Читать книгу Lost Treasure - Sandra Pollmeier - Страница 8

4

Оглавление

Die nächsten drei Tage zogen sich endlos in die Länge. Weil wir uns versteckt halten mussten, verließen wir nicht das Haus, und ich verbrachte die meiste Zeit damit, aus dem Fenster in den nicht enden wollenden Regen zu starren. Brav meldete ich mich jeden Nachmittag bei Marvin und unterhielt mich mit ihm über Stellas immer noch besorgniserregenden Gesundheitszustand oder mutmaßte darüber, was mit Dr. Potter geschehen sein mochte. Wir waren uns beide einig, dass es merkwürdig war, dass der Friedhofs-Killer sich für Dr. Potter ausgegeben hatte, wenn dieser mit den unbekannten Schatz-Jägern unter einer Decke steckte. Wer war die tote Frau und warum lag sie in seinem Gartenteich? Irgendwie drehten wir uns nur im Kreis und kamen der Lösung des Rätsels keinen Deut näher. Ben verbrachte viel Zeit mit Julie und wechselte nur wenige Worte mit mir. Ich hatte jedes Mal, wenn er mich ansah, das Gefühl, dass er mich argwöhnisch musterte. Saß ich am Tisch und las, spürte ich, wie er mich beobachtete, doch schaute ich auf, so wandte er sich etwas anderem zu. Und dann, am Montagmorgen, acht Tage, nachdem unsere Odyssee begonnen hatte, bekamen wir Besuch von einem alten Bekannten.

Ich hatte das Klingeln an der Tür nicht gehört und erschrak, als ich das Wohnzimmer betrat und mir Linus Van Houwers entgegengrinste. „Da ist ja die kleine Sofia!“ rief er, strahlte mich mit seinen makellos weißen Zähnen an und klopfte auf den freien Platz neben sich. „Setz´ dich zu mir, Mädchen, und erzähl mir, wie dir Amsterdam gefällt.“

Julies Blick blieb gleichmütig, aber Ben wirkte angespannt und nervös. Er öffnete seinen Mund, als wolle er Linus zurechtweisen, doch dann verkniff er es sich und griff stattdessen nach dem Wasserglas, das vor ihm auf dem massiven Marmortisch stand. Etwas verunsichert nahm ich neben Van Houwers auf dem Sofa Platz, weniger, weil ich ihn mochte, sondern eher, weil dies der einzige noch freie Platz war. Der Klubbesitzer lächelte zufrieden und legte lässig seinen rechten Arm über die Rückenlehne hinter meinem Kopf. Mit einem abfälligen Schnauben presste Ben die Lippen aufeinander. „Du hast mir noch nicht geantwortet, Schätzchen.“ Linus grinste selbstgefällig und einen Moment lang musste ich überlegen, was denn seine Frage war. Seine eisblauen Augen sahen mich herausfordernd an und seine Mundwinkel zuckten spöttisch. „Ich hab´ noch nicht viel von Amsterdam gesehen“, antwortete ich knapp.

„Hm“, machte Van Houwers, schnappte sich eine meiner langen Locken und drehte sie um den Finger. „Das ist aber schade! Es gibt so viele interessante Sachen hier. Wenn du magst, zeige ich dir die Stadt. Nur dir.“ Er schenkte mir ein verführerisches Lächeln.

„Das reicht jetzt, Linus!“, warnte Ben mit drohendem Unterton, doch Linus würdigte ihn keines Blickes. Stattdessen streckte er seine sehnige, mit schweren Silberringen geschmückte Hand aus und strich mit seinem Zeigefinger ganz langsam die Konturen meines Schlüsselbeins nach. Ich zuckte zurück, doch Linus griff nach meiner Kette und begutachtete den roten Stein, den mein Vater mir von seiner letzten Expedition mitgebracht hatte.

„Sieh da! Ein echter, handgeschliffener Rubin“, bemerkte er fachmännisch, „ein teures Schmuckstück für ein kleines Mädchen wie dich!“

Verärgert zog ich ihm die Kette aus der Hand und rutschte ein Stück von ihm ab. Was fiel diesem Kerl ein, mich so unverschämt anzugraben? Seine Selbstsicherheit grenzte schon an Arroganz. Doch während ich mich nur ärgerte, schien Ben innerlich zu kochen. Beruhigend legte Julie ihre Hand auf seine Schulter und drückte ihn in seinen Sessel zurück. Wir brauchten Linus´ Hilfe - diese Tatsache schien dem Klubbesitzer Genugtuung zu bereiten.

Julie stand auf, öffnete einen Glasschrank und stelle eine Flasche Whiskey auf den Tisch. Linus warf ihr ein flüchtiges Lächeln zu, dann goss er sich sein Glas halb voll. „Nun ja, ich glaube, ihr wollt etwas anderes von mir hören. Tja, die jungen Leute, immer in Eile und keine Zeit für Konversation. Na, egal …“ Mit einer dramatischen Geste zog Linus einen Umschlag unter seiner abgelegten Lederjacke hervor und schob ihn quer über den Tisch. Ben zog das Kuvert zu sich herüber und öffnete es. Zum Vorschein kamen zwei deutsche Reisepässe. „Die solltet ihr allerdings nicht am Flughafen benutzen“, lauernd sah er Ben an, der nur mit den Schultern zuckte. „Machen wir nicht, keine Sorge.“

Des Weiteren enthielt der Umschlag ein Bündel Hundert Euro-Scheine und eine Hand voll Fotos, deren Sinn ich nicht erkennen konnte. Zuerst warf Ben einen flüchtigen Blick in die beiden Pässe und gab dabei ein kurzes, abfälliges Schnaufen von sich. „Frida und Ferdinand von Freese“, las er kopfschüttelnd vor, „wirklich ganz toll, Linus.“ Linus räkelte sich sichtlich amüsiert auf der Couch und faltete seine langen Finger hinter dem Kopf zusammen.

„Hey, ihr habt nicht gesagt, wie ihr heißen wollt. Da hab´ ich halt meiner kreativen Ader freien Lauf gelassen. Gefällt dir das nicht, Benni?“

Kommentarlos warf Ben die Pässe zurück auf den Tisch und schnappte sich die Fotos. „Wer ist das?“, fragte ich, als ich einen Mann mit schwarzem Anzug und grauen Haaren erkennen konnte, und beugte mich zu Ben herüber. „Das, meine Kleine, ist eine gute Frage“, entgegnete Linus mit dunklem Unterton und zog seine linke Augenbraue vielsagend in die Höhe. „Der Kerl nennt sich Gideon und verdient sein Geld damit, bedauernswerten Menschen … na sagen wir mal – das Licht auszuknipsen. Und in diesem Job hat er schon reichliche Erfahrungen sammeln können. Also gebt ihm besser seine Knarre zurück, er wird nicht erfreut darüber sein, dass ihr sie ihm abgenommen habt.“

Ohne ein Wort sahen Ben und ich uns an. Wahrscheinlich würde sich dieser Mann über nichts mehr aufregen können. Und wenn doch, hatten wir einen erfahrenen Killer am Hals. Natürlich bemerkte Van Houwers unsere Blicke und musterte mich eindringlich. „Also, es geht mich ja nichts an … aber ihr braucht eine neue Identität und tragt die Kanone eines Profikillers mit euch herum – was hast du angestellt, Benni?“

Angespannt trommelte Ben mit einem der Reisepässe auf der Tischplatte herum. „Du erwartest wohl kaum eine Antwort auf deine Frage“, erwiderte er, ohne Linus anzusehen. Seine Miene war wie aus Stein gemeißelt.

„Man kann es ja mal versuchen“, witzelte Linus unbekümmert und blinzelte mir dabei aufmunternd zu. Aber zum Spaßen war mir nun wirklich nicht zumute. Mit zitternden Fingern hielt ich das Foto des Mannes in der Hand, der mich vor wenigen Tagen beinahe erschossen hatte. „Für wen arbeitet dieser Gideon?“

Langsam zog Ben das Foto aus meiner Hand. Es hatte einen Knick in der Mitte, anscheinend hatte ich es zu stark gedrückt. „Für niemanden“, entgegnete Linus mit einem Achselzucken. „Wie es aussieht, ist er sein eigener Herr und lässt sich von gut zahlenden Kunden individuell buchen. Alles läuft über Beziehungen, Mundpropaganda. Er ist viel zu gut in seinem Fach, als dass er sich an eine einzige Organisation binden würde.“ Linus zündete sich lässig eine Zigarette an und warf Ben die geöffnete Packung zu. Doch dieser ignorierte Linus´ Geste und schob die Packung kommentarlos zur Seite.

„So gut war dieser Gideon wohl doch nicht“, dachte ich, doch natürlich sprach ich es nicht aus, denn Linus war sicherlich der letzte Mann auf der Welt, dem wir unser Geheimnis anvertrauen sollten.

„Also keine Mafia, kein anderes Syndikat?“ Bens Stimme klang gepresst, doch Linus schüttelte voller Überzeugung den Kopf.

„Sicher nicht. Meine Quellen sind zuverlässig. Es war nicht einfach, etwas über den Kerl zu erfahren. Wie ihr euch vorstellen könnt, hat er keinen offiziellen Waffenschein für sein Arbeitsgerät. Ich musste da schon etwas tiefer graben … Aber was tut man nicht alles für einen guten, alten Freund.“

Ben lachte spöttisch auf, dann warf er das Foto mit verärgerter Miene zurück auf den Tisch. „Also wissen wir nichts. Fantastisch“, murmelte er mehr zu sich selbst als zu Linus. Einen kurzen Moment lang herrschte angespannte Stille. Linus´ Stirn lag in Falten und man konnte in seinem Gesicht förmlich lesen, dass er unzufrieden darüber war, nicht zu wissen, was hier eigentlich vor sich ging. Doch es war offensichtlich, dass Ben keine Anstalten machen würde, ihm unsere Situation zu erklären.

„O.K.“, seufzte Linus schließlich enttäuscht und tätschelte mit gespielter Anteilnahme mein Knie. „Ich wünsche euch alles Gute. Meine Schuld ist beglichen, wir sind quitt, Benni. Also, was immer ihr vorhabt, ich drück´ euch die Daumen, dass ihr klarkommt.“ Linus stand auf und hielt Ben dabei seine mit Ringen geschmückte Hand entgegen. Natürlich dachte Ben nicht im Traum daran, Linus´ Hand zu schütteln, und so zog dieser sie schließlich zurück. Dann wuschelte er mir durch die Haare, als wolle er einem Hund durchs Fell kraulen, und verschwand ohne weitere Worte.

„Drecksack“, fluchte Ben vor sich hin, kaum dass er die Tür hatte zuschlagen hören, und schnappte sich jetzt doch eine Zigarette. Vermutlich hatte es ihn große Überwindung gekostet, sich vor Linus zusammenzureißen. Irgendwie war es mir mir suspekt, dass Ben diesen Linus nicht leiden konnte. Klar, der Kerl war ein selbstverliebter Egomane, aber irgendwie hatte das auch einen gewissen Reiz. Unfreundlich war Linus zumindest nicht. Ben jedoch hegte einen tiefsitzenden Groll gegen seinen alten Boss. Woran das wohl lag? Aber es blieb mir keine Zeit darüber nachzudenken, denn bevor ich Ben fragen konnte, war dieser auch schon aufgesprungen und zur Tür heraus.

Vermutlich hatte Julie meinen verblüfften Blick wahrgenommen, denn sie setzte sich neben mich und streichelte mir mit verlegenem Blick aufmunternd über den Rücken.

„Linus und Ben sind wohl nicht gerade beste Freunde, was?“, stellte ich trocken fest.

Julie schüttelte den Kopf und schenkte mir ein müdes Lächeln. Irgendwie war sie mir heute sympathischer als sonst. Bens alte Freundin trug ausnahmsweise Jeans und T-Shirt, ihre kastanienroten Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Mit der divenhaften Schönheit, die ich im Metropolis kennengelernt hatte, hatte sie nicht mehr viel gemein. Das sollte nicht heißen, dass Julie nicht immer noch eine außergewöhnlich schöne Frau war – aber jetzt wirkte sie natürlicher und freundlicher.

„Warum kann Ben ihn nicht leiden?“, hakte ich nach, während Julie aus ihren Hausschuhen schlüpfte und ihre perfekt pedikürten Füße auf den gegenüberstehenden Sessel legte. „Ach, Sofia, das ist eine komplizierte Geschichte. Das muss Ben dir selbst erzählen. Ich will mich da nicht einmischen.“ Julie wirkte müde und irgendwie traurig. Für einen Moment starrte sie geistesabwesend aus dem Fenster, doch dann fing sie sich wieder und lächelte mich aufmunternd an. „Komm, wir machen uns einen schönen Tag und gehen einkaufen. Du brauchst was zum Anziehen, wenn ihr uns so bald wieder verlassen wollt. Wir machen jetzt einen richtigen Frauentag!“ Elegant wie eine Katze sprang Julie vom Sofa auf und zog mich an beiden Händen zu sich nach oben. So ganz wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. In den letzten Tagen hatte ich die Wohnung nicht einmal zum Luft schnappen verlassen dürfen und nun wollte Julie mit mir shoppen gehen?

Doch während ich noch unschlüssig „Ich weiß nicht…“, murmelte, war Julie schon in ihrer Ankleideecke verschwunden und hatte sich ein cremefarbenes Kopftuch und eine dunkle, riesige Sonnenbrille geschnappt. „Keine Angst, wir verkleiden dich. Niemand wird dich erkennen, Schatz. Glaub mir, ich bin eine Meisterin der Verkleidung! Außerdem gehen wir zum Friseur. Du musst deinem Passbild noch etwas ähnlicher werden.“ Mit einer beiläufigen Handbewegung warf sie mir den gefälschten Reisepass zu. Als ich das Buch aufklappte, musste ich schlucken. Das war doch nicht ich! Oder doch? Die junge Frau, die mich auf dem Foto anschaute, sah mir irgendwie ähnlich – und doch war sie ein komplett anderer Mensch. „Er hat eure Passfotos digital bearbeitet. Das ist ganz leicht. Hat etwas die Haare verändert, etwas mehr Rouge auf die Wangen und so. Das macht schon viel aus. Schließlich soll man euch ja nicht sofort wiedererkennen.“ Julie trällerte das so leicht und locker vor sich hin, als ob sie davon redete, wie schön mein neues Paar Schuhe sei. Doch für mich bedeutete dieser Pass viel mehr: Nachdem ich in so kurzer Zeit meinen Vater, meine besten Freunde und mein Zuhause verloren hatte, würde ich jetzt das Letzte aufgeben, das noch aus meinem alten Leben übrig geblieben war: mich selbst.

„Blond steht dir gut finde ich. Ich habe da einen tollen Friseur. Der bekommt den Schnitt genauso hin. Ein paar Strähnchen, damit die Farbe natürlicher wirkt. Und wegen der Sachen mach dir keine Gedanken. Die zahlt alle Linus!“ Strahlend zückte Julie eine goldene Kreditkarte und winkte mir damit zu. Ich ergab mich in mein Schicksal. Was sollte ich auch anderes tun? Julie hatte Recht - wenn wir schon vorgaben, jemand anderes zu sein, dann mussten wir auch so aussehen. Als wir aus der Wohnung verschwanden, streifte mein Blick den Spiegel neben der Eingangstür. „Mach´s gut, Sofia“, dachte ich. „So bald werden wir uns wohl nicht mehr wiedersehen.“

Lost Treasure

Подняться наверх