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Vorwort

Ist es möglich, einen tiefen Sinn ‹des Ganzen› und damit auch meiner Existenz als Mensch zu finden, ohne mich auf rational nicht beweisbare Glaubenssysteme und Theorien zu stützen? Einen Halt zu finden, der bleibt, auch wenn alles andere, einschliesslich meiner selbst, versagt hat, ohne den Verstand, das logische Denken zu leugnen? In diesem Buch beantworte ich diese Frage mit Ja und beschreibe zwei mögliche Wege, den Sinn zu finden.

Wer bin ich, dass ich mich an eine so schwierige, unter den Philosophen und Religionsgelehrten umstrittene Frage wage? Ich bin kein Philosoph und kein spiritueller Lehrer. Ein gewöhnlicher Mensch, könnte man sagen. Zwei Eigenschaften oder Antriebe fanden bei mir aber eine wahrscheinlich überdurchschnittlich starke Ausprägung:

Als Wissenschaftler und Arzt bin ich ein ‹Verstandesmensch›, der sich vom logischen Denken leiten lässt. Es ist mir wichtig, zwischen Erfahrung und objektiven Tatsachen einerseits und Hypothesen und Dogmen andererseits zu unterscheiden. Die Befreiung von Mythen und Glaubenssystemen, die seit der Aufklärung unser Denken stark geprägt hat, betrachte ich als eine grosse Errungenschaft unserer Kultur. Sie zu leugnen, wäre für mich eine Abkehr von der Wahrheit.

Der zweite Antrieb, der mich ab meinem 40. Lebensjahr begleitete, war die Suche nach dem Sinn des Lebens als eine für mich existenziell wichtige Frage. In meinen jungen Jahren hat sie mich wenig beschäftigt. Die Antwort ergab sich aus meinen Aufgaben. Meine Karriere als Forscher, meine Tätigkeit als Arzt und meine Familie spendeten mir den Sinn. Zwischen 40 und 50 habe ich begonnen, mich mit dieser Frage zu beschäftigen und philosophische Texte zu lesen. Ich wurde dabei in meiner Meinung bestätigt, dass die Naturwissenschaft – einschliesslich der Medizin, der Psychologie und der Kosmologie – nur auf einen kleinen Teil der Fragen über unsere Existenz als Menschen eine Antwort geben kann. Überrascht wurde ich hingegen durch die Tatsache, dass auch die meisten Philosophen keine befriedigenden Antworten auf diese Fragen bereithalten.

Der Zufall wollte es, dass ich in einem Fachbuch, das ich ganz unabhängig von meiner Suche las, einen Hinweis auf ein Buch fand, das mir einen Weg zeigte, der zu der Befriedigung des zweiten Antriebs geführt hat, ohne dass ich den ersten verleugnen musste.

Warum wurde dieses Buch geschrieben?

Den Sinn habe ich gefunden, weil andere Menschen berichtet haben, wie sie an den ‹Ort›, an dem die Antwort auf diese Frage zu finden ist, gelangen konnten. Heute empfinde ich es daher als meine Pflicht, die Erfahrungen auf meiner Suche und das, was mir dabei bewusst wurde, niederzuschreiben. Die Texte wurden ursprünglich für meine Kinder geschrieben. Sie sollten ihnen ermöglichen zu sehen, wie ich mich jetzt mit 74 Jahren in der Welt finde. Es ist ein Versuch, gegen Ende meines Lebens – solange und soweit meine Kräfte und Fähigkeiten reichen – festzuhalten, was für mich wichtig ist.

Mein Ziel war, das Buch so kurz wie möglich zu halten. Zugleich sollten aber die Texte einer vertieften Überprüfung standhalten können. Als Wissenschaftler bin ich es gewohnt, wichtige Feststellungen, die nicht direkt nachvollziehbar sind, zu belegen. Entweder durch Zitate namhafter Philosophen oder durch Hinweise auf die Quellen in den Fussnoten. Längere Zitate wurden in einen Anhang verlegt (Anhang C). Sie ermöglichen einen Einblick in die Originaltexte grosser Denker. Dort finden sich auch Exposés über einige im Buch angesprochene Begriffe und Themen.

Der Haupttext umfasst weniger als 40 Seiten. Es ist in diesem Sinn ein Buch, das in nicht viel mehr als einer oder zwei Stunden gelesen werden kann.

Im ersten Teil wird gezeigt, dass der Versuch, die Antwort auf die Frage des ‹Sinns des Ganzen› rational aus objektiv nachweisbaren Tatsachen abzuleiten, in einer Sackgasse, einer Sinnleere endet. Dass im Gegenteil die in der westlichen Kultur nach der Aufklärung vorherrschende Meinung, das logische Denken sei die höchste Instanz in der Suche nach Wahrheit, eine der wichtigen Ursachen des heute vielfach anzutreffenden Verlusts des Sinns ist.

Der zweite Teil beschreibt zwei mögliche Wege auf der Suche nach dem Sinn unserer Existenz: Meditation und Philosophie. Die Antwort, zu der sie führen, können wir nur erfahren, wenn wir den Weg gehen. Eine schwierige, aber an einzigartigen Erfahrungen reiche Reise antreten, auf der Menschen seit alters her die Antwort gefunden haben. Denn ein Vermitteln dieses ‹Wissens› durch Sprache, das heisst auf der Verstandesebene, ist nicht möglich. Es kann nur individuell direkt erfahren werden.

Die zwei ersten Anhänge, A und B, sind gemeint als Wegweiser für diejenigen, die einen der beiden Wege antreten wollen. Beide Wege führen über die Grenze des durch den Verstand Begreifbaren hinaus. Unser Verstand wird dabei jedoch nicht geleugnet. Es werden seine Grenzen aufgezeigt, ohne jenseits dieser Grenzen ein ideologisches Gebäude zu errichten.

Warum dieses Buch lesen?

Es könnte ein Schritt sein in Richtung grösserer persönlicher Reife.

Kinder und heranwachsende Menschen sind im Gegensatz zu den Erwachsenen von den Eltern, den schulischen Institutionen und anderen für ihre Fürsorge zuständigen Personen abhängig. Nicht nur auf der Ebene der materiellen Versorgung, sondern auch, was das Wissen anbetrifft. Wir bauen als Kinder und Jugendliche unser Wissen fast ausschliesslich auf Informationen auf, die wir glauben und als gegeben übernehmen. Wir nehmen in dieser Lebensphase das Wissen wie selbstverständlich sozusagen aus zweiter Hand auf. Meist ohne die Möglichkeit, es zu überprüfen. Auch auf der moralisch-ethischen Ebene übernehmen Kinder und Teenager – in einem Prozess, der vielen kaum bewusst wird – die Weltanschauung und die Werte der Kultur und der Zeit, in der sie gross werden.

Erwachsen sein heisst auf der materiellen Ebene, über Fähigkeiten zu verfügen, um selbstständig – unabhängig vom Elternhaus – überleben zu können. Auf der Ebene des Wissens zeichnet sich die Unabhängigkeit – das Erwachsensein – dadurch aus, dass ich selbstständig überprüfen kann, ob eine Information richtig ist. Eine reife, erwachsene Person kann sich unabhängig ein eigenes Urteil bilden. Auch wenn sie nie in der Lage sein wird, alles selbst zu überprüfen, weiss sie, wo sie sich bei für sie wichtigen Fragen Rat holen und wie sie die Zuverlässigkeit der Quellen überprüfen kann.

In Analogie zu diesen beiden Ebenen bedeutet für mich Erwachsensein – Reife – auf der existenziellen und moralischethischen Ebene, über die Fähigkeit zu verfügen, die für die Existenz des Menschen und das Menschsein wichtigen Werte selber zu erfahren und sich ihre Quellen bewusst zu machen.

Eine Metapher von Buddha drückt es so aus: «Der Gesegnete lebte einst in Kosambi im Wald der Palisanderbäume. Er las einige Blätter mit seiner Hand auf und fragte: ‹Was meint ihr, Mönche, was ist mehr, die Blätter in meiner Hand, die ich aufgelesen habe, oder jene an den Bäumen im Wald?›

‹Die Blätter in deiner Hand, Meister, sind nur wenige; jene im Wald sind viel mehr.›

‹So ist es, Mönche. Die Dinge, die ich durch direkte Erkenntnis weiss, sind mehr; die, welche ich euch gesagt habe, sind nur wenige.›»1

Bildlich mithilfe dieses Gleichnisses ausgedrückt, heisst Erwachsensein, nicht nur die wenigen Blätter aus der Hand der anderen zu erhalten, sondern den Wald in sich selbst zum Wachsen zu bringen.

Das ist eines der zentralen Anliegen der beiden in diesem Buch beschriebenen Wege Meditation und Philosophie. In diesem Sinn kann ihr Kennenlernen ein Schritt in Richtung grösserer persönlicher Reife sein.

Samuel Vožeh

1 Samyutta Nikaya 56: 31, p. 437-437. Zitiert aus: «The life of the Buddha». Hrsg. Bhikhu Nanamoli (Osbert Moore), Buddhist Publication Society, Sri Lanka, 1992, p. 206. (Übersetzung aus dem Englischen durch den Autor.)

Suche nach (verlorenem) Sinn

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