Читать книгу Erfüll mein Verlangen - Samantha James - Страница 5
Prolog
ОглавлениеAm Stadtrand von London, 1815 Hawksgrove Inn
Ganz allmählich verflüchtigte sich das Zwielicht der Abenddämmerung durch die Fensterläden. Die düsteren Schatten der Dunkelheit drangen in den Raum ein … und mit ihnen das häßliche Gespenst des Todes.
Ein Mann – Charles Tremayne, Earl of Deverell – lag matt und entkräftet im Bett des vornehmsten Zimmers des Gasthofs, die langen, edlen Finger in den seidenen Bettüberwurf gekrallt. Früher einmal war Charles Tremayne kräftig und robust gewesen, ein Bild von einem Mann. Aber nun hatte die Krankheit seine Lungen zerfressen; sein Leiden hatte ihm die letzte Kraft geraubt, seine Muskeln waren erschlafft, und er war nur noch ein blasser Schatten seines früheren Selbst. Das bißchen Luft, das noch in seine Lungen drang, rasselte wie der Atem eines todkranken alten Mannes.
In der Ecke des Zimmers hielt eine Gestalt Wache bei dem Earl of Deverell. James Elliot beobachtete den Kranken, die Beine weit ausgestreckt, die Arme vor der breiten Brust verschränkt, gleichgültig und teilnahmslos. Aus seinen Augen sprach eine tiefe Ungeduld; seine Lippen wurden schmal. Stirb, beschwor er den Earl insgeheim. Beeil dich und stirb, Mann. Er war ernsthaft versucht, ein Kissen zu nehmen, es dem Jammerlappen aufs Gesicht zu drücken und ihn so von seinem Elend zu erlösen, denn er war erpicht darauf, rechtzeitig zum Abendessen nach Hause zu kommen – auch wenn ihn in der winzigen Hütte, die er sein Zuhause nannte, nicht gerade ein Übermaß an Behaglichkeit erwartete. Aber immerhin war er dort sein eigener Herr – Gebieter über sein Haus und alle seine Bewohner.
Und dort gab er die Befehle.
In seinem Bett hob Charles Tremayne den Kopf. »James«, krächzte er schwach. »Du warst so gut zu mir, James.«
Gut zu ihm? James Elliot zog eine höhnische Grimasse. Er hatte getan, was man ihm aufgetragen hatte – er hatte den Mann während seiner Krankheit gepflegt. Er hatte dem Earl Suppe eingeflößt und ihm das Kinn abgewischt. Unzählige Male hatte er in den letzten zwei Wochen den stinkenden Nachttopf ausgeleert. O ja, dachte James finster. Henry Foster, der Wirt des Gasthofs, hätte ihm das Fell über die Ohren gezogen – und ihn an die Luft gesetzt –, wenn er sich geweigert hätte, seine Anweisungen zu befolgen.
Einen Augenblick lang flammte offener Haß in James Elliots Augen auf. Zum Teufel mit Foster, am liebsten hätte er ihn mit einem Tritt in seinen fetten, wabbeligen Arsch die Treppe hinunterbefördert.
Aber auf seinen Schultern lastete die Verantwortung für eine Frau und – schlimmer noch – eine Tochter.
Seine Tochter. Seine Lippen preßten sich beim Gedanken an sie zusammen. Lästige kleine Heulsuse. Ihretwegen hatte er seinen linken Daumen eingebüßt – ein Augenblick, der sich auf ewig in sein Gedächtnis gebrannt hatte.
Es war im vergangenen Herbst gewesen, er hatte auf dem Boden gekniet und Späne geschlagen; sie war zu ihm gelaufen und hatte ihn am Arm angestoßen. Schon war es passiert … Er hatte vor Wut und Schmerz aufgeheult, ein Holzscheit ergriffen und sich auf sie gestürzt. Die kleine Hexe! Sie hatte ihn zum Krüppel gemacht …
Aber sie ist jetzt ebenfalls ein Krüppel, dachte er mit Genugtuung.
»James. Komm näher zu mir, James.«
James schluckte eine heftige Entgegnung hinunter und tat, wie ihm geheißen wurde.
»Das Datum, James. Welches Datum haben wir heute?«
»Den elften März, Mylord.«
Charles Tremayne wandte den Kopf auf dem Kissen zur Seite. »Seit fast zwei Wochen liege ich nun schon hier. Ich sollte spätestens Mitte des Monats wieder zu Hause sein.« Ein schwacher Seufzer entrang sich seinen trockenen, aufgesprungenen Lippen. »Der Arzt hatte recht. Ich hätte meine Frau, meine Sylvia, rufen lassen sollen. Aber ich dachte, diese alberne Infektion würde vorübergehen, und ich wäre bald wieder gesund und auf dem Weg nach Hause zu meiner Familie in Yorkshire. Nicht im Traum habe ich geahnt, daß sich mein Zustand so schnell verschlechtern würde … Ich war zu starrköpfig, und nun werde ich meine Söhne Giles und Damien niemals wiedersehen. Nie mehr werde ich meine süße Sylvia in den Armen halten.« Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Jetzt erkenne ich es, jetzt, da es zu spät ist …«
James Elliot verdrehte mit einer boshaften Grimasse die Augen. Wie lange mußte er sich das Gebrabbel dieses alten Trottels noch anhören?
Der Earl hustete, ein gequälter Laut, der seinen ganzen Körper erschütterte.
Es dauerte eine Weile, bevor er wieder sprechen konnte.
»Du hast gut für mich gesorgt, James. Meine Sylvia wird dich für deine Mühe belohnen, das verspreche ich dir. Aber jetzt muß ich dich noch um eine Gefälligkeit bitten, denn ich habe sonst niemanden, an den ich mich wenden könnte, niemanden außer dir.« Mit zitternder Hand deutete der Earl zum Schreibsekretär. »Dort an der Seite des Sekretärs, James, befindet sich ein Stoffbeutel. Sieh hinein, du wirst darin eine Schmuckschatulle finden.«
Elliot drehte den Kopf nach links. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er die Schatten der Dunkelheit zu durchdringen. Tatsächlich, da lehnte ein kleiner Stoffbeutel an der Seite des Schreibtischs. Er befolgte die Anweisung des Earls und förderte ein längliches Silberkästchen zutage.
»Ist es das? Ist das die Schmuckschatulle?«
»Ja, das ist sie, James.« Die Stimme des Grafen wurde schwächer. »James, ich werde nie mehr das Licht eines neuen Tages erblicken. Aber ich muß dich bitten, die Schmuckschatulle meiner Frau Sylvia in Yorkshire zu überbringen. Die Münze darin soll dein Lohn für die Reise sein, die dich, wie ich fürchte, ein paar Tage deiner Zeit kosten wird. Ich flehe dich an, bitte, tu dies für mich, denn verborgen in der Schatulle ist mein Vermächtnis an meine Frau, ein unerhört kostbarer Schatz, den sie, so bete ich, finden wird … Sie wird wissen, wo er zu finden ist, denn sie allein kennt das Geheimnis …«
Das waren die letzten Worte des Earl of Deverell.
Der Mann im Bett war vergessen. Eine Ewigkeit lang starrte James auf das silberne Schmuckkästchen, seine Gedanken überschlugen sich.
Ehrfürchtig fuhr er mit der Fingerspitze über den verschnörkelten Deckel der Schatulle, aber aus seinen Augen sprach nichts als pure Habgier. In einem kleinen Oval in der Mitte des Deckels war ein Wort eingraviert; da er nie lesen gelernt hatte, bedeutete es wenig für ihn.
Seine harten Lippen verzogen sich zu einem wölfischen Grinsen. Er brach in ein Gelächter aus, das jedem anderen – wäre noch ein lebendiges Wesen im Raum gewesen – eine Gänsehaut über den Rücken gejagt hätte.
»Es ist so einfach«, stieß er unter Heiterkeitsausbrüchen hervor. »So verdammt einfach …«
Er empfand kein Mitleid, weder für den soeben Verstorbenen noch für dessen Frau oder Familie. Keine Scham für das, was er im Schilde führte.
Denn James Elliot war ein Mann ohne Mitleid. Ein Mann ohne Scham.
Ein Mann ohne Skrupel.
Eine Stunde später stürmte er in eine winzige Hütte, die an einer mit Schlammfurchen durchzogenen Straße lag. Seine Frau Justine blickte von ihrem Platz in der Wärme eines kärglichen Feuers auf. Sie erhob sich und zog einen schmutzigen Schal fester um die Schultern.
»Was hat dich aufgehalten?« fuhr sie ihn an. »Dein Abendessen ist angebrannt, und natürlich wirst du mir wieder die Schuld geben. Aber du bist selbst schuld, wenn du heute abend hungrig zu Bett gehst, James Elliot, weil ich mich nämlich zum Teufel noch mal nicht mehr darum kümmern werde!«
Elliots triumphierendes Grinsen entblößte eine Reihe schiefer gelber Zähne. »Zur Hölle mit dem Abendessen«, sagte er unwirsch. In den Händen hielt er einen Stoffbeutel, den er jetzt hochhielt. »Am Ende des morgigen Tages werden wir ein Festmahl halten, so wahr ich James Elliot heiße.«
Justine hatte die Hände in die Hüften gestemmt und wie in Erwartung eines Angriffs eine kampfbereite Haltung eingenommen. Auf seine Worte hin musterte sie ihn von oben bis unten, als glaubte sie, nicht richtig gehört zu haben. Ihre Augen verengten sich.
»Was soll das heißen?« fragte sie höhnisch. »Ein Festmahl von dem Hungerlohn, den du nach Hause bringst? Oder warst du auf der Jagd anstatt zu arbeiten, James Elliot?«
Statt einer Antwort holte er die silberne Schmuckkassette hervor und hielt sie triumphierend in die Höhe.
Als er sie auf einen Tisch mit wackligen Beinen stellte, veränderte sich ihre Miene schlagartig. Ein kleines schwarzhaariges Mädchen war herbeigetrottet und stand nun dicht neben dem Vater. Neugierig streckte es einen kleinen Finger nach dem glänzenden Metall aus.
Der Vater wirbelte herum. »Faß das nicht an, du Balg!« fauchte er. Mit dem Handrücken versetzte er dem Kind eine so heftige Ohrfeige, daß es zu Boden stürzte. Seine Lippen zitterten, aber es gab keinen Laut von sich.
Elliot starrte seine Tochter haßerfüllt an. Widerliche kleine Ratte! dachte er wütend. Herrje, wie sehr er sich wünschte, daß dieses Balg nie geboren wäre!
Justine kümmerte das wenig. »Marsch ins Bett«, befahl sie grob, »und laß dich ja nicht vor morgen früh wieder blicken.«
Das Kind kroch zu einem Strohsack in der Ecke. Dort rollte es sich zitternd zu einer kleinen Kugel zusammen.
Die Eltern hatten die Anwesenheit ihrer Tochter vergessen. Justine deutete mit einem Nicken zu der Schatulle. »Das ist wirklich ein schönes Stück, James. Wie bist du daran gekommen?«
»Du weißt doch, daß ich den Earl gepflegt habe? Sagen wir, ich habe ihn ein bißchen früh von seinen Besitztümern befreit.« Elliot grinste zufrieden über seine eigene Schlauheit. »Es ist eine Schmuckschatulle.«
Bei diesen Worten kam Leben in Justine. »Eine Schmuckschatulle!« Sie öffnete das Kästchen hastig, nur um zu entdecken, daß die Fächer im oberen Teil leer waren und die darunterliegenden ebenfalls. Sie fuhr in wütender Bestürzung herum. »Sie ist ja leer, du Bastard!«
Elliots Kiefer arbeitete. »Hüte deine Zunge«, zischte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Justine schien es auf einen Streit abgesehen zu haben, entschied sich aber dann offensichtlich anders und sagte mürrisch: »Na schön, ist auch egal. Sie wird uns einen guten Preis bringen, nehme ich an.«
»Wir werden sie nicht verkaufen.« Elliots Stimme klang selbstgefällig. »Jedenfalls jetzt noch nicht.«
Justines tiefliegende Augen flammten auf. »Und warum nicht? Sie ist nicht besonders kostbar – ich hätte bei einem Earl eine juwelenbesetzte Schatulle erwartet –, aber sie ist sicherlich mindestens soviel wert wie ein halber Jahreslohn!«
Elliots Lächeln verblaßte. »Wenn du endlich aufhören würdest zu nörgeln, sage ich dir warum. Der Earl hat nämlich folgendes vor seinem Tod gesagt: ›Verborgen in dieser Schatulle ist mein Vermächtnis‹«, zitierte er, »›ein unerhört kostbarer Schatz.‹«
Justine starrte erst ihn an, dann die Schatulle. »Was?« fragte sie verständnislos. »Willst du damit sagen, da drin ist ein Schatz versteckt?«
»Genau das will ich sagen!«
Was meinst du, was es ist? Gold, Juwelen?« Sie konnte ihre Aufregung nur mit Mühe im Zaum halten.
Elliot hatte glänzende Augen. »Was spielt das für eine Rolle? Es ist ein unerhört kostbarer Schatz! Oh, welche Pläne ich mit diesem Schatz habe!« In seiner Miene zeigte sich diebische Freude. »Wir werden reich sein, Justine. Stell dir vor, wir werden reich sein!«
Ihre Augen weiteten sich. »Oh«, hauchte sie. »Oh, du meine Güte.«
»Oh, du meine Güte, das kann man wohl sagen.« Elliot stieß ein kehliges Gelächter aus. Als seine Frau begehrlich und in offenkundiger Absicht nach der Schmuckschatulle griff, packte er sie bei den Händen. »Nein. Später ist Zeit genug, den Schatz zu suchen«, knurrte er und riß sie grob an sich. »Im Augenblick steht mir der Sinn nach etwas anderem.«
Justine gab sich gefügig und zog seinen Kopf zu sich herunter. »Ah«, murmelte sie. »Du hast noch nicht zu Abend gegessen, nicht wahr?«
Elliot preßte die Schwellung seiner Lenden an ihre Hüften. »Zur Hölle mit dem Abendessen«, brummte er. »Mein Hunger ist anderer Art.«
Doch plötzlich löste sich Justine von ihm. »Warte«, befahl sie. Aus dem hintersten Winkel eines Schranks auf der anderen Seite des Raums holte sie eine dunkle, verstaubte Flasche hervor und öffnete sie. Dann goß sie die dunkelrote Flüssigkeit in einen schmuddeligen Becher. Lächelnd kehrte sie zu ihrem Mann zurück und reichte ihm den Becher.
Elliot umfaßte ihn mit beiden Händen, der linke Daumen nur ein kurzer Stummel auf dem matt angelaufenen Metall. Seine gute Laune war wiederhergestellt. »Du hast ihn also vor mir versteckt, was? Selbst schuld, Weib, denn jetzt trinke ich ihn ganz allein.« Er hob den Becher an seine feuchtglänzenden Lippen und trank in gierigen Zügen.
Justine beobachtete ihn schläfrig, während er den Inhalt des Bechers in sich hineinschüttete. Aber bevor er die letzten Tropfen aus dem Becher schlürfen konnte, streckte sie die Hand danach aus.
Sie tauchte zwei Finger in die Flüssigkeit, die noch im Becher war. Dann zog sie ihr Kleid auseinander und reckte ihm ihre nackten üppigen Brüste entgegen. Ohne den Blick von seinen glitzernden Augen abzuwenden, fuhr sie mit den Fingerspitzen um ihre groß aufgerichteten braunen Nippel, die feucht und dunkel glänzten vom Wein.
Ein verführerisches Lächeln umspielte ihre Lippen. »Dein Abendessen, James«, schmeichelte sie.
Elliot bleckte die Zähne. Eine wüste Verwünschung entrang sich seinen Lippen. Seine Hand nestelte an seiner Hose. Er packte seine Frau, noch während er sein Geschlecht herauszog.
Sekunden später lag sie flach unter ihm auf der klumpigen Matratze. Sein Mund bearbeitete wütend den ihren. Mit einem Grunzen stieß er hart in sie hinein.
Geräuschvolles Schnarchen erfüllte den Raum, als Justine sich unter seinem schweren Körper hervorwälzte. Nackt ging sie zu dem silbernen Schmuckkästchen hinüber. Sie würdigte das Kind, das mit tränenverschmierten hohlen Wangen in der Ecke schlief, kaum eines Blickes.
Mit einer Hand strich sie über das glatte Metall. James hatte also wahrhaftig Pläne mit seinem neuerworbenen Schatz?
Ein Lächeln schlich sich um ihren Mund. Aber ja, die hatte sie auch.
Am Morgen war sie verschwunden, und die Schmuckschatulle – sowie das kleine Mädchen – mit ihr.
James Elliot hatte einen Wutausbruch, der tagelang anhielt. Eines Nachts verwüstete er im Suff die Einrichtung einer Schenke und tötete zwei Männer, die ihn daran zu hindern versuchten.
Was Wunder, daß er zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, die er in Newgate verbüßte.
Was Justine betraf, so überlebte die bedauernswerte Seele keine zwei Wochen. Und so blieb das arme kleine Würmchen, das ihre Tochter war, allein, ohne Vater und Mutter in der Welt zurück.
Manch einer hätte gesagt, daß dies ein Segen für das Mädchen war.
Aber unglückseligerweise sollte die Zeit kommen … Die Zeit, die beider Schicksal wieder zusammenführen würde …
Vater und Tochter hatten sich nicht für immer aus den Augen verloren.