Читать книгу Fühl, was du fühlst - Sandra Andrea Huber - Страница 5
2 – Montagstrauma
ОглавлениеZu meinem Entsetzen verlaufen die folgenden Nächte nicht viel anders. Samstag und Sonntag war es einigermaßen zu verkraften, erst spät eingeschlafen zu sein und nicht die erholsamste Nachtruhe gehabt zu haben. Immerhin konnte ich tagsüber faul auf dem Sofa herumlungern, weil niemand etwas von mir wollte – bis auf meinen Kater. Dafür trifft mich der Montagmorgen mit voller und unbarmherziger Wucht.
Als mein Handy mich aus dem Schlaf reißt, ist mein erster Impuls der, es gegen die Wand zu werfen. Dass dabei nicht nur mein Wecker sondern auch meine mobile Kommunikationsmöglichkeit draufginge, ist mir herzlich egal. Sogar den von Bruno Mars gesungenen Lazy Song, der als mein morgendlicher Gute-Laune-Weckruf herhält, empfinde ich als barbarisch und quälend, weswegen ich dem Sänger die Pest an den Hals wünsche, während ich mich aus dem Bett kämpfe.
Aus dem Badezimmerspiegel blickt mir ein verschlafenes Gesicht mit dem Hauch von Schatten unter den Augen entgegen. Mein Haar ist vom Hin- und Herwälzen zerzaust, ebenso der Pony. Ich kämme beides in Form, binde mir einen Zopf und föhne die Stirnpartie noch kurz mit einer Rundbürste zurecht, dann lasse ich es gut sein. Das Frühstück schenke ich mir, wie meist. Den ersten Kaffee gibt es manchmal Zuhause, manchmal im Büro.
So oft, wie ich die Strecke zur Arbeit inzwischen gefahren bin, könnte ich sie bestimmt auch mit verbundenen Augen zurücklegen. Das kommt mir heute, da ich mir wie eine Schlafwandlerin vorkomme, zu Gute. Geistesgegenwärtig genug, um ins Pedal zu treten, weil sich mal wieder jemand vor mich drängelt, bin ich aber dennoch. Geübt ist eben geübt. Es gibt wohl kaum einen größeren Straßenkrieg als den des morgen- oder abendlichen Berufsverkehrs. In Bayerns Großstädten nimmt die Fortbewegung und Parkplatzsuche nochmals andere Ausmaße ein – zudem muss man sich die Fahrbahn auch noch mit der Straßenbahn teilen. Der zäh fließende Verkehr und das Durcheinander von Autos, Fahrrädern, Motorrollern und Fußgängern, wenn die Audi Schichtwechsel hat, kann man jedoch ohne weiteres der Situation von Ballungsgebieten gleichsetzen. Ein Glück, dass ich das weitläufige Gelände des Industriegiganten umfahren und mir den Verkehrsinfarkt ersparen kann.
Nach knapp zwanzig Minuten erreiche ich das Gewerbegebiet Süd mitsamt seiner Möbelhäuser, Elektro- und Baumärkte und Discounter, mittendrin der mehrstöckige Gebäudekomplex, in dem sich die Büroräume der Redaktion befinden.
Nachdem ich meinen Fiat geparkt und mich das kurze Stück zum Eingang geschleppt habe, erklimme ich die Stufen in den ersten Stock, laufe am Empfangstresen vorbei und grüße Margarete, ehe ich die Gemeinschaftsküche anvisiere.
Im Stillen danke ich meinem Chef für den dort stehenden Kaffeevollautomaten, mit dem sich allerlei Leckereien zaubern lassen auch, wenn ich heute von einer schlichten Tasse schwarzem Kaffee Gebrauch mache (Anne schimpft immer, dass es in der Kanzlei nur Filterkaffee gibt). Pur und unverdünnt wirkt das Koffein am besten und ich werde, da bin ich mir angesichts meiner schweren Augenlider sicher, jede Menge brauchen, um meine Aufgaben zu erledigen.
Auf dem Weg ins Großraumbüro kommt mir Tom, einer der wenigen männlichen Mitarbeiter entgegen, ziemlich wichtig und ziemlich in Eile, wie es scheint.
„Ist die Chefin schon im Haus?“, fordert er ohne jede Einleitung von mir zu wissen.
„Dir auch einen guten Morgen“, antworte ich betont freundlich und lasse mir noch einen Moment Zeit, ehe ich hinzufüge: „Keine Ahnung, ich bin selbst erst gekommen.“
„Weißt du, ob sie heute Vormittag einen Termin hat?
Wie kommt er nur darauf, dass ich ihren Kalender im Kopf habe? „Am besten wird sein, du fragst Margarete.“
Tom sondert ein Brummen ab, das sehr nach Unzufriedenheit klingt, stubst seine Brille zurecht und zieht ohne ein weiteres Wort von dannen – und zwar nicht in Richtung Empfang und Margarete, sondern in die, aus der er gerade gekommen ist.
Ich sehe ihm stirnrunzelnd hinterher. Eigentlich ist er ein umgänglicher und netter Enddreißiger mit Hang zu Geheimratsecken, mit dem man sich vernünftig unterhalten kann. In letzter Zeit erwische ich mich jedoch immer häufiger bei dem Gedanken eine Sahnetorte zu kaufen und sie ihm ins Gesicht zu drücken. Nicht nur, weil es überaus amüsant wäre, sondern weil es ihn vielleicht auch von seinem hohen Ross holen würde. Seit er neulich ein Interview mit Til Schweiger geführt hat – im Zuge von dessen Honig im Kopf-Tour -, fällt er nämlich durch das Raster der üblichen Höflichkeiten und Umgangsformen.
Für mich sieht das ganz nach einem Fall von Höhenflug aus. Mal sehen, wie die Landung ausfällt – sofern sie denn anfällt.
Was für ein Glück, dass Joanna nicht auf Klatsch sondern auf Themen wie Psychologie, Mode, Beauty und Food spezialisiert ist, ansprechende Reportagen aus dem Leben schreibt und von Zeit zu Zeit mit hochkarätigen Interviews und Porträts der VIPs aufwartet. Gemessen an Inhalt und Aufmachung könnte man das Magazin wohl irgendwo zwischen Tina und Brigitte einordnen. Dass die einzelnen Artikel und das Cover einen ansprechenden Eindruck machen, fällt in meinen Aufgabenbereich.
Ich habe noch nicht die Hälfte meiner eingegangen E-Mail gelesen, da ist mein Kaffee bereits alle, sodass ich mich abermals in die Küche aufmache, um mir Nachschub zu holen.
Auf dem Rückweg sticht mir die typisch gelbe Postkluft ins Auge, weswegen ich kehrtmache und den Empfang ansteure. Ich erwidere den Gruß des blondhaarigen Boten, dann wende ich mich an Margarete. „Ist was für mich dabei? Vor einer Woche habe ich Papiermuster angefordert und langsam könnten sie wirklich da sein.“
Unsere Empfangsdame wartet einen Moment, bis der Bote außer Reichweite ist, dann sagt sie: „Du weißt schon, dass er dich jedes Mal überaus interessiert ansieht? Wenn du mich fragst, traut er sich nicht dich nach einem Date zu fragen und wartet hoffnungsvoll darauf, dass du ihn ansprichst – oder ihm zumindest mal ein wenig Aufmerksamkeit schenkst.“
„Aufmerksamkeit? Date?“, wiederhole ich irritiert und sehe mit gerunzelter Stirn in Richtung Glastür, durch die das Objekt unseres Gesprächs gerade verschwunden ist. „Das bildest du dir ein. Wahrscheinlich war er nur neidisch auf meinen Kaffee.“ Ich grinse.
Meine Kollegin schüttelt den Kopf. „Er steht auf dich, da würde ich drauf wetten.“
„Ach was, er ist einfach nur freundlich.“ Ich deute auf den Stapel Briefe. „Ist nun etwas für mich dabei oder nicht?“ Bei dem Tempo, in dem ich heute vorankomme, gilt es keine Zeit zu vertrödeln.
Margarete rollt mit den Augen, fischt schließlich ein großes Kuvert heraus und hält es mir entgegen.
Ich bin fast an meinem Arbeitsplatz, da biegt Susanne, unsere Food-Redakteurin, um die Ecke, fasst mich ins Auge und steuert zielsicher auf mich zu.
„Hallo Hannah.“
„Hallo Susanne“, grüße ich zurück, während ich meine Tasse abstelle, wieder aufsehe und mich an einem munteren Lächeln versuche.
„Schönes Wochenende gehabt?“
„Ja, prima, und bei dir?“
„Ich war mit Hannes und den Jungs im Schwimmbad.“
„Im Freibad?“
Susanne schüttelt den Kopf. „Nein, das macht erst in zwei, drei Wochen auf. Die Eröffnung ist immer gegen Ende Mai, wenn ich mich nicht irre.“
„Wahrscheinlich gut so.“ Ich erinnere mich an Freitagabend und verspüre unwillkürlich ein Frösteln auf den Armen. „War´s schön?“
„Kinder und Wasser sind eigentlich immer eine gute Kombi – insbesondere, wenn das Schwimmbad über eine Riesenrutsche verfügt. Ich bin tatsächlich dazu gekommen ein paar Seiten zu lesen, während Hannes sich in die Sauna verzogen hat. Alles in allem ein gelungener Familientag. Allerdings“, sie zieht eine kleine Grimasse, „hatte ich nicht mit dem Tischgespräch am Abend gerechnet.“
„Was war denn?“
„Meine drei Männer haben mir vorgehalten, ich würde sie dick machen und ihnen die Badehosenfigur ruinieren.“
„Ach was.“
„Doch, wirklich. Ich sei schuld, weil ich ständig so viel koche und backe. Deswegen soll ich mich die nächste Zeit zurückhalten, insbesondere was Süßkram angeht.“
„Das haben sie tatsächlich gesagt? Und ernst gemeint?“ Ich bin immer wieder aufs Neue von den Berichten meiner Kollegin erstaunt und amüsiert. Ihre Familie ist ein wahrer Fundus abenteuerlicher Geschichten.
Susanne nickt. „Und ob. Allerdings lässt mein Mann gern unter den Tisch fallen, dass er sein Bäuchlein nicht erst hat, seit wir verheiratet sind, sondern schon früher, als wir uns kennengelernt haben, zu Bauchspeck geneigt hat.“ Sie stößt ein rügendes und zugleich liebevolles Seufzen aus. „Aber natürlich ist es einfacher, jeden Sonntag Schweinebraten mit Kruste zu verlangen und es anschließend der Ehefrau in die Schuhe zu schieben, wenn man Fett ansetzt.“
„Aber ist es nicht ein bisschen früh für Diätgedanken? Deine Jungs haben doch noch nicht mal Haare auf der Brust.“
„Ob es zu früh ist, sich um den Sitz der Badehose Gedanken zu machen? Wohl eher nicht. Selbst kleine Männer wollen das weibliche Geschlecht beeindrucken. Du würdest dich wundern, auf was die sonst noch alles achten.“ Sie seufzt; ich wiederrum grinse.
Im nächsten Moment gähne ich ausgiebig und versinke in einem kurzen, sehnsüchtigen Tagtraum, in dem mein Bett die Hauptrolle spielt.
„Alles klar? Du siehst etwas zerknautscht aus.“
„Ich habe nicht sonderlich gut geschlafen“, erwidere ich mit einer wegwischenden Handbewegung, „das ist alles.“
„Schlafprobleme sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, das kann chronisch werden.“
„Das liegt bestimmt nur an der Jahreszeit. Du weißt schon, innere Uhr, Sommerzeit und so.“
Ich habe die Neuigkeit von Annes Schwangerschaft schon halb auf den Lippen, als ich es mir nochmals anders überlege und sie wieder hinunterschlucke. Wenn ich Susanne davon erzähle, will sie sich darüber unterhalten – allerdings ist mir nicht danach, mich darüber auszutauschen. Zudem fällt mir keine plausible Erklärung ein, warum ich wegen der Schwangerschaft meiner besten Freundin schlecht schlafen sollte.
„Es ist wirklich alles in bester Ordnung“, versichere ich meiner Kollegin abermals, obwohl ich vage spüre, dass irgendetwas nicht in bester Ordnung ist. Was genau, das ist die eine Million-Euro-Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob die Antwort ihren Preis wert. Etwas daran kommt mir faul vor, so als wäre es eine Mogelpackung.
Allem Anschein nach ist mir meine Uneinigkeit anzuhören – oder anzusehen. Susanne wirkt nicht gänzlich überzeugt. Vielleicht schlägt aber auch nur ihr spezieller Radar an.
Offiziell ist sie unsere Küchenmamsell, doch könnte sie abseits von Backschürze und Pfannenwender ebenso brillieren. Letztes Jahr hat ihr der Praktikant innerhalb der ersten Woche offenbart, dass er schwul ist, was nur halb so spektakulär gewesen wäre, wäre es nicht sein erstes offizielles Outing gewesen. Wenn es interessante Neuigkeiten oder Geheimnisse gibt, ist Susanne die Erste, die Fährte aufnimmt.
Einerseits bewundere ich sie für dieses Talent, andererseits ist man genötigt abzuwägen, was man ihr erzählt und was nicht. Immerhin existiert zwischen Arbeit und Privatleben eine kleine Grenze, selbst wenn man befreundet ist. Was mich angeht, gibt es jedoch nicht viel, was mir gewollt oder ungewollt herausrutschen könnte. Einfach deswegen, weil ich keine Leichen im Keller habe.
Ich kann Susanne von den aktuellen Kinofilmen vorschwärmen (Anne und ich gehen häufiger ins Kino), ihr von dem Fotokurs erzählen, den ich an der Volkshochschule besucht habe oder davon, dass man um den Chinesen, der kürzlich im Nordviertel eröffnet hat, lieber einen Bogen machen sollte. Aber, abgesehen davon? Die letzte große Neuigkeit, von der ich zu berichten hatte, war, dass Anne heiratet und meine Schwester einen neuen Freund hat.
Wer nun denkt, Susanne nutze ihr Insiderwissen für die dunkle Seite, der irrt. Neben ihrem guten Gespür für Menschen hat sie eine extrem ausgeprägte soziale Ader, die sie mit Schokoladenkuchen, Makronen oder Petit Fours krönt.
Wahrscheinlich ist letzteres das Geheimnis, beziehungsweise die Erklärung für ihr Talent Dinge in Erfahrung zu bringen: Gib Frauen etwas Süßes und sie geben dir, was du von ihnen haben oder wissen willst. Was für ein Glück, dass Susanne das Herz am richtigen Fleck trägt und kein Mann ist.
Eine leichte Gänsehaut angesichts der unheilvollen Vorstellung einer Susanne im Männerpelz verspürend, lasse ich mich auf meinen Bürostuhl fallen und bringe ein anderes Gesprächsthema ins Spiel. „Gibt es heute etwas Leckeres aus der Genussküche?“
Bei diesen Worten erhellt sich Susannes Gesicht. „Aber hallo! Gerade habe ich eine Apfeltarte mit Lavendel, Honig und Calvados in den Backofen geschoben. Sobald sie fertig ist, bekommst du das erste Stück. Das hebt dein Energielevel ganz bestimmt, egal was oder wer dir den Schlaf geraubt hat.“ Sie zwinkert mir zu.
Weil ich keine Lust verspüre, ihre Anspielung zu vertiefen, und ohnehin nicht weiß, was ich als Grund für meine Verfassung angeben soll, kommentiere ich ihre Worte lediglich mit einem neutralen Lächeln.
Ich werde ein letztes Mal mit einem wohlwollenden Blick bedacht, dann macht sich meine Kollegin davon, immerhin hat sie eine essbare Ausgabe der Provence im Ofen.