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Essen müssen wir
ОглавлениеJa, das müssen wir, und meine nächste Mahlzeit war überfällig. Aber ich ging zurück in die Kirche und nahm noch eine weitere Stunde lang die Beichte ab, weil ich nicht wollte, dass meine Gemeinde dachte, der Dekan habe mich gegen sie eingenommen – dass ich, während sie Schlange standen, um zu beichten, verstohlen um ihre Häuser schlich und ihnen etwas anhängen wollte.
Irgendwann, da war drei Uhr schon vorbei, verrichtete ich mein Nachmittagsgebet und nahm einen Rosenkranz von dem Nagel in der Wand, um anzuzeigen, dass die erste Beichte beendet war. Die zweite und dritte würden weniger Zeit in Anspruch nehmen, denn es gab andere Möglichkeiten der Zerstreuung: Nach Einbruch der Dämmerung waren Bier und Gesang und Techtelmechtel im Dunkeln meine Rivalen, und denen war ich nicht gewachsen.
Ich befreite die Wandleuchter von Annies Hochzeitsblumen, die ohnehin welkten. Die kleinen Rüschen der Hexenhasel waren verdorrt und einige waren zu Boden gefallen. Morgen begann die Fastenzeit, da musste die Kirche den Wechsel von der Braut zur Witwe vollziehen. Ich holte die violetten Altardecken für die Bußzeit aus der Sakristei, außerdem das schlichte Kreuz, das ich an seinem Platz aufstellte. Ich nahm die dunkelste Decke – sie hatte die tiefsatte Farbe von Brombeersaft – und verhüllte damit das Kreuz.
Als Nächstes kamen die Geschenke und der Hochzeitsschmuck an die Reihe – ein dürftig geflochtener Bogen aus Stroh, zwei bemalte Steine, die wohl Braut und Bräutigam repräsentieren sollten, ein dritter Stein, durch den eine dünne Zinnader verlief, und ein quadratisches Stück grüner Samt, das mit den roten Initialen A & J bestickt war. Etwas abseits lag eine Kinderpuppe aus Holz, die nur von Newman stammen konnte – eine Bitte um gesunde Kinder. Ich schlug alles in ein altes Altartuch ein und brachte es in die Sakristei.
Ich ging hinaus; es war so hell, dass man sich fast geblendet fühlte. Ganz klar, neu, kalt und frisch war das Licht. Ich verstreute die Hochzeitsblumen rund um die Kirche. Townshends Felder waren jetzt leer – die drei hinter der Kirche, die drei, die zum Herrenhaus anstiegen, die beiden nördlich von New Cross. Niemand arbeitete. Diese Felder und das Weideland bei West Fields waren alles, was Townshend geblieben war – gewiss, es waren die besten, aber viele waren es nicht. Alles andere gehörte Newman. Die urbaren Felder erstreckten sich über Hunderte von Furlongs; dann kamen die wilden Wiesen, die bis an den Horizont reichten, bis zu der drei Meilen entfernten Gemeindegrenze. Joch um Joch, Jahr für Jahr hatte Newman das Land von Townshend aufgekauft; andernfalls hätten Townshend und seine Frau das Herrenhaus verlassen müssen. Sie hingen daran. In dem leeren weißen Licht wirkten ihre kleinen Felder wie Boote auf der windstillen See.
Einige Burschen kletterten auf der Eiche im Kirchhof herum. Ich schlenderte zum Friedhofstor, von wo aus ich die Straße übersehen konnte, die Spiele und Prozessionen im Dorf. Ein Gefühl der Andersartigkeit stellte sich ein: Die Sonne beraubte die Landschaft ihrer Farben, der Wind beraubte sie ihrer Geräusche. Ich glaubte, einhundert außerirdische Wesen nach Bällen treten zu sehen. Dann drang der Geruch von Gebratenem zu mir herüber – Eier, Fleisch, alter Winterkohl und in Öl gebackenes Brot. Der Geruch von gewürztem Bier. Tassen mit Gewürzmet, welche die Süße von Honig verströmen. Die dampfende Üppigkeit von Pfannkuchen.
Und dann kamen die Geräusche: das Geklingel der Tamburine, ein Dudelsack, Getrommel auf Ziegenhaut, Klatschen, Singen, Schreie, Jubel, Rufe des Ansporns, das hektische Kreischen der Kampfhähne. Die Farben kehrten in die Dinge zurück. Ich sah gerade noch die Menschenmenge hinter der Straßenbiegung nach New Cross verschwinden. Die Hauptfeierlichkeiten fanden immer in New Cross statt, das mit Girlanden aus Winterefeu geschmückt wurde. Sie pflückten Glockenblumen, wenn diese noch in den Wäldern blühten, oder den Stern von Bethlehem oder andere frisch aus dem Boden gesprossene Frühlingsblumen, und sie flochten auch einen Kranz für Jesus. Sie banden einen Holzblock unter seine Füße, damit er etwas hatte, worauf er sich abstützen konnte, und sie wickelten ihm einen Wollschal um die Schultern, um ihn zu wärmen und ihm Mut zuzusprechen. Rauch stieg auf: Die Gemeinde machte immer ein Feuer, auf dem Pfannkuchen gebacken wurden.
Die vier Burschen, die sich bei der jungen Eiche auf dem Kirchhof herumtrieben, lachten sich über irgendetwas scheckig. Zuerst dachte ich, sie würden auf den Baum klettern oder zumindest klettern wollen, aber sie wandten ihm den Rücken zu – sie kletterten gar nicht, sondern lungerten nur herum. Einer von ihnen, dessen war ich mir sicher, war Ralf Drake. Draußen auf der Straße vor der Kirche wurde Campball gespielt, und die Mannschaften wogten stoßweise auf und ab. Dies war der einzige gepflasterte Straßenabschnitt, und die Winternässe hatte ihn mit einer Schleimschicht überzogen, weshalb man dort wie auf Eis ging. Alle jungen Männer der Gemeinde waren draußen, dazu einige der Älteren und auch ein paar Mädchen, die mit ihren kleinen Füßen versuchten, den leblosen, unwilligen Beutel von Schweinsblase vom Fleck zu bewegen, der als Ball diente. Mir war schleierhaft, wie die Blase überhaupt irgendwohin bewegt werden konnte. Das schafften nur die Arbeiter, vor allem die Pflüger, die den ganzen Tag lang nichts anderes taten, als schwere, durchfeuchtete Erde zu bewegen. Als ich durch die Menge der Spieler auf die andere Straßenseite ging, sah ich den Dekan, der dort aus kurzer Entfernung die Burschen bei der Eiche beobachtete – vor allem wohl Ralf Drake.
Die Spieler stießen die prallvolle Blase in meine Richtung, sie pfiffen und flachsten herum. Ich versuchte, sie zurückzutreten, doch sie verfing sich unter meinen Gewändern, und es war an dem kleinen Sal Prye, flink und beherzt wie immer, sie wieder zu befreien. Er war vielleicht ein wenig zu beherzt, denn er langte gleich zu, ohne erst lange zu fragen.
Von dort, und ohne den Dekan zu beachten, der mich ebenfalls ignorierte, machte ich mich auf den Weg nach Old Cross, wo es freilich gar kein Kreuz gab. Newmans erstes Geschenk an die Gemeinde war ein neues Steinkreuz für die nördliche Dorfgrenze gewesen, und seitdem war das alte aus Holz zu einem Stumpf verwittert. Jetzt ragte dort nur noch der Maibaum schräg aus der ausgefahrenen Straße.
Ich sah niemanden außer Piers Kemp, den Müller, der mit seinen Schuhen voller Steine schmerzerfüllt von Newmans Haus herübergehumpelt kam. Es bereitete mir meist keine Freude zu sehen, wie meine Oakhamer ihre Buße taten, und zu wissen, dass die Steine sich auf meine Anweisung in ihren Schuhen befanden. Zu wissen, dass sie auf meinen Wunsch humpelten. Barmherzigkeit kam mir seltsam vor, wenn sie nach außen hin solche unbarmherzigen Formen annahm. Trotzdem hob er die Hand, um mich fröhlich zu grüßen, und sagte, er habe gerade dem Dekan Brot geliefert.
Und da war er, der Maibaum, an dessen Spitze Newmans Hemd hing. Man hatte es mit dem Ärmel festgebunden. In der frischen Brise war es beinahe getrocknet und flatterte lustlos im Wind. Es bauschte und blähte sich, als würde ein Mann darin stecken, der sich in Krämpfen wand. Falls die Dorfbewohner es gesehen hatten, ließen sie es sich nicht anmerken. Mir erschien es als unnötige Grausamkeit, Newmans zerrissenes Hemd zu hissen wie eine Flagge. Der lose Ärmel streckte sich immer wieder aus, als wollte er nach Westen zeigen, auf alles, was böse, glück- und gottlos war. Als ob er uns bedeuten wollte, dass Newman dorthin gegangen sei.
Ein allzu forsches, hastig zusammengestottertes Gebet: Herr, lass den Wind von Westen wehen. Ich weiß, diese Bitte steht mir nicht zu. Aber ich äußere sie trotzdem. Lass den Ärmel ostwärts weisen, auf alles, was gut, glückreich und göttlich ist. Lass den Wind in ihn hineinfahren, ihn öffnen und füllen und ihn (wie ein Herz voller Liebe, wie eine Blume, die sich dem Licht zuwendet), Herr, in deine Richtung weisen.
Ein warmer Sommertag, vier Jahre zuvor. Newman und ich spazierten am Fluss entlang, als ein Mann und zwei Frauen, die neben einem schiefen Karren hergingen, das andere Ufer passierten – Gegenüberlinge nannten wir solche Reisende –, und der Mann zu uns herüberrief: »Wie heißt dieser Ort?«
Newman rief zurück: »Oakham!« Er fügte hinzu: »Wohin geht die Reise?«
»Zuerst Rom, danach Santiago de Compostela, dann, auf dem Heimweg, reisen wir durch Frankreich.«
»Ein langer Weg.«
»Er wäre kürzer, wenn’s in Ihrem Ort eine Brücke gäbe.«
Bald waren sie flussaufwärts hinter den Eichen verschwunden, nach denen unser Dorf benannt ist, und alles, was von ihnen blieb, war eine Spur aus niedergetretenem Gras, das sich bald wieder aufrichtete. Newman bückte sich, um einen schweren alten Eibenast vom Ufer aufzuheben, den er in den Fluss schleuderte. Ich sah zu, wie der Ast flussabwärts schwamm, an den seichten Stellen etwas zögerlich, aber dennoch unaufhaltsam, und ich sprach einen Gedanken aus, der von alten Überlegungen und Gesprächen herrührte, vielleicht auch von unserer trägen Stimmung an jenem heißen Tag und dem Anblick der Reisenden, die so schnell verschwanden, wie sie gekommen waren.
»Das Holz kehrt nicht zurück«, sagte ich.
Newman stand da, eine Hand in die Seite gestemmt, einen Fuß vorgestellt, und kniff die Augen zusammen.
»Aber die Jahreszeiten kehren wieder, oder?«, fügte ich hinzu. »Sie kehren jedes Jahr wieder. Wir werden überflutet, wir trocknen aus, wir sind durstig, wir haben genug, wir haben nichts, es ist erst Winter, dann Frühling, es kommen Fastenzeit und Karwoche, die Freudenfeuer im Sommer, die Bitttage, Quatember, Fronleichnam. Die Sonne steht hoch, die Sonne steht niedrig, der Weizen ist grün, dann golden, dann weg. Und kein Jahr ist müder als das vorangegangene – hast du das bemerkt? Kein Jahr ist alt oder müde.«
Er sah erst mich an, dann den Fluss, die Wolken, dann wieder mich. »Nein«, sagte er, »das stimmt. Kein Jahr ist alt oder müde.«
»Der Fluss der Zeit – so nennt man das doch, oder?«, sagte ich. »Aber die Zeit ist kein Fluss. Sie kehrt immer wieder zu sich selbst zurück. Der Eibenast im Fluss kommt nie mehr wieder.«
Newman stand so aufrecht und unverrückbar wie eine Birke am Ufer und sah versonnen auf das Wasser des Flusses hinaus. »Die Zeit ist eher ein Kreislauf als ein Fluss«, bemerkte er, wobei ich nicht zu sagen wusste, ob er diese Einsicht gerade erst gewonnen hatte oder schon seit Jahren besaß.
»Ja – ja.«
Und es stimmte. Diese endlose Wassermühle vergehender Tage, diese immer gleiche Abfolge von Jahreszeiten, erschien mir so deutlich erkennbar, als ob die Welt selbst – der Fluss, das Weideland, der Wald, der Himmel – sanft und mütterlich gerundet wäre und als ob wir alle dank dieses endlosen Kreislaufs der Zeit rund und gesund wären.
Damals kam mir der Gedanke, zu ihm zu sagen: Wenn die Zeit eher einem Kreislauf als einem Fluss gleicht, was hält sie dann davon ab, rückwärts zu fließen? Können Räder sich denn nicht vorwärts und rückwärts drehen? Ich sagte nichts dergleichen, weil ich seine Antwort kannte, auf die wiederum ich keine Antwort wusste: Wenn Zeit sich vorwärts und rückwärts bewegen kann, warum brachte Gott dann nicht Newmans Frau und Kind ins Leben zurück? Und ich wollte nichts sagen oder tun, das bei Newman das Gefühl des Verlusts erneut aufbrechen ließ. Es hatte etwas mit der Art und Weise zu tun, wie er jenen Pilgern ein einziges Wort über den Fluss zugerufen hatte, so überzeugt und treu: Oakham! Etwas in diesem Wort ließ ihn mir plötzlich, mit wildem Nachdruck, wie einen Bruder erscheinen: er und ich gemeinsam, die Wächter und Verteidiger dieses Dorfes.
Die Mittagsstunde nahte, und wir standen immer noch da, in nachdenkliches Schweigen versunken, sodass ich versuchte, ihn aus seiner Gedankenverlorenheit herauszuholen und seinen Appetit anzuregen (denn er war ein Mensch, der essen als lästige Notwendigkeit betrachtete, ein Mensch, der, wenn ihm ein dampfender Eintopf serviert wurde, »Essen müssen wir« seufzte und der zwar mit Dankbarkeit, aber ohne Begeisterung aß). »Gehen wir«, sagte ich. »Annie bereitet das Mittagessen für uns.« Brot und Buttermilch, Quark, Honig, Quitten, vielleicht die ersten reifen Feigen.
Aber Newman rührte sich nicht und betrachtete den Fluss so eingehend, als ob es dort ein Spektakel zu sehen gäbe, und so schaute auch ich auf die Szenerie, die seine Vorstellungskraft so stark anregte. Ich wusste sofort, was er sah, da ich in jenem Moment mit seinen Augen schaute. Er beugte sich erneut vor, und diesmal hob er einen Stein auf, den er mit einer ausholenden Bewegung weit über das andere Ufer hinaus schleuderte, wo er sich durch die obersten Blätter einer Eiche fraß und außerhalb unserer Sichtweite zur Erde fiel.
»Dieser Stein ist weiter gereist als die meisten Bewohner unseres Dorfes«, sagte er, und in diesem Zustand brüderlicher Nähe wandte er sich zu mir um und fragte genau das, was ich ihn hatte fragen wollen. »Meinst du, John, dass diese Reisenden mit dem, was sie über eine Brücke sagten, recht hatten?«
»Ich denke schon …«
»Wir könnten eine bauen.«
»Über diesen Fluss.«
»Über genau diesen Fluss.«
»Warum nicht – es ist höchste Zeit.«
»Allerhöchste Zeit.«
»Ja, warum eigentlich nicht.«
Drinnen war es kälter und dunkler als draußen und es roch intensiv nach gebratener Gans. In der Feuerstelle hatte sich ein Haufen kalter Asche gesammelt. Mit Gänsefett bespritzt. Die Leute finden es komisch, dass Annie und ich jede Nacht vor dem Schlafengehen Wasser auf das Feuer schütten, aber ich finde es eher komisch, dass sie es offenbar vorziehen, in ihren Betten zu verbrennen. Wenn die eigene Mutter in den Flammen umgekommen ist, lässt man nie mehr unbefangen das Feuer brennen und geht zu Bett.
Ich zündete zwei Kerzen auf dem Tisch an, zur Aufheiterung und auch, um nach meinen Vorräten zu sehen. Ich hatte zuletzt am vorangegangenen Abend gegessen, als ich die Reste der Gans verzehrt hatte. Neunzehn Stunden ohne Essen und jetzt ein Heißhunger, der wegen der gestrigen Völlerei umso größer war – die höchste Flut bringt stets die tiefste Ebbe, wie man sagt. Meine Knochen fühlten sich geradezu ausgehöhlt an. Es gab noch ein Stück Brot, einen letzten Apfel, ein wenig Milch – ich aß und trank alles, auch ein Ei, das ich in den Bodensatz der Milch aufschlug und roh herunterschlang. Keine Mahlzeit, die mich begeisterte, das muss ich zugeben. Wenn man bedenkt, was man mit dem Ei alles hätte machen können. Ich hätte es, mit der Milch, etwas Mehl und einigen Apfelstücken verrührt, in Schmalz frittieren oder als Spiegelei mit Brot und Fett essen können – ein schlichter Festschmaus. Oder ich hätte einen Pfannkuchen backen und gebratenen Apfel mit Honig daraufgeben können. Oder ich hätte ein luftiges Rührei mit Butter und Schinkenspeck zubereiten können, zu dem ich die aufgewärmte Milch getrunken hätte. Traurige, flüchtige Fantasien. Es fehlte mir die Zeit, ein Feuer anzuzünden. Außerdem gab es keinen Schinkenspeck, und selbst wenn welcher da gewesen wäre, hatte doch die Fastenzeit für mich an diesem Morgen mit dem Verzicht auf Fleisch begonnen – und essen müssen wir.
Es blieb mir jetzt auch keine Zeit mehr, zum Birkenhain zu gehen und nach Mary Grants Hund zu schauen. Ich wusste ohnehin nicht, was ich mit ihm anfangen sollte. Aber dieses Wäldchen war für uns Oakhamer schon immer ein unheimlicher Ort gewesen. Der Wind flüsterte in den Bäumen, und die Schatten waren dort besonders flink und flüchtig. Im Sommer behängten wir die Birkenzweige mit Büscheln aus Pferdeschwänzen und bunten Girlanden – gefärbte und geflochtene Bänder aus Hanf und Leinen, einige Verschnittstücke von Cecily Townshends ringelblumenfarbenem Samtkleid. Die Girlanden sollten die Geister vertreiben, aber ich zweifelte an der Wirksamkeit dieser Art von Magie, und nun hatte ich Mitleid mit Mary Grants unglücklichem Hund und hätte ihn gern an einem harmloseren Ort begraben.
Wenn meine Schwester noch da gewesen wäre, hätte ich sie gefragt: Was sollen wir mit dem Hund anfangen? Und sie hätte ohne Zögern gesagt: Tu dies und tu das. Es fühlte sich seltsam an, dass sie nicht mehr da war und ich sie nicht mehr um Rat fragen oder mich ihr anvertrauen konnte. Dass ich all die Aufgaben übernehmen musste, die sie sonst erledigt hatte. Meine schmutzige Soutane in der Ecke schien nur darauf zu warten, dass meine Schwester sich ihrer mit kundiger Hand und warmem Wasser annahm. Der Topf wartete darauf, dass unsere beiden Löffel sich freundschaftlich um den Eintopf stritten: Scharmützel um ein Stück Äsche oder Häsling, beherztere Kämpfe um einen kostbaren Bissen Forelle. Wie konnte es sein, dass Newman und sie noch vier Tage zuvor bei mir gewesen waren und dass mir nun keiner der beiden geblieben war? Ich spürte, wie die Trauer wuchs und sich in meinem Brustkorb ausbreitete. Annie: meine Schwester und einzige Blutsverwandte. Ihr neuer Mann nannte sie »Anne«, und auch wenn sie es nie aussprach, vermute ich doch, dass sie ihn deshalb geheiratet hatte (keiner wusste einen anderen Grund). Sie kam sich dadurch wohl fraulich vor, nicht mehr wie ein Kind.
Ich wischte die Krümel auf und wollte eben die zerbrochene Eierschale wegwerfen, als ein Prasseln an der Tür mich so sehr erschreckte, dass ich sie in meiner Hand zerdrückte. Als ich die Tür öffnete, lagen mehrere Steine auf der Türschwelle und fünf oder sechs Jungs rannten zu dem Weg, der in westlicher Richtung aus dem Dorf hinausführt. Einer von ihnen blieb stehen und drehte sich um und er sah mich einen Moment lang an, als ob er seine Gruppe verlassen und zu mir zurückkommen wollte.
Es war schon wieder Ralf Drake. Groß und stark und von eckiger, hagerer Gestalt. Seine Körperhaltung erinnerte mich daran, dass ich ihn auf der Hochzeit meiner Schwester gesehen hatte; er hatte genauso dagestanden, aufmerksam schauend, und Annie beim Tanzen beobachtet. Ich schloss die Tür und blieb dahinter stehen und hatte das Gefühl, dass er mich immer noch beobachtete.
Fastnachtsstreiche. Sogar mein Vater hatte als Kind am Fastnachtsdienstag Steine und Matsch und Topfscherben gegen Türen geworfen – nichts ändert sich. Eierschieben, Schlammwerfen, Kleidertausch – ein Mann im Kittel seiner Frau, eine Frau mit dem Gürtel und den Stiefeln ihres Mannes. Sollen sie doch ein bisschen unschuldigen Spaß haben – ich kann mir nicht vorstellen, dass es ihnen ein einziger Engel im Himmel missgönnt. Wir tragen so viele Bürden mit uns herum, und der Winter ist die schlimmste Zeit von allen. Er lässt uns zu viel Zeit für düstere Gedanken.
Ehe ich ging, spülte ich die Milchtasse in dem Bottich draußen vor der Tür aus und räumte die Steine weg. In der Nähe der Tür gab es ein warmes, windstilles Fleckchen und einen Streifen Sonnenlicht, der mehr Wärme erwarten ließ, als wir in diesem Jahr bislang gehabt hatten. Meine Füße pochten vor Freude. Im Haus stellte ich die Tasse auf den Tisch, neben Messer und Löffel, die aufrecht in einer Spalte im Holz steckten, durch achtloses Sägen entstanden.
Mein Vater hatte mich einmal bei Regen hinausgeschickt, weil ich ein Messer und einen Löffel so angeordnet hatte, als ob sie Braut und Bräutigam vor dem Altar wären. Menschen müssen Menschen sein, sagte er, man darf sie nicht mit Messern und Löffeln zu Spielfiguren machen. Außerdem hatten wir genug mit Pflügen, Säen, Düngen, Mergeln und Ernten zu tun. Schafe mussten ablammen, Schweine geschlachtet werden. Ich musste bis zum Abend draußen bleiben, dann holte meine Mutter mich zurück ins Haus. Am nächsten Tag sang ich vor dem Frühstück, und auch das war eine schändliche Alberei und brachte obendrein Unglück. An diesem Abend holte mich niemand ins Haus, stattdessen übernachtete ich in der Scheune. Doch ich konnte meine Neigungen nicht unterdrücken, und so verbrachte ich als Kind mindestens drei Dutzend Nächte in der Scheune. In der Dunkelheit glitten Dämonen über meine Haut und flüsterten mir mit verzerrter Stimme Geschichten vom Tod ins Ohr. Meine Haut fühlte sich danach wund an, und wenn ich morgens aufwachte, war sie so rot, als ob ich auf einem Feuer, das nicht von dieser Welt war, gekocht worden wäre.
Ich spie in die ausgespülte Tasse. Der Schmerzensmann: gesegnetes Bildnis Christi, das auf dem Schemel neben meinem Bett stand. Ich küsste das Holz, in das es geschnitzt war, und ich schmeckte sein Blut. Ich hielt es an meine Brust und drückte seine verschleierten Augen und dunklen Lider an mich, bis ich seine Haare, seine Lippen, seine geschwollenen Adern so deutlich spüren konnte, als ob mein Leben in seine herabhängenden Hände (die übervoll und leer zugleich waren) gelegt worden wäre und sie es für klein und unzulänglich befunden hätten.
Seit Annie fort war, musste ich immer daran denken, dass ich vielleicht nie recht gewusst hatte, was in ihrem Kopf vor sich ging – hinter ihrer hohen, breiten Stirn, zwischen ihren kleinen Ohren. Vielleicht hatte sie Zuneigung für den jungen Mann empfunden, der nach Gülle roch. Ihre Kammer stand leer, und ich hätte seit ihrem Weggang gut darin übernachten können, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, dort mein Schlafzimmer einzurichten. Ihre zerkratzte und verbeulte Schüssel stand noch auf dem Tisch und ihr Flakon mit Ambra auf dem Regal.
Die Tür war im Regen aufgequollen, sodass ich sie nicht schließen, sondern nur fest zuziehen konnte, doch sie blieb trotzdem einen Spaltbreit offen. Wildes Trommeln und Rufen übertönten den Wind – ein Trinklied –, und auch das Campballspiel auf der Straße vor meiner Tür hatte neue Mitspieler gewonnen und war lauter und rabiater geworden als zuvor. Die Männer wälzten sich am Boden und kämpften um die Schweinsblase. Ich kannte nichts Widersinnigeres als dieses Spiel, das sich in Richtung Westen ausgebreitet hatte, bis dorthin, wo die Straße in den großen westlichen Fahrweg mündet. Fünfzig oder sechzig Männer spielten jetzt mit, und es ging hoch her: Da wurde geschlagen, getreten und gegrunzt, dass einem angst und bange werden konnte. Und dann erst die Musik! Schrill und misstönend, weil die Dudelsäcke und Trommeln inzwischen vom Regen verzogen waren. Plötzlich sah ich Tunley auf der anderen Seite der Menschenmenge, wie er eilig die Straße zur Kirche überquerte. Er ging in Richtung New Cross, und über seinen Schultern lag – wie ein sehr schwerer Pelzkragen – der Hund. Die Beine des Hundes hingen herab und pendelten hin und der, sein Körper war flach wie der eines toten Aals. Etwas so Lebloses hatte ich noch nie gesehen, lebloser selbst als etwas, das nie gelebt hatte.
War es eine optische Täuschung oder eine Vorahnung (ein Vorwärtsschlingern auf dem Rad der Zeit), dass ich mit der Plötzlichkeit eines Blitzschlags den Eindruck gewann, es sei Townshend – ein schwerer und lebloser Townshend –, der tot auf Tunleys Schultern lag? Unwillkürlich sah ich mich nach dem Dekan um, der mittlerweile auf seine hartnäckige, verbitterte Art allgegenwärtig zu sein schien – mörderisch in seiner Entschlossenheit, einen Mörder zu finden. Wenn Townshend hingerichtet wird, ging es mir durch den Kopf, dann ist Oakham am Ende, und angesichts der Tragweite dieses Gedankens verklangen alle Geräusche und aller Elan war dahin. Die Luft fühlte sich kalt wie Eisen an. Aber der Dekan war nirgendwo zu sehen, und als mein Blick erneut auf Tunley fiel, lag nichts als ein toter Hund auf seinen Schultern, und er suchte bestimmt nur eine Wiese, um das Tier dort zu begraben.
Als ich durch das Friedhofstor trat und sah, dass die Burschen, die bei der Eiche herumgelungert hatten, jetzt fort waren, da begriff ich etwas, das nur lose mit Tunley und dem Hund zusammenhing, aber in meiner Besorgnis doch damit verbunden war – ich begriff, womit die Jungs dort bei der alten Eiche beschäftigt gewesen waren. Sie hatten nicht versucht, auf den Baum zu klettern, sondern so getan, als wären sie Newman, hatten sich so hinzustellen versucht, dass es aussah wie sein Leichnam, der sich in dem umgestürzten Baum verfangen hatte. Sie spielten seinen zweiten Tod nach.
Stille.
»Bitte sprich.«
»Sie zuerst, Pater.«
»Weißt du nicht, was du beichten willst?«
»Ich kenne die Zehn Gebote auswendig und die sieben Werke der Barmherzigkeit. Wollen Sie mich nicht abfragen?«
»Wenn du sie kennst, muss ich sie nicht abfragen.«
»Sollten Sie uns nicht prüfen, Pater?«
Ich klemmte mir das Schultertuch hinter das linke Ohr. Ich hörte an ihrer Stimme, dass sie einen Schmollmund machte, dass sie die Stirn runzelte und dass ein Muskel in ihrer Wange beleidigt zuckte. Das Dienstmädchen aus dem Herrenhaus der Townshends. Marjory Smith heißt sie, aber im Dorf wird sie nur »Mippy« genannt. Sie ist zwölf oder dreizehn Jahre alt, und in einem Jahr wird sie vermutlich verheiratet sein.
»Nicht prüfen, nein. Aber du kannst mir sagen, welche der sieben Werke der Barmherzigkeit du in letzter Zeit vollbracht hast.«
»Keins«, sagte sie.
»Das ist schlimmer, als ich befürchtet hatte.«
»Deshalb brauche ich Ihre Vergebung«, flüsterte sie durch das Gitter, »denn ich kann schon mit dem nächsten Atemzug sterben.« Sie stieß ein schwaches Lachen aus – ich war seltsam dankbar dafür. Dann war ihr nächster Atemzug zu hören, und sie hatte den Moment der Schwäche hinter sich gebracht. »Der Herr könnte mich zu sich holen.«
»Das ist richtig – aber nur, wenn es an der Zeit ist.«
»Ah«, sagte sie mit heiserer Stimme. Ihre Eltern waren am Schweißfieber gestorben, als sie noch ein Säugling war.
»Und das ist nicht meine einzige Sünde, Pater. Ich habe auch gestohlen. Die Käser haben sich in ihrer Kammer gezankt, und auf dem Holzblock in der Küche lag ein Vorderschinken. Da habe ich zugelangt.«
»Du solltest sie bei ihrem richtigen Namen nennen.«
»Lord und Lady Käser«, sagte sie.
»Townshend.«
Sie gab ein Geräusch von sich. Es klang wie Hna oder so ähnlich. Sie war kindisch, schelmisch, derb, wurde wohl auch geliebt – sogar von ihren Käsern, die sie auf Newmans Drängen hin eingestellt hatten und mit ihr, wie ich erfahren hatte, durch einen Kontrakt verbunden waren. Die Lady mochte keine Dienstmädchen, überhaupt keine weiblichen Angestellten, aus offensichtlichen Gründen. Dennoch schienen die Townshends eine gewisse Liebe für das Mädchen zu empfinden. Ein Kind, das ihnen ihre ehrgeizigen vier Kinder ersetzte, die Oakham schon vor langer Zeit den Rücken gekehrt hatten.
»Wie viel Schinken hast du gestohlen?«
»Eine Menge. Aber ich habe ihn von verschiedenen Stellen der Keule genommen, damit es nicht so auffällt.«
»Wie viel ist ›eine Menge‹?«
»Ich habe mir den Kittel damit vollgestopft.«
»Warum hast du das getan?«
»Ich habe den Schinken auf meinem Zimmer versteckt, um ihn später zu essen. Ich aß ihn dann im Dunkeln im Bett und habe gekaut wie ein Lämmchen. Ich hätte ihn aber genauso laut in der Küche mampfen können, lange und laut genug gestritten haben sie.«
»Weißt du, worüber sie sich gestritten haben?«
»Die Türen sind ziemlich dick.«
»Du hast also nichts gehört?«
»Sie haben ungefähr so gestritten«, sagte sie und begann, in einem schnellen, stichelnden Flüsterton zu haspeln, aus dem gelegentlich eine erkennbare Wendung oder Floskel hervorstach. Gut beritten. Übrig geblieben. Schafe und Kühe. Montag. Schon wieder Wild.
»Daraus können wir nicht viel schließen«, meinte ich.
»Und wenn Sie es versuchten, würde Sie das zu einem Lauscher machen, Pater.«
»Aha«, sagte ich.
Sie war ein kleiner Wildfang, hoppelte immer herum wie ein Hase. Aber nach allem, was ich gehört hatte, standen die Heiratsanwärter bei ihr Schlange, obwohl sie eine Waise war. Vielleicht lag es daran, dass sie so überraschend rundlich und temperamentvoll war – als ob sie in privilegierten Verhältnissen aufgewachsen wäre, nicht in der harten, elternlosen Schäbigkeit, die ihre Kindheit gewesen war.
»Er fesselt seine Frau – Mr Townshend. Er fesselt sie ans Bett und lässt sie stundenlang allein dort liegen. Sie ruft mich um Hilfe.« Wieder war ihr Mund ganz nah am Gitter, ihre Lippen bildeten ein kleines keuchendes O und stießen die Wörter aus wie der Löwenzahn seine Samen.
Ich senkte den Kopf. »Und – hilfst du ihr?«
»Dafür würde ich ausgepeitscht.«
Dieses schäbige Leben, das Menschen innerhalb ihrer eigenen vier Wände führen. Geld macht es nicht besser. Aber Mr Townshend hat sowieso noch nie jemandem über den Weg getraut – schon wegen seiner seltsamen Begeisterung für Käse, die jede Vernunft übersteigt und manchmal jede Vorstellungskraft.
Ich schloss die Augen. Ich dachte an ihren Mund am Gitter, ihre blutvollen Lippen und die wohlgeformten Klänge, die sie erzeugten; und ich dachte an Cecily Townshend, die jetzt alt und müde vom Kinderkriegen war, aber voller Würde und um die Augen immer noch schön. An ein Bett gefesselt, so wie Mary Grant ihren heulenden Hund an einen Pfosten gebunden hatte. Das hätte ich ihrem Mann nicht zugetraut, der auf mich immer den Eindruck eines einigermaßen gefestigten Menschen gemacht hatte – auch wenn er in geschäftlichen Dingen ein Trottel war. Also fragte ich das Mädchen, obwohl ich wusste, dass dies die falsche Frage war: »Warum tut er das? Warum fesselt er sie? Kennst du den Grund?«
»Wenn ein Mann ein Tier ist, dann wird er immer versuchen, auch seine Frau zu einem Tier zu machen, Pater.«
Du bist ganz schön klug für dein Alter. Ich dachte es nur, ich sagte es nicht. Und ich sagte es nicht, weil sie vielleicht nicht alt war, aber doch schon einiges erlebt hatte. All das Leid, den Verlust ihrer Eltern. Das kann einem eine ganz eigene Reife geben. Ich stieß einen Seufzer aus, von dessen Entstehen ich gar nichts geahnt hatte, und fühlte mich plötzlich unaussprechlich niedergeschlagen. Ich wusste nichts mehr zu sagen.
Zum ersten Mal wurde ihre Stimme leiser und reumütig. »Das hätte ich nicht sagen sollen«, meinte sie. »Es war undankbar gegenüber den Menschen, die mir ein Dach über dem Kopf und Essen geben. Und ihren Schinken hätte ich auch nicht stehlen sollen.«
Ich lehnte mich zurück, denn sie hatte mich daran erinnert, dass sie und nicht ich das Beichtkind war; dass sie es war, der vergeben werden musste – und nicht Townshend, der seine ganz eigenen Sünden hatte. Es war, als ob der Dekan mir den Samen des Argwohns in die Hand gelegt und ihre leise, hoffnungslose Stimme mich dazu gebracht hätte, ihn tatsächlich auszusäen.
»Es gibt Sünden, die wir für geringfügig erachten und leicht verzeihen«, sagte ich, »weil sie dem Wunsch entspringen, genug zu essen zu haben und gesund zu sein, so wie es der Herr für uns will. Aber du musst lernen zu nehmen, ohne zu stehlen, und auch nur das zu nehmen, was du brauchst.«
»Ja, Pater.«
»Ich werde dir nicht auftragen, zu deiner Herrschaft zu gehen und ihr deine Tat zu gestehen. Vielleicht wird ihre Erwiderung keine gerechte sein.« Die an das Bett gefesselte Cecily Townshend – und Mr Townshend mit seinem Seil, enttäuscht, dass sein Käserei-Imperium ein Misserfolg war. Ein kleiner Mann, der mit dem Reichtum, der ihm vergönnt gewesen war, nie gut hatte umgehen können. »Aber die Sünde zehrt an dir in Form von Gerüchen und Fetten, die unter deine Haut gekrochen sein könnten. Schrubbe deine Hände dreimal täglich mit warmem Wasser, um sie von der Sünde zu reinigen.«
»Ja, Pater, das will ich tun. Danke.«
»Nenne mir das zweite Werk der Barmherzigkeit!«
»Den Durstigen zu trinken geben.«
»Und das fünfte?«
Sie antwortete ohne Zögern: »Sich um die Kranken zu kümmern.«
»Wirst du also das nächste Mal, wenn Mr Townshend grob zu seiner Frau ist, später, wenn sie nicht mehr gefesselt ist, zu ihr gehen und ihr etwas zu trinken geben und ihr helfen?«
»Bekomme ich dann meine vierzig Tage Ablass?«, fragte sie. »Für die Beichte und dafür, dass ich das alles tue?«
»Ja.«
»Gut. Weil ich schnell in den Himmel kommen möchte. Denn da sind sie, und ich will sie wiedersehen.«
»Wen?«
Sie stand auf, und ihre zu kleinen Fäusten geballten Hände befanden sich direkt vor dem Gitter.
»Deinen Vater und deine Mutter?«
Ihre Fäuste lockerten sich. Die starken kleinen Hände öffneten sich. Und Thomas Newman?, wollte ich fragen. Vermisst du den auch? Thomas Newman, der dich als Waise gerettet und hierhergebracht hat? Der die Townshends dazu überredete, dich aufzunehmen? Wirst du ihn vermissen? Meine Ferse suchte und fand die eiserne Geldkiste unter dem Schemel – Thomas Newmans Kiste, darin die gerollten und gefalteten Dokumente, die den Besitz seines Hauses und seiner Ländereien beurkundeten. Es war noch nicht an der Zeit, den zweiten Rosenkranz herunterzunehmen, aber ich tat es trotzdem. Ich bemerkte den bittersüßen Geruch von Hopfen und sah, dass mein Bierkrug in einer der Pausen umgestoßen worden war und das Bier eine Pfütze auf dem Boden bildete. Aber ich richtete meinen Blick fest auf die Ecke, wo die Mauer einen dunklen, schmutzigen Farbton und eine raue Oberfläche hatte. Wie ein Schussfaden aus nasser Wolle oder die Farbe eines verblassenden Tages.