Читать книгу Erfüll mein Verlangen - Samantha James - Страница 8
3. Kapitel
ОглавлениеEs war zehn Uhr morgens und wieder ein herrlicher Tag. Hoch in den Baumwipfeln trällerten Vögel ihr Lied und kündeten allen, die es hören wollten, von der Schönheit des sonnigen Tages.
Heather dankte dem Stalljungen, der ihr in die zweirädrige Kutsche half, mit einem Lächeln. Sie hatte es sich kaum auf dem Kutschbock bequem gemacht, als sie klappernden Hufschlag vernahm.
Er war auf die Minute pünktlich.
Sie holte tief Luft und verkrampfte die Finger in den Handflächen. Den ganzen Morgen über war ihr Magen in Aufruhr gewesen, denn der Gedanke an das Wiedersehen mit ihrem neuen Gutsverwalter war … was? Beinahe beängstigend. Aber das war lächerlich. Sie war eine erwachsene Frau, und er war ein Mann wie alle anderen …
Diesem Gedanken hing sie nach, als er sein Pferd im Schritt heranlenkte; er ritt einen riesigen Rapphengst mit wuchtigen Flanken.
»Guten Morgen«, rief er ihr entgegen.
»Guten Morgen, Mr. Lewis.«
»Ein schöner Tag, nicht wahr?«
»Herrlich.«
Er zügelte sein Pferd neben der Kutsche. »Soll ich neben Ihnen herreiten?«
»Aber nein. Bitte steigen Sie zu mir ein.« Sie deutete auf den leeren Sitz an ihrer Seite.
Er stieg ab und übergab dem Stalljungen mit einem Zwinkern die Zügel. »Sein Name ist Zeus«, erklärte er dem Jungen. »Aber laß dich dadurch nicht einschüchtern. Er ist lammfromm, wenn du ihm die Nüstern kraulst und ihm eine Handvoll Hafer gibst.«
Er wandte sich ab und schwang sich mit einer eleganten Bewegung auf den Sitz neben ihr. Energisch nahm sie die Zügel auf, und die Kutsche setzte sich in Bewegung.
Sie mußte sich zwingen, nicht zu ihm hinüberzuspähen. Wahrhaftig, er wirkte wie ein Riese – wie sie so neben ihm saß, nahm sie seine Größe mit all ihren Sinnen wahr. Seine ausgestreckten Beine ragten weit über ihre eigenen Füße hinaus; die Reithosen saßen wie eine zweite Haut, so daß sich seine kräftigen, muskulösen Schenkel darunter abzeichneten. Seine Hände ruhten locker auf den Knien. Ein eigenartiges Gefühl schnürte ihr die Brust ein, denn selbst in dieser entspannten Haltung wirkten seine Hände, deren Rücken mit feinen dunklen Härchen überzogen waren, ausgesprochen männlich. Seine sonnengebräunten Finger waren langgliedrig und schlank; sie erinnerte sich daran, wie ihre Hand in der seinen verschwunden war. Seine Haut hatte sich so warm angefühlt …
Du albernes Geschöpf! Hör auf damit! schalt sie sich wütend. Sie benahm sich ja nicht weniger töricht als Bea am vergangenen Nachmittag.
Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. »Ich dachte, ich zeige Ihnen zuerst die Gutsgebäude, und danach statten wir dem Dorf einen Besuch ab. Ich möchte Sie dem Pfarrer vorstellen, und ich werde Sie mit den Ladenbesitzern bekannt machen, bei denen wir kaufen. Von dort aus können wir bei den Pächtern vorbeifahren.«
Er nickte. »Das Haus gefällt mir übrigens großartig.« Er machte eine kurze Pause. »Und es war sehr großzügig von Ihnen, die Vorratskammer füllen zu lassen.«
Heather spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. »Ist schon in Ordnung.«
Eines der Kutschenräder rutschte in eine Fahrspur, und sie wurde mit der Schulter gegen ihn geschleudert. Augenblicklich rückte Heather wieder von ihm ab und hielt sich kerzengerade aufgerichtet. Wenn er ihre Reaktion beobachtet hatte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.
Bald darauf näherten sie sich einer Gruppe von Nebengebäuden. Sie zeigte ihm das Räucherhaus, das Eishaus, das Kühlhaus und eine kleine Schmiedewerkstatt. Das größte Gebäude, erklärte sie, beherbergte die Molkerei. Dort hielt sie die Kutsche an.
Damien sprang leichtfüßig zu Boden und wandte sich gleich darauf um. Sie hatte sich kaum von ihrem Sitz erhoben, da wurde ihre Taille auch schon von starken Händen umfaßt. Er hob sie schwungvoll von der Kutsche herunter. Sie zuckte ein wenig zusammen, denn sie war es nicht gewohnt, auf diese Weise von einem Mann angefaßt zu werden. Doch instinktiv suchte sie an seiner breiten Schulter nach Halt. Unter ihren Fingerspitzen spürte sie Festigkeit und Wärme. Die Berührung war in Sekundenschnelle vorüber, denn sie zog hastig und mit einem nervösen Flattern im Magen die Hand zurück.
»Auf die Molkerei bin ich wirklich stolz«, erklärte sie munter. »Unser Käse gilt als der beste in der ganzen Grafschaft, und wir schicken wöchentlich mehrere Fuhren nach Liverpool, wo wir eine ganze Reihe von Geschäften beliefern. Im letzten Jahr mußten wir die Produktion steigern, weil die Nachfrage weit größer war, als ich erwartet hatte.«
Sie redete, ohne zu merken, daß ihr Begleiter nur noch mit halbem Ohr zuhörte …
Damien war machtlos dagegen.
Sie war noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Sie war weniger förmlich gekleidet als bei ihrer Unterredung am vergangenen Nachmittag. Sie trug weder Hut noch Handschuhe, sondern nur ein einfaches blaßgelbes Baumwollkleid, das an Saum und Armbündchen mit einem zarten weißen Blumenmuster bestickt war. Und sie hatte auch die Haare nicht zu einem strengen Knoten aufgesteckt; die langen glänzenden Flechten wurden im Nacken von einem leuchtend gelben Band zusammengehalten. Die Haut ihrer Wangen schimmerte wie ein Sonnenaufgang und in ihren Augen wurde das zarte Violett einer Sommerheide lebendig. Sie erschien ihm jetzt unwillkürlich wieder wie das Zigeunermädchen, das er bei ihrer ersten Begegnung auf der Wiese erblickt hatte …
Sie wandte sich um und ging auf das Eingangstor der Molkerei zu.
Ihm war zumute, als hätte ihn eine Faust mitten in den Magen getroffen. Ihm wurde bewußt, daß er sie zum ersten Mal auf den Füßen sah. Aber ihre Bewegungen waren nicht geschmeidig und fließend, wie er sie in seiner Vorstellung gesehen hatte. Den quälenden Bruchteil einer Sekunde lang konnte er nichts anderes denken, als daß sein vollkommenes kleines Zigeunermädchen doch nicht ganz so vollkommen war …
Er konnte nicht anders. Wie vor den Kopf gestoßen starrte er sie an. Ihr Gang war langsam und hinkend; ihr rechtes Bein schleifte ein wenig nach.
In seinen Gedanken herrschte Aufruhr. Ein Teil von ihm fühlte sich abgestoßen. Großer Gott! Fast wollte es ihm obszön erscheinen, daß diese wunderschöne junge Frau mit einem solchen Makel behaftet war …
Irgend ein verborgener Sinn mußte ihr sein Erschrecken verraten haben. Sie drehte sich zu ihm um.
Aber vielleicht hatte sie sich verletzt … »Verzeihen Sie mir, Miss Duval. Wir hätten unsere Besichtigung verschieben können, wenn ich gewußt hätte, daß Sie sich verletzt haben …«
Ein Funke flackerte in ihren Augen auf. »Ich bin nicht verletzt, Mr. Lewis.«
Damien fand, was selten geschah, keine Worte. Das unbehagliche Schweigen zog sich in die Länge, es schien ihm wie der längste Augenblick in seinem Leben. Seine Lebensgeister waren vor Scham erstarrt. »Es tut mir leid«, hörte er sich selbst sagen. »Es war nicht meine Absicht, Sie anzustarren.«
Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie sprach. »Das glaube ich Ihnen gern«, sagte sie liebenswürdig. »Aber wie dem auch sei, ich bin daran gewöhnt.«
Das mochte wohl stimmen. Aber sie haßte es. Das wurde ihm in dem Moment bewußt, als sich ihre Augen trafen – dem Moment, in dem ihr Blick verschlossen und abweisend wurde. Er hätte sie so gern gefragt, was geschehen war – hatte sie vielleicht als Kind eine Verletzung erlitten? Aber etwas an ihrer stolzen Haltung hinderte ihn daran, Fragen zu stellen.
Er kam sich vor wie ein Volltrottel. »Ich habe Sie beleidigt.«
»Nein, das haben Sie nicht. Aber das erinnert mich an etwas. Würden Sie mir bitte den Stock geben, der unter dem Kutschbock liegt?«
Es war derselbe hölzerne Stock, der am Tag zuvor in ihrem Arbeitszimmer am Schreibtisch gelehnt hatte. Er fühlte sich wie ein Narr, daß er nicht darauf gekommen war.
Wortlos reichte er ihr den Stock. Ihre Hände berührten sich flüchtig. Sie zog ihre Hand hastig zurück, als könne sie die Berührung nicht ertragen – und wen konnte es verwundern. Er hatte mit seinem Verhalten wohl kaum ihre Sympathie erworben. Mit fast qualvoll aufrechtem Gang setzte sie ihren Weg fort.
Während sie ihm die Gebäude zeigte, wo sie sich mit den Arbeitern unterhielten, war ihre Haltung liebenswürdig und wohlwollend. Er mußte sich zwingen, seine Gedanken auf den Gutsbetrieb zu konzentrieren, denn ein Dutzend Fragen kreisten unaufhörlich in seinem Kopf. Warum hinkte sie? Hatte sie von Geburt an diese Mißbildung gehabt? Oder hatte sie vor langer Zeit einen Unfall erlitten?
Sein törichtes Benehmen ärgerte ihn, aber er sagte sich auch, daß er es nicht hatte wissen können. Natürlich durfte er Heather keinen Vorwurf daraus machen. Es gehörte nicht zu den Dingen, mit denen man bei der ersten Gelegenheit herausplatzte. Aber es würde die nächsten Stunden vermutlich nicht gerade leichtmachen – für keinen von beiden.
Sie war ein Krüppel. Lahm. Er hatte Mitleid mit ihr; er konnte nichts dagegen tun. Aber Mitleid war das letzte, das er für sie empfinden wollte. Er konnte nicht zulassen, daß solche Gefühle sein Ziel verschleierten, sein Urteil in irgendeiner Weise beeinflußten; und er durfte sich durch sie nicht von seinem Ziel abbringen lassen.
In einer anderen Hinsicht war er unweigerlich beeindruckt, denn Lockhaven schien nicht nur den eigenen Bedarf zur Genüge zu decken, sondern auch noch ansehnliche Gewinne zu erwirtschaften. Die Dorfbewohner ebenso wie die Pächter begrüßten sie mit aufrichtiger Herzlichkeit und größter Hochachtung. Ihre landwirtschaftlichen Geräte waren auf dem neuesten Stand der Technik, und Heather Duval ermunterte auch ihre Pächter zum Umgang mit ihnen. Ihre Stimme war von Stolz erfüllt, während sie ihm den Gutsbetrieb zeigte – und Damien verübelte es ihr keineswegs, denn es gab vieles zu sehen, worauf sie mit Recht stolz sein konnte. Sie kamen an Pflügern vorbei, die Ochsengespanne über weite, sanft geschwungene Äcker führten. Die Felder waren von Hecken umsäumt, die so stabil und solide waren wie Steinmauern. Dicke, wollige Schafe zogen über das Land, und die Weiden waren mit trägen, wohlgenährten Kühen gesprenkelt.
Nein, sagte er sich nachdenklich. Nichts an ihr war so, wie er es sich vorgestellt hatte.
In diesem Augenblick bog sie in ein schmales, staubiges, von Wacholderbüschen und Obstbäumen gesäumtes Sträßchen ein. Es endete bei einem niedrigen Haus mit spitzgiebeligem Strohdach. Ein Jagdhund, der neben dem Garten lag, hob schnuppernd seine lange Nase. Sie zuckte verräterisch, als er einen vertrauten Geruch aufnahm – und zusammen mit diesem einen unbekannten.
Heather zog sachte an den Zügeln, und die Kutsche hielt an. Damien sprang herunter und reichte ihr helfend die Hand. Sie verschmähte seine Hilfe nicht, sagte aber auch kein Wort. Der Hund erhob sich und kam herangesprungen. Sie rief ihn beim Namen und bückte sich, um sein struppiges Fell zu kraulen.
»Hallo, Samuel. Wo ist denn dein Frauchen?«
Die Besitzerin des Hundes war soeben in der Haustür aufgetaucht und beschattete mit der Hand die Augen, um sie vor dem blendenden Sonnenschein zu schützen. Beim Anblick der Kutsche stieß sie einen Freudenschrei aus.
»Miss Heather! Was führt Sie denn hierher?«
Die Frau war kräftig und grobknochig gebaut, ein paar Jahre älter als Heather – und hochschwanger.
Damien blieb neben der Kutsche stehen, während sich die beiden Frauen zur Begrüßung herzlich umarmten. »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich diese Woche vorbeikommen und nach Ihnen sehen würde, Bridget«, sagte Heather mit einem Lachen und drehte sich dann zu Damien um. »Bridget und ihr Mann, Robert MacTavish, bestellen diesen Teil des Landes«, erklärte sie ihm. »Bridget, das ist Damien Lewis, mein neuer Gutsverwalter.«
Bridget versank in einem ungeschickten Hofknicks. »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Sir. Ich wünschte nur, mein Mann Robert wäre hier, um Sie zu begrüßen, aber er hilft gerade in der Dorfschmiede aus.«
Damien neigte den Kopf. »Dann werde ich ihm vielleicht heute noch begegnen, Mistress MacTavish.«
Inzwischen war Heather zu der Kutsche zurückgekehrt. »Ich habe dir etwas mitgebracht, Bridget«, rief sie über die Schulter. Gleich darauf zerrte sie zwei schwere Körbe unter dem Sitz hervor. Damien eilte an ihre Seite, um ihr behilflich zu sein. Unter langen, dunkelseidenen Wimpern hervor warf sie ihm einen Blick zu.
»Würden Sie so freundlich sein und das hier für Bridget ins Haus bringen?«
»Selbstverständlich.« Er hob die Körbe aus der Kutsche und trug sie zum Haus. »Mistress MacTavish, wenn Sie mir die Tür öffnen würden …«
Bridget beeilte sich, seiner Bitte nachzukommen. Heather folgte ihnen in einigem Abstand. Im Innern des Hauses stellte Damien die Körbe auf einem kleinen Arbeitstisch in der Küche ab.
»Meine Güte«, rief Bridget atemlos hervor. »Was ist da drin, Miss Heather?« Sie eilte zum Tisch und legte weiße Leinentücher zur Seite. »Käse und Brot … ein Schinken … Oh, und auch Speck! Oh, wir werden wochenlang wie die Fürsten speisen!«
»Und ich habe auch deine Lieblingsspeise nicht vergessen – zwei Töpfe Erdbeermarmelade von der letzten Ernte.« Heathers Augen blitzten vor Vergnügen.
»Oh, Miss Heather, das hätten Sie nicht tun sollen.« Sie tupfte sich die Augen mit dem Schürzenzipfel. »Es wird vielleicht eine Weile dauern, bis wir in der Lage sind, Sie dafür zu bezahlen …«
Heather schüttelte den Kopf. Sie ergriff die Hände der älteren Frau. »Mach dir darüber keine Gedanken, Bridget. Alles, worauf es im Augenblick ankommt, ist, daß du auf dich aufpaßt und ein gesundes Baby zur Welt bringst. Wenn du dann soweit bist, wird deine Stellung im Herrenhaus auf dich warten. Und nun sag mir, ob du auch tust, was ich dir gesagt habe. Gönnst du dir jeden Vormittag und jeden Nachmittag eine Ruhepause?«
Bridget nickte eifrig. »O ja, Ma’am. Zweimal am Tag, pünktlich wie ein Uhrwerk.«
»Und legst du die Füße mit einem Kissen hoch? Das tut auch gut, wenn du sitzt, Bridget.«
»O ja, Miss Heather. Und wissen Sie was? Meine Beine sind seitdem viel weniger geschwollen.«
»Das freut mich zu hören, Bridget.«
»Aber mein Rücken … der tut mir manchmal schrecklich weh.«
Heather betrachtete sie mitfühlend. »Ich weiß, Bridget. Aber damit ist es bald vorbei, und ich wage zu behaupten, daß es die Unbequemlichkeiten wert sein wird.« Sie drückte Bridgets Hände. »Für uns wird es Zeit, uns wieder auf den Weg zu machen. Aber ich verspreche dir, daß ich nächste Woche wieder vorbeikommen und nach dir sehen werde.« Sie tätschelte Bridgets vorgewölbten Bauch. »Also, paß schön auf dich und das Kleine auf.«
Vor der Tür streckte Bridget die Hände aus und umarmte Heather überschwenglich. »Miss Heather, ich bete jeden Abend, daß es ein Mädchen wird! Dann nenne ich sie nach Ihnen, das habe ich Robert schon gesagt. Sie wird Heather heißen, und ich hoffe, sie wird einmal eine so gütige und großherzige Frau werden, wie Sie es sind!«
Heather blinzelte überrascht. »Ihr wollt eure Tochter nach mir nennen? Wirklich?« Ihr weicher Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Das würde mir gefallen, Bridget. Das würde mir sehr gefallen.« Sie neigte den Kopf und küßte die andere Frau auf die Wange. Damien hätte schwören können, daß sich eine Träne in ihre strahlenden Veilchenaugen gestohlen hatte.
Als sie einige Minuten später von dem Sträßchen abbogen, spielte immer noch ein Lächeln um ihre Lippen. Damien legte den Kopf schief und sah sie an. »Bridget arbeitet im Herrenhaus?«
Heather nickte. »Sie arbeitet jetzt schon seit fast vier Jahren als Zimmermädchen. Aber sie erwartet das Kind in weniger als zwei Monaten, und letzte Woche wurde die Arbeit einfach zu viel für sie.«
Er betrachtete sie immer noch prüfend. »Sind Sie Hebamme?«
Sie wirkte verlegen. »O nein! Ich habe allerdings der Hebamme bei einigen Geburten geholfen. Sie wohnt in dem Dorf nördlich von uns.« Ihre Augen verdüsterten sich. »Ich hoffe nur, daß sie kommen wird, wenn es soweit ist.«
Damien zog fragend eine Braue hoch. »Bridget scheint Ihnen zu vertrauen«, bemerkte er ruhig. »Ich hatte fast den Eindruck, daß es ihr lieber wäre, wenn Sie ihr beistehen würden.«
Heathers Miene war besorgt. »Fast zwanzig Jahre warten die beiden jetzt schon auf ein Kind, und nie wollte es klappen. Bridget war überzeugt, unfruchtbar zu sein. Leider ist es eine komplizierte Schwangerschaft. Sie gehört in die erfahrenen Hände der Hebamme, nicht in meine.« Sie lächelte flüchtig. »Sie hätten Bridget sehen sollen, als sie erfuhr, daß sie schwanger ist. Ich möchte wetten, daß ihr Freudengeheul in der ganzen Grafschaft zu hören war. Ich vermute, daß dieses Kind schlimmer verwöhnt werden wird als jedes andere.«
In diesem Augenblick ertönte wie auf ein Stichwort hinter der Kutsche ein aufgeregtes Geschrei. Damien drehte sich um und sah in der Ferne zwei Gestalten zu Pferde, die ihnen in gestrecktem Galopp folgten.
»Heather!«
»Heather, warte auf uns!«
Heather drehte sich ebenfalls um. Sie hob die Hand und beschattete ihre Augen. »Das sind mein Bruder und meine Schwester«, sagte sie. Überraschung und Freude zugleich schwangen in ihrer Stimme mit. »Und da kommt Mama«, murmelte sie. »Oh, und Beatrice.« Sie deutete in die Ferne, wo soeben zwei weitere Gestalten an einer Kuppe auf der Straße aufgetaucht waren. Dann nahm sie die Zügel wieder auf und wendete die Kutsche, um die Ankömmlinge zu erwarten.
Die Kinder brachten die Pferde in einer Staubwolke zum Stehen – ein Junge und ein Mädchen. Das Mädchen war etwa dreizehn, den Jungen schätzte Damien auf acht oder neun Jahre. Da er bereits von der Kutsche gesprungen war, trat er jetzt vor, um den Kindern beim Absitzen behilflich zu sein.
Das Mädchen, ein hellblondes Kind mit einem Elfengesichtchen, dankte ihm scheu und wirbelte dann zur Kutsche herum. Der Junge strahlte Damien mit einem breiten, unerschrockenen Lächeln an und folgte dann dem Beispiel seiner Schwester. Bevor er noch Zeit hatte, sich umzudrehen, hatten sie sich rechts und links von Heather auf den Kutschbock geschwungen.
»Du hast uns seit Tagen nicht mehr besucht«, beklagte sich das Mädchen. »Wir hatten Sehnsucht nach dir, Heather.«
Sie umarmte die beiden zärtlich. »Ihr hättet mich ja auch besuchen können«, sagte sie scherzend.
»Das tun wir ja gerade«, erklärte das Mädchen schlagfertig.
In diesem Augenblick mischte sich der Junge in die Unterhaltung ein. Er deutete mit dem Zeigefinger auf Damien. »Wer sind Sie?« fragte er gut gelaunt. »Sind Sie Heathers Galan? Mama sagt, sie sollte einen Galan haben.«
Augenblicklich glühten zwei rosige Flecken auf Heathers Wangen auf. Damien spürte einen fast unwiderstehlichen Drang zu kichern. Statt dessen eilte er ihr ritterlich zu Hilfe.
Er schlug die Hacken zusammen und verneigte sich schwungvoll in einer gespielt förmlichen Verbeugung. »Damien Lewis, zu Ihren Diensten, junger Herr. Ich bin der neue Gutsverwalter Ihrer Schwester.«
Heather hatte die Arme um ihre beiden Geschwister gelegt. »Meine Schwester Christina, Mr. Lewis, und mein Bruder Arthur – der offensichtlich vergessen hat, daß es sich nicht gehört, mit dem Finger auf andere zu zeigen.«
»Und ich«, ließ sich jetzt eine angenehme weibliche Stimme vernehmen, »bin Heathers Mutter, Victoria Grayson. Und das ist meine Tochter Beatrice.« Das junge Mädchen an ihrer Seite strahlte lebhaft übers ganze Gesicht. Damien neigte zur Begrüßung den Kopf.
Victoria hatte ihm ihre behandschuhte Rechte entgegengestreckt. »Ich bin ja so froh, daß Heather endlich einen neuen Gutsverwalter eingestellt hat«, sagte sie. »Ich bin sicher, daß Sie Ihre Sache sehr gut machen werden.«
Lady Victoria Grayson saß, in ein modisches Reitdreß gewandet, im Sattel einer Apfelschimmelstute. Ihr Hut saß keck auf ihrer blonden Lockenpracht. Sie war zierlich und schlank, ihre Taille so schmal wie bei einer zwanzig Jahre jüngeren Frau. Ihre Tochter Beatrice hatte das blonde Haar, die weit auseinanderstehenden blauen Augen und das herzförmige Gesicht von ihr geerbt.
Damien schüttelte kurz den Kopf. »Ich werde mir selbstverständlich Mühe geben, Mylady, aber mir ist heute klargeworden, daß es nicht leicht sein wird, in Robins Fußstapfen zu treten.«
Victoria Grayson lachte. »Ach, da würde ich mir an Ihrer Stelle keine Sorgen machen, Mr. Lewis. Heather hätte Sie niemals eingestellt, wenn sie nicht volles Vertrauen in Sie hätte.« Mit diesen Worten wandte sie sich ihrer Tochter zu. »Und was dich betrifft, junge Dame, so muß ich fast annehmen, dir ist entfallen, daß du eine Familie hast.« Ihre weiche Miene strafte ihren vorwurfsvollen Ton Lügen.
Heather biß sich auf die Lippen, und in ihren Augen stand die stumme Bitte um Vergebung. »Ich hatte in der letzten Woche viel zu tun, Mama.«
»Das sehe ich, Liebes. Aber da wir einmal in der Nähe von Stonehurst sind, warum schaust du nicht auf einen Sprung herein? Ich fürchte, dein Vater wird uns beiden nie verzeihen, wenn du nicht wenigstens hereinkommst, um guten Tag zu sagen. Noch schöner wäre es natürlich, du würdest zum Tee bleiben. Und Sie sind natürlich ebenfalls herzlich eingeladen, Mr. Lewis.« Sie legte den Kopf schief. »Habt ihr ein Stündchen Zeit?«
»Natürlich kommen wir gerne, Mama.« Heathers Blick wanderte zu Damien. »Es sei denn, es macht Ihnen irgendwelche Umstände, Mr. Lewis.«
Damien schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht.«
Tatsächlich mußte er ein befriedigtes Lächeln unterdrücken. Tee mit Miles und Victoria Grayson. Besser hätte es sich nicht fügen können, wenn er es selbst eingefädelt hätte …
Eine halbe Stunde später saßen sie alle in dem riesigen, verschwenderisch möblierten Salon von Lyndermere Park, dem Sitz des Earl und der Countess of Stonehurst, versammelt. Miles und Victoria hatten auf einem kleinen Sofa Platz genommen, das vor dem Kamin stand. Beatrice saß zu ihrer Rechten. Heather hatte es sich in einem samtbezogenen Lehnstuhl bequem gemacht, an dessen Seite ihr Stock lehnte. Christine saß neben Heather und hatte ihren Kopf auf die Schulter der älteren Schwester gelegt. Arthur hatte sein Mohngebäck verschlungen und war in der Küche verschwunden, um sich mehr davon zu erbetteln.
Miles Grayson war ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann von hagerer Statur und gebieterischer Haltung. Sein dunkles Haar war mit grauen Strähnen durchwoben, und um seinen Mund zogen sich einige Falten, aber wie seine Frau strahlte er jugendliche Lebhaftigkeit aus. Damien war sich wohl bewußt, daß ihn manch arroganter Adeliger – schließlich war er nicht mehr als ein Angestellter der Tochter des Hauses – niemals in sein Haus, geschweige denn in seinen Salon gebeten hätte. Aber Heathers Familie hielt offensichtlich nicht viel von Förmlichkeit; Miles Grayson machte einen ebenso herzlichen und aufrichtig gastfreundlichen Eindruck wie seine Frau Victoria.
Ein paar Minuten in der Gesellschaft ihrer Familie hatte Damien vieles verraten. Es waren keine Blutsbande, die Heather Duval mit den Graysons verbanden …
Es war das Band der Liebe.
Eine finstere Bitternis schlich sich in sein Herz. Er beneidete sie, sie alle. Die ganze Familie Grayson. Heather Duval … und gleichzeitig empfand er fast Haß für sie. Denn etwas Ähnliches würden er und Giles nun nie mehr erleben. Nie wieder würden die Brüder im Kreise ihrer Familien um den Kamin beisammensitzen, von den Stimmen und dem Gelächter ihrer Lieben umfangen …
Giles war dieses Erlebnisses beraubt worden … So wie er selbst seines Bruders beraubt worden war.
»Nun, Mr. Lewis, was halten Sie von Lockhaven, nach allem, was Sie bis jetzt gesehen haben?« Es war der Earl, der diese Frage gestellt hatte.
Damien schüttelte seine trübsinnigen Gedanken ab. »Ich bin tief beeindruckt. Es scheint mir ein außerordentlich gut geführter Betrieb zu sein.«
»Sie hätten Lockhaven vor vier Jahren sehen sollen. Sicher, das Herrenhaus selbst war in recht gutem Zustand. Aber dem Vorbesitzer war wesentlich mehr daran gelegen, sein Geld an den Spieltischen in London zu vertun. Die Felder lagen brach, und die meisten Pächter hatten das Weite gesucht.« Sein Blick huschte zu Heather hinüber: »Ich muß sagen, Heather hat wahre Wunder vollbracht. Und noch dazu, sehr zu meinem Leidwesen, ganz ohne meine Hilfe.«
»Na ja, du hast dir zweifellos alle Mühe gegeben«, bemerkte seine Frau. »Du hast ihr ständig über die Schulter geschaut – und dabei dein Bestes gegeben, damit sie es nicht merkt.«
»Aber sie hat es gemerkt«, warf Heather trocken ein.
Alle lachten, während Miles verlegen dreinblickte. »Was soll ich dazu sagen? Ich war ihr ein guter Lehrer.«
Heathers Augen wurden weich und nahmen einen warmen, tiefvioletten Ton an. »Das warst du, Papa. Das warst du wirklich.«
Eine Uhr auf dem Kaminsims verkündete, daß wieder eine Stunde verstrichen war. Victorias Blick wanderte zwischen Beatrice und Christina hin und her. »Christina, es ist Zeit, daß du für die morgige Lateinprüfung lernst. Bea, der Tanzlehrer wird gleich hier sein. Du kümmerst dich besser darum, daß im Musikzimmer alles vorbereitet ist.«
Christina erhob sich augenblicklich, aber ihre ältere Schwester verzog die vollen Lippen zu einem Schmollmund. »Ach, Mama. Muß ich wirklich? Bitte, laß mich noch ein bißchen bleiben.«
Victoria runzelte die Stirn. »Nein, mein Liebes.«
»Aber der Tanzlehrer hat gesagt, ich würde es ohnehin nie lernen, ich hätte zwei linke Füße.«
»Tja«, entgegnete Victoria, »um so mehr solltest du üben und immer wieder üben.«
Seufzend und sichtlich widerstrebend verabschiedete sich Beatrice. Damien setzte ein höfliches Lächeln auf, während seine Aufmerksamkeit in Wirklichkeit uneingeschränkt Heather galt.
Die Terrassentüren in ihrem Rücken standen ein Stück weit auf. Eine leichte Brise hatte ihr eine Haarsträhne über die sanft geschwungene Linie ihrer Wange geweht. Würde er sie berühren, das wußte er, sie würde sich so weich anfühlen wie das samtene Blütenblatt einer Rose … Er spürte fast das weiche Kitzeln auf seiner Haut. Sie hob die Hand, um die Strähne aus dem Gesicht zu streichen. Er erinnerte sich an die Berührung ihrer Hand in der seinen, klein und zerbrechlich zart. Ein Druck breitete sich in seinen Lenden aus. Gott im Himmel, er sehnte sich noch heftiger als am Morgen des Vortages danach, sie zu lieben …
Aber was war bloß mit ihm los? Im selben Augenblick ärgerte er sich über sich selbst. Er benahm sich wahrhaftig wie ein unerfahrener Jüngling, als wäre er unsterblich verliebt in diese Frau! Vielleicht hatte er sich am Abend zuvor geirrt. Vielleicht brauchte er doch unbedingt eine Frau. Vielleicht hätte er die üppige, aufdringliche Hure in der Taverne doch nehmen sollen. Vielleicht hätte das die Glut in seinen Adern gelöscht …
Wie aus weiter Ferne hörte er Victoria sprechen. »Der Koch hat mir erzählt, daß heute der Gewürzhändler da war. Offenbar zieht ein Jahrmarkt durch die Grafschaft. Er wird in den nächsten Tagen hier bei uns erwartet. Heather, als Kind hast du doch die Jongleure immer so geliebt. Wirst du hingehen, was meinst du?« Damien vernahm ihre Antwort nur mit halbem Ohr. Das Gespräch wandte sich anderen Themen zu, aber bald darauf langte Heather nach ihrem Stock. Damien erhob sich ebenfalls, ohne zu zögern. Die Hitze in seinen Lenden war abgekühlt, aber die Finsternis in seinem Herzen hatte sich noch nicht gelichtet.
Miles und Victoria begleiteten die Besucher nach draußen. Während Miles Heather auf den Kutschbock half, nahm Damien seinen Platz an ihrer Seite ein.
Den Blick auf Miles gerichtet, nahm sie die Zügel auf. »Was wünschst du dir zum Geburtstag, Papa?«
»Deinen preisgekrönten Bock.« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
Miles entging das verstohlene Zwinkern, das Heather mit ihrer Mutter wechselte, Damien aber hatte es sehr wohl bemerkt. Als Heather in ein trillerndes, melodisches Gelächter ausbrach, war ihm, als müsse er in tausend Stücke zerspringen.
»Überleg dir etwas anderes, Papa.« Sie winkten noch einmal zum Abschied und fuhren davon.
Keiner von beiden war sich des nachdenklichen Blicks bewußt, mit dem Victoria der davonrollenden Kutsche nachsah.
Sie hakte sich bei ihrem Mann ein. »Mr. Lewis scheint ein sehr netter junger Mann zu sein, findest du nicht?«
»Das ist er. Heather hat zweifellos eine ausgezeichnete Wahl getroffen.«
Im unschuldigsten Tonfall der Welt bemerkte Victoria: »Bea hat mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, daß sie Mr. Lewis für den bestaussehenden Mann in ganz England hält. Glaubst du, Heather ist derselben Meinung?«
Miles blieb wie angewurzelt stehen. »Wie bitte?«
Victoria kicherte vergnügt.
Er blinzelte. »Heather, meinst du?«
Sie gab ihm einen spielerischen Nasenstüber und sagte vergnügt: »Heather ist eine erwachsene Frau, mein Liebster – und sie ist nicht blind. Aber weißt du was, ich finde, Bea hat recht.«
Damit ließ sie Miles stehen, der ihr erstaunt nachblickte.