Читать книгу Lesesommer 2019 - Romane und Kurzgeschichten großer Autoren - Sandy Palmer - Страница 8

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Seit drei Tagen regnete es ununterbrochen, und das elend schlechte Wetter ging allen so langsam auf den Geist. Die Stimmung in Johannas Büro, wo sie als Chefdesignerin für einen großen Modekonzern arbeitete, war dementsprechend angespannt und schlecht. Dazu kam, dass eine Stofflieferung, auf die sie dringend warteten, nicht geliefert worden war. Diese Verzögerung war nicht nur ärgerlich, sondern würde sie auch viel Geld kosten.

Johanna war sich bewusst, dass sie dringend Urlaub brauchte. Deshalb war die Einladung ihrer besten Freundin, die in Kanada lebte, der größte Lichtblick seit Tagen.

Leider konnte Arthur ihre Begeisterung nicht teilen. Im Gegenteil, er machte ihr die Aussicht auf die Reise über den großen Teich mehr als mies.

„Du bist komplett durchgeknallt, Johanna! Woher kommt denn jetzt diese verrückte Idee?“

„Wieso? Was meinst du?“ Johanna tat betont harmlos. Dass es ihr sehr gut gelang, ließ auf jahrelange Übung schließen. Doch Arthur, der schon mit ihr die Schulbank gedrückt hatte, war nicht zu täuschen.

„Stell dich nicht dümmer als du bist“, fauchte er, und seine an sich blasse Gesichtshaut rötete sich. Dazu flackerten seine Augenlider, wie immer, wenn er aufgewühlt war. „Du weißt genau, was ich meine. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass wir zusammen in die Türkei oder nach Spanien fahren. Und was machst du - wirfst einfach das ganze Programm über den Haufen und buchst zwei Wochen Vancouver. Verrückt ist das. Komplett verrückt! Und mir gegenüber wirklich unverschämt. Du hättest das mit mir bereden müssen. Schließlich weißt du genau, dass ich mit meinen Geldmitteln haushalten muss.“

„Du verkennst da was“, gab Johanna, jetzt auch wütend, zurück. „Ich hatte nicht vor, mit dir zusammen zu fliegen. Unseren gemeinsamen Urlaub müssen wir verschieben.“

„Was?“ Fassungslos sah er sie an.

Johanna zuckte mit den Schultern. „Du weißt genau, dass es Gründe für meine Entscheidung gibt. Schließlich heiratet meine allerbeste Freundin einen Banker aus Vancouver. Und das Hochzeitsfest will ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.“

„Was gehen mich deine reichen Bekannten an“, fauchte Arthur. „Und diese Freundin interessiert schon gar nicht.“ Er stellte sich ans Fenster, schaute in den Dauerregen und presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Er kannte Johannas Freundin Stefanie auch schon seit Jahren - und mochte sie ebenso wenig leiden wie Zahnschmerzen. Stefanie war klug, emanzipiert und höchst wohlhabend. Ein Verwandter zweiten Grades, den sie nur als kleines Mädchen einmal gesehen hatte, war vor fünf Jahren verstorben und hatte ihr, seiner einzigen Verwandten, ein Vermögen hinterlassen. Sogar nach Abzug der nicht geringen Erbschaftssteuer ließ sich damit sehr gut leben.

Seit einem Jahr hielt Stefanie sich in Vancouver auf, hatte dort ein Geschäft für Luxusartikel eröffnet.

Arthur hingegen kam aus einfachsten Verhältnissen, alles, was er besaß, hatte er sich selbst mühevoll erarbeitet. Statt stolz auf das Erreichte als Architekt zu sein, quälte er sich jedoch immer noch mit Minderwertigkeitskomplexen herum.

Johanna, die seinen Background kannte, hatte zunächst alles versucht, um ihm diese Komplexe zu nehmen, doch vergeblich.

„Ich komme auch aus einem Elternhaus, in dem man genau rechnen musste“, hatte sie stets gesagt. „Auf Rosen gebettet waren wir nie, das weißt du. Und dass ich jetzt als Designerin ganz gut verdiene, ist ein Glücksfall.“

„Du hast nie so eingeschränkt leben müssen wie ich. Und seit du für Stefanie arbeiten kannst, bist du aus allem Groben raus.“ Er hatte in für ihn typischer Manier die Lippen zusammengepresst. „Freundschaft ist eben viel wert - und Beziehungen alles.“

„Na und? Stefanie weiß meine Arbeiten zu schätzen. Und nicht nur sie - zum Glück. Auch ihre Kundschaft scheint meine Sachen zu mögen. Aber auch dir geht es doch gut.“ Sie wollte keinen Streit und bemühte sich wieder einmal um Harmonie. „Jetzt musst du dich nicht mehr einschränken. Dein Job bei Karstensen und Co. wird gut bezahlt und...“

„Ach, der Job...“ Arthur hatte deprimiert abgewinkt. „Der ist auch nicht das Wahre.“

Schließlich hatte Johanna es aufgegeben, Arthur aufzubauen. Doch ihre Liebe, die schon in der Abiturklasse begonnen hatte, begann immer mehr zu bröckeln. Stefanie war daran nicht ganz unschuldig. Sie hatte der Freundin oft vorgeworfen, sich von Arthur das Leben vermiesen zu lassen.

„Du bist erfolgreich, bildhübsch und klug“, hatte sie erst vor kurzem wieder am Telefon gesagt. „Lass den Kerl endlich sausen, Johanna. Dein Geschäft floriert, du kannst sehr gut auf eigenen Füßen stehen und musst dich nicht mit einem solchen Miespriem belasten.“

„Er kann auch sehr, sehr lieb sein.“

„Ja. Und er klammert sich an dich wie eine Klette.“ Stefanie machte wieder einmal keinen Hehl aus ihrer Abneigung. „Komm zu unserer Hochzeit, Johanna. Aber allein, bitteschön. Vielleicht tut dir ein bisschen Abstand gut und du kannst leichter eine Entscheidung fällen, wenn du erst mal von ihm getrennt bist für ein paar Tage.“

Dieser Gedanke ließ Johanna seither nicht mehr los. Es stimmte ja leider, dass ihre Liebe zu Arthur immer mehr zusammenschrumpfte. Sie hasste es, wenn er sich kleinlich gab, wenn er jeden Cent dreimal umdrehte und am liebsten jeden Abend daheim auf dem Sofa verbracht hätte, statt auszugehen. Dabei verdiente er wirklich ganz ordentlich. Doch er war noch immer nicht selbstständig, was ihn sehr wurmte, zumal Johanna mit ihrer Entscheidung, einen eigenen Laden aufzumachen, gleich Erfolg gehabt hatte.

Sie mochte Arthur aber trotz seiner Eigenheiten immer noch. Doch die unbekümmerte Liebe und Leidenschaft, die sie mit zwanzig für ihn empfunden hatte war dahin. Eine lebenslange Partnerschaft mit ihm konnte sie sich immer weniger vorstellen.

Arthur hingegen sah in Johanna die absolute Traumfrau. Für ihn gab es seit der Schulzeit keine andere. Er wachte eifersüchtig über sie und konnte total ausflippen, wenn sie einen anderen Mann auch nur ansah.

Nein, je länger sie darüber nachdachte, umso mehr musste sie erkennen, dass eine Trennung irgendwann unausweichlich war.

Also buchte sie heimlich die Reise nach Vancouver - überzeugt davon, dass Arthur sie nicht begleiten würde.

Daran dachte der blonde Mann auch nicht im geringsten. Er gab sich bis zu Johannas Abflug kühl und distanziert.

„Kannst dich ja mal melden“, meinte er nur, als er sie vor dem Flughafengebäude mit einem flüchtigen Kuss verabschiedete.

„Mach ich.“ Johanna griff nach ihrem Rollkoffer. Sie fand Arthurs Verhalten einfach nur albern, doch es bestätigte sie in ihrer Entscheidung. Die Reise nach Kanada war richtig - und vielleicht würde sie sogar ihr ganzes Leben verändern.

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