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Drittes Kapitel

Die Wanduhr aus Nussbaumholz schlug in der mit Marmor gefliesten Eingangshalle gerade zur vollen Stunde, als Sebastian das Arbeitszimmer betrat. Dröhnend hallte der Klang in der kuppelförmig gewölbten Decke wider. Der stechende Zigarrengeruch, der ihm entgegenwehte, verriet ihm auf der Stelle, dass sich sein Bruder im Raum befand.

Justin drehte sich um, als er Sebastian gewahrte. Augenblicklich verließ er den Platz vor dem wärmenden Kaminfeuer und schenkte sich an dem kunstvoll verzierten Beistelltisch ein Glas Brandy ein.

Noch bevor Justin seinem Bruder das Glas reichen konnte, hatte dieser bereits in dem Sessel hinter seinem Schreibtisch Platz genommen. Die Ereignisse des Tages hatten ihren Tribut gefordert.

»Wie geht es ihr?«

Sebastian nahm einen tiefen, brennenden Schluck des Alkohols. »Die Wunde ist nicht ganz so gefährlich, wie es zuerst den Anschein hatte.« Er fuhr sich mit den Fingern über das markante Kinn. Es wurde höchste Zeit, dass er sich rasierte, dachte er abwesend. »In Kürze«, fuhr er langsam fort, »wird sie sich erholt haben.«

»Hervorragend.« Justin war zu dem gegenüberliegenden Sessel geschlendert. »Ich muss gestehen, dass ich mächtig gespannt bin, was du in St. Giles wolltest. Es ist sicherlich der letzte Platz auf Erden, an dem ich dich vermutet hätte.«

»Erspare mir deinen Sarkasmus, Justin. Stokes erzählte mir, dass du deinen Abend beim Glücksspiel verbringen wolltest. Nach der Dinnerparty bei den Farthingales schaute ich im White’s vorbei, da ich dich dort vermutete. Es war Gideon, der mir verriet, dass du in einem Club in St. Giles bist.« Sebastian verhehlte seine Missbilligung nicht.

Justins Augen funkelten. »Und deshalb bist du zu meiner Rettung geeilt?«

»So in etwa.«

»Ich bin erwachsen, Sebastian. Ich glaube kaum, dass ich dich über jeden meiner Schritte informieren muss.«

»St. Giles ist ein gefährlicher Ort«, entgegnete Sebastian scharf. »Sicherlich ist dir das bekannt.«

»Ich weiß. Doch wie du sehen kannst, ist mir nichts passiert, abgesehen von dem schlechten Wein, den man mir dort servierte, und dem noch größeren Pech, das ich hatte.«

Als Kind hatte sich Justin den strengen Anordnungen des Vaters immer trotzig widersetzt, auch schon vor der überstürzten Flucht ihrer Mutter. Die drei Geschwister waren mit dem unerschütterlichen Bewusstsein aufgewachsen, sich immer aufeinander verlassen zu können – Sebastian, Justin und Julianna. Aber wenn dem Marquess das Leben bisher eine Lektion erteilt hatte, dann die, dass man einen erwachsenen Mann nicht mehr verändern konnte ... nicht mehr verändern sollte.

Niemals würde Sebastian den Aufsehen erregenden Skandal vergessen, der ihre Welt für immer aus den Fugen hatte gleiten lassen, und mit dem er seither jeden Tag leben musste. Justin besaß den Charme und die Lebhaftigkeit ihrer Mutter, aber auch deren exzentrische Wesensart, was Sebastian beunruhigte. Julianna war damals zu jung gewesen, als dass sie verstanden hätte, was passiert war ... sie vermisste ihre Mama, aber nur kurze Zeit.

Justin hingegen ... Ihr Vater hatte versucht, seinen Eigensinn zu brechen, den Jungen in Schranken zu halten. Sebastian wollte seinen Bruder beschützen, doch wie schon ihre Mutter zuvor musste auch Justin immer seinen eigenen Weg gehen. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte Sebastian erkannt, dass es sein Aufbegehren nur verstärken würde, wenn sie ihn zügelten und zu kontrollieren versuchten.

Manchmal hingegen vermutete er, dass mehr zwischen ihrem Vater und Justin vorgefallen war. Sebastian hatte des Öfteren versucht, seinen Bruder auf dieses heikle Thema anzusprechen, aber Justin war ihm jedes Mal mit seiner leichten, nonchalanten Art ausgewichen.

In Wahrheit respektierte Sebastian jedoch, dass es Dinge gab, die ein Mann tief in seinem Herzen verschloss.

Und er würde seinen Bruder nicht zu Erklärungen zwingen, die er nicht freiwillig preisgab.

»Pech? Du?«, murmelte der Marquess ungläubig.

»Wahrhaftig. Und ich möchte nur darauf hinweisen, dass ich vor dir zu Hause war, werter Bruder.«

»Da hast du Recht.« Sebastian musste lächeln, und die Spannung zwischen ihnen war verflogen. »Es reicht wohl, wenn ich zugebe, dass ich nicht erwartet hatte, einer verletzten Frau auf der Straße zu begegnen. Oder von der Straße, aller Wahrscheinlichkeit nach. Warum sonst sollte sie zu einer solchen Stunde unterwegs gewesen sein?«

Justin runzelte die Stirn. »Du wirst doch nicht die Behörden einschalten, oder?«

»Sollte ich etwa nicht?«

Justin sah ihn unverwandt an. »Nein.«

»Die Umstände sind höchst verdächtig. Das Mädchen wurde niedergestochen. Warum? Wie kam es dazu? Wer tat es? Und wo ist diese Person nun?«

»Genau. Aber spricht das nicht dafür abzuwarten, bis sie wach ist und etwas dazu beitragen kann? Dann erst können wir uns ein genaueres Bild von allem machen.« Als Sebastian keine Antwort gab, schüttelte Justin kurz den Kopf. »Immerhin ist es nicht deine Art, impulsiv zu handeln.«

Damit lag er richtig. Sebastian mochte vieles sein, jedoch niemals unbesonnen oder leichtsinnig. Er liebte Ordnung in seinem Leben, wollte alles rational und peinlich genau durchdenken. Deshalb bekam er normalerweise auch immer das, was er wollte.

»Ich würde es nicht gerade impulsiv nennen, die Behörden einzuschalten«, betonte er mit Nachdruck. »Leider muss ich dir dieses eine Mal jedoch zustimmen. Wir sollten zuerst mit ihr sprechen.«

Verwundert sah Justin seinen älteren Bruder an. »Ich muss zugeben, dass ich über deine schnelle Zustimmung überrascht bin. Oder hat es dir das junge Ding etwa angetan?«

Sebastian lachte kurz auf. »Ich nehme doch an, dass mein Frauengeschmack ein wenig exquisiter ist.«

»Natürlich. Du mit deiner Ehrbarkeit. Aber gib es zu, sie hat die schönsten Brüste, die du jemals gesehen hast.«

Sebastian quittierte die Bemerkung seines Bruders mit einem empörten Gesichtsausdruck.

»Aber Sebastian! Möchtest du mir etwa weismachen, du hättest das nicht bemerkt? Keinen Blick auf sie geworfen?«

Erneut blieb ihm Sebastian eine Antwort schuldig. Doch dieses Mal verfluchte er die Schamesröte, die ihm ins Gesicht schoss.

Justin grinste. »Ich kenne dich, Sebastian. Weiß Gott, ich bewundere dein ausgeprägtes Taktgefühl, aber immerhin bin ich dein Bruder. Und ich weiß, dass du im Laufe der Jahre den Vorzug von Mätressen genossen hast. Erzähl schon, wer ist deine neueste Eroberung?« Als würde er zutiefst konzentriert nachdenken, legte Justin die Hände an die Schläfen. »Ich habe es! Lilly, nicht wahr?«

Sebastian seufzte, ohne etwas zu erwidern. Bei Gott, Justin brauchte keine weitere Ermutigung!

»Komm schon, Sebastian. Ich weiß doch, dass du eine Schwäche für Frauen hast.«

»So wie du.« Gott, welche Untertreibung! Er leerte sein Glas und stellte es beiseite. »Es gibt etwas, das ich dir sagen muss, bevor du es aus anderer Quelle erfährst.« Der Marquess hielt kurz inne. »Ich habe mich dazu entschlossen, eine Braut zu suchen.«

Justin brach in schallendes Gelächter aus, besann sich dann jedoch eines Besseren. »Oh mein Gott«, flüsterte er ungläubig, »es ist dein Ernst!«

»Mein völliger.«

»Und du hast heute Abend deinen Entschluss bekannt gegeben?«

Sebastian lächelte versonnen. »Sozusagen.«

»Entweder du hast es getan oder nicht.«

Während Justin ihm gespannt zuhörte, berichtete Sebastian von der Szene, die sich früh am Abend zugetragen hatte, als sich Sophia Edwina Richfield, die Herzoginwitwe von Carrington, verabschiedet hatte. In ihrer würdevollen, majestätischen Art hatte sie ihn durch ihre schneeweißen Locken angeblickt und ihn direkt und unvermittelt angesprochen.

»Mein Junge, es wird Zeit, dass Ihr Euch eine Frau nehmt und einen Erben zeugt.«

Während bis dahin ein Rascheln und Lärmen im Saal zu hören gewesen war, trat schlagartig völlige Stille ein. Jeder Gast im Raum hatte den Kopf in ihre Richtung gedreht und wartete mit gespitzten Ohren auf seine Antwort.

Gewandt küsste Sebastian die Hand der Herzogin und entgegnete: »Euer Gnaden, ich glaube tatsächlich, Ihr habt Recht.«

Er ahnte, was nun passieren würde, denn er war ein Mann, der nichts sagte oder tat, ohne sich der Folgen bewusst zu sein. Der Wortwechsel mit der Herzogin würde sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Das Gerede würde augenblicklich beginnen, und seine Anwesenheit bei jeder Abendgesellschaft oder Soiree, an der er teilnahm, würde von der gesellschaftlichen Oberschicht bewertet werden. Was er trug, was er aß, mit wem er sprach, und natürlich, welcher Frau er besonders viel Aufmerksamkeit zukommen ließ. Eine bedauerliche Notwendigkeit, dachte Sebastian.

»Du hättest dabei sein sollen«, beendete er seinen ausführlichen Bericht mit einem feinen Lächeln. »Ich bin sicher, du hättest dich amüsiert.«

»Die Bälle der Farthingales sind bei weitem die langweiligsten und trostlosesten Feiern, die ich kenne!« Justin verdrehte die Augen. »Wenn ich nur daran denke, dass du mich vor einer solch bedeutungsvollen Entscheidung nicht um Rat gefragt hast. Sebastian, du hast wahrlich meine Gefühle verletzt.«

»Ja«, bemerkte Sebastian trocken, »das sehe ich. Und ich weiß auch, was du mir geraten hättest.«

Justin betrachtete seinen Bruder durch einen Rauchschleier. »Was genau steckt hinter dieser überstürzten Entscheidung?«

»Sie ist nicht überstürzt. Ich habe bereits seit längerer Zeit darüber nachgedacht. Du musst wissen, die meisten Männer heiraten. Und haben Kinder. Es ist unsere Pflicht.«

»Ah ja, Pflicht. Wie vorhersehbar«, spottete Justin. »Darf ich fragen, welche Kandidatinnen du in die nähere Auswahl aufgenommen hast?«

»Natürlich darfst du. Ich muss dich jedoch enttäuschen, denn ich habe noch keine spezielle Frau im Sinn. Ich habe bisher nur das Feld eingegrenzt.«

»Ich verstehe. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob die Frau existiert, die dich zufrieden stellen könnte.«

Sebastian sah ihn verwundert an. »Was genau meinst du damit?«

»Entschuldige bitte«, entgegnete Justin ohne Umschweife, »aber ich habe meine Zweifel, ob deine Erwartungen nicht etwas zu ... hoch sind.«

»Was soll das heißen?« »Ich denke, du verlangst einer Ehefrau das Gleiche ab wie dir selbst. Kurz gesagt, du, erwartest eine perfekte Frau.«

Sebastian parierte ohne zu zögern. »Weniger eine perfekte Frau als eine Frau, die perfekt zu mir passt.«

»Na gut, du hast ja schon immer alles sehr genau genommen«, bemerkte Justin. »Jedenfalls laufen die Damen der Gesellschaft dir in Scharen hinterher.«

»So wie dir.«

»Es scheint in unserem Blut zu liegen, das andere Geschlecht anzuziehen, nicht wahr?«

Bitterböser Sarkasmus mit einer Schicht Zuckerguss – wie typisch für Justin. Sebastian überging die spöttische Bemerkung über die Untreue ihrer Mutter.

Justin fuhr ungerührt fort: »Ich versichere dir seit Monaten, dass du der begehrteste Junggeselle Londons bist. Jetzt ist es offiziell.«

»Da magst du Recht haben.« Sebastian musste ihm zustimmen. »Aber seien wir ehrlich. In meinem Fall ist es der Titel, den sie begehren. Das Vermögen. Was mich daran erinnert«, er zog eine Augenbraue hoch und betrachtete Justin aufmerksam, »ist es nicht an der Zeit, dass auch du eine Braut auswählst?«

Justin brach in schallendes Gelächter aus. »Schlag dir das sofort aus dem Kopf! Ich werde mich niemals dem Joch der Ehe unterwerfen, und das weißt du.«

Mit dieser Feststellung drückte er seine Zigarre aus und sprang auf die Beine. Sebastian wünschte ihm eine angenehme Nachtruhe, machte selbst jedoch keine Anstalten sich auf sein Zimmer zurückzuziehen. Er lockerte seine Krawatte, goss sich den letzten Rest des Brandys ein und sank in einen großen Ledersessel vor dem Kaminfeuer.

Sebastian versuchte, seine verspannten Schulterblätter zu lockern. Herrgott, welch eine bizarre Nacht er verlebt hatte! Lange Zeit saß er ruhig da und nahm den Frieden und die Stille mit jeder Faser seines Körpers in sich auf. Am Ende eines solchen Abends brauchte er dies. Außerdem war es ein ausgezeichneter Augenblick, um über seine Zukunft nachzudenken ... und über seinen Entschluss, sich eine Braut zu nehmen.

Die Herzogin hatte Recht. Es war höchste Zeit, dass er heiratete. Entgegen Justins Vermutung, handelte es sich definitiv um keine übereilte Entscheidung. Nein, er hatte bereits seit Wochen mit dem Gedanken gespielt.

Es war Zeit. Und er war bereit.

Aber er würde keine Fehler machen.

Und es gäbe keine Skandale. Kein Schandfleck oder Makel würde auf seinem unbescholtenen Namen haften. Das war ein Gelübde, das sich Sebastian vor langer, langer Zeit gegeben hatte, ein Versprechen, das er halten würde, koste es, was es wolle.

Zehn Jahre waren nun vergangen, seitdem er seinen Titel angenommen hatte. Mittlerweile musste man sich nicht mehr dafür schämen, ein Sterling zu sein. Vieles hatte sich geändert.

Und doch auch wieder so wenig.

Er kümmerte sich immer noch um seinen Bruder und seine Schwester – hatte er das heute Nacht nicht erneut bewiesen? Justin war es nicht recht gewesen, dass er ihm am Abend nach St. Giles gefolgt war. Sebastian lächelte, da es ihm nach so vielen Jahren unmöglich war, nicht seinem Instinkt zu folgen. Unzählige Male hatte er sich ermahnt, dass jeder von ihnen sein eigenes Leben führen musste, jeder seine eigenen Entscheidungen treffen durfte.

Eigene Fehler machen.

Sebastian konnte sich allerdings keine Fehltritte erlauben. Denn da gab es etwas, dass auf keinen Fall vernachlässigt werden durfte.

Die Pflicht.

Sein Bruder verachtete sie. Seine Schwester entzog sich ihr, wenn auch auf andere Art als Justin. Doch bei seinem ältesten Sohn hatten William Sterlings Unterweisungen Früchte getragen.

Es war Sebastians Pflicht zu heiraten. Das schuldete er seinem Namen. Und seinem Titel.

Und doch ... hing mehr daran. Dinge, die Justin nicht verstehen, vielleicht niemals begreifen würde, denn er glich ihrer Mutter so sehr, dass es Sebastian manchmal ängstigte.

Ach, es war mehr als Pflicht. Er liebte Justin und Julianna, ohne Frage – er war froh, dass ihre innige Nähe bis ins Erwachsenenalter angehalten hatte. Aber da war eine Sehnsucht in ihm, ein Verlangen nach etwas anderem. Er wollte ... eine eigene Familie. Ein eigenes Kind. Zum Teufel, ein dutzend Kinder, wenn möglich, denen er all das geben wollte, das ihm, Justin und Julianna vorenthalten worden war. Er konnte sich keine größere Freude vorstellen, als einen kleinen, warmen Körper zu spüren, der sich an seine Brust schmiegte, völlig vertrauensvoll ... ein Kind seiner Lenden.

Einen Sohn. Eine Tochter ... Himmel, es war ihm gleichgültig, allein der Gedanke daran ließ sein Herz mit ungeahnten Emotionen anschwellen. Großer Gott, es wäre so schön, heiteres und vergnügtes Gelächter durch die Gemächer hallen zu hören – in seinem Stadthaus wie auch auf Thurston Hall.

Aber zu allererst musste er eine Frau finden ...

Seine Fingerspitzen fuhren unentwegt den Rand des Brandyglases entlang. Unvermittelt war seine Stimmung nachdenklich geworden. Dank seiner Mutter war der Familienname während seiner ganzen Kindheit in Skandale verwickelt gewesen. Zumindest die letzten Jahre war es ruhiger geworden. Die Wogen hatten sich geglättet, der Schaden war behoben. Der Tod seines Vaters war ohne Vorwarnung gekommen, und Sebastian war sehr beunruhigt gewesen, als er erfuhr, wie gedankenlos dieser gegen Ende seines Lebens mit Geld umgegangen war.

Jahre später waren die Sterlings nun wieder eine der reichsten Familien Englands. Mit einem Anflug von Zynismus, der sonst allein seinem Bruder vorbehalten war, dachte Sebastian, dass Macht und Reichtum gewisse Privilegien mit sich brachten. Sogar die Herzoginwitwe hatte im Laufe der Zeit mit Skandalen zu kämpfen gehabt. Ihr Sohn war dafür verantwortlich gewesen, und trotzdem war sie mittlerweile die einflussreichste Frau der Stadt!

Sebastian würde es nicht zulassen, dass seine Ehefrau oder seine Kinder mit Skandalen leben mussten, so wie sein Bruder und seine Schwester davon betroffen gewesen waren.

Deshalb musste Sebastian Sterling eine sorgfältige Wahl treffen. Er war ein Mann der Ordnung, der das Unerwartete hasste.

Wenigstens in diesem einen Punkt hatte Justin Recht – er müsste sich nicht lange nach einer Braut umsehen; selbst wenn er nicht die klassisch elegante Ausstrahlung seines Bruders besaß. Sebastian war zu düster, zu groß, zu muskulös – er erinnerte zu sehr an einen Zigeuner, womit er als Kind immer aufgezogen worden war.

Nein, er war bei weitem nicht so verteufelt gut aussehend wie sein jüngerer Bruder, doch er wäre ein liebevoller Vater. Ein guter Ehemann. Er hatte durch die Kälte und die barsche, schroffe Art seines Vaters hinzugelernt ... und durch das Verlassenwerden von seiner Mutter.

Aber wie sollte seine zukünftige Frau sein?

Das war ein wichtiger Punkt, der gut durchdacht sein wollte.

Kein affektiertes Geschöpf, das stand fest. Seine Ehefrau sollte anmutig und taktvoll sein, sanft und ausgeglichen, kultiviert, vornehm und gut erzogen. Eine Frau von unerschütterlicher Treue und Hingabe. Eine Frau mit Prinzipien, ebenso standhaft wie er selbst. Und sie würde eine liebende und fürsorgliche Mutter sein.

Großer Gott, flehte er inständig, lass sie vor allem eine liebende Mutter sein!

Und Schönheit? Nein, entschied er. Viele Männer würden das von ihrer Braut erwarten. Nicht er. Natürlich hatte er nichts gegen ein angenehmes Äußeres einzuwenden. Wäre sie hübsch anzusehen, mit ebenmäßigen Gesichtszügen, und hätte eine gute Figur, umso besser. Doch es waren ihre inneren Werte, die zählten.

Er musste lächeln. Justin würde ihn einen Narren schelten, wenn er erführe, dass Schönheit so weit unten auf seiner Liste stand. Sebastian kannte den Geschmack seines Bruders nur zu gut, der keine Frau eines Blickes würdigen würde, die kein lupenreiner Diamant war.

Fürwahr, seine Braut könnte einer Kröte ähneln, solange sie Sebastian nur von ganzem Herzen liebte und ihn niemals verlassen würde. Er war fest entschlossen, nicht dieselben Fehler wie sein Vater und seine Mutter zu begehen. Nicht bei seinen Kindern.

Oder seiner Frau.

Die Karaffe mit dem Brandy war fast bis auf den letzten Tropfen geleert, als er sich erhob und die Treppe hinaufging. Auf dem Treppenabsatz blieb er stehen. Sein Blick wurde von der ersten Tür zu seiner Rechten angezogen, die einen Spalt offen stand.

Er sollte kurz nach ihr sehen, seinem uneingeladenen Hausgast. Da erinnerte er sich der Worte, die Justin vorher geäußert hatte.

Vielleicht sollten wir Stokes die Wertgegenstände verstecken lassen. Wahrhaftig, wir sollten sogar unsere Zimmer versperren. Du weißt, wir haben ein Straßenmädchen in unserem Haus. Sie könnte uns das letzte Hemd rauben oder uns in unseren Betten ermorden.

Sebastian entsann sich der Halskette, die das Mädchen so eisern umklammert hatte, und die noch immer warm in seiner Tasche lag. Erstaunlich, dass sie das Schmuckstück die gesamte Tortur hindurch festgehalten hatte, denn sie musste unvorstellbare Schmerzen erlitten haben. Und wer wusste schon, wie lange sie verletzt auf der Straße gelegen war, bis er sie entdeckt hatte? Andererseits übte Habgier einen starken Reiz aus, und das Kleinod musste wertvoll sein, das sah er auf den ersten Blick.

Der Zug um Sebastians Mund verhärtete sich. Sie würde viele Fragen beantworten müssen, so viel stand fest.

Noch bevor er sich über sein Handeln bewusst war, stand er über sie gebeugt. Ein zarter, silbriger Mondstrahl drang durch die Fensterscheibe herein und streichelte über ihren Körper.

Was noch hatte Justin gesagt? Dass sie es ihm angetan haben sollte?

Lächerlich.

Es verhielt sich genau so, wie er es Justin erklärt hatte. Das junge Ding war eine Diebin. Oder noch Schlimmeres. Es beunruhigte ihn, dass sie so wenig über die Umstände wussten, durch die sie verletzt worden war. Sobald sie jedoch wach war und sprechen konnte, würde alles geklärt werden.

Seine Augen musterten sie eingehend.

Eine ihrer Hände, in der sie die Halskette gehalten hatte, lag fest an ihre Brust gepresst. Vorhin hatte er behutsam den Schmutz und den Straßengeruch von ihrem Körper gewaschen und sie in eines der Nachtgewänder seiner Schwester gekleidet. Welch seltsames Geschöpf – sobald sie sauber war, hatte er sich selbst ermahnen müssen, dass sie eine Diebin war. Ein Straßenmädchen!

Nicht, dass er jemals einer Vertreterin dieser Gattung auf derart intime Weise begegnet wäre. Sein Mund zuckte bei dem Gedanken.

Langsam glitt sein Blick über sie hinweg. Sie schlief, jedoch sehr unruhig. Sie hatte die Decke von sich geworfen, die er über sie gelegt hatte. Ihr kleiner Mund zitterte. Elegant geschwungene Brauen lagen über diesen außergewöhnlichen Augen, die ihn an Topase erinnerten.

In dieser Sekunde verfluchte er seine Ehrenhaftigkeit.

Für eine Taschendiebin sah sie überraschend vornehm aus. Ihre ungezähmte Schönheit ließ sich nicht verleugnen ... Großer Gott, diese Frau weckte eine Begierde in ihm, die er bis dahin nicht gekannt hatte.

War es die Haltung, in der sie lag? Oder die Frau an sich? Unter dem hauchdünnen Nachthemd aus Batist schimmerte ihre zarte Haut im Schein des Feuers. Ihre Brust hob und senkte sich gleichmäßig, während sich die runden, zart rosigen Knospen dreist vorreckten.

Ihre unverhohlene Sinnlichkeit war nicht zu leugnen. Sebastian atmete tief ein und wurde sich einer plötzlichen Schwellung in seiner Lendengegend bewusst. Wahrlich kein ritterlicher Zug ... aber er konnte sich nicht der sehnsüchtigen, männlichen Bewunderung erwehren, die in ihm aufstieg, als er ihre goldene Mähne betrachtete, die auf dem Kissen ausgebreitet war und in dem flackernden Licht flüssigem Honig glich. Oder ihren zarten, wohlgeformten Körper. Und ... ja ... oh ja ...

Diese unvergleichlichen, vollkommenen Brüste.

Verlockende Versuchung

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