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5.Chamulas und Naniten

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Der Tag war noch jung, und die Sonne, die vereinzelt zwischen den Wolken hervorlugte, wärmte nicht. Es war klamm, und Eno hatte Hunger. Sie liefen schon seit mindestens zwei Stunden schweigend am Fluss entlang und Eno kam es vor, als wäre er bereits den ganzen Tag auf den Beinen. Sie hatten die Nacht kaum geschlafen, und jeder Schritt schmerzte. Obwohl Eno viele Fragen hatte, war er nicht in der Lage, jetzt mit Neves zu reden. Zu viel war passiert, und nachdem sie Walter verloren hatten, war alles anders geworden. Was sollte er nur Vater, Mutter und Karl sagen, wenn er nach Hause zurückkam? War das nun seine Familie oder was hatte Neves gemeint, als er sagte, er wäre sein Bruder? „Neves, ich habe Hunger“, sagte Eno schließlich. Er wollte noch mehr sagen, nämlich, dass er vollkommen am Ende war, dringend Schlaf brauchte und verzweifelt war, aber Neves hatte sicher verstanden. Er blieb stehen, drehte sich zu Eno um und sagte „Ich beschaffe uns was zum Essen.” Neves stellte sich an den Fluss und packte sein Anschuk. Eno glaubte zu ahnen, dass Neves damit Fische ‚sehen‘ konnte. Tatsächlich hielt er den unscheinbaren Stab einfach nur ins Wasser, und im selben Moment schwammen tote Fische auf der Oberfläche, die offensichtlich von einer unsichtbaren Kraft getötet worden waren. „Schnell Eno, sammle die Fische ein, bevor sie die Strömung außer Reichweite trägt.“ Als sie ein Dutzend zusammen hatten, machten sie Feuer und brieten vier Fische. Die restlichen nahm Neves aus und legte sie auf Steinen zum Trocknen aus. Während ihrer Flucht hatten sie noch nichts besseres gegessen. Eno wurde schläfrig, obwohl es erst Mittag war. Neves bot sich an, die erste Wache zu übernehmen. Eno nickte dankbar und schlief erschöpft ein. Ein paar Stunden später wurde er jäh aus einem tiefen Traum gerissen. Jemand rüttelte an seiner Schulter. Er sah Neves über ihm gebeugt. „Wach auf Junge. Es ist deine Wache.“ Eno rieb sich den Schlaf aus den Augen, und obwohl er meinte, gerade erst eingeschlafen zu sein, rappelte er sich auf und nahm sein Anschuk, das ihm Neves reichte. Es musste schon später Nachmittag sein. Eno blickte dankbar zu Neves, der ihn so lange hatte schlafen lassen. Was würde er nur ohne ihn anfangen? Neves rollte sich auf dem harten Boden zusammen und schlief auf der Stelle ein. Eno blieb mit sich und seinen Gedanken allein. Die Sonne stand tief und ihre Strahlen färbten sich purpurrot. Wohin sollten sie nur fliehen? Er hatte keine Antwort darauf, denn er war nie weiter als einen Tagesmarsch vom Dorf weg gewesen. Sicher, er kannte sich in der Nähe des Dorfes aus. Aber hier so weit weg von seinem Zuhause entfernt? In zwei Tagen könnte er wieder zu Hause sein. Aber wollte er das? Seine Familie in Gefahr bringen? Er musste auf Neves vertrauen. In Gedanken versunken ging Eno ein Stück flussaufwärts und kletterte auf einen Baum, der am Ufer stand. Von dort hatte er den kleinen Lagerplatz gerade noch im Auge und konnte sich gleichzeitig einen Überblick verschaffen. Der Fluss glitzerte jetzt golden unter ihm und reflektierte die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Eno kniff die Augen zusammen, und während er vor sich hindöste und sich zwang, an die schönen Dinge des Lebens zu denken, hörte er plötzlich unter sich einen Zweig knacken. Erschrocken versuchte er in den länger werdenden Schatten etwas auszumachen. Vielleicht schlich ein wildes Tier durch die hereinbrechende Nacht oder Schlimmeres. Aber alles was er erkennen konnte, war ein Mädchen, das nicht weit von ihm am Ufer stand. In ihrem weißen Kleid und der roten Blume im Haar sah sie umwerfend schön aus. Ein letzter Sonnenstrahl traf ihr Gesicht und ließ es für einen kurzen Moment aufleuchten. Ihr fröhliches Lächeln ließ zwei Reihen perlweißer Zähne erstrahlen. Kleine Grübchen bildeten sich in ihrem fein geschnittenen Gesicht, als sie ihren hübschen Kopf hob, zu ihm aufblickte und ihm fröhlich zuwinkte. Er schien sie zu kennen und seine innere Anspannung verwandelte sich in Freude, denn es war Katta aus seinem Dorf. Beim letzten Dorffest hatte er sich nicht getraut, sie zum Tanz aufzufordern, sondern sie nur angestarrt. Nun stand sie vor ihm. Sein Herz klopfte aufgeregt und er winkte ihr zurück. „Hallo Katta, wie schön dich zu sehen.“ Sie antwortete nicht, aber ihr Lächeln wurde noch heller und sie kam mit fast schwebenden Schritten näher. Eno fragte sich, was sie so weit weg vom Dorf suchte, aber sicher gab es eine Erklärung, die er gleich erfahren würde. Er beeilte sich, kletterte geschwind vom Baum, und lief ihr entgegen. Wie hübsch sie doch war, wie aus einem Traum. Eno riss sich zusammen und versuchte, nicht so erstaunt zu glotzen. Als sie nur noch zwei Schritte voneinander trennten, zerfloss plötzlich das Gesicht, als ob ein Tuch davon weggezogen hätte. Darunter kam die grausame Gestalt eines Fengos zum Vorschein, der bereits ein gefährlich vibrierendes Messer hielt. Die Klaue mit dem Dolch stieß vor und nur Enos übermenschlicher Reaktionsschnelligkeit war es zu verdanken, dass er diesem unglaublich schnell geführten Stoß ausweichen konnte. Der Fengo schien nur darauf gewartet zu haben, dass Eno unter dem wütenden Hieb hinwegtauchen würde und riss den singenden Stahl schräg nach oben. Eno bog instinktiv seinen Kopf nach hinten. Das Messer sauste haarscharf an seiner Kehle vorbei. Er verlor das Gleichgewicht, riss aber noch im Fallen seinen Fuß hoch und traf den Gegner am Schädel. Sogleich entfuhr ihm ein Schrei. Ein Gefühl, als hätte er gegen einen Granitstein getreten, breitete sich in seinen Zehen aus. Er war sich nicht sicher, einen oder gleich mehrere von ihnen gebrochen zu haben. Mit einem Satz war der Fengo über ihm, holte noch einmal mit all der mörderischen Kraft aus, die diese Wesen besaßen, und stieß den Dolch zwischen Enos Augen. Doch Eno war einen Bruchteil schneller, und der Dolch rammte sich bis zum Heft neben seinen Kopf in den Felsen, auf dem er lag. Sogar den Luftzug, den das Messer verursachte, spürte Eno an seiner Wange. Ohne Mühe zog der Fengo die Waffe aus dem gewachsenen Fels und drückte sein eisenhartes Knie gegen Enos Kehlkopf. Er bekam keine Luft mehr und seine Sinne schwanden. Mit Schreck geweiteten Augen konnte er nur noch unbeteiligt zuschauen, wie der Dolch noch einmal und diesmal wahrscheinlich erfolgreich nach oben schwang und gleich zwischen seinen Augen sein Ziel finden würde. Der kurze, lautlose aber heftige Kampf war entschieden. Voller Hass starrte Eno in die nichtmenschliche Fratze des Fengo. In diesem furchtbaren Moment von einer inneren Kraft getrieben, verschärfte sich seine Wahrnehmung und die Zeit floss so träge wie zäher Honig. Mit Verblüffung beobachtete er plötzlich, wie sich ein ganz leicht drehender Pfeil mit wunderschönen Federn, die Eno noch nie gesehen hatte, fast schon majestätisch aber unbeirrbar auf die kleine Stelle zwischen den Augen des Fengos zu bewegte, sich gemächlich in die Stirn bohrte und dann dort stecken blieb. Eine ganze Weile, so schien es Eno jedenfalls, geschah nichts. Dann, als wäre der Bann gebrochen, fiel der Fengo nach hinten und schlug schwer auf. Der Junge schloss erleichtert die Augen und schluckte hart. Seine Kehle fühlte sich wie ein Reibeisen an und schmerzte höllisch. Die Augen immer noch geschlossen, räusperte Eno sich und krächzte erleichtert: „Neves, danke, dass du mich gerettet hast!“

„Hey, du kannst dich bei mir bedanken! Hat dich Neves eigentlich nicht gelehrt, dass du niemandem trauen sollst? Vor allem nicht schönen Frauen, die auf wundersame Weise plötzlich im Wald auftauchen? Ich sehe, dein Gefährte hat dir nichts beigebracht. Er bleibt eben ein alter Haudegen und ist nicht als Lehrer zu gebrauchen. Na ja. Dafür bin ich ja jetzt da.“ Eno hörte eine glockenhelle Frauenstimme mit einem eigenartigen fremdländischen Akzent. Erschrocken öffnete er die Augen und blickte in ein braun gebranntes, hübsches Gesicht mit kristallklaren blauen Augen, einer schlanken Nase und einem vollen Mund. Lässig zog die athletisch gebaute Frau in den Dreißigern den Pfeil aus dem Kopf des Fengo, wusch ihn penibel im Fluss und steckte ihn in den Köcher zurück, der an ihrer Schulter hing. All ihre Bewegungen waren geschmeidig und präzise. Erst jetzt kam Neves vom Lager wie ein Blitz gerannt. Doch als er die Frau erkannte, lächelte er erleichtert und jede Eile fiel von ihm ab. Er blieb vor ihr stehen, und sie begrüßten sich auf eine Weise, die Eno noch nie zuvor gesehen hatte.

Neves legte die Spitzen der gestreckten Daumen und Zeigefinger aufeinander und hielt dabei die restlichen Finger zur Faust geballt vor sein Gesicht. Dann führte er die so geformten Hände bedächtig aneinander, sodass die Knöchel der gekrümmten Finger und die Handballen sich berührten, und die Daumen die beiden Zeigefinger unterstützten, die sich wie eine Pfeilspitze nach oben streckten. Langsam senkte er sein Haupt und berührte mit der Stirn die Spitze. So verweilte er einen Augenblick, hob schließlich den Kopf wieder, lächelte und breitete dabei seine Arme aus, ließ aber die Zeigefinger gestreckt und die Daumen angelegt. Es sah aus, als wolle er auf einen fernen Horizont deuten, der sich vor ihm ausbreitete. Die schlanke Frau machte dieselben Bewegungen, die wohl zu einer Art Ritual gehörten. „Du kommst spät, Tara“, sagte Neves. Das schelmische Funkeln in seinen Augen und sein breites Grinsen verwandelten den Vorwurf in ein herzliches Willkommen. „Ich wurde aufgehalten. Aber ich bin ja noch zur rechten Zeit gekommen“, dabei machte sie eine vielsagende Bewegung mit ihrem Kopf in Richtung des toten Fengos, und ihr langes schwarzes Haar floss wie Wasser auf ihre Schultern. Neves bückte sich, griff neben den toten Fengo und zog ein weißes Tuch hervor. Tara sagte „Aha, ein Chamula. Haben die Kröten also auch Chamulas. Interessant.” Eno fragte: “Was sind Chamulas?” Tara antwortete ihm, nicht ohne dabei kopfschüttelnd auf Neves zu blicken, der es wieder einmal versäumt hatte, Eno zu unterweisen. “Ein Chamula kannst du dir überwerfen und es verwandelt dich in alles, was du dir vorstellst. Es kann noch mehr. Richtig benutzt gibt es dir die Gestalt, an die du oder jemand anderes gerade denkt.“ Dann grinste sie und sagte: „Du scheinst diese Katta ja sehr zu mögen.“ Eno blickte verlegen auf den Boden und wurde rot wie reife Tomaten. Dann aber griff er blitzschnell nach dem Chamula und befühlte den Stoff oder was es auch war. Erstaunt bemerkte er: „Das kenne ich doch. Mein Tuch sieht genauso aus.“ Er ging zu seinen Sachen am Lagerplatz und zog sein Bündel hervor. Nicht ohne Stolz zeigte er es Neves und Tara. „Das ist doch auch ein Chamula, oder etwa nicht?“ Neves betrachtete es prüfend, rieb den Stoff zwischen seinen Fingern und nickte. „Ja, aber eins, was ich noch nie gesehen habe.“ Mit diesen Worten faltete er das Chamula auseinander und gab es Tara. Die sah sich den Stoff ebenfalls genau an und bestätigte Neves, dass es sich um etwas Ähnliches handeln könnte. „Probier dein Chamula ruhig mal aus, Eno“, ermutigte ihn Tara, lächelte dabei aufmunternd und drückte Eno den Stoff in die Hand. Eno nahm ihn und umhüllte sich damit. Dann dachte er an Katta. Nichts geschah, nur Neves anerkennendes Nicken und Tara’s bewunderte Blicke sagten ihm, dass irgendetwas passiert sein musste. Er faltete sein Chamula zusammen und sagte: „Das kann sicher nützlich sein, wenn man sich mal verstecken muss.“ Tara nickte: „Das wird es. Ich nehme das Chamula von dem Fengo. Neves, du hast sicher nichts dagegen?“ Neves brummte nur und packte die Sachen zusammen. Während sie alle beschäftigt waren, fragte Eno Tara plötzlich leise „Bist du meine Schwester?“ Tara richtete sich auf und auch Neves hielt plötzlich inne. „Hat dir Neves also doch etwas erzählt. Dachte ich‘s mir doch. Der alte Schlawiner. Nun, man könnte mich deine ältere Schwester nennen, so wie Neves dein Bruder ist. Allerdings sind wir nicht zusammen aufgewachsen, wenn du das meinst. Wir kennen uns und wir spüren, dass wir zusammengehören. Darum nennen wir uns auch Geschwister. Fühlst du es nicht auch?“ In diesem Moment streckte Tara eine Hand aus und berührte Eno fast zärtlich im Gesicht. Es war wie bei Neves erster Berührung, als er die Salbe auf seine Haut aufgetragen hatte, gestern nach dem Kampf mit den schwarzen Männern. Danach konnte er sich so fantastisch schnell bewegen wie Neves. Mit Taras Berührung explodierte ein Blitz hinter seinen Augen und eine heiße Welle durchfuhr seinen gesamten Körper. Als er die Augen öffnete, schien alles wieder so wie früher zu sein, und doch war etwas Entscheidendes anders als sonst. Er kam nicht gleich drauf. Aber als er den Fluss entlang blickte und in weiter Entfernung eine kleine Spinne auf dem Baum ausmachen konnte, drehte er sich sprachlos zu Tara um. „Was hast du gemacht? Ich kann ja sehen wie ein Adler.“ Tara lachte hell und erwiderte: „So sehe ich schon immer die Welt. Hier, nimm den Bogen und versuch, den Tannenzapfen an dem Baum dort zu treffen.“

„Welchen Baum meinst du? Ich sehe keinen Tannenzapfen.“

„Dort auf der Lichtung die große Tanne. Streng dich an.“ Endlich sah Eno, was Tara meinte. Dieser Baum war mindestens 50 Meter entfernt. Er spannte den Bogen, dass das Holz ächzte, zielte kurz und ließ die Sehne los. Der Pfeil schoss dahin und Eno wusste schon beim Abschuss, dass er treffen würde. „Aber wie ist so was nur möglich? Ich habe noch nie mit einem Bogen geschossen.“ „Naniten, mein Junge.“

„Termiten?“, fragte Eno und verstand nicht was Neves meinte. Tara lachte und sagte „Nein. Es heißt Naniten“, verbesserte ihn Tara und fuhr fort zu erklären „Du weißt doch, was eine Maschine ist. Nimm zum Beispiel eure Mühle im Dorf. Das ist eine Maschine. Nun stell dir eine ganz Kleine vor. So klein, dass man sie nicht sieht.“ Eno wusste nicht, wie man eine Mühle so klein machen konnte, aber er hörte aufmerksam zu. „Diese Maschine baut noch eine. Dann haben wir schon zwei. Wenn diese Maschinen wiederum andere bauen, sind es bald sehr viele. Allerdings können sie viel mehr, als sich selbst reproduzieren. Man muss es ihnen nur noch sagen. Das haben Neves und ich getan, indem wir dich berührt haben. Es ist eine Initialzündung für deine Naniten. Sie wurden von uns programmiert, und jetzt sind sie deine Diener.“ Ungläubig sagte Eno; “Du meinst, ich bin voll von Maschinen, und die schwirren alle in meinem Körper herum?” Die Augen rollend antwortete Tara: „Aber natürlich, wie bei uns. Oder was glaubst du ist der Grund, warum du so schnell heilst, nicht krank wirst, dich super schnell bewegen kannst und nun auch noch Adleraugen hast?“ „Aber was soll das alles? Wer hat diese Maschinen in meinen Körper gebracht? Wer hat euch geschickt? Warum will man mich töten?“ Zum ersten Mal erlosch das Lächeln in Tara‘s Gesicht, und sie antwortete traurig: „Wir wissen es nicht. Wir sind aus einem langen Schlaf erwacht, und jemand hat uns aufgetragen, nach dir zu suchen und dich zu beschützen. Darum sind wir hier. Wir können uns gegenseitig erkennen. Du fühlst es doch sicher auch.“ Eno nickte stumm. Da war ein Gefühl der Vertrautheit unter ihnen. Es war mehr als bei Klaus oder seinem toten Bruder Walter. Ja viel intensiver noch als bei seinen Eltern. So, als ob sie sich schon ewig kannten und vielleicht stimmte das ja auch. „Wie viele von euch gibt es?“ Diesmal war es Neves, der antwortete: „Auch das wissen wir nicht, da wir an unterschiedlichen Orten erwacht sind. Man hat mir meinen Namen genannt und mir aufgetragen, nach einem Findelkind zu suchen. Also bin ich auf die Suche nach dir gegangen und es war dein Glück, dass wir uns rechtzeitig trafen.“

„Mir ging es ähnlich“, bestätigte Tara. Eno nickte verstehend, aber eigentlich verstand er rein gar nichts. Was hatte das alles mit ihm zu tun? Irgendwann würde er auch das herausfinden, aber anscheinend wussten Neves und Tara auch nicht, was ihm helfen konnte, das alles irgendwie zu verstehen. Resigniert ließ er die Schultern hängen, und sein Blick fiel auf das Messer, das so seltsam vibriert hatte. Es lag noch immer neben dem toten Fengo, keine Handspanne von der Klaue entfernt, die es gehalten hatte. Eno ging hin, bückte sich und wollte das Messer gerade aufheben, als Neves ihn zurückriss. Auch in Tara‘s erschrocken dreinblickendem Gesicht war die Sorge um Eno unverkennbar. Hastig sagte Neves: „Fass es nicht an. Es ist absolut tödlich. Es wurde auf dich programmiert und jede Hand, die es führt, wird automatisch zum Mordinstrument mit nur einem Ziel, dich zu töten. Auch deine Hand wäre so ein Instrument, und das wollen wir doch nicht, oder?“ Eno nickte nur schweigend und war im ersten Moment zu keiner Reaktion fähig. Dann fragte er tonlos: „Wie kann man es vernichten?“ „Nun, dein Anschuk müsste ausreichen. Verbrenne das Fengo und das Messer dazu.“ Eno hob seinen Stab, wünschte sich aus tiefstem Herzen, dass der Leichnam verschwinden sollte und genauso geschah es; alles, was übrigblieb, war Asche und ein Haufen Metallschlacke.

Dann holten sie die Fische und machten sich auf den Weg. Die Nacht war nun endgültig angebrochen und sie hielten sich am Flussufer. Eno fragte auf dem Weg: „Wohin gehen wir eigentlich?“ Tara antwortete: „Nicht weit von hier liegt die Stadt Trangall. Dort werden wir vielleicht auf unsere Brüder treffen. Aber wir müssen vorsichtig sein.“ Eno dacht wehmütig an seinen Bruder, mit dem er die Reise nach Trangall angetreten hatte. Das war vor ein paar Tagen und es war eine Zeit, in der die Welt noch in Ordnung war. Eno wunderte sich auch nicht mehr, dass er im Dunkeln so gut sehen konnte. Irgendwas hatten die beiden mit ihm angestellt. Sie nannten es Naniten und vielleicht waren die winzigen Maschinen doch zu etwas nütze. Dann schmunzelte Eno. Im Stillen hatte er in diesem Moment den Kampf gegen was auch immer aufgenommen.

Eno - Die Macht der Naniten

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