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Verlangen

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Der Tag schritt fort, Augenblick um Augenblick. Mein Herz schlug, und es schlug erneut, und ich dachte: Eines Tages wird es schlagen – und nicht erneut schlagen. Was wartet dann auf mich? Und das Licht brach auf, konturierte die Körnung des Mauerwerks mit seinem stumpfen, verschwommenen Gelbgrau, eine Struktur wie Stoff, bevor man ihn walkt. Ich hatte zu essen versäumt und war hungrig.

Wissen Sie, meine Schäfchen sind abergläubisch, und das war schon immer so. Sie leben in Angst vor den Launen und Strafen Gottes und betrachten alles als eine Warnung. Sie zittern zu oft vor seinem Willen. Sie glauben, dass er den Fluss zornig gemacht hat. Er ist dem Soundso in die Parade gefahren, weil der dies und das getan hat. Er schickt Wolfsmenschen aus dem Wald im Norden, die unsere Kinder fressen, und er vermehrt die grotesken Geschöpfe, die in riesigen Ozeanen schwimmen, welche nur eine Küste haben.

Ich sage ihnen: Nein, das ist es nicht, was wir fürchten müssen, für solchen Aberglauben sind wir zu weit fortgeschritten. Wir wissen, dass es keine Wolfsmenschen und Seeungeheuer gibt; nur Kinder glauben an solche Fabelwesen. Es gibt freilich Geister – boshafte Geister, die wie wir auf Gottes Erde leben, aber nicht Gottes Geschöpfe sind. Das ist kein Geheimnis, und weit scharfsinnigere Menschen als ich haben es bewiesen. Die Geister sind hier auf Erden, um uns zu prüfen und zu stärken; wenn etwas stirbt und verwest, dann stößt die faulende Substanz, die keinen Platz in Gottes Himmel hat, eine stinkende Wolke kleiner geisterhafter Materie aus, die alle möglichen Krankheiten verbreitet: solche des Körpers und solche des Schicksals. Sie sind klein, leuchtend und kaum sichtbar, diese Geister, Flecken und Sprenkel, die in der Luft oder im Wasser schweben, und wenn unsere Hände sie fangen und unsere Augen sie sehen könnten, dann würde sich zeigen, dass sie schwarz, schnell, glatt und geschmeidig sind und nur durch ihre große Zahl schädlich.

Sie leben mitten unter den Geschöpfen Gottes, so wie unsere Schatten mitten unter uns leben. Sie bescheren jene Sorte Glück und Unglück, die auf Zufall beruht – und beides hat nichts mit Gott zu tun, der seine Entscheidungen mit Gewissheit und Vernunft trifft und dessen Wille unumstößlich ist; wenn wir geboren werden, sind wir ihm schon unterworfen. Doch die Geister können wir uns unterwerfen. Sie sind unser Kampffeld. Mag sein, dass der Fluss uns Unglück bringt, aber Lewys’ Frau irrt, wenn sie glaubt, dass das Schicksal ihres Mannes vorbestimmt sei. Der Fluss beherbergt diese Geister, sie haben dort ihre Heimat gefunden, weil weiß der Himmel was im Wasser des Stroms vor sich hin fault. Menschen, Kühe, Schafe, Fleischabfälle, Gedärme, Dung. Die enttäuschten Hoffnungen, die wir in unsere zusammengestürzte Brücke setzten. Wenn die beiden Toten des letzten Sommers diese Geister tranken und starben und wenn Newman von ihnen in die Tiefe gezogen wurde und starb, was sollen wir dann tun? Uns ducken? Beten? Sie anbeten und um Gnade bitten, als ob sie die Macht hätten, Gnade zu gewähren?

Ich habe gebetet, aber nicht zu ihnen, sondern zu unserem Herrn. Zwei Gebete, von denen zumindest eines erhört wurde. Am Samstag, als der Leichnam zum ersten Mal im Strom gesehen wurde und Newman nicht nach Hause kam, betete ich um ein Zeichen, ob er in den Himmel gekommen sei. Ein Hemd in den Rohrkolben mag für unseren gottlosen Dekan bedeutungslos sein, aber mir bedeutete es viel, und so sandte ich meinen Dank zum Himmel.

Ich betete auch, dass der Wind von Westen kommen und diese Zusammenballung von Geistern nach Osten, in Richtung Gottes, wehen möge. Der Wind kam über Nacht, doch er kam von Osten, und er war scharf und winterkalt. Vielleicht hatte der Herr nicht das ganze Gebet gehört, beschäftigt, wie er ist; und vielleicht war ich nicht deutlich genug gewesen. Oder vielleicht war ich überdeutlich gewesen und hatte zu viel verlangt. Trotzdem tröste ich meine Gemeinde: Durch seine Gnade stirbt der Aberglaube, und alle Bedürfnisse, alles Verlangen werden von ihm, durch mich, gestillt. Außerdem blieb heute noch genug Zeit, dass der Wind seine Richtung änderte.

Pater, sagten die Stimmen durch das Gitter. Ich habe gesündigt, vergib mir, Pater. Mein linkes Ohr hörte zu. Durch das viele Zuhören war es mit der Zeit schärfer geworden, so wie eine Schulter beim Hacken stark wird. Der Tag hellte Zoll um Zoll auf, und meine Gemeinde kam in immer größerer Zahl, weil es sie nach dem Ablass verlangte, den ich angeboten hatte. Benedicite, Dominus, Confiteor. Möge ich gesegnet sein, möge ich beichten.

Benedicite, Dominus, Confiteor.

Benedicite,

Dominus,

Confiteor.

Pater, ich habe vergessen, zur Messe zu kommen, ich habe vergessen, mein Gebet zu sprechen, ich habe vergessen, mein Schwein zu füttern, ich war grob zu meinem Kind, mir war übel vom Trinken, ich habe auf den Friedhof gepisst, ich bin zornig erwacht, ich habe die Hoffnung verloren, ich war zu stolz, ich war zu schwach, eine Stimme hat mir befohlen, meine verfaulten Zähne zu ziehen, ist es die Stimme eines Dämons oder Gottes? Ich habe masturbiert, aber ich dachte dabei an Gott, ich dachte an Maria Magdalena, ich dachte an Johannes den Täufer, vergib mir.

Irgendwann schlief ich ein, mit einem Kopf, der wie eine reife Frucht von einem spindeldürren Zweig hing. Ich wachte auf und hörte eine Stimme, die von Masturbation sprach, und darüber Lautenmusik, die wie ein Frühlingsschauer in den Altarraum perlte und aus dem Nichts zu kommen schien. Ich setzte mich kerzengerade hin, damit der Schlaf wich. »Versuche, nicht zu masturbieren«, sagte ich, »oder deine Hände verkümmern und fallen ab. Versuche zumindest, nicht an Johannes den Täufer zu denken.« Eine Laute? Newman war der Einzige in der Gemeinde, der die Laute spielte, so, wie er auch der Einzige war, der vor den Heiligenschreinen in Compostela und Jerusalem gebetet und einen Mann gesehen hatte, der Eisenerz aus seinem Kleidersaum schlug. Der Einzige, der in Spanien eine Orange vom Zweig gepflückt und eine Olive gegessen hatte – beide sauer, wie er sagte. Er hatte öfter versucht, mir das Lautenspiel beizubringen, aber meine Finger waren immer klamm, und ich zupfte steif herum. Während andere zum Spielen einen Federkiel benutzten, zupfte Newman mit den Fingern, und zwar mit allen. Deine Finger müssen wie Federn sein, sagte er, aber seine Finger waren keine Federn, sie waren so stark und gelenkig wie kleine Lebewesen. Sie erzeugten einen Klang, der andere mit seiner Weichheit verwirrte; auf einmal schien es ganz leicht zu sein, inmitten all des verstreuten Plunders zu sitzen, der sich Leben nennt – zu leicht.

Aber wie ich dort saß, wurde mir klar, dass gar keine Laute zu hören war und dass der Klang, den ich hörte, mir aus einem Traum gefolgt sein musste – einem Traum von Thomas Newman? Ich erinnerte mich an nichts, und eigentlich hätte ein so kurzer Zipfel verstohlenen Schlafes für einen Traum gar nicht ausgereicht, aber er hatte ausgereicht, um ein starkes Gefühl der Vorahnung in mir zu wecken, ein Gefühl, dass ich etwas tun müsse. Zum Dekan laufen, ihm noch einmal von dem wundersamen Auftauchen von Newmans Hemd erzählen, seinen Verdacht auf Mord zerstreuen. Denn andernfalls wartete etwas Widriges, Unwiderrufliches nur darauf, über uns zu kommen.

Doch plötzlich wurde der Schlitz im Vorhang erneut geöffnet und geschlossen, und jemand kniete auf der anderen Seite der Trennwand nieder. Jemand, der sich leichtfüßig und lässig bewegte, dessen Geruch scharf wie ein Speer war und meiner Nase zusetzte. Ein Junge oder ein junger Mann mit der Aura eines Wolfes.

»Hab Verlangen nach einer Frau gehabt«, sagte er nach einem halbherzigen Glaubensbekenntnis.

»Irgendeiner Frau oder einer bestimmten?«

»Einer bestimmten Frau.«

»Einer verheirateten Frau?«

»Einer frisch verheirateten Frau.«

»Dann weißt du, dass du mit dem Verlangen aufhören musst.«

»Das kann ich nicht einfach so.«

Sein Kopf befand sich am unteren Ende des Gitters, was zweierlei bedeuten konnte: Er war klein oder er kniete nur unwillig. Oder beides.

»Was hast du getan, um es zu schwächen?«

»Was zu schwächen?«

»Das Verlangen.«

»Alles, was man machen soll. Wenn ich mich in die Hand nahm, habe ich sie mir als alte, tote Frau vorgestellt, aus der die Würmer kriechen und der das Fleisch vom Gesicht fault.«

»Hat es geholfen?«

»Ich habe mich dann auch nach ihren Würmern gesehnt.«

»Es wäre besser, wenn du dich nicht in die Hand nehmen würdest.« Sonst verkümmern deine Hände und fallen ab.

»Ich kann nicht anders, Pater. Es drängt mich danach, meine Schenkel auf ihre Schenkel zu legen und mit der Hand über ihren schönen Rücken zu fahren, und das ganze Sehnen und Begehren hält mich von meiner Arbeit ab …«

»Ich sagte schon, denke an etwas anderes.«

»Und jetzt ist sie mit einem schlaffen, alten Knacker von außerhalb verheiratet.«

Normalerweise weiß ich, wer auf der anderen Seite der Trennwand sitzt, aber je mehr er sprach, desto weniger war ich mir sicher. Er gehörte zu den Burschen, die drüben bei den Scheunen Mist schaufeln und die Gräben reinigen, aber von denen gab es viele, und die kamen nicht oft zur Beichte. Ohne ihn zu sehen, konnte ich nicht sagen, wer er war.

»Diese Frau«, sagte ich, »wer ist sie?«

Er zögerte lange und – wenn ich mir das nicht eingebildet habe – betreten. »Niemand von hier«, sagte er.

»Wann hattest du die Gelegenheit, jemanden kennenzulernen, der nicht von hier ist?«

Er rutschte auf dem Kissen herum und rülpste. Eine kräftige Bierfahne wehte zu mir herüber.

»Woher kommt sie, wenn nicht von hier?«

»Aus …« – eine atemlose Pause – »Bourne.«

»Bourne? Mindestens fünfzehn Meilen weit weg – da bist du kürzlich gewesen?«

»Nein, nein.«

»Sie unternimmt also gern ausgedehnte Spaziergänge, diese Frau, ja?«

»Ja«, sagte er, »ja.«

»Ist es das, was du so an ihr liebst?«

»Ich sagte Ihnen doch, ich liebe ihr Haar und ihre Schenkel und diesen Teil hier, wo es so macht.«

Es kümmerte ihn nicht, dass ich nicht sehen konnte, auf welchen Körperteil er gerade zeigte, und seine Vorstellung von diesem Körperteil – welcher es auch sein mochte – nahm ihn ganz gefangen, denn er versank in Tagträumereien, und sein Atem ging schnell und leise.

»Es gibt einen Unterschied zwischen Liebe und Verlockung«, sagte ich.

»Ich spüre keinen.«

»Trotzdem gibt es ihn.«

»Dann erlebe ich beides.«

Dieser dumpfe Schmerz in meinem Kreuz – wenn ich doch nur genug Platz zum Stehen gehabt hätte oder um mich zur Seite zu neigen. Ich knetete den Muskel mit der Faust. »Wie alt ist sie?«

»Ich weiß es nicht«, sagte er, fügte aber unvermittelt hinzu: »Kein Kind. Eine richtige Frau.«

»Hattest du jemals körperlichen Kontakt mit ihr?«

»Anfassen? Nein, Pater.« Er schniefte. Ich habe genug Schniefen gehört, um zu wissen, dass es ein Zeichen für eine Lüge oder eine unvollständige Wahrheit ist. Wenigstens korrigierte er sich schnell. »Oder … ja, Pater. Aber nur ganz leicht, ich glaube, sie hat es nicht einmal bemerkt.«

»Wann war das?«

»Vor vielen Monaten, im letzten Sommer, beim Tanzen.«

»Ein Tanzfest in Bourne?«

Eine Pause. »Ja, Pater.«

Er war ein schlechter Lügner. Die Oakhamer gingen nicht zum Tanzen nach Bourne, und die Bourner hatten wahrscheinlich keine Tanzfeste, wegen Serle, ihrem verkniffenen Priester.

Ich fragte: »War es eine zufällige Berührung?«

»Ich weiß nicht, was Sie ›zufällig‹ nennen – ich hatte es nicht geplant, sah bloß ihre Brust, und meine Hand flog dorthin, ehe ich wusste, was ich tat, und in diesem Augenblick drehte sie sich um – ich glaube nicht, um mir auszuweichen, nur um der Drehung willen –, und meine Hand berührte ihre Brustwarze …« – ein kurzes Innehalten – »wie ein Blatt, das eine Knospe auf einem Zweig kitzelt.«

»Ein Blatt, das eine Knospe auf einem Zweig kitzelt?«

»Ja, Pater.«

»Von wem hat du denn diesen damenhaften Ausdruck?«

»Der ist mir selbst eingefallen, Pater.«

»Du wolltest sie – packen?«

»Nicht packen, bloß greifen.«

»Was macht das für einen Unterschied?«

Er beugte sich vor und hielt seine Hand nah an das Gitter, sodass ich sie sehen konnte, und schloss sie fest um das Haselholz. »Packen«, sagte er. Dann ließ er los und hielt die Hand in der Schwebe, und die andere ergriff und umklammerte sie eine Weile, ehe sie sie fallen ließ. »Greifen.«

»Du willst sagen, dass das Packen länger dauert?«

»Richtig, Pater. Ich wollte sie nämlich nicht einfangen und entführen.«

»Nur ihre Brust anfassen?«

»Aber sie ist in eine andere Ecke gewirbelt.«

»Und die Frau? Hat sie sich dir jemals genähert?«

»In meinen Träumen immer, jede Nacht, würde ich sagen, und sie ist dann ziemlich freizügig und bereitwillig. Dann sind da noch meine Tagträume, aber in denen ist sie ruhiger und hat mehr Kleider an.«

»Du musst mit den Tagträumen aufhören.«

Er seufzte und klang ungeduldig, enttäuscht.

Unvermittelt fragte ich ihn wieder: »Bist du sicher, dass es keine Frau von hier ist?«

»Ganz sicher.« Er wirkte jetzt sehr selbstbewusst, denn er hatte angefangen, seine eigene Lügengeschichte zu glauben. Wie leicht uns Menschen das fällt. Irgendetwas haben Lügen an sich, dass ich nichts auf sie zu sagen weiß. So saßen wir eine Weile schweigend da.

»Glaubst du an Vater, Sohn und Heiligen Geist?«, fragte ich schließlich; die Frage kam unvermittelt, und ich glaube, er war überrascht, doch seine Antwort klang nachdrücklich.

»Ja.«

»Die Menschwerdung Gottes?«

»Ja.«

»Die Auferstehung?«

»Ja.«

»Das Jüngste Gericht?«

»Ja.«

»Hast du deinen Vater und deine Mutter geehrt?«

»Ja.«

»Warst du übermäßig stolz auf deinen Verstand?«

»Nein.«

»Wiederhole dein Glaubensbekenntnis noch einmal.«

»Ich glaube an Gott, den mächtigen Vater, und an Jesus …«

»Den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus …«

Er übernahm wieder und holperte bis ans Ende. Wenn er das schaffte und sich in Disziplin und Gottesfurcht übte, wäre alles andere ohne Belang, sein Verlangen sowieso. Daran konnte man nichts ändern – für das Verlangen eines jungen Mannes gibt es kein anderes Heilmittel als das Altern, und selbst dieses Heilmittel wirkt nicht immer.

Als er seinen chaotischen Vortrag beendet hatte, atmete ich tief aus, beugte mich vor und stützte die Ellbogen auf den Knien ab. »Du musst das Glaubensbekenntnis lernen«, sagte ich. »Wort für Wort, und wenn das Verlangen dich überkommt, dann kannst du seine Worte verwenden, um den Bann des Verlangens zu brechen. Lerne, nach der Schönheit Christi zu verlangen. Wiederhole das Glaubensbekenntnis und das Ave fünfmal am Tag, einen Monat lang, außerdem jedes Mal, wenn das Verlangen besonders stark ist. Du musst deine nächtlichen Träume bezähmen und die Tagträume auch. Wenn du die nächtlichen Träume nicht bändigen kannst, musst du wenigstens die Tagträume bändigen, mithilfe des Glaubensbekenntnisses. Hast du das verstanden?«

»Ja.«

»Und denk nicht, dass deine Hand ein Blatt sei, das eine Knospe streift. Deine Hand ist deine Hand, sie steht im Dienst deines Herzens.« Und anderer Teile, dachte ich. »Sie ist kein unschuldiges Blatt.«

»Ich werde nie wieder in dieser Weise an sie denken.«

»Und meide diese Frau um jeden Preis. Die Strafe dafür, eine verheiratete Frau zu begehren, ist weit höher als bei einer unverheirateten.«

Er murmelte ein halbherziges »Ja«.

»Dafür, dass du ihre Brust berührt hast, musst du zwei Wochen lang täglich herkommen, eine Kerze unter dem Vesperbild – unserem Vesperbild – anzünden und ein Ave sprechen.«

Unser Vesperbild war nicht wie das von Newman, das kühn und leuchtend wie ein Eisvogel über Newmans eigenem Altar hing. Dem Jungen würde das nicht gefallen, diese Stallburschen hatten mit Kerzen und Vesperbildern genauso wenig am Hut, wie sie in den Refrain von »Ich künde von einer Magd« einstimmten. Das war Frauenkram.

»Und du kannst etwas für mich tun – bring Sarah Spenser Holz, Brot, Milch und Eier, es geht ihr nicht gut. Möglichst auch Schinkenspeck. Und nimm Kerzen aus der Sakristei mit. Bring ihr auch saubere Bettwäsche und sieh zu, dass das Feuer bei ihr brennt. Wenn sich Wasser auf dem Boden gesammelt hat, fege es hinaus.« Ich dachte voller Unbehagen an das Erbrochene, das ich am Vortag hinausgefegt hatte. »Mach da sauber. Sieh zu, dass es ihr nicht an Wasser fehlt. Janet Grant wird später für alles bezahlen.«

»Ja, Pater.«

»Dir wird ein Sündenerlass von vierzig Tagen gewährt, weil du vor der Fastenzeit zur Beichte gekommen bist. Du hast recht daran getan zu beichten. Komm wieder, falls das Verlangen stärker wird.«

Ich erwartete nicht, aus seinem »Danke, Pater« tatsächlich Dankbarkeit herauszuhören. Er gehörte nicht zu denen, die öfter als unbedingt nötig zur Beichte gehen, und es war unwahrscheinlich, dass er zurückkommen würde, wenn ihn das schlechte Gewissen ereilte. Aber als er mir dankte, klang doch eine gewisse Erleichterung über diese Möglichkeit an. Er näherte sein Gesicht dem Gitter, um mich zu sehen oder mir in die Augen zu blicken. Ja, ein wölfisches Gesicht, hager, dunkel und scharfäugig. Ralf Drake. Als er aufstand und den Vorhang zurückzog, zögerte er seltsamerweise. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, ich hätte vermutet, dass ihm eine Offenbarung oder ein Moment der Verzückung zuteilgeworden war, so wie es Menschen vor einem Marienbild oder einem Heiligenbild widerfährt. Dann stieß er ein seltsames kurzes Lachen aus und ging.

Warum hatte er gezögert, warum hatte er gelacht? Weil er peinlich berührt war, dessen bin ich mir sicher – und zwar deshalb, weil die verheiratete Frau, die er liebte, meine Schwester war. Er wollte, dass ich es wusste, sie war die Einzige im Dorf, die kürzlich – am Freitag – einen schlaffen alten Knacker von außerhalb geheiratet hatte. (Und an dieser Einschätzung gab es einiges, mit dem ich übereinstimmte.) Sie lebte jetzt in Bourne mit ihrem Mann, John Endall, dessen Nachname mir ihr künftiges Schicksal zu beschreiben schien und dem dort zwanzig Joch Grasland gehörten. Unser kleiner Landarbeiter würde sie wohl nie mehr wiedersehen, es sei denn im Vorübergehen, wenn sie zu Besuch kam. Er würde nie wieder mit ihr tanzen.

Wie ist das, wenn man eine Frau liebt? Geht es nur darum, ihr Haar, ihre Schenkel, ihr dieser Teil hier zu lieben? Oder sie übermäßig zu verehren – ihren Kamm, ihren Fußabdruck, ihren Löffel, ihren Geruch, ihren Schatten, das Wasser, mit dem sie sich wäscht? Wenn ein Regentropfen ihren Hals berührt, ist es dann Liebe, nicht nur ihren Hals, sondern auch den Regentropfen zu verehren? Ist es ein Bann, ein Trick, ist es schiere, gebündelte Lust? Ist es Liebe, wenn es einen zur Tat treibt, oder ist es Liebe, wenn man der Tat widersteht? Bei meiner Priesterweihe hieß es, dass die Liebe mal eine Prüfung sein könne, die sich wie ein Geschenk anfühlt, und mal ein Geschenk, das sich wie eine Prüfung anfühlt, und dass nur ein Priester den Unterschied wissen könne. Aber was wusste ich? Vielleicht wird die Hand in der Liebe zu einem Blatt und die Brust meiner Schwester für diese besessene Hand zu einer Knospe. Vielleicht hatte ich von Ralf Drake verlangt, sich von den Täuschungen der Lust zu befreien, während er in Wahrheit die transformative Kraft der Liebe erlebte. Vielleicht hatten sich seine schmutzigen Hände in ihrer Gegenwart in ein Blatt verwandelt. Ja, das Herz kann Transformationen bewirken. Ich hätte Ralf Drake gern zurückgerufen und ihm eine Frage gestellt: Ist Liebe Seligkeit oder Hexenwerk? Denn ich weiß es nicht.

Westwind

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