Читать книгу Lesesommer 2019 - Romane und Kurzgeschichten großer Autoren - Sandy Palmer - Страница 9

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Die Sonne strahlte vom Himmel, und ein leichter Wind wehte vom Wasser herüber zur Stadt, als Johanna in Vancouver eintraf. Schon während der Landung hatte sie fasziniert aus dem Fenster geschaut. Wunderschön lag die Stadt direkt am Pazifik. Sie sah viel Grün, bemerkte einen großen Jachthafen und sah etliche kleine Wasserflugzeuge, die rasch hintereinander in die Luft stiegen.

Suchend sah sie sich nach der Freundin um, nachdem sie ihre beiden Koffer in Empfang genommen hatte.

„Johanna! Hier!“ Stefanie winkte zur Begrüßung mit einem hellroten Schal.

„Steffi!“ Strahlend ging Johanna auf die Freundin zu und umarmte sie. „Toll siehst du aus.“

„Du hast dich auch gut gehalten. Nur ein bisschen müde und blass.“

„Der lange Flug...“ Lächelnd zuckte Johanna mit den Schultern. „Aber ich fühle mich topfit.“

„So kenn ich dich. Dann lass uns losfahren. Ich bin ja so gespannt, wie dir meine neue Heimat gefällt.“

„Ich bin jetzt schon fasziniert.“ Johanna lachte die Freundin an. „Zumindest von oben wirkt alles wunderschön.“

„Ja, Vancouver ist eine grüne Stadt. Jung, dynamisch, modern. Allerdings leben wir hier nicht so hektisch wie in New York, doch es ist immer was los.“

„Du hast mir gar nicht gesagt, wo du mich unterbringen wirst.“ Interessiert sah Johanna aus dem Fenster des rassigen Sportwagens, den Stefanie fuhr.

„Bei uns natürlich! Denkst du, ich bringe meine älteste und liebste Freundin in einem Hotel unter?“ Das klang fast vorwurfsvoll.

„Ich will aber nicht lästig fallen. Verliebte sind doch gern allein.“

„Red keinen Unsinn. Du störst nicht. Außerdem haben wir Platz genug.“

Davon konnte sich Johanna wenig später überzeugen.

Stefanie bewohnte mit ihrem zukünftigen Mann eine perfekt restaurierte Villa am Mole Hill im West End. Ein Garten umrundete das hellgelb gestrichene, zweistöckige Gebäude im viktorianischen Stil mit dem spitzen weißen Giebel, dessen eine Seite vollkommen verglast war.

„Da oben wohnst du.“ Stefanie lenkte den Wagen in die breite Einfahrt und wies kurz nach oben. „Von dem Gästezimmer aus hast du einen tollen Blick bis hin zur English Bay.“

„Wow! Ich bin begeistert! Das Haus ist toll!“ Mit leuchtenden Augen sah sich Johanna um.

„Ja, wir sind auch froh, dass wir es kaufen konnten. Das war wie ein Sechser im Lotto, denn die Häuser hier sind so rar wie nichts anderes. Aber jetzt komm erst mal rein. David ist für drei Tage geschäftlich unterwegs, er freut sich aber drauf, dich zu treffen.“ Sie lachte. „Es ist aber ganz gut, dass er nicht da ist, wir haben also erst mal Zeit für uns.“ Sie kramte in ihrer überdimensional großen Handtasche nach dem Schlüssel.

„Du hast dich nicht verändert.“ Johanna grinste. „Schusselig wie eh und je. Ich weiß gar nicht, wie du ohne mich im Job zurechtkommst.“

„Schlecht natürlich.“ Stefanie grinste, doch im selben Atemzug gestand sie: „Die Schlüssel liegen bestimmt noch auf der Kommode in der Halle. Shit. Hoffentlich ist Freddy da.“

„Wer ist Freddy?“

„Unser direkter Nachbar.“ Sie wies nach links. In einem weitläufigen Garten, der mindestens doppelt so groß war wie der von Stefanie, blühten unzählige Rosenbüsche. „Freddy ist Gärtner, und als Hobby züchtet er Rosen. Seit kurzem hat er sich auf alte englische Rosensorten spezialisiert.“

„Die sind aber auch wirklich einmalig schön.“

„Danke, das hör ich gern.“ Hinter der dichten Ligusterhecke tauchte ein braun gebranntes Männergesicht auf.

„Freddy! Ein Glück, dass du daheim bist.“

„Dein Schlüssel.“ Grinsend hielt der Mann einen Schlüsselbund hoch, an dem ein rotes großes Herz prangte. „Hab ich auf dem Gehweg gefunden.“

„Ach du Scheiße“, kommentierte Stefanie wenig damenhaft. „Ein Glück, dass du ihn an dich genommen hast. Er muss mir aus der Tasche gefallen sein, als ich den Wagenschlüssel gesucht habe.“

„Du kriegst irgendwann mal ein Kettchen mit dem Schlüssel um den Hals gehängt.“ Freddys Kopf verschwand, doch gleich darauf erschien die ganze große Gestalt dicht am Zaun. Ungeachtet der dichten Zweige hatte sich der Mann durch die Hecke gezwängt. „Hey! Du bist also der Besuch aus Good Old Germany.“ Er lächelte Johanna an und streckte ihr die Hand entgegen.

„Genau, der bin ich.“ Johanna sah ihn fasziniert an. Er sah blendend aus, gepflegt und durchtrainiert. Von einem landläufigen Gärtner war sein Outfit mit dem hellen Jeans und dem gelben Poloshirt meilenweit entfernt.

„Schön, dass du endlich da bist. Stefanie braucht dringend Hilfe bei der Organisation der Hochzeit.“

„Sag doch so was nicht!“ Stefanie schüttelte den Kopf mit den blonden langen Locken. „Ich hab alles im Griff. Zudem hat mir meine Schwiegermutter in spe eine Hochzeitsplanerin gebucht.“

„Die du aber gleich wieder entlassen hast.“ Freddy grinste. „Ich weiß Bescheid.“

„Stimmt. So eine überkandidelte Person mit Ideen, die nur darauf ausgerichtet waren, Geld zu schneiden, brauch ich nicht. Ich komme gut klar.“

Das jedoch wagte Johanna zu bezweifeln, denn Stefanie war und blieb wohl ihr Leben lang ein wenig chaotisch. Doch genau das war es, was sie liebenswert machte.

Freddy grinste, wobei zwei Grübchen in seinen Wangen erschienen. Johanna bemerkte es sofort, und ihr Herz schlug auf einmal heftiger.

„Du heißt Johanna.“ Freddy machte keine Anstalten, sich wieder zurückzuziehen. „Klingt ein bisschen altmodisch, ehrlich gesagt.“

„Ist aber im Moment ganz in bei uns.“

„O.k., ich finde ihn auch schön.“ Er lächelte ihr zu. „Weißt du schon, dass meine Großeltern aus Frankfurt stammten? Sie sind gleich nach dem Krieg ausgewandert und haben sich erst in Ottawa, dann hier niedergelassen.“

„Daher dein gutes Deutsch.“

Er nickte. „Ja, Granny hat Wert darauf gelegt, dass ich ihre Muttersprache lerne. Sie hat mir auch immer Gedichte vorgelesen. Mit Goethe, Rilke und Schiller bin ich zu Bett gegangen.“

„Ehe ihr zwei euch die ganzen Lebensläufe erzählt, komm erst mal rein, Johanna.“ Stefanie klimperte mit den Schlüsseln. „Freddy, wir sehen uns morgen, o.k.? Dann gibt’s ein Begrüßungsessen zu Johannas Ehren.“

„Sicher. Habt Spaß, ihr Beiden.“ Lässig winkte er mit der Rechten, dann zog er sich zurück und verschwand hinter dem dichten Vorhang aus grünem Blattwerk.

„Freddy ist ein ungemein netter Typ.“ Stefanie schob ihre Besucherin ins Haus. „Und unverheiratet!“, fügte sie bedeutungsvoll hinzu, während sie Johannas Koffer in eine Ecke der geräumigen Halle schob. „Darum kannst du dich später kümmern. Jetzt trinken wir erst mal ein Glas auf unser Wiedersehen. Komm mit auf die Terrasse.“

Johanna folgte ihr erst in die Küche, wo Stefanie eine Flasche Champagner aus dem Kühlfach holte. „Nimm du die Gläser. Da hinten im Schrank.“

Johanna nahm, wie gewünscht, zwei schlanke Champagnergläser aus dem weißen Lackschrank, dann folgte sie der Freundin durch einen elegant, doch sparsam möblierten Wohnraum hinaus auf die Terrasse.

„Wow, das ist ja ein Traum!“ Begeistert sah sie sich um. Die weitläufige Terrasse war mit breiten Terracottasteinen ausgelegt. Zur Südseite hin spendeten drei hohe Bananenstauden Schatten, im Westen und Osten blühten gelbe Rosensträucher. Darunter wuchsen Lavendel, kleine hellrote Geranien und brombeerfarbene Begonien in verschwenderischer Fülle.

„Die Terrasse hat Freddy voriges Jahr neu gestaltet. Es ist toll geworden. Wenn du das alles hier...“ Stefanie machte eine weit ausholende Handbewegung, „...vorher gesehen hättest, wärst du erschrocken. Der Vorbesitzer hatte eine Vorliebe für bizarr gestutzte Buchsbäume und Felsbrocken, die er malerisch überall verteilt hatte. Verrückt, einen so schönen Platz wie diesen hier so zu verunstalten.“

„Aber jetzt ist es wunderschön geworden.“ Johanna setzte sich in einen der bequemen Rattansessel, in denen hellgelbe Kissen lagen.

„Du solltest mal sehen, wie es drüben bei ihm aussieht - das reinste Paradies. Er hat mehr als einen grünen Daumen.“

„Na ja, als Gärtner kein Wunder.“

„Gärtner - der Begriff ist in seinem Fall stark untertrieben!“ Stefanie lachte leise. „Er ist einer der bekanntesten Landschaftsarchitekten der Westküste“, korrigierte sie die Freundin. „Lass dich nicht durch sein legeres Auftreten täuschen. Er ist einer der gefragtesten Leute auf seinem Gebiet und kann sich die Kunden aussuchen.“ Sie machte eine kleine Pause und ließ den Blick durch ihren Garten schweifen. „Wenn David und er nicht schon seit Jahren befreundet wären, hätte er so einen simplen Auftrag wie unsere Gartengestaltung sicher nicht angenommen.“

„Er scheint wirklich nett zu sein.“ Johanna griff nach ihrem Glas. „Aber das interessiert mich, ehrlich gesagt, nicht allzu sehr. Erzähl mal lieber was über die anstehende Hochzeit.“

Das ließ sich Stefanie nicht zweimal sagen, und für die nächste Stunde gab es nur noch dieses Thema. Doch schon am Abend begegnete sie Freddy Cooper erneut. Er kam, mit zwei riesigen Tüten beladen, gegen neunzehn Uhr zu Stefanies Haus.

„Was haltet ihr von einem gemütlichen Grillabend?“ Als Stefanie zögerte, fuhr er rasch fort: „Keine Sorge, ich störe euch nicht lange. Ich spiele nur den Grillmeister, hätte dafür gern ein kühles Bier - und bin wieder fort.“

„Unsinn! Natürlich bleibst du!“ Stefanie winkte ihn näher. „Trink erst mal ein Glas Wein mit uns.“

Dazu musste sie den Mann nicht zweimal auffordern. Er trank den beiden jungen Frauen zu, wobei sein Blick deutlich länger an Johannas apartem Gesicht hängen blieb.

Sie registrierte es ebenso wie Stefanie, die sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte.

„Freddy ist übrigens der begehrteste Junggeselle im Umkreis von hundert Meilen“, sagte sie, während sie die zarten Steaks noch einmal kurz wendete.

„Sorry, ich hab gar nicht aufgepasst.“ Freddy sprang schuldbewusst auf und nahm ihr die Grillzange aus der Hand.

„Kein Problem.“ Stefanie zwinkerte ihm zu. „Aber du musst jetzt wieder übernehmen. Ich geh mal kurz in den Keller und hole neuen Wein.“

Sie blieb allerdings länger als eine Viertelstunde fort - und so hatte Freddy Gelegenheit, sich intensiver mit Johanna zu unterhalten.

„Wenn du magst, zeig ich dir morgen etwas von der Umgebung“, bot er an. „Stefanie wird nicht allzu viel Zeit dazu haben. Oder habt ihr schon Pläne gemacht?“

„Nein, noch nicht.“ Johannas Herz machte einen unvernünftigen kleinen Satz. „Ich weiß nicht, was sie vorhat.“

„Ich hab nichts geplant.“ Stefanie, die die letzten zwei Sätze gehört hatte, stellte zwei Flaschen Wein auf den Tisch. „Allerdings muss ich unbedingt noch mal zur Schneiderin, und auch ins Hotel, wo der Empfang stattfindet, möchte ich noch mal. Ich glaube nämlich, ich hab einiges vergessen abzuklären.“ Das war zwar gelogen, doch Stefanie merkte genau, welche Schwingungen zwischen Freddy und Johanna bestanden. Und da war es bestimmt gut, die zwei mal eine Weile allein zu lassen.

„Dann mach das in Ruhe. Ich kümmere mich gern um Johanna und zeige ihr unsere schöne Stadt.“

„Musst du denn nicht arbeiten?“, fragte Johanna. „Ich kann mich gut allein beschäftigen. Oder ich begleite Stefanie. Deshalb bin ich ja eigentlich hier, um sie zu unterstützen.“

„Nichts da - ich spiele mit Begeisterung den Fremdenführer für dich. Meine Arbeit kann ruhig mal ein paar Tage warten, ich hab keinen Termindruck.“

„Ja dann...“ Johanna trank hastig einen Schluck Wein. Dabei vermied sie es, Freddy anzusehen, in dessen Augen sie deutlich lesen konnte, wie stark er an ihr interessiert war.

Auch Stefanie hatte es bemerkt, und am späten Abend, kurz bevor die Freundinnen zu Bett gingen, umarmte sie Johanna und sagte:

„Einen wunderschönen Tag wünsch ich dir morgen. Freddy ist ein Traummann, und er ist total scharf auf dich.“

„Steff! Du bist unmöglich!“

„Endlich hast du mal wieder Steff zu mir gesagt!“ Stefanie kicherte. „So hast du auch früher reagiert, wenn du mit mir unzufrieden warst.“

„Stimmt. Aber jetzt bin ich nicht sauer, ich will nur nicht diese Verrücktheiten hören. In zwei Wochen bin ich wieder daheim in meinem alten Leben und...“

„... und davon bin ich noch nicht überzeugt.“

„Du spinnst.“ Johanna öffnete die Tür zum Fremdenzimmer. „Gute Nacht.“

„Dir auch, meine aller-, allerbeste Freundin. Schlaf schön und träum was Nettes.“ Lachend drehte sich Stefanie um und ging hinüber in ihr Schlafzimmer.

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