Читать книгу Erfüll mein Verlangen - Samantha James - Страница 6

1. Kapitel

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Lancashire, zwanzig Jahre später

Hätte er doch nur sagen können, daß es guttat, wieder in England zu sein.

Seit seinem letzten Aufenthalt waren fast vier Jahre verstrichen. Natürlich hatte er damit gerechnet, irgendwann zurückzukehren. Ja, er hatte sich sogar schon auf der Rückreise befunden …

Nie im Leben hatte er damit gerechnet zu erfahren, daß sein Bruder tot war.

Wie eine schwarze Wolke stieg der Zorn in ihm auf. Höllenqualen brodelten in seinem Innern, rangen darum, aus ihrem Gefängnis befreit zu werden. Nein, dachte er, nicht einfach nur tot …

Ermordet.

Damien Lewis Tremayne saß hoch aufgerichtet im Sattel seines glänzenden Rapphengstes und rührte sich nicht. Roß und Reiter wirkten wie aus Stein gemeißelt. Doch sein Herz war von rasendem Schmerz zerrissen, sein Lebensmut von trostloser Verzweiflung getrübt. Und während er über das weite Tal starrte, war sein Bewußtsein, sein gesamtes Sein nur von einem einzigen Gedanken erfüllt.

Er war der Letzte der Tremaynes.

Sein Vater war schon vor vielen Jahren aus der Welt geschieden. Seine Mutter war ihm nach ein paar kurzen Jahren gefolgt. Und jetzt Giles …

Ihm war unendlich schwer ums Herz. Es war ein sonniger Aprilmorgen, warm für diese Jahreszeit, erfüllt von den Farben des Lebens. Das klare Blau des Himmels spannte sich in endloser Weite. Der Wiesenhang war übersät mit leuchtend gelben Narzissen, wie ein Meer aus goldenem Sonnenschein. Es duftete nach frischer Landluft und süßem Morgentau … Aber durch seine Adern rann winterliche Kälte, die dunkelsten Schatten der Nacht verfinsterten seine Miene. Und in seiner Seele toste ein wilder Gewittersturm.

Er – Damien Lewis Tremayne – trug nun die ganze Verantwortung … Nein, nicht als der neue Earl of Deverell – sondern als der Bruder eines Mannes, der eines gewaltsamen Todes gestorben war, sinnlos, durch die Hand eines anderen …

Er würde den Mörder seines Bruders finden.

Und er würde Giles’ Tod rächen, denn eher durfte er nicht ruhen.

Eher würde er nicht ruhen.

Erst als ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, wendete er endlich sein Pferd. In diesem Augenblick sah er sie – eine Frau, die ihn aus dem Schatten einer knorrigen Eiche betrachtete. Sie saß auf einer ausgebreiteten Decke auf der Wiese, die Beine unter dem Rock hochgezogen. In ihrer Armbeuge lag ein großer Skizzenblock; in der Hand hielt sie einen Kohlestift.

Ihre Blicke begegneten sich. Als sie merkte, daß er sie entdeckt hatte, stockte ihre Hand. Sie drückte den Zeichenblock etwas schuldbewußt, wie er fand, an die Brust.

Damien ritt zu ihr hin. Ein paar Schritte vor ihr hielt er das Pferd an, stieg aus dem Sattel und ging auf sie zu. Die Frau blieb auf der Decke sitzen, ihr schlanker Hals bog sich, als sie zu ihm aufblickte. Angesichts ihrer geweiteten, unentwegt auf ihn gerichteten Augen kam er sich vor wie der leibhaftig gewordene Teufel. Er konnte sich nicht vorstellen, was an ihm eine solche Furcht hervorrufen konnte. Sicher, er war größer als so mancher andere, aber in seinem lose fallenden weißen Hemd, den dunklen Reithosen und Stiefeln gab er bestimmt kein Bild ab, vor dem sich das Mädchen fürchten mußte.

»Hallo«, murmelte er.

Ihre Lippen teilten sich. Einen Augenblick lang glaubte er, sie werde sich weigern, mit ihm zu reden. Aber nein, sie erwiderte seinen Gruß, und zwar mit leiser, melodischer Stimme, die ihm verriet, daß sie keineswegs Angst hatte, sondern allenfalls auf der Hut war.

»Guten Morgen, Sir.«

Er zog einen Mundwinkel nach oben und suchte nach Worten, um auch den letzten Rest Argwohn in ihr zu zerstreuen. »Ich konnte nicht umhin zu bemerken, daß Sie mich beobachten. Haben Sie mich gezeichnet?«

Nach einem kaum merklichen Zögern antwortete sie: »Ja. Ja, das habe ich. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel.«

»Ganz und gar nicht«, erwiderte er galant. Er ließ sich in die Hocke nieder. »Darf ich das Bild sehen?«

Sie zögerte, ihr Unbehagen war deutlich zu spüren – und noch deutlicher ihre Zurückhaltung –, aber schließlich reichte sie ihm die Skizze.

Damien betrachtete sie prüfend. Obwohl sie noch nicht fertig war, sah Damien, daß es ihr mit wenigen kühnen, kraftvollen Strichen gelungen war, jede Facette seiner düsteren Stimmung – seine Wut, seine unendliche Trostlosigkeit – einzufangen.

Es mißfiel ihm. Es mißfiel ihm zutiefst.

Langsam wendete er ihr den Blick wieder zu. »Ich möchte es gern haben.« Er teilte ihr seine Wünsche ohne Umschweife mit.

»Oh, aber es lohnt sich kaum, ein so hastig hingeworfenes Bild aufzubewahren.« Mit einem Kopfschütteln wies sie seinen Wunsch nicht weniger unumwunden zurück. »Es wäre mir peinlich, eine so mittelmäßige Arbeit aus der Hand zu geben.«

Er blieb freundlich, aber unerbittlich. »Im Gegenteil, Miss. Es ist wirklich gut gelungen, und ich möchte es haben. Der Preis spielt keine Rolle.«

»Aber es geht mir nicht ums Geld, Sir. Es ist – es ist ganz einfach nicht zu verkaufen.«

Eine Möglichkeit ging ihm flüchtig durch den Kopf. Er überlegte, ob er das Bild einfach nicht zurückgeben sollte, denn er war nicht der Mann, der seine Gefühle für alle und jeden sichtbar zur Schau trug; Es war, als hätte das Mädchen einen Teil von ihm erhascht, den er lieber verborgen hielt. Ihm war zumute – oh, als wäre er bei einer verbotenen Tat ertappt worden.

Aus dem Augenwinkel sah er eine kleine Kutsche und ein Pony, das in der Nähe graste. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, in den Sattel seines Hengstes zu steigen und davonzupreschen; sie würde ihn nie und nimmer einholen können.

Er zog eine dunkle Braue hoch. »Sie sind sehr bescheiden«, bemerkte er.

Ihre kleinen weißen Zähne gruben sich in die volle Unterlippe. »Bescheiden?« entgegnete sie leichthin. »Nein, Sir, nur aufrichtig. Es wäre Diebstahl, Ihnen für dieses Bild Geld abzunehmen – es ist ja noch nicht einmal fertig!«

Damien rang um Geduld. Warum war sie nur so starrsinnig? Zum ersten Mal sah er sie jetzt an … sah sie wirklich an.

Ihre Schönheit traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube.

Sie war bezaubernd, aber auf eine ganz unmodische Art. Ihr Kleid war ziemlich ausgeblichen und alt, die Schnüre des Mieders hatte sie wegen der Wärme gelöst; die geschwungene Linie ihres Nackens zeigte eine makellos glatte Haut, die von der Sonne leicht gebräunt war. Ganz offensichtlich gehörte sie nicht zu den Londoner Damen, die sich nie ohne Hut oder Sonnenschirm ans Tageslicht wagten. Ihr Haar war auch nicht zu einer wilden Lockenpracht aufgetürmt, wie es gerade Mode war. Es fiel ihr glatt und glänzend über den Rücken, so dunkel, daß es fast schwarz wirkte. Mit ihren bloßen Füßen, deren kleine rosige Zehen unter dem Rocksaum hervorlugten, erinnerte sie ihn an eine Zigeunerin.

Ihre Augen aber waren es, die eine besondere Faszination auf ihn ausübten, und seine Augen verengten sich zu einem Ausdruck unverhüllter Bewunderung. Er hatte noch nie im Leben Augen von einer solchen Färbung gesehen. Sie waren überwältigend, von tiefstem Veilchenviolett.

Die Farbe von Heidekraut in voller, leuchtender Blüte …

Wer war sie? Ein Mädchen aus dem Dorf? Und wo hatte sie so hervorragend Zeichnen gelernt? Ein Naturtalent? Ganz sicher war es so. Aber ihre Sprache war nicht eloquent. Vielleicht arbeitete sie als Dienstmädchen in Lockhaven Park, dessen Besitzerin er noch heute nachmittag einen Besuch abzustatten gedachte. Bei diesem Gedanken spürte er einen Knoten im Magen. Er freute sich nicht gerade auf die Begegnung mit Miss Heather Duval, der Herrin von Lockhaven. Er hatte eine ziemlich deutliche Vorstellung davon, was ihn dort erwartete – eine zänkische, berechnende Jungfer, deren Aussehen vermutlich bestens zu ihrem Charakter paßte. Kein Wunder, daß sie noch auf der Suche nach einem Ehemann war.

Unwillig schob er den Gedanken beiseite. Er hatte keine Lust, sich über Heather Duval Gedanken zu machen. Viel lieber hätte er dieses Bild des Liebreizes mit in sein Zimmer im Gasthof genommen und sie geliebt bis zu dem Augenblick, in dem er aufbrechen mußte.

O ja, ging es ihm durch den Kopf, während sich die Begierde in seinen Lenden regte. Wenn das Mädchen nur willig war, so wollte er ihr jede Faser ihres Kleides vom Körper streifen und sein wehes Herz – und seine Härte – in den Tiefen ihres Schoßes vergraben. Er konnte sich kein besseres Mittel vorstellen, die Finsternis aus seinem Herzen zu verbannen.

»Haben Sie einen Namen, mein Fräulein?«

Wieder dieses Zögern, während sie ihn durch den dichten Schleier ihrer langen Wimpern musterte. »Alice«, murmelte sie schließlich.

»Nun, Alice, sind Sie sicher, daß ich Sie nicht überreden kann, mir das Bild zu überlassen?« In Wahrheit interessierte ihn das Bild nicht mehr. Vielmehr widerstrebte ihm der Gedanke, sie zu verlassen. Er wünschte sogar, sie würde ihn auffordern, zu bleiben und sich zu ihr zu setzen.

Ihre Wangen hatten sich mit einem rosigen Hauch überzogen. »Ich glaube nicht, Sir«, erwiderte sie leise.

»Dann habe ich offensichtlich keine Wahl.«

Er gab ihr das Bild zurück und hatte dabei die vage Vorstellung, daß sie von kleiner Statur sein mußte, denn sie hatte schmale Schultern, eine schlanke Taille und Hände, die kaum größer waren als die eines Kindes. Er wünschte, sie würde aufstehen, denn er hatte plötzlich das Bedürfnis zu sehen, wie sie sich bewegte. Ihr Gang mußte gewiß voller Geschmeidigkeit und Anmut sein – und er konnte sie fast unter sich spüren im Tanz der Leidenschaft, die geschwungene Linie ihrer schlanken Gliedmaßen, ihre wilde Sinnlichkeit.

Wie um ihn noch stärker in Versuchung zu führen, schmiegte ein plötzlicher Windstoß ihr Kleid so eng an den Körper, daß sich die Rundungen ihrer festen jungen Brüste deutlich abzeichneten.

Als sie seinen Blick auf ihrem Busen bemerkte, vertiefte sich die Röte auf ihren Wangen. Ihre freie Hand flog in die Höhe, als wollte sie sich vor seinen prüfenden Blicken schützen.

»Aber Alice, es gibt keinen Grund, einen solchen Liebreiz zu verbergen.«

Sie war offensichtlich beunruhigt, obwohl sich Damien absolut nicht vorstellen konnte, warum. Er war doch sicher nicht der erste Mann, der ihr eine solche Aufmerksamkeit schenkte. »Sir«, stieß sie atemlos hervor, »Sie scheinen mir ziemlich forsch zu sein.«

Und überdies voller Reue, denn er war nicht der Mann, der sich in Aufmerksamkeiten erging, wenn diese nicht erwünscht waren.

Er deutete ein Lächeln an. »Schon möglich«, pflichtete er ihr bei. »Aber ich werde Sie nicht länger behelligen, Alice, und mich von Ihnen verabschieden. Ich hoffe, wir sehen uns wieder, und Sie gestatten mir, meinen Fehler wiedergutzumachen.«

Mit einer tiefen Verbeugung entfernte er sich. Es war nur ein kurzer Ritt zum Eppingstone Inn zurück, wo er Quartier bezogen hatte. Der Gasthof, ein hundert Jahre altes Gebäude aus Ziegel, Holz und Natursteinen, war ein Ort der Rast für Reisende und der Geselligkeit für die Dorfbewohner, die hier in den freien Abendstunden Erholung von ihrem täglichen Arbeitstrott suchten. Der Boden war mit breiten, roh behauenen Dielen ausgelegt, die an vielen Stellen ausgetreten und eingekerbt waren und die Spuren unzähliger Gäste und vieler, vieler Jahre zeigten. Es roch schon in den frühen Morgenstunden nach Ale, aber der Geruch war nicht unangenehm, denn er vermischte sich mit den Bratendüften, die aus der Küche herüberdrangen.

In dem riesigen gemauerten Kamin im Schankraum loderte ein Feuer; die im Umkreis seiner Wärme aufgestellten Tische waren noch unbesetzt, als Damien den Raum auf dem Weg zu seinem Zimmer im ersten Stock durchquerte. Er war froh darüber, denn ihm war in diesem Augenblick nicht nach Gesprächen zumute. Dennoch fühlte er sich in den folgenden Stunden von einer merkwürdigen Ruhelosigkeit getrieben.

Sie ging ihm einfach nicht aus dem Kopf – Alice, das Mädchen mit den veilchenblauen Augen. Sie besaß eine süße, bezaubernde Schönheit, die ihn auf eine Weise in ihren Bann gezogen und gereizt hatte, wie er es schon lange, lange Zeit nicht mehr erlebt hatte. Er dachte ernsthaft daran, hinauszulaufen und nach ihr zu suchen, bis er sie gefunden hatte …

»Genug damit!« Verärgert über sich selbst sprang er aus dem Bett und griff nach seinem Rock. Er war aus einem ganz bestimmten Grund hier – nicht um mit einem Frauenzimmer namens Alice ins Bett zu gehen, auch wenn sie noch so schön war. Es war an der Zeit, die Sache in Angriff zu nehmen.

Die Aufgabe, einen Mörder zu finden.

Denn dieser Schwur war es, der ihn nach Lancashire geführt hatte, der seine Lippen verhärtete und seine Schultern straffte. Seine Schritte hallten wie Schläge auf den glatten, ausgetretenen Stiegen, als er die schmale Treppe hinuntereilte.

»Gehen Sie aus, Mr. Lewis?«

Die Stimme kam aus einer Ecke des Gastraums. Damien blickte auf und entdeckte Simpson, den Wirt, der an einem der Tische Tafelsilber polierte. Er lüftete den Hut in Richtung dieses stattlichen Gentleman mit dem Backenbart und zügelte seine Ungeduld.

»O ja, Mr. Simpson. Ich habe heute nachmittag eine Verabredung mit Miss Heather Duval in Lockhaven Park, um mich für den Posten des Gutsverwalters zu bewerben.«

»Ach ja. Robins Tod kam ziemlich unerwartet, wissen Sie.«

Ein Jammer, sicherlich – aber gleichzeitig ein Glücksfall für ihn. Cameron, der Detektiv, den Damien engagiert hatte und der ihm bei der Suche nach Giles’ Mörder behilflich sein sollte, hatte in Erfahrung gebracht, daß der Gutsverwalter von Lockhaven verstorben war und daß Heather Duval dringend einen Nachfolger suchte. Damien hatte diese Gelegenheit als ein Geschenk des Himmels empfunden und ihr augenblicklich eine Nachricht zukommen lassen. Sollte es ihm gelingen, sich die Stellung zu sichern, so gab ihm dies die Möglichkeit, Miss Heather Duval unauffällig zu beobachten … und dabei seiner Jagdbeute aufzulauern.

Er tippte sich flüchtig an seine Stirn. »Das habe ich gehört«, murmelte er. »Ein Jammer, daß er tot ist, aber ich gebe zu, daß mir viel daran liegt, in Lockhaven zu bleiben.«

Simpson nickte eifrig. »Das Gottesnest, wie meine Frau es nennt.« Er legte eine Vorlegegabel auf den Tisch zurück. »Eine großartigere Frau als Miss Heather gibt es nicht. Sie ist gerecht und immer gut zu ihren Leuten. Eine wahre Heilige, sagt meine Frau. Aber das ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, daß sie vom Earl of Stonehurst und seiner Frau großgezogen wurde. Der Earl hat sie nach dem Kutschenunfall, bei dem ihre Eltern ums Leben kamen, bei sich aufgenommen, wissen Sie.«

Damien nickte. Cameron hatte ihm berichtet, daß dies die Geschichte war, die man allgemein glaubte – aber sie entsprach nicht der Wahrheit. Nein, der Mann, der mit der Frau in der Kutsche gesessen hatte, war nicht deren Ehemann – und auch nicht der Vater des Mädchens …

Denn dieser Ehemann war noch am Leben, und der Teufel sollte seine niederträchtige, schmutzige Seele holen!

Ein flüchtiger Schatten umwölkte Simpsons Züge. Er seufzte. »Es ist wirklich ein Jammer …« Seine Stimme erstarb, und er schüttelte den Kopf.

Damien wartete, jede Faser in seinem Innern gespannt, daß Simpson weiterredete, aber der alte Mann verharrte in seinem Schweigen. Damien zog seine Taschenuhr hervor und warf einen Blick darauf. »Tja«, sagte er leichthin, »ich gehe jetzt wohl besser. Es wäre sicher nicht ratsam, zu spät zu kommen.«

»Viel Glück«, rief Simpson ihm nach.

Im Hof bestieg er Zeus, den mächtigen Rappen, der Giles’ Lieblingspferd gewesen war … Sein Herz zog sich zusammen. Gott, er hätte wirklich alles gegeben – alles! –, wenn Giles noch am Leben wäre …

Seine Stimmung verdüsterte sich wie der Mond hinter einer schwarzen Wolke. Gesichter flogen an ihm vorüber, als er Zeus durch das schmale, winkelige Dorfgäßchen lenkte. Die Blicke, die ihn trafen, waren neugierig, aber nicht unfreundlich. Er kam an zwei Frauen vorbei, die an einem Marktstand Körbe verkauften; die beiden waren in eine angeregte und von Gelächter begleitete Unterhaltung vertieft.

Er beneidete sie um ihre Unbeschwertheit.

Vor dem Häuschen des Hutmachers wälzten sich zwei balgende Jungen fröhlich im Staub. Unwillkürlich mußte Damien daran denken, wie oft er mit Giles so herumgetollt war, wild und draufgängerisch. Sie waren als Kinder fast unzertrennlich gewesen, denn der Altersunterschied zwischen ihnen hatte kaum mehr als ein Jahr betragen. Sie hatten im selben Zimmer geschlafen, hatten gemeinsam ihren Hauslehrer zur Verzweiflung gebracht und bis spät in die Nacht Streiche ausgeheckt. Hatten, als sie schließlich aus den Kinderschuhen herausgewachsen waren, insgeheim große Pläne für die Zukunft geschmiedet.

Um Damiens Lippen spielte der Anflug eines Lächelns, doch ein stechender Schmerz durchbohrte sein Herz. Giles hatte sich oft damit gebrüstet, daß er einmal als berühmter Kapitän an Bord eines großen Schiffes mit hundert Mann Besatzung die Weltmeere befahren und sich in den fernsten Häfen der Welt einen Namen machen würde. Und seine eigenen Zukunftspläne waren nicht weniger kühn gewesen. Er hatte davon geträumt, Ruhm und Wohlstand zu erlangen, ein Imperium von Ländereien und Reichtümern zu schaffen, wie es die Welt noch nie gesehen hatte …

Aber all das waren Kinderträume gewesen, und alles war anders gekommen als geplant … Beide Eltern waren gestorben, und sie waren der Obhut ihrer Tante Gertrude übergeben worden; unter ihrer Fürsorge waren sie zu Männern herangereift. So hatte der Tod des Vaters den Träumen seines Bruders ein Ende bereitet, denn er war nun der neue Earl of Deverell. Während Giles nach Cambridge ging, war er nach Amerika gereist und hatte die Verantwortung für den gräflichen Besitz seinem älteren Bruder überlassen.

Die Lippen zu einem schmalen, grimmigen Strich zusammengepreßt, gab Damien seinem Pferd die Sporen. Er wich dem tiefhängenden Ast einer Eiche aus, dann sprengte er am Fuße eines grasbewachsenen Hügels entlang. Er biß die Zähne zusammen, als sähe er einer Schlacht entgegen, und er mußte sich selbst daran erinnern, daß sein Gegner nicht Miss Heather Duval war …

Sie diente ihm lediglich als Zugang zu ihrem Vater.

In diesem Augenblick kam Lockhaven Park in Sicht. Unwillkürlich zügelte Damien das Pferd und hielt inne. Wie an dem Tag, als er es zum ersten Mal gesehen hatte, konnte er nicht umhin, den eindrucksvollen Anblick, der sich ihm bot, zu bewundern. Mächtige Bäume säumten die Auffahrt, die in einem weiten Halbkreis zum Herrenhaus führte. Das Gebäude war rundum von saftigem Rasen umgeben. Das Haus selbst wirkte mit seiner roten Backsteinfassade und dem strahlend weißen Säulenportal schlicht, aber aristokratisch. Fast widerstrebend mußte Damien sich eingestehen, daß ihn Lockhaven stark an Bayberry, sein Heim in Virginia, erinnerte.

Mit leichtem Schenkeldruck trieb er Zeus wieder an. Wenige Minuten später hatte er das hohe Doppelportal erreicht. Er hämmerte mit dem kunstvoll verzierten Messingklopfer energisch an die schwere Kassettentür.

Aus dem Innern des Hauses näherten sich hallende Schritte. Ein Butler mit gebeugten Schultern öffnete das Portal; eine Aura vornehmer, wenn auch ärmlicher Effizienz umgab ihn, während er den Besucher mit fragendem Blick fixierte.

»Kann ich etwas für Sie tun, Sir?«

»Das können Sie allerdings.« Damiens Stimme klang forsch. »Ich bin Damien Lewis. Ich habe eine Verabredung mit Miss Heather Duval.«

»O ja, Mr. Lewis.« Der Butler musterte ihn von oben bis unten, während er sprach. Damien bestand offenbar die kritische Prüfung, denn die zerfurchten Züge des Butlers entspannten sich, und ein warmes Lächeln machte sich darin breit. »Miss Heather erwartet Sie. Treten Sie bitte ein.«

Damien betrat die Eingangshalle. Der Butler schloß das Portal hinter ihm und deutete auf einen langen Gang. »Ich heiße übrigens Marcus. Bitte folgen Sie mir. Miss Heather ist in ihrem Arbeitszimmer.«

Damien ging neben ihm her und verlangsamte seinen Schritt, um sich dem Tempo des alten Mannes an seiner Seite anzupassen. Sie gingen am Salon und am Musikzimmer vorbei, und Damien konnte einen Blick auf glänzend polierte Böden, hohe, holzvertäfelte Wände, Fensterreihen, durch die strahlend das Sonnenlicht einfiel, und auf weiche, einladende Diwane und Sessel erhaschen. Eine merkwürdige Empfindung ergriff Besitz von ihm, etwas, das an Wut grenzte, denn erneut fühlte er sich an Bayberry erinnert – und er weigerte sich, irgend etwas an Lockhaven Park zu mögen. Nicht das Anwesen selbst. Nicht die Inneneinrichtung. Und ganz gewiß nicht die Herrin des Hauses …

»Da sind wir, Sir«, erklärte Marcus mit munterer Stimme. Er öffnete die letzte Tür auf der rechten Seite des Gangs und trat zur Seite, damit Damien eintreten konnte. »Vielleicht sehen wir Sie bald einmal wieder?«

Damien sah ihm in die Augen. »Man kann nur hoffen«, murmelte er. Mit einem flüchtigen Lächeln ging er an dem alten Mann vorbei in das Arbeitszimmer. Marcus bedachte ihn mit einem aufmunternden Zwinkern und entfernte sich dann. Als die Tür hinter ihm ins Schloß fiel, hob Damien den Kopf. Seine Nerven waren aufs äußerste gespannt, und er wappnete sich, Miss Heather Duval, der Tochter des Mörders seines Bruders, entgegenzutreten …

Ein Gemälde an der Wand zog seine Aufmerksamkeit an. Düster und geheimnisvoll, zeigte es einen Buckligen, der auf einer Hügelkuppe stand. Über ihm hatten sich an einem mattgrauen Himmel schwarze, drohende Wolkenmassen zusammengebraut.

Der Bucklige hatte kein Gesicht.

»Mr. Lewis?«

Sein Blick schweifte ab. Im Geiste registrierte er einen wuchtigen Mahagonischreibtisch, der die gegenüberliegende Seite des Raums beherrschte. Dahinter saß eine zierliche Gestalt, die Hände auf der Tischplatte gefaltet.

Ein Schwindel erfaßte in.

Sie war es. Seine Zigeunerin, der er an diesem Morgen begegnet war. Es gab keinen Zweifel. Sie hatte ihr abgetragenes, ausgeblichenes Kleid gegen eines aus gestärktem grauem Musselin vertauscht; das Haar hatte sie zu einem ordentlichen kleinen Knoten am Hinterkopf zusammengebunden. Sie sah älter aus, sicherlich. Aber die fein gemeißelten Züge waren dieselben. Und ihre großen veilchenblauen Augen blickten ihm stumm entgegen.

Er gestattete sich den leisesten Anflug eines Lächelns, denn um keinen Preis sollte sie etwas von dem Aufruhr bemerken, der in seinem Innern tobte.

»Alice«, murmelte er, »so treffen wir uns also wieder.«

Sie erwiderte sein Lächeln nicht. »Allerdings«, entgegnete sie, »ein Wiedersehen, das, wie ich vermute, keiner von uns beiden erwartet hätte.« Ihre Stimme klang ruhig und gelassen, aber in ihrem Blick stand wieder Wachsamkeit geschrieben.

Er zuckte kaum merklich die Achseln. »Da mögen Sie recht haben.«

Sie deutete auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs. »Bitte«, sagte sie in kühlem, förmlichem Ton, »nehmen Sie Platz.«

Aha. So sah es also aus. Damiens Miene wurde eisig. Er kämpfte gegen einen unbändigen Haß an. Sie hätte häßlich sein müssen. Abstoßend. Gott, wie sehr er sich wünschte, daß sie es wäre. Schließlich floß in ihren Adern das Blut eines Mörders. Hör auf, mahnte eine Stimme in seinem Innern. Du urteilst zu hart und zu voreilig.

Mit entschlossenem Schritt durchquerte er den Raum. »Verzeihen Sie«, sagte er. »Ich bin nicht nur unhöflich, sondern auch noch nachlässig.« Er stand jetzt vor ihr. »Ich bin Damien Lewis.«

Selbstbewußt streckte er ihr die Rechte entgegen; sie war tief gebräunt und so viel größer als ihre, daß ihre Hand in seiner völlig zu verschwinden schien. Als er sie wieder freigab, sah er, daß ihr Blick auf seinen Händen ruhte. In diesem Augenblick war er froh, daß seine Hände rauh und schwielig waren, weil er die Feldarbeit an der Seite seiner Männer nicht scheute. Hätte die Dame angenommen, daß er ein Großstadtdandy sei, so wäre das Spiel für ihn vielleicht schon aus gewesen, bevor es überhaupt begonnen hatte.

Er nahm auf dem mit weinrotem Leder bezogenen Ohrensessel Platz, der ihr gegenüber am Schreibtisch stand; ein hölzerner Stock mit einem Knauf aus getriebenem und ziseliertem Silber lehnte seitlich am Schreibtisch. In einem Winkel seines Bewußtseins registrierte er den flüchtigen Gedanken, daß der Stock irgendwie fehl am Platz war …

Er kreuzte die Füße, seine Mundwinkel verzogen sich in einem unbefangenen Lächeln. »Ich gebe zu, es ist eine etwas eigenartige Situation. Wird Ihr Gatte an unserem Gespräch teilnehmen?«

»Ich habe keinen Gatten, Sir. Vor sich sehen Sie die alleinige Herrin von Lockhaven Park.«

Wenn er gehofft hatte, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, so war ihm das gründlich mißlungen, denn ihre Antwort kam unverzüglich, und ihre Haltung war ebenso unerschütterlich wie die seine. Damien hätte nicht sagen können, welcher Teufel ihn geritten hatte, denn er kannte die Antwort, noch bevor sie den Mund aufmachte. Die Dame hatte keinen Ehegatten. In Wirklichkeit wußte er eine ganze Menge über Miss Heather Duval – daß sie nämlich unter der Vormundschaft von Miles Grayson, Earl of Stonehurst aufgewachsen war, der nur fünf Kilometer entfernt lebte. Er wußte allerdings nicht, warum – vielleicht, weil ihr Vater die letzten zwanzig Jahre im Gefängnis von Newgate verbracht hatte.

Jetzt war es an ihr, ihn mit herausfordernder Miene zu betrachten. »Ich hoffe, das ist kein Problem für Sie, Mr. Lewis? Ich weiß, daß es einige Männer gibt, die es als unannehmbar empfinden würden, in den Diensten einer Frau zu stehen. Wenn Sie es also vorziehen, unsere Unterredung an dieser Stelle zu beenden, habe ich vollstes Verständnis.«

»Im Gegenteil, Miss Duval. Bitte, lassen Sie uns fortfahren.« Er erhaschte ein kurzes Aufblitzen in ihren Augen; es sagte ihm, daß sie genau das wollte.

Ihre schlanken, zartgliedrigen Finger schienen sich ineinander zu verkrampfen, dann entspannte sie sich sichtlich. Ihre Worte waren jedoch das genaue Gegenteil dessen, was er erwartet hatte. »Dann lassen Sie uns zum Geschäftlichen übergehen«, sagte sie mit leiser Stimme. Sie zog einen dünnen Stoß Papiere von der Ecke des Schreibtischs zu sich heran. »Ich muß zugeben, Mr. Lewis, daß ich ziemlich beeindruckt war von Ihrem Brief. Mir scheint, Sie haben einiges an Erfahrung vorzuweisen, was für Sie spricht.«

Sein Tabakunternehmen in Virginia hatte in den vergangenen zehn Jahren eine bemerkenswerte Blüte erlebt, und Damien gefiel sich –, bei aller Bescheidenheit –, in der Vorstellung, daß dieser Erfolg seinem persönlichen Engagement in allen Geschäftsbereichen zu verdanken war. »Auf die Gefahr hin, arrogant zu wirken, Miss Duval, meine ich das auch.«

Sie betrachtete ihn mit prüfend zur Seite geneigtem Kopf und runzelte kaum merklich die Stirn. »Ihr Akzent«, murmelte sie, »klingt irgendwie fremd.«

Er lachte und war bemüht, sich von seiner charmantesten Seite zu zeigen. »Es ist zweifellos ein ziemliches Gemisch. Ich bin in Yorkshire geboren und habe dort den größten Teil meiner Jugend verbracht.« Selbstverständlich verschwieg er die Tatsache, daß er als zweiter Sohn eines Earls geboren war. Er mußte vorsichtig ans Werk gehen, damit seine wahre Identität nicht ans Tageslicht kam. O nein, er würde sich hüten zu verraten, wer er wirklich war, denn er traute niemandem …

Am wenigsten ihr.

»Als ich sechzehn war«, fuhr er fort, »beschloß ich, mich auf die Suche nach Ruhm und Reichtum zu machen und ging nach Amerika.«

»Sechzehn!« Ihr war die Verblüffung ins Gesicht geschrieben. »Aber das ist viel zu jung, um allein in die Welt zu gehen. Es hat Sie doch sicher jemand begleitet?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein«, entgegnete er leichthin. »Aber ich war ziemlich groß für mein Alter und tat so, als hätte ich schon viel von der Welt gesehen. Ich ließ mich in Virginia nieder, wo ich für einen Plantagenbesitzer arbeitete. Schließlich übernahm ich die Verantwortung für den Arbeitsbetrieb.« Eine etwas ausweichende Art, es auszudrücken, aber dennoch zutreffend.

»Ich verstehe.« Ihr Blick ruhte unverwandt auf seinem Gesicht. Er konnte fast sehen, wie es in ihrem Kopf arbeitete, wie sie ihn im Geiste taxierte, abwog und maß. »Könnten Sie Ihre Pflichten etwas ausführlicher beschreiben?«

»Selbstverständlich, Miss Duval. Ich trug die alleinige Verantwortung für die Buchführung, ich war verantwortlich für die Überwachung der Pflanzung und Ernte des Haupterzeugnisses dieser Plantage – Tabak. Ich kaufte und bestellte Waren und Vorräte und sorgte für Unterbringung und Belange der Plantagenarbeiter.«

Sie nickte. »Ich bin dennoch neugierig, Mr. Lewis. Was hat Sie bewegt, nach England zurückzukehren?«

Er machte eine unbestimmte Handbewegung, so als müsse er über ihre Frage erst nachdenken. »Nach all den Jahren, die ich in Amerika verbracht habe, ist England doch meine Heimat geblieben«, erklärte er schließlich. »Es spielt keine Rolle, ob es nun Lancashire oder Yorkshire ist. Ich bin zu einem Besuch zurückgekehrt und … Ich gebe zu, es war eine sehr überstürzte Entscheidung. Darum habe ich leider auch keine Empfehlungsschreiben bei mir.« Er hielt den Atem an und wartete.

Sie nickte, aber er spürte ihr Zögern. »Ich will ehrlich sein, Mr. Lewis«, sagte sie bedächtig. »Ich brauche einen Mann, der kein Tyrann ist, denn ich möchte keinen Gutsverwalter haben, vor dem sich meine Pächter fürchten. Andererseits brauche ich aber jemanden, der in der Lage ist, seine Pflichten zielstrebig und effektiv zu erfüllen. Bisher habe ich auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger für Robin wenig Glück gehabt, und die Zeit wird knapp. Aber wir bauen hier in Lancashire keinen Tabak an, Mr. Lewis. Wir züchten Schafe und Rinder und bauen das Getreide an, das für den Bedarf des Guts und der Pächter benötigt wird.«

»Das ist mir ganz und gar nicht fremd«, beeilte er sich einzuwerfen. »Das Gehöft meiner Tante in Yorkshire ähnelt Ihrem Gut, und ich habe dort einen großen Teil meiner Jugend verbracht.«

Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nicht so, daß ich Ihre Fähigkeiten in Zweifel ziehe …«

»Dann möchte ich Ihnen ein Angebot machen, Miss Duval. Wenn Sie mich als Gutsverwalter einstellen, arbeite ich einen Monat lang ohne Entgelt.« Er war von der verzweifelten Verfolgung seines Ziels getrieben, aber das durfte sie unter keinen Umständen merken. »Sollten Sie unzufrieden mit mir sein oder sollte sich meine Arbeit in irgendeiner Weise als unzureichend erweisen, können Sie mich nach Ablauf dieser Frist entlassen. Bei allem Respekt, Miss Duval, mir scheint, daß Sie nichts zu verlieren haben.«

Das Angebot war verlockend; Hoffnung flammte in ihm auf, aber er wagte nicht, sie noch weiter zu drängen. Nur mit der Kraft seiner Augen versuchte er sie zu überzeugen. Die Zeit zog sich endlos in die Länge. Aber gerade, als er seine Absichten für gescheitert hielt, erhob sie sich hinter ihrem Schreibtisch. Zum ersten Mal umspielte ein feines, weiches Lächeln ihren lieblichen Mund.

Es traf Damien wie ein Schlag in die Magengrube. Er hatte sie auch vorher als schön empfunden, aber jetzt, Gott im Himmel, jetzt verschlug es ihm schier den Atem.

»Sie beherrschen die Kunst der Überzeugung, Mr. Lewis. Ich nehme Ihre Bewerbung an – aber nur unter einer Bedingung. Ich werde Sie nicht übervorteilen, indem ich Ihnen die Bezahlung für die Arbeit vorenthalte, die Sie für mich leisten. Zuzüglich zum Gehalt« – sie nannte eine Summe, die mehr als großzügig war – »steht dem Gutsverwalter das Haus bei den Weideflächen des Guts zur Verfügung. Es ist eine bescheidene Behausung, aber ich hoffe, Sie werden sich darin wohl fühlen. Sind Sie damit einverstanden, Sir?«

Damien erhob sich ebenfalls. »Das bin ich, Miss Duval.«

»Gut«, erklärte sie. »Wann möchten Sie einziehen?«

»Morgen würde mir passen, Miss Duval. Danach kann ich meinen Dienst antreten.«

»Ausgezeichnet. Seien Sie bitte um zehn Uhr bei den Stallungen, ich möchte Ihnen dann das Anwesen zeigen.«

»Ich freue mich darauf.« Er drehte sich um und griff nach seinem Hut. Als er sich noch einmal umblickte, sah er, daß sie noch immer aufrecht stand. Ihm schien, als hätte sie noch etwas auf dem Herzen.

Er zog eine Augenbraue hoch. »Ist noch etwas, Miss Duval?«

»Ja. Ja, da ist noch etwas.« Zum ersten Mal seit diesem Vormittag wirkte sie fast nervös. »Mr. Lewis, sind Sie ganz sicher, daß es die Stellung ist, die Sie suchen? Ich frage das, weil … nun ja, ich mache mir Gedanken, daß Sie Lancashire vielleicht ziemlich langweilig finden werden. Unser Dorf ist klein und …«

Er fiel ihr ins Wort, aber in seinem Ton war keine Spur von Schärfe. »Wenn ich das Stadtleben suchen würde, Miss Duval, wäre ich nach London gegangen.«

Er sah sie unnachgiebig an, aber ihre ungewöhnlichen Veilchenaugen hielten seinem Blick stand. »Sie verstehen mich sehr gut, Mr. Lewis.«

Mit einem einzigen Schritt stand er ihr gegenüber. Er ergriff ihre Hand. Sie war klein, zierlich und weiblich, und plötzlich wallte eine Flut widerstreitender Gefühle in ihm auf. Er mußte gegen den Drang ankämpfen, ihre Hand mit seinen Fingern zu zermalmen, so wie ihr Vater das Leben seines Bruders vernichtet hatte. Aber während er alles, was sie war, bezwingen und zunichte machen wollte, spürte er gleichzeitig das sehnsüchtige Verlangen, ihr die Nadeln aus dem Haar zu reißen, seine warme dunkelseidige Fülle über seine Finger fließen zu fühlen, ihre rosigen Lippen an die seinen zu ziehen. Er wollte, daß sie zu ihm kam. Er wollte sehen, wie sie auf ihn zuging, mit fließenden Bewegungen, in vollkommener und geschmeidiger Anmut …

»Ich habe den Wunsch, mich an einem ruhigen, friedlichen Ort wie diesem niederzulassen, Miss Duval, machen Sie sich also keine weiteren Gedanken«, sagte er mit weicher Stimme. Er zog ihre Hand an seine Lippen, eine flüchtige Berührung, die sich fast ebenso schnell auflöste, wie sie begonnen hatte. »Ich verspreche Ihnen, daß ich hier in Lockhaven zufrieden sein werde, denn ich bin ein ganz gewöhnlicher, hart arbeitender Mann wie alle anderen auch.«

Mit diesen Worten verabschiedete er sich und verließ mit festem Schritt das Arbeitszimmer. Sein Plan war ins Rollen gebracht.

Nun konnte er nur noch abwarten.

Erfüll mein Verlangen

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