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Prolog

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»Ich muss dir etwas sagen«, wisperte sie.

Mit ihrem glänzenden schwarzen Haar, das bis zu den Hüften reichte, den schräg stehenden dunklen Augen und dem makellosen olivfarbenen Teint sah sie bildschön aus. Aber Madeleine war sich ihrer Reize kaum bewusst, obgleich schon viele Männer ihre Ausstrahlung, ihren Liebreiz und ihr melodiöses Lachen bewundert hatten. Nur ein Einziger hatte jemals ihren Blick und ihr Herz zu fesseln vermocht.

Dieser.

»James? Ich … ich muss dir etwas sagen.« Der samtige Klang ihrer Stimme – eine Nachwirkung des Liebesakts – hatte sich verloren und neben ihrem exotisch anmutenden Akzent schwang nun ein scheuer, unsicherer Unterton in ihren Worten mit.

Die Bettdecke bewegte sich. Auf einen Ellbogen gestützt, hob James St. Bride, der Earl of Ravenwood, die dunklen Brauen. »Worum geht es denn, petite?«, fragte er und strich mit einer Fingerspitze über ihren nackten Arm.

Unwillkürlich erschauerte sie vor Entzücken. Welch ein hinreißender Mann …

Während er auf ihre Antwort wartete, schaute er geistesabwesend ins Leere. Dann fing er ihren Blick auf und lächelte ermutigend.

Sie holte tief Atem. Da ihr nichts anderes übrig blieb, musste sie es einfach aussprechen und endlich hinter sich bringen. »Ich bin guter Hoffnung«, erklärte sie leise.

Sofort erstarrte sein Finger in der Bewegung, sein Lächeln erlosch. Tiefe Stille lastete bleischwer auf Madeleines Seele. Kaum zu glauben, dass James’ ekstatischer Schrei das Schlafzimmer erst vor wenigen Minuten erfüllt hatte … Hastig zog er seine Hand zurück und stand auf.

Als er ihr den Rücken kehrte, schluckte sie krampfhaft. Sie betrachtete seinen Hinterkopf, das dichte mahagonibraune Haar, das im Feuerschein glänzte, die angespannten Muskeln der kraftvollen Arme.

Ruckartig schlüpfte er in seinen Morgenmantel, bevor er sich zögernd zu ihr umwandte. Zu ihrer Bestürzung verriet seine Miene nicht, was er dachte. Seine saphirblauen Augen wirkten kühl und abweisend, die Lippen bildeten einen dünnen Strich. In ihrem Herzen stieg eisige Angst auf.

»Sicher kennst du eine Arznei.«

»Eine Arznei?«, wiederholte sie verwirrt.

»Ja, eine Arznei! Irgendwie musst du das Balg loswerden!« Noch nie hatte er so brüsk mit ihr gesprochen. Er konnte seinen Zorn kaum zügeln, und sie musste sich mühsam beherrschen, um nicht vor seiner Ungeduld zurückzuschrecken. »Komm schon, Madeleine! Du bist eine Zigeunerin. Zweifellos kennst du ein geeignetes Mittel.«

Sie setzte sich auf und presste die Decke an ihre Brüste. Fassungslos erwiderte sie seinen Blick. Schlug er ihr tatsächlich vor, ihr eigen Fleisch und Blut zu töten? »James …«, begann sie stockend. In ihren Augen brannten Tränen. »Bitte, James …« Und dann fehlten ihr die Worte. Sie konnte nur noch den Kopf schütteln.

»Dachtest du, ich würde mich freuen?«

Flehend schaute sie zu ihm auf. »Nun, ich dachte, dass du – dass wir …«

»Großer Gott!«, rief er angewidert. »Hast du tatsächlich erwartet, dass ich dich heiraten würde?«

Wortlos rang sie nach Atem. Das hatte sie nicht zu hoffen gewagt, aber jeden Abend darum gebetet. Auf eine kirchliche Hochzeit legte sie keinen Wert. Ein Versprechen, das ihn für immer an sie band, würde ihr genügen.

In ihren großen schwarzen Augen lag die Antwort auf seine Frage. James stand reglos am Fußende des Betts. So weit entfernt. So abweisend. Wachsende Verzweiflung schnürte ihr die Kehle zu. Alles hatte sie ihm gegeben. Ihren Körper und ihr ganzes Herz.

Spöttisch verzog er die Lippen. »Petite, ich bin der Earl of Ravenwood. Und du bist eine Zigeunerin.«

Wie grausam er sie verhöhnte … In diesem Augenblick wäre sie am liebsten gestorben. Aber ihr Stolz zwang sie, das Kinn zu heben. »Wäre ich deinesgleichen, würdest du mich nicht so behandeln.«

»Du entstammst einer anderen Gesellschaftsschicht«, entgegnete er gelangweilt.

Natürlich, sie war eine Zigeunerin. Das würde er niemals vergessen.

Aber sie hatte es vergessen. In ihren Träumen, in ihren Illusionen.

Im vergangenen Sommer waren sie einander zum ersten Mal begegnet. Er hatte ihrem Volk erlaubt, auf einem seiner Landgüter zu kampieren … Eines Abends tanzte sie zu melancholischen Geigenklängen, und ihr Körper drückte alles aus, was diese Melodie erzählte – eine uralte Geschichte von tiefem Herzenskummer, von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, auf ein Morgen voller Glück und Heiterkeit. Während die Musik immer fröhlicher und lebhafter ertönte, folgten Madeleines Füße und ihr ganzes Herz dem faszinierenden Rhythmus. Lachend warf sie die Arme hoch und ihr wirbelnder Rock entblößte schlanke, geschmeidige, verführerische Beine. Nach dem Tanz, immer noch im Bann ihrer Gefühle, sah sie ihn auf sich zukommen …

Sie sei das schönste Geschöpf, das er jemals gesehen habe, beteuerte er.

Am nächsten Abend kam er wieder. Und dann an sechs Abenden hintereinander. Oh, welch ein wundervoller Mann! Die anderen Zigeuner warnten sie, er sei ein gadjo, der nur ihren Körper besitzen wolle. Doch sie hörte nicht auf ihre Gefährten. Und in einer mondhellen Sternennacht gab sie sich dem Earl hin.

Im Gegensatz zur Ansicht der meisten gadje war sie keine Hure. Sorgsam hatte sie ihre Jungfräulichkeit gehütet. James war erstaunt – und entzückt, weil er ihr erster Liebhaber war. Als er den Landsitz verließ, ging sie mit ihm.

Fast sechs Monate lebte sie mit ihm zusammen und wartete auf ihn, wenn er London oder seine anderen Landgüter besuchte, um seine Geschäfte zu erledigen. Aber so oft er auch von seiner Leidenschaft gesprochen hatte, von heißer Sehnsucht, die sein Blut erhitzte und im Herzen brannte – so war kein einziges Liebeswort über seine Lippen gekommen.

Jetzt ließen sich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Langsam rollten sie über Madeleines Wangen.

»Was soll das?«, stieß James hervor. »Eine Zigeunerhure weint?«

Ungläubig musterte sie seine verächtliche Miene. War er jemals zärtlich und gut zu ihr gewesen? In diesem Augenblick sah sie nur ein stolzes, hartes Herz, das sie niemals erweichen würde.

Vielleicht hatte es schon immer in seiner gefühllosen Brust geschlagen.

Ihre Hände bebten. Auch ihre Stimme würde zittern. Aber sie bekämpfte mit Gewalt ihre Schwäche. Tapfer hielt sie dem frostigen Blick seiner blauen Augen stand. »Ich bin keine Hure, James. Alles habe ich dir gegeben – alles. Mit keinem anderen Mann war ich zusammen. Nur mit dir.«

»Welche Rolle spielt das schon? Ich habe dich aus diesem schmutzigen Zigeunerlager geholt und dir ein angenehmes Leben geboten. Was ich von dir wollte, wusstest du von Anfang an, Madeleine. Und du wolltest es doch auch. Wie unersättlich du warst!«

Darauf gab sie keine Antwort. Ihre Finger krallten sich in die Bettdecke.

»Willst du etwas anderes behaupten?«, forderte er sie heraus. »Ich habe dich mit Samt und Seide und Pelzen überhäuft. Vom kostbarsten Porzellan hast du gegessen. Was ich dir gab, hättest du ohne mich niemals besessen. Du hast alles angenommen — und gewusst, mehr würde ich dir niemals zugestehen.«

Zum ersten Mal schämte sie sich für ihr Verhalten.

Warum war sie so leichtsinnig gewesen? Sie hatte geglaubt, sie könnte ihn ändern und dazu bringen, sie so innig zu lieben, wie sie ihn liebte. O ja, sie liebte ihn – und er hatte immer nur Lust empfunden. Bedrückt hob sie den Kopf. »Du nennst mich eine Hure. Aber ich bin nur die Frau, die du aus mir gemacht hast.«

Er lächelte verkniffen. »Für deine Dienste wurdest du fürstlich entlohnt, petite. Und was du bist, wirst du immer bleiben – eine Zigeunerhure.«

Heftig hob und senkte sich ihre Brust, jeder Atemzug brannte wie Feuer. »Mein Baby … Dein Kind …«

»Und wenn es gar nicht existiert? Wahrscheinlich willst du nur einen üblen Trick anwenden, um mich vor den Traualtar zu schleppen. Doch das wird dir bestimmt nichts nützen. Niemals werde ich dich heiraten. Meine künftige Gemahlin muss aus einer erstklassigen Familie stammen.«

Welch eine Närrin sie doch war … Einem solchen Mann hätte sie ihr Herz nicht schenken dürfen – denn er hatte Recht: Ein Aristokrat würde keine Zigeunerin heiraten.

»Streiten wir nicht, petite«, mahnte er. »Du musst nun gehen. Trennen wir uns nicht im Zorn.« Er eilte zu einer hohen Kommode, nahm eine Satinbörse mit Quasten aus einem Schubfach und warf sie ihr zu. Als sie vor Madeleines Füßen landete, klirrten Münzen. »Hier! Ihr Zigeuner seid doch ganz verrückt nach Geld und Gold, nicht wahr? Damit entschädige ich dich über Gebühr.«

Trennen wir uns nicht im Zorn …

Aber Madeleine war zornig. Bittere Enttäuschung verdrängte das Leid ihrer Seele. Wie sehr ich ihn liebte, wird er nie erfahren, gelobte sie sich. Ihr Blick glitt von der Börse zu seinem Gesicht. »Behalte dein Gold – ich nehme es nicht. Du wirst es noch bereuen, James.«

»Tatsächlich?« Lässig zuckte er die Achseln. »Daran zweifle ich. Auf dieser Welt gibt es viele Frauen, die ebenso schön sind wie du.«

»Aber ich erwarte den einzigen Sohn, den du jemals bekommen wirst …«

»Einen Bastard!«, höhnte er.

Regte sich nicht einmal die Spur eines Gefühls in seinem Innern?

Madeleine schob die Decke beiseite. Ohne ihre Nacktheit weiter zu beachten, stieg sie aus dem Bett und trat zu James. Sie hob ihre Hand. Aber sie berührte ihn nicht. Stattdessen beschwichtigte sie den Aufruhr ihres Herzens mit einem Wortschwall in ihrer Muttersprache. In seinen Augen las sie Verwirrung und wachsendes Unbehagen.

Immer lauter erklang ihre Stimme. Anklagend zeigte sie auf ihn. Eine unheimliche Atmosphäre breitete sich im Zimmer aus.

Schließlich packte er Madeleines schmale Schultern und schüttelte sie unsanft, bis sie verstummte, bis ihr Kopf in den Nacken fiel wie eine Blume, vom Stängel gerissen. Doch sie schreckte nicht vor seiner Wut zurück. Mit glitzernden Augen starrte sie ihn an.

»Was war das?«, fauchte er zornig. »Ein Zigeunerfluch?«

Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen. »Wenn du das glaubst – dann ist es so.«

Die Stirn gerunzelt, ließ er sie los. »Du bist verrückt. Genauso wie diese Zigeunerin Adriana, die Wahrsagerin.«

Voller Genugtuung erinnerte sich Madeleine an die Worte der alten Frau, die ihm ein grausames Schicksal prophezeit und erklärt hatte, sein Geld würde ihm keine Freude bereiten. »Vielleicht bin ich auch verrückt. Aber Adriana hat dich nicht belogen. Niemals wirst du ein glückliches Leben führen.« Mit beiden Händen strich sie über ihren Bauch. »Beschütze deinen Sohn, James. Aber andere Kinder wirst du nicht bekommen.«

»Dein Zigeunerfluch jagt mir keine Angst ein, Madeleine«, entgegnete er angeekelt. »Wenn ich heute Abend zurückkehre, bist du verschwunden. Geh wieder zu deinen Leuten – oder sonst wohin. Es interessiert mich nicht.« Erbost wandte er sich ab und öffnete die Tür.

Doch sie hatte ihm angemerkt, was er fürchtete. Solche Dinge vermochte nur ihr Volk zu sehen. Nun war es an ihr, ihn herauszufordern. »Eins solltest du bedenken, James – ich nehme deinen Sohn mit, deinen einzigen Sohn.«

Krachend fiel die Tür ins Schloss und Madeleines Schrei schien im ganzen Haus widerzuhallen.

»Verdammt sollst du sein, James, und im ewigen Höllenfeuer schmoren!«

Aber obwohl die Glut des Hasses durch ihre Adern strömte, konnte sie ihre wahren Gefühle nicht verleugnen. Kraftlos sank sie zu Boden, unaufhaltsam rannen Tränen über ihre Wangen, und es dauerte lange, bis sie versiegten.

In tiefer Stille hob sie den Kopf und berührte wieder ihren Bauch – diesmal auf andere Weise, fast ehrfürchtig. Plötzlich wusste sie, was geschehen würde.

So wie es die Musik an jenem Abend verkündet hatte, würde aus dem Schmerz ihres Herzens reines Glück entstehen. Ihr Volk würde sie willkommen heißen. Und sie würde ihren Sohn gebären.

Was ihr Leben überschattete, sollte James St. Bride nicht erfahren. Denn es war ihr eigener Fluch, dass sie niemals aufhören würde, ihn zu lieben.

Wogen des Glücks

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