Читать книгу Verlockende Versuchung - Samantha James - Страница 9
ОглавлениеViertes Kapitel
Devon erwachte, als sie die Anwesenheit eines Fremden gewahrte, den Klang einer ungewohnten Stimme ... die Stimme eines Mannes, tief, kultiviert und melodiös. Suchend drehte sich Devon in Richtung des Unbekannten.
»Vorsichtig«, mahnte dieser. »Ihr seid verletzt.« Verletzt, hallte es in ihrem Kopf wider. Allmählich lichtete sich der Nebel in ihrem Bewusstsein, und ein kalter Schauder überlief sie. Devon sah Harry und Freddie, die sie wie Geier umkreisten. Außerdem entsann sie sich, tief hinein in eine schwarze Leere gestürzt zu sein, die allein aus Kälte bestanden und sich bis in ihr Innerstes ausgebreitet hatte ... Schon früher hatte sie des Öfteren gefroren, doch nie zuvor derart intensiv! Und sie hatte sich entsetzlich davor gefürchtet, dass niemand sie hören würde, dass sie dort liegen bleiben und sterben würde, so wie ihre Mutter in die Kälte und Dunkelheit entschwunden war.
Nun fröstelte sie jedoch nicht mehr, stellte sie erleichtert fest. Zwar spürte sie einen dumpfen Schmerz in der Seite, aber sie war so warm und angenehm eingehüllt wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
Der Fremde befand sich nahe bei ihr. Sehr nahe!
Nachdem Devon diese Erkenntnis durchdrungen hatte, versuchte sie die Umrisse der anderen Person genauer auszumachen. Der Mann saß neben ihr, und sie hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um ihn zu berühren. Sogar sitzend wirkte er außergewöhnlich groß, seine Schultern waren sicherlich ebenso breit wie die Themse. Hinter ihm, am anderen Ende des Zimmers, stand ein weiterer Mann, dessen volles Haar eine Nuance heller war.
Devon verschwendete keinen weiteren Gedanken an den Mann im Hintergrund, sondern richtete ihre gesamte Aufmerksamkeit allein auf den Unbekannten neben sich, der ihr die Sprache verschlug. Undeutlich erinnerte sie sich wieder, aufgewacht und ihn gesehen zu haben ... an die Angst, die sie empfunden hatte, als der Hüne sich über sie gebeugt hatte.
Es war nicht allein seine Größe, die Macht ausstrahlte. Er hatte etwas Besonderes an sich, ein Auftreten, das keinesfalls unbemerkt bleiben konnte; von ihr nicht und auch von keinem anderen.
Seine Kleidung bestach durch außergewöhnliche Eleganz. Keine einzige Falte verunzierte den Stoff seines Jacketts, unter dem er eine dunkelblaue Seidenweste trug und ein Hemd aus feinem Cambricgewebe. Die Krawatte war so fleckenlos weiß, dass sie fast blendete, besonders im Kontrast zu seiner sonnengebräunten Haut.
Tief unter zerfurchten schwarzen Brauen und Haaren, die so dunkel wie die Nacht glänzten, lagen durchdringende graue Augen. Die Kieferpartie war kantig und gründlich rasiert, so völlig anders als bei den ungepflegten, bärtigen Männern, denen sie normalerweise begegnete. Die einzige weiche Stelle in dem scharf geschnittenen, männlichen Gesicht war das Grübchen in seinem Kinn.
»Wo bin ich?«, flüsterte Devon heiser.
»Ich habe Euch verletzt auf der Straße gefunden und hierher gebracht, in mein Haus in Mayfair.«
Mayfair. Devons Blick wanderte bedächtig in dem Zimmer umher, wobei sie unverhohlen die kostbaren Gegenstände anstarrte. Vorhänge aus gelber Seide, von silbernen Kordeln zusammengehalten, hingen vor den hohen Fenstern, die Wände waren mit Rosenmotiven tapeziert. Sie lag in einem Bett, das größer war, als sie es sich jemals hätte vorstellen können, und sich so weich anfühlte, als schwebe sie auf einer Wolke. Wäre da nicht der stechende Schmerz in ihrer Seite gewesen, hätte sie sicherlich geglaubt, sie befände sich in einem Traum.
Die Ausdrucksweise des fremden Mannes war knapp und präzise, wie die ihrer Mutter.
»Ihr seid ein Gentleman.« Devon sagte, was ihr in den Kopf kam, ohne vorher darüber nachzudenken. »Dieses Haus ... ist so groß! So stelle ich mir das Anwesen eines vornehmen Lords vor.«
Der Anflug eines Lächelns umspielte seinen fein geschnittenen Mund.
Devon blinzelte. »Seid Ihr ein Lord?«
Er deutete eine Verbeugung an. »Sebastian Sterling, Marquess von Thurston, zu Euren Diensten. Und das ist mein Bruder Justin.«
Himmel, ein Marquess! Devon war sprachlos.
»Miss.« Der andere Gentleman nickte ihr kurz zu. Sein Blick betrachtete sie nicht mit der durchdringenden Schärfe des Marquess, doch auch er beobachtete sie eingehend.
»Und nun zu Euch. Habt Ihr einen Namen?«, wollte der Marquess wissen.
Sie schluckte. »Devon St. James.«
»Nun gut, Miss St. James, da Ihr gegenwärtig Gast in meinem Hause seid, habt Ihr vielleicht die Güte, mir von Euren nächtlichen ... Unternehmungen zu erzählen.”
In seinen Augen lag eine verdeckte Kälte, die Devon erst jetzt bemerkte. Da stürzten die Erinnerungen auf sie ein. Deutlich spürte sie Freddies Finger um ihre Kehle, die ihr die Luft abschnürten. Deshalb war sie wohl auch heiser, und das Sprechen fühlte sich an, als steckten Nadeln in ihrem Hals.
Freddie, dachte sie wütend und entsann sich des Dolches, mit dem sie zugestochen hatte, und des seltsamen Gefühls von zerrissener Kleidung. Die Klinge hatte durchs Fleisch geschnitten .... bis ihr Angreifer sich schwankend fortgeschleppt hatte. Beinahe hätte sie laut aufgeschrien. Wo war er? Was war aus ihm geworden?
Sie blickte auf. »Da war ein Mann«, sagte sie unsicher. »Wo ist er?«
Der Marquess schüttelte den Kopf. »Als ich Euch fand, wart Ihr allein.«
»Aber er war da! Ich versichere Euch, er war dort!«
»Und ich kann nur beteuern, dass Ihr allein wart. Zweifellos habt Ihr Euch die Verletzungen jedoch nicht selbst zugefügt. Erzählt uns von diesem Mann, mit dem Ihr zusammen wart.«
»Ich war nicht mit ihm zusammen.«
Unvermittelt hielt sie inne. Die Art, wie er sie ansah ...
»Miss St. James? Fahrt bitte fort.”
Deutlich konnte sie spüren, was er von ihr hielt. Er bedachte sie mit einem Blick, als sei sie nichts weiter als Ungeziefer, und auf einmal wurde sie zornig. Sie würde nicht verbergen, wer sie war, sie konnte nicht ändern, wer sie war. Aufgewachsen in den schmutzigen, übel riechenden Straßen von St. Giles hatte sie schnell gelernt, dass sie ihr Vertrauen nicht leichtherzig verschenken durfte.
Auch wenn dieser Mann ein Marquess war, würde sie nicht zulassen, dass er ihren Stolz brach, der alles war, was sie besaß. Außerdem kannte sie Menschen wie ihn zu Genüge. Lange vor Mamas Tod hatte Devon beschlossen, nicht aufzugeben, sondern ihr Versprechen zu erfüllen, eines Tages ein besseres Leben zu führen. Sie war zu den vornehmen Häusern der Stadt gegangen, um eine andere Anstellung zu finden. Seit ihrer Jugend hatte Devon gearbeitet. Da Mamas Tätigkeit als Näherin kaum für Nahrung und Wohnung reichte, hatte sie am Hafen Fische ausgenommen, Wege für Adelige gefegt, die die Straße überquerten oder aus ihren Droschken stiegen und Schmutzwasser aus Küchen geschleppt.
In den Häusern der Lords und Ladys von London war jedoch keine Arbeit zu finden gewesen, ebenso wenig in den achtbaren Etablissements der Stadt, weder als Dienstmädchen, Köchin oder Küchenhilfe. Ein Blick auf Devon hatte ausgereicht, damit ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde. Sie versuchte ihr Bestes, um respektabel auszusehen, aber es war nicht immer einfach – so hatte sie etwa eines Tages eine Schale vor ihrer Tür aufgestellt, um Regenwasser für ein Bad aufzufangen, doch irgendein niederträchtiger Mensch hatte es gestohlen. Wäre sie sauber und rotwangig gewesen, hätte es vielleicht einen Unterschied gemacht. Dass ihre abgetragene Kleidung bereits seit Jahren verschlissen war, hatte auch nicht eben geholfen. Ihre Mutter hatte die Kleider zwar regelmäßig geflickt und den Saum so weit wie möglich ausgelassen, konnte jedoch kein Geld für neue Stoffe zurücklegen.
»Miss St. James, warum habe ich das Gefühl, dass es da etwas gibt, das Ihr uns nicht erzählen wollt?«
Die bissige Erwiderung, die Devon auf der Zunge lag, blieb ihr im Halse stecken. Justins Blick war beinahe so unerbittlich wie der seines Bruders. Sie erbleichte und fühlte sich mit einem Mal unbehaglich. In den Adern dieser Männer floss blaues Blut, und Aristokraten hatten keinerlei Verwendung für Menschen wie sie! Was würden die beiden tun, wenn sie erfuhren, dass sie Freddie niedergestochen hatte?
Ohne mit der Wimper zu zucken würde man sie den Behörden überstellen.
»Miss St. James? Geht es Euch nicht gut?”
Ihr Herz schlug wild. »Doch, mir geht es gut«, erwiderte sie rasch, teils aus Angst, teils aus Trotz. Da schreckte sie hoch.
»Meine Kette!« Fieberhaft glitten ihre Hände über die Satindecke. »Meine Kette! Wo ist sie? Ich darf sie nicht verlieren. Ich hatte sie, das weiß ich ...«
»Beruhigt Euch. Sie befindet sich in Sicherheit.«
Doch seine Worte übten keine besänftigende Wirkung auf Devon aus. »Sie gehört mir! Ich will sie zurückhaben!«
Sie beobachtete, wie er sich erhob und auf den prunkvoll gemeißelten Marmorkamin zuschritt, um sich dann erneut zu ihr umzuwenden, die starken Hände hinter dem Rücken verschränkt. Sein Bruder fuhr fort, sich das Schauspiel von der Tür aus anzusehen.
»Sobald der rechtmäßige Besitzer festgestellt werden kann«, sagte der Marquess mit emporgezogener Braue, »wird der rechtmäßige Besitzer sie zurückerhalten.«
»Der rechtmäßige Besitzer ... Was wollt Ihr damit sagen?«
Seine Augen waren kalt wie Stein. »Damit will ich sagen, dass ich kein Dummkopf bin, Miss St. James. Ich kann mir gut vorstellen, wie Ihr Euch Eure Verletzung zugezogen habt, und ich lasse mich nicht an der Nase herumführen. Ein Streit unter Dieben zum Beispiel ...«
»Ich bin keine Diebin!«, rief sie empört. »Mir wurde mein Geldbeutel gestohlen!«
»Euer Geldbeutel«, wiederholte der Marquess. »Randvoll mit Euren Münzen gefüllt, da bin ich mir sicher.«
»Ja, ja! Da waren diese beiden Männer ...«
»Ach, jetzt sollen es schon zwei Männer gewesen sein. Und ohne Zweifel handelte es sich um Ganoven.«
In Devons Magen machte sich ein schreckliches, unwohles Gefühl breit.
»Ihr wisst Euch viel besser auszudrücken, als ich erwartet hätte, das muss ich Euch lassen, Miss St. James.«
Sie reckte das Kinn. »Das habe ich von meiner Mutter gelernt.«
»Und wer war Eure Mutter?«
»Na, die Königin von England natürlich!«
»Das würde bedeuten, dass Ihr eine Prinzessin seid. In dem Fall möchte ich Euch aufs Wärmste zu Eurem ausgesprochen guten Verkleidungstalent gratulieren.«
Devon folgte seinem Blick, der auf einen Stuhl neben der Tür gerichtet war, über dessen hoher Lehne ihr zerlumpter Umhang und ihr Kleid hingen ... und das Kissen, das sie sich darunter gestopft hatte.
Zum Teufel mit seiner Arroganz! Wie konnte er es wagen, sie zu verurteilen?
Wie schon ihre Mutter vor ihr war Devon nicht wie die übrigen Menschen, die in den schmutzigen Seitengässchen Londons lebten und arbeiteten. Trotz dieses Andersseins – oder vielleicht sogar deshalb – hatte sie gelernt zu überleben. Es lag nicht daran, dass sie stärker – welch lachhafter Gedanke bei ihrer zierlichen Statur! – oder aber gerissener und gemeiner wäre. Doch sie war klug genug, sich erst gar nicht in Situationen zu bringen, die sich als unangenehm herausstellen könnten.
Eben dies war der Grund ihres sonderbaren Aufzugs gewesen. Wenn man gezwungen war, sich jede Nacht auf die Straße von St. Giles zu wagen, tat man es besser auf diese Weise. Zu Beginn ihrer Anstellung im Crow’s Nest hatte Devon in Erwägung gezogen, sich als Mann zu verkleiden, doch zu ihrem Leidwesen war die Wahrscheinlichkeit, für einen Mann gehalten zu werden, in ihrem Fall verschwindend gering. Schuld daran waren ihre üppigen Brüste und das widerspenstige Haar, das ihr ständig in einem wilden Vorhang um die Schultern fiel. Glücklicherweise schenkte allerdings so gut wie niemand einer Frau Beachtung, die, wie Bridget es so gerne formulierte, aussah, als könne sie jeden Moment ihre Brut werfen.
»Man fragt sich unwillkürlich, was Ihr zu so später Stunde auf der Straße getrieben haben mögt. Ein wenig frische Luft schnappen vielleicht?«, wollte der Marquess wissen.
Entgeistert starrte Devon ihn an, da ihr keineswegs entgangen war, was er meinte. »Ihr haltet mich nicht nur für eine Diebin, sondern obendrein für eine Dirne.«
Er sagte kein Wort, was auch nicht nötig war, da seine Antwort in der Art und Weise lag, mit der er seinen kristallklaren Blick über ihren Körper schweifen ließ.
Zornentbrannt zog sich Devon die Überdecke bis ans Kinn. Am liebsten wäre sie ihm ins Gesicht gesprungen.
»Wie sagtet Ihr doch gleich, laute Euer Name?«, wollte sie gelassen wissen. »Lord Mistkerl?«
Seine Haltung versteifte sich merklich. »Wie bitte?« »Oh, da muss mir mein Gedächtnis einen Streich gespielt haben. Verzeiht. Dann muss es Lord Bastard ...«
Mit drei Schritten durchmaß er das Zimmer und stand wieder an ihrem Bett. »Hütet Eure Zunge, Miss St. James. In meinem Haus verbitte ich mir jegliche Gossensprache. Andererseits war wohl von einem Straßenmädchen nichts anderes zu erwarten.«
Der Marquess stand über ihr. Groß. Nicht bedrohlich, aber ohne Zweifel beeindruckend. Doch Devon war zu wütend, um ihre waghalsigen Kommentare zurückzunehmen. Es hatte im Laufe ihres Lebens schon etliche Augenblicke gegeben, in denen sie ihre vorschnelle, impulsive Art bereut hatte, aber dies war keiner davon.
»Dann sollte ich vielleicht besser gehen, Sir!«
»Nicht, bevor Ihr genesen seid.« Ein herrischer Befehl, nichts weiter!
Mit funkelnden Augen starrten sie einander an. »Mein Vater stammte aus einer Familie, die vornehmer war als die Eure. Das könnt Ihr mir glauben!«, stieß sie gepresst hervor. »Und er wohnte in einem viel prachtvolleren Haus als diesem!«
»Ach ja, natürlich, mit Eurer Mutter, der Königin. Da muss mir mein Gedächtnis einen Streich gespielt haben. Verzeiht vielmals. Obgleich mich dennoch das Gefühl beschleicht, dass Ihr mir weit mehr über gestern Nacht erzählen könntet, wenn Ihr nur wolltet.«
»Das bezweifle ich.«
»Dann sollte ich vielleicht wiederkommen, wenn Ihr mehr zum Reden aufgelegt seid.«
»Vielleicht solltet Ihr gar nicht wiederkommen.«
»Oh, aber das werde ich. Und ich kann Euch jetzt schon versprechen, dass wir dann unsere Unterhaltung fortsetzen werden.« Doch er machte keine Anstalten zu gehen, sondern blieb weiter neben dem Bett stehen und betrachtete sie mit dieser abschätzenden Art, die ihr jetzt schon widerstrebte.
Sie zupfte die weichen Falten ihres Nachtgewandes zurecht und murmelte: »Das hier gehört mir nicht.«
»Nein, es gehört meiner Schwester Julianna, die gerade den Kontinent bereist. Wenn sie in London wäre, würde sie sich um Eure Pflege kümmern, nicht ich. Sie hat sich schon immer verwahrloster Tiere und Ähnlichem angenommen.«
Devon knirschte mit den Zähnen. »Ich bin kein Tier.«
»Verzeihung, da muss ich mich in der Wortwahl vergriffen haben.«
Es klang nicht sehr entschuldigend. Devon warf ihm einen wütenden Blick zu. »Ich gehe wohl recht in der Annahme, dass Ihr es auch wart, der mir dieses Nachthemd angezogen hat.«
»In der Tat.«
Die Röte schoss ihr ins Gesicht. »Ich dachte, Ihr sagtet, dass Ihr ein Marquess seid!«
»Das bin ich auch.«
»Weshalb habt Ihr dann keine Dienstboten?« Ihre Schockiertheit war in Empörung übergegangen. »Es wundert mich zutiefst, dass Ihr Euch dazu herabgelassen habt, eine Frau anzufassen, die offensichtlich derart unter Euch steht.«
Sein Lächeln war voller Bitterkeit. »Da bräuchte es schon viel mehr, um mich abzuschrecken. Betrachtet mich also als Eure Krankenschwester, Miss St. James, und zweifelt nicht daran, dass Ihr in meiner Obhut schnell genesen werdet. Dafür sorge ich schon.« Als er sie nach Luft schnappen sah, fügte er glattzüngig hinzu: »Und wenn Ihr wissen möchtet, weswegen wir keinen Arzt gerufen haben ... nun, ich denke, dass dieser sicherlich mehr Fragen gestellt hätte, als Ihr zu beantworten gewillt zu sein scheint.«
Devon verbiss sich eine giftige Erwiderung. Er hatte Recht, sie sollte ihre Zunge hüten. Ihre Mutter hatte sie oft gescholten, weil sie sie nicht genug im Zaum hielt. Obgleich Devon seine Arroganz und seine herrische Art verabscheute, konnte sie im Moment nichts an ihrem Schicksal ändern. Aufmunternd sagte sie sich, dass sie an einem warmen, trockenen Ort war – und weit weg von Harry und Freddie.
Der Marquess beugte sich vor und war auf einmal so dicht bei ihr, dass sie die Stärke an seinem Hemd riechen konnte. Sie versuchte, sich seiner Nähe zu entziehen, hatte jedoch keine Möglichkeit auszuweichen. Mit den Fingerspitzen fuhr er ihr über die zarte Haut gleich unterhalb des Ohrs und ihren Hals hinab.
»Hier sind Blutergüsse«, bemerkte er grimmig.
Devon erwiderte nichts. Sie versuchte, die Gedanken hinter seinen unendlich tiefen Augen zu lesen, doch es war, als blicke sie inmitten einer mondlosen Nacht in die dunkelste Gasse.
»Möchtet Ihr mir verraten, wie Ihr sie Euch zugezogen habt?«
Auf der Stelle pulsierte das Brennen in ihrer Seite heftiger, war jedoch bei weitem nicht mit dem Schmerz in ihrer Brust zu vergleichen. Tiefste Verzweiflung legte sich über ihr Herz. Es hatte jedoch keinen Sinn. Ein Mann wie er würde ihr niemals Glauben schenken.
»Nein«, flüsterte sie.
»Habt Ihr Schmerzen?«
Während er sie weiterhin aufmerksam musterte, war der barsche Ton aus seiner Stimme verschwunden. Devon ließ sich dennoch zu keinen unüberlegten Geständnissen hinreißen, sondern schüttelte wortlos den Kopf.
Er ließ nicht locker. »Vielleicht ein wenig Laudanum ...«
»Was, um mich zum Reden zu bringen?«
Schweigen. »Nein«, sagte er schließlich. »Es würde Euch helfen, Euch ein wenig auszuruhen.«
»Es wird auch so gehen.« Sie presste die Lippen zusammen, da sie zu ihrem Entsetzen feststellte, dass sie am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre. Sie war wild entschlossen, ihn auf keinen Fall wissen zu lassen, wie kurz sie davorstand zusammenzubrechen. Doch wenn er auch nur einen Moment länger bliebe, war sie nicht sicher, ob sie die Tränen zurückhalten könnte.
Sie schlug die Augen nieder. »Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich nun gerne allein sein.«
Aus dem Augenwinkel gewahrte sie den Schatten seines Bruders, der in Richtung Tür glitt, aber der Marquess hatte sich noch nicht von der Stelle gerührt. Sie konnte seinen bohrenden Blick auf der Haut spüren.
»Ihr müsst hungrig sein. Ich werde Euch jemanden mit etwas zu Essen schicken.«
»Gut«, murmelte sie. »Solange es sich dabei nicht um Euch handelt.«
»Aufgrund Eures derzeitigen Zustandes bin ich gewillt so zu tun, als hätte ich die Bemerkung eben überhört, Miss St. James.« Der Marquess verbeugte sich leicht. »In der Zwischenzeit werde ich unserem nächsten Gespräch mit Freuden entgegenfiebern.«
Das konnte Devon nicht gerade von sich behaupten.