem Schoß. »Ich glaube, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, Mr. O’Connor. Es war sehr taktlos von mir, Sie bei unserer letzten Begegnung so anzuschreien.«

Er hob eine seiner breiten Schultern. »Mein liebes Mädchen, das hat mir nichts ausgemacht. Um ehrlich zu sein habe ich überhaupt nicht mehr daran gedacht. Und ich habe Ihnen sicherlich einen Anlaß dafür gegeben, in dieser Form zu reagieren.«

Bei dieser Bemerkung wurde es ihr heiß und kalt. Was hatte er sie damals gefragt? Wann erwarten Sie denn Ihr Kind? Heiliger Vater, daß er überhaupt zu denken wagte, sie wäre zu etwas derartigem in der Lage! Sie konnte die wenigen Male, die Nathaniel sie geküßt hatte, an den Fingern einer Hand abzählen. Außerdem war eine solche Offenheit zwischen Mann und Frau unschicklich. Es schockierte sie, wie beiläufig Morgan darüber reden konnte.

Es machte überhaupt den Anschein, daß sie vorschnell reagiert hatte.

Seine Augen waren auf ihren Schoß gerichtet. »Aha«, murmelte er. »Wie ich sehe, haben Sie Ihren Trauring abgelegt.«

Elizabeth errötete. Sie schätzte es überhaupt nicht, daß er sie wieder an diesen Trick erinnerte. Wütend funkelte sie ihn an.

»Ich kam hierher, um mich für Ihre Gastfreundschaft zu bedanken, Sir, aber Sie machen es mir äußerst schwer.«

Er senkte seinen Kopf. »Ich nehme Ihren Dank an, Elizabeth. Aber ich habe das Gefühl, daß sich mehr dahinter verbirgt.«

Wie gelähmt saß Elizabeth in ihrem Sessel. Mein Gott, gab es denn nichts, was diesem Mann entging? Er schien einem mitten ins Herz sehen zu können.

Und dieses Gefühl verabscheute sie zutiefst ... genauso wie sie ihn zutiefst verabscheute.

Sie sprach kurz angebunden. »Dann komme ich also direkt zum Thema, Sir. Meine Erkrankung hat mich in eine mißliche Lage versetzt, weil sie die eigentlichen Absichten meines Herkommens behinderte.« Sie stockte. »An meinem Ankunftstag sagten Sie mir, Nathaniel sei nicht hier. Aber Sie sind sein Bruder und damit der einzige, an den ich mich wenden kann. Und deshalb frage ich Sie noch einmal ..., wo kann ich ihn finden?«

»Auch ich will nicht um den heißen Brei herumreden. Ich weiß es nicht, denn ich bin nicht sein Kindermädchen!«

Damit gab sich Elizabeth nicht zufrieden. »Aber Sie müssen doch irgend etwas wissen ... irgendeine Vorstellung haben, wann er zurückkehren wird.«

Sein Gesichtsausdruck hatte sich verhärtet. Vor lauter Angst, daß er ihr eine Antwort verweigern wurde, hielt sie den Atem an. Aber dann sprach er.

»Nein, habe ich nicht.«

»Aber das hier ist sein Zuhause ...«

»Ja, Boston ist seine Heimatstadt, Und ich vermute auch, daß Sie recht haben. Er wird zweifellos zurückkehren. Das tut er immer, früher oder später.«

»Und wird er hierher zurückkehren? In dieses Haus?«

Wieder diese belastende Stille. »Nein«, sagte er schließlich.

Sie blieb hartnäckig. »Sie bewohnen dieses Haus nicht gemeinsam?«

»Ich dachte, ich hätte mich in diesem Punkt bereits deutlich ausgedrückt.«

»Sie sind beide unverheiratet. Warum also nicht?«

»Das geht Sie nichts an.«

Elizabeth rang nach Luft. Sein Tonfall war wirklich unhöflich. Wie durch ein Wunder gelang es ihr, Ruhe zu bewahren. »Mr. O’Connor, ich bitte Sie zu bedenken, daß es mich doch etwas angeht. Nathaniel wird mein Ehemann. Und Sie folglich mein Schwager. Und wenn Sie über seinen Aufenthaltsort informiert sind, sollte ich es auch sein.«

»Meine liebe Elizabeth«, meinte er gedehnt. »Meine Anwälte sorgen dafür, daß mein Bruder eine überaus großzügig bemessene Unterstützung erhält, aber für Nathaniel ist es nie genug – ich sehe ihn immer nur, wenn er Geld nötig hat. Er lebt von der Hand in den Mund und von der Großzügigkeit anderer Menschen. Hat er etwa auch versäumt, Ihnen das zu erzählen?« Eine seiner Brauen schoß nach oben. »Sollten Sie beide wirklich heiraten, wäre ich nicht verwundert, wenn Sie den Ring versetzen müßten, den Sie auf Ihrer Überfahrt getragen haben. Also, Elizabeth, verraten Sie mir, ändert das Ihre Einstellung zu meinem geliebten Bruder?«

Sein Verhalten war absolut arrogant. Elizabeth kochte innerlich. »Es ändert gar nichts«, schnappte sie zurück. »Und Sie, mein Herr, sind unverzeihlich taktlos.«

Er verzog die Lippen. »Nein, Gnädigste. Im Gegensatz zu meinem Bruder bin ich immer aufrichtig und ehrlich.« Wütend funkelten sie sich an. Zu ihrem Bedauern war Elizabeth diejenige, die als erste den Blick senkte.

Einen Augenblick lang stand er mit vor der Brust verschränkten Armen vor ihr und sagte nichts. »Was werden Sie jetzt tun?«

Sie zuckte ihre Schultern. »Warten.«

»Auf Nathaniel?« meinte er in angewidertem Tonfall. »Großer Gott! Sie sind wirklich entschlossen, das Ganze durchzustehen, nicht wahr?«

»Er hat um meine Hand angehalten«, sagte sie bestimmt. »Er ist vielleicht nicht hier, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß er mich heiraten will.«

»Und falls er nun doch nicht der Mann ist, für den Sie ihn halten?«

»Ach ja, ich vergaß – der Gauner.« Sie befanden sich auf gefährlichem Boden, dachte sie. Sie haßte die Zweifel, die an ihr nagten, und versuchte, sie energisch beiseite zu wischen. »Was auch immer Nathaniel in der Vergangenheit gewesen sein mag«, sagte sie mit sanfter Entschlossenheit, »er hat sich geändert.«

Zu ihrer Überraschung betrachtete er sie lange und forschend. »Ich möchte Ihnen einen Rat geben, Elizabeth. Verlassen Sie Boston und vergessen Sie alles. Tun Sie so, als hätten Sie meinen Bruder nie kennengelernt. Glauben Sie mir, Sie werden es noch bitter bereuen, wenn Sie das nicht tun.« Er hielt inne. »Wenn Sie möchten, kann ich eine Schiffspassage für Sie buchen ...«

»Nein. Ich bleibe bei meinem Nein.« Es stand außer Zweifel, daß er von ihrer Hartnäckigkeit sehr irritiert war. Aus Furcht, daß er wütend werden könnte, holte Elizabeth tief Luft und beeilte sich zu erklären: »Sie haben mich einmal gefragt, ob ich wohlhabend bin. Nun, mein Herr, ich kann Ihnen versichern, daß ich das nicht bin. Ich bin enterbt worden, und Sie haben sicherlich Verständnis dafür, daß ich die näheren Umstände im Augenblick nicht erklären möchte. Aber die Konsequenz daraus ist, daß ich nicht nach England zurückkehren kann.«

Er bemühte sich keineswegs, seine Skepsis zu verbergen. »Das reicht jetzt. Erwarten Sie, daß ich Ihnen glaube, sie wären völlig mittellos?« In wenigen Schritten war er bei ihr. Sein ungläubiger Blick musterte sie und nahm dabei den changierenden Seidenmorgenmantel wahr, den sie übergeworfen hatte. »Sie, meine verwöhnte kleine Lady, tragen wohl kaum die Kleidung einer Armen.«

Seine spöttische Art verletzte sie tief. Vielleicht log er ja gar nicht. Vielleicht war Nathaniel früher ja wirklich ein Halunke gewesen. Aber sicherlich hatte sie recht. Sicherlich war alles genauso, wie sie es gesagt hatte. Er hatte sich geändert ...

Zu ihrer größten Bestürzung wurde sie zunehmend verunsicherter. Für die Dauer eines Augenblicks keimte Unmut in ihr auf. Oh, wie sie sich wünschte, Morgan O’Connor niemals begegnet zu sein!

Aber der ihr so willkommene Zorn verrauschte bald wieder, und sie begann zu zittern. Ihr Kopf dröhnte. Sie tastete mit eiskalten Fingerspitzen nach ihrer Stirn und senkte den Kopf, denn sie war den Tränen gefährlich nahe.

»Elizabeth? Fühlen Sie sich nicht wohl?«

Seine Stimme erschreckte sie. Sie bemerkte nicht, wie eine schlanke Männerhand dicht über ihrem schimmernden Haarkranz verharrte.

Vollkommen aus der Fassung gebracht kämpfte sie gegen den heftigen Schmerz, der ihren Brustkorb zuzuschnüren schien. »Nein«, flüsterte sie schwach und haßte das verräterische Zittern in ihrer Stimme. »Es ist nur ... ich bin in der Erwartung angereist, Nathaniel vorzufinden. Es wäre mir im Traum nicht eingefallen, daß er nicht hier sein könnte.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie müssen doch eine Vorstellung haben, wo ich ihn finden kann.«

Er ließ seine Hand wieder nach unten gleiten. »Leider nicht«, gestand er tonlos.

»Ich ... ich kann das einfach nicht glauben.« Langsam hob sie ihren Kopf und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. »Aber es muß doch etwas geben, das Sie tun können.«

Es herrschte Schweigen zwischen ihnen. Seine Gedanken waren ihr ein Rätsel. Er schien zu Stein erstarrt, als er sie mit kaltem Gesichtsausdruck musterte.

Hilflos fuchtelte sie mit ihren Armen. »Bitte«, sagte sie dann sehr leise, »ich bin hier ganz allein. Ich habe keinen Menschen – niemanden, an den ich mich sonst wenden kann. Aber ... es muß doch eine Möglichkeit geben, ihn zu finden.« Ihr Blick traf den seinen und war ein einziges Flehen, das sie nicht mehr verbergen konnte. »Können Sie mir helfen? Wollen Sie mir helfen?«

Die Zeit schien endlos langsam zu verstreichen. Elizabeth drückte ihre Finger gegeneinander und wich seinem Blick diesmal nicht aus. Als sie jedoch sah, wie er seine Lippen zusammenkniff und sein Gesichtsausdruck immer abweisender und bedrohlicher wurde, schlug ihr das Herz bis zum Hals.

Die darauffolgenden Worte hatte sie nicht erwartet.

»Ich kenne jemanden ...«, begann er zögernd, dann hielt er inne. »Ich kann nichts versprechen«, fuhr er fort, »aber es ist einen Versuch wert.«

Elizabeth entspannte sich. Gütiger Gott, mehr konnte sie doch nicht verlangen! »Danke«, murmelte sie und dann noch einmal, »ich ... ich danke Ihnen.« Sie schüttelte ihren Kopf, als sollte sie das auf andere Gedanken bringen. »In der Zwischenzeit möchte ich Ihre Gastfreundschaft nicht länger strapazieren. Bis Nathaniel zurückkommt, werde ich mir irgendwo eine Unterkunft suchen.«

»Das brauchen Sie nicht«, sagte er höflich. »Vor allen Dingen, wenn Sie finanziell so angespannt sind, wie Sie es behaupten.«

Sie spürte, wie ein Hauch von Röte ihr Gesicht überzog. Sie fragte sich bereits, ob es sein erklärtes Ziel war, sie in Verlegenheit zu bringen. Dann nahm sie all ihre Würde zusammen, denn das war in der Tat ihr momentan kostbarster Besitz.

»Ich habe etwas Geld«, erklärte sie ihm ruhig. »Nicht sehr viel, aber genug um ...«

»Unsinn. Nathaniels Zukünftige in einem Hotel? Nein. Sie können hierbleiben, solange Sie wollen. Ich bestehe sogar darauf.«

Wieder einmal war er kühl und reserviert. Elizabeth beobachtete ihn, wie er seinen Platz hinter dem Schreibtisch einnahm. Es lag ihr sicherlich fern, weiterhin seine Fürsorge in Anspruch zu nehmen, aber wenn sie es genau überlegte, reichte ihr Erspartes kaum für ein paar Nächte im Hotel.

»Ich weiß Ihr Angebot wirklich sehr zu schätzen«, sagte sie bedächtig. »Aber ich bin wieder gesund, und es ist nicht angebracht für Sie und mich« – stammelte sie – »ich will damit sagen, für uns beide ...« Sie hielt inne, unfähig ihren Satz zu beenden.

Zu ihrer Überraschung lachte er schallend. »Und wenn ich Ihnen jetzt erzähle, daß die sogenannte gute Gesellschaft Bostons von mir gar nichts anderes erwartet? Zum Teufel mit den guten Sitten! Für mich ist die Angelegenheit erledigt, und ich dulde keinen weiteren Widerspruch.«

Elizabeth zögerte. Seltsam, das war es gar nicht, was sie am meisten beunruhigte. »Ich will Ihnen nicht widersprechen, Sir. Aber ich stehe schon tief in Ihrer Schuld und möchte nicht ...«

»Um Himmels willen!« knurrte er, »Sie sind mir doch zu nichts verpflichtet. Aber wenn Sie wollen, schlage ich Ihnen eine Abmachung vor.«

Elizabeth stutzte. Das war das letzte, womit sie gerechnet hatte. Schon schwante ihr etwas, das nicht ganz von der Hand zu weisen war. Morgan O’Connor war jung, attraktiv und unverheiratet. Und er war ein Mann, der zweifellos Gefallen am anderen Geschlecht fand ...

»W-was für eine Abmachung?«

Sie bemerkte gar nicht, daß sie sich mit ihrer Äußerung soeben selbst verraten hatte. »Gütiger Gott«, sagte er ungeduldig. »Sie sind überhaupt nicht mein Typ, also sehen Sie mich nicht so an, als erwartete ich, daß Sie mit mir das Bett teilen! Mein liebes Mädchen, ich habe Ihnen einen ganz anderen Vorschlag zu machen. Simmons wird älter und ist nicht mehr in der Lage, soviel zu arbeiten wie früher, auch wenn er das niemals zugeben würde. Ich wollte Sie nur darum bitten, ihm bei der Haushaltsführung behilflich zu sein – beispielsweise den Speiseplan aufzustellen und die Arbeit der Zimmermädchen zu überwachen. Nun, sind Sie einverstanden?«

Elizabeths Gesicht war feuerrot angelaufen. Merkwürdigerweise fühlte sie sich verletzt, obwohl sie gar nicht genau wußte, warum. »Ja«, schluckte sie.

»Dann haben wir ein Abkommen miteinander?«

Sie nickte fahrig. Zu mehr war sie nicht fähig.

»Gut.«

Er drehte sich auf seinem Schreibtischstuhl um, nahm aus einer Schublade einen Stapel Papiere und legte sie vor sich auf die Schreibtischplatte. Wie es aussah, hatte er sie bereits vergessen.

Sie stand auf, raffte ihre Röcke und verließ so schnell sie konnte das Arbeitszimmer. Draußen im Flur hielt sie an und lehnte sich gegen die Wand. Wie dumm von ihr zu glauben, daß Morgan O’Connor sie attraktiv finden und ihre Situation ausnutzen könnte!

Aber er würde sich darum kümmern, daß Nathaniel gefunden wurde – das allein war es schon wert gewesen, sich in die Höhle des Löwen zu begeben. Warum sie das so empfand, konnte sich Elizabeth nicht erklären, denn dieser Mann war und blieb ihr absolut rätselhaft. Trotzdem hätte sie schwören können, daß ihn ihre Abmachung alles andere als begeisterte. Aber als sie sich noch wunderte, was geschehen war, daß er seinen eigenen Bruder haßte, überkam sie Erleichterung. Er hatte sich erweichen lassen, ihr zu helfen, und sie würde ihm keine weiteren Fragen stellen.

Ihr blieb nichts anderes übrig als zu warten und zu hoffen ...

Und zu beten, daß Nathaniel bald gefunden wurde.

Der falsche Bräutigam

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