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Die Osterklage

Dass es den Osterhasen nicht gibt, er nur eine Legende ist, das weiß mittlerweile jedes Kind. Trotzdem gibt es Sonderbares aus dem Land der Langohren zu berichten: Merkwürdiges passierte mitten in Deutschland. Wer sonst als der legendäre Osterhase wäre, wie in all den Märchen um seine Person, tatsächlich dazu in der Lage, zur selben Zeit vor den Gerichten diverser Städte ein Osternest mit bunten Ostereiern und einer Klage zu verstecken?

Wittenberg, 21. April 2011

Richterin Hildegard Flinkenstein war recht früh auf den Beinen. Sie machte sich gerade auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz, dem Gericht von Wittenberg, als ihr auf den Stufen hoch zum Eingang des Gerichtsgebäudes hinter einer Säule etwas Buntes entgegenschimmerte. Sie zog die Stirn in Falten. Mit ihren 56 Jahren und den grauen Haaren, die ihr in die Stirn fielen, wie auch der geradezu riesigen Hornbrille auf ihrer Nase, wäre das aber niemandem wirklich aufgefallen.

Neugierig blickte sie um die Ecke und erspähte ein Osternest, das dort säuberlich platziert worden war. In dem wuscheligen, aus grün eingefärbter Holzwolle gewobenen Nest war allerlei Süßes versteckt. Sie konnte mehrere bunt bemalte Ostereier und andere Naschereien entdecken, aber auch einen kleinen, gefalteten Brief.

Hildegard blickte sich neugierig um, ob sich jemand einen Scherz mit der Obrigkeit erlaubte, aber es war niemand zu entdecken. Ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen griff sie nach dem gesamten Osternest, hob es hoch und stolzierte damit an verdutzten Kollegen vorbei in ihr Büro.

„Wird sicherlich eine hübsche Dekoration auf dem Schreibtisch abgeben“, dachte sie gerade, als ihr erneut der Brief auffiel, der zwischen den Eiern klemmte. Das Papier sah merkwürdig alt aus, fand Hildegard, als sie auf dessen Rückseite auch noch ein angebrachtes dunkelrotes Siegel entdeckte. Auch das wirkte brüchig, als wenn der Brief bereits seit Langem auf seine Auslieferung wartete. Verblüfft erkannte sie auf dem kleinen Siegel das Gesicht des Osterhasen, wenngleich auch mit etwas anderem Aussehen als gewohnt. Dieser hier besaß fast menschliche Züge und nur die langen Ohren waren eindeutig ein Beweis für seine Hasenzugehörigkeit. Im Mundwinkel steckte zufrieden eine Pfeife, deren Rauch ein bemaltes Osterei bildete. Ungeschickt brach sie das Siegel auf und faltete den kleinen Brief vorsichtig auseinander. Verwundert begann sie nun zu lesen, was dort in altdeutscher Schrift geschrieben stand:

An alle Richter dieses Landes:

Lange habe ich gezögert, diesen Brief zu schicken an all diejenigen, die über uns richten. Denn ich habe Klage einzureichen gegen alle, die den Glauben an mich verloren haben. Selbst Kinder verspotten mich, obwohl ich stets mein Bestes gebe. Da ich schon recht alt bin, fällt mir meine Arbeit immer schwerer, weshalb ich leider nicht mehr überall rechtzeitig meine Nester ablegen kann. Diese Klage geht an alle Gerichte, die ich im näheren Umkreis für zuständig erachte. Nachrichten an mich bitte in das Nest legen. Für den Inhalt wünsche ich einen gesegneten Appetit.

Herzlichst,

Meister Eduard Lampe, Ostereiermacher

Osterburg, anno 1812

Flinkenstein kräuselte erneut ihre Stirn. Osterburg war ihr durchaus als Nachbargemeinde bekannt. Ihre kleine Schwester wohnte dort mit ihrem Mann und den drei Kindern. Aber ob die jemals etwas von einem Meister Eduard Lampe gehört hatten? Hildegard wagte, das zu bezweifeln.

Sie wollte gerade den gesamten Kram mit einem Kopfschütteln beiseitelegen, als das Telefon klingelte. Am Apparat war ein richterlicher Kollege aus Salzwedel.

„Du Hildegard, hier ist Klaus“, sagte er glucksend vor Lachen. „Gerade hat mir so ein Spaßvogel ein Osternest vor die Tür gelegt. Mit einem Brief von 1812, hahaha. Verrückte gibt’s vielleicht.“

Noch etliche weitere Anrufe folgten und trugen mittlerweile zur allgemeinen Belustigung der gesamten Belegschaften bei. Nur Hildegard lachte nicht mit. Die Sache kam ihr irgendwie seltsam und eigenartig vor.

Am Abend des 24. Aprils legte sie, so blöd sie sich dabei auch vorkam, das Osternest mitsamt eines kleinen Briefes unbemerkt wieder an seinen Ursprungsort zurück. Dann setzte sie sich in ihren Wagen und wartete geduldig. Sie dachte an den kleinen Brief, den sie verfasst hatte:

Sehr geehrter Herr Lampe,

ich habe Ihre Klage mit großem Interesse gelesen, muss Ihnen aber leider mitteilen, dass wir für Rechtsangelegenheiten aus dem Jahre 1812 nicht mehr zuständig sind. Die Kollegen in meiner Zeit, das sind Richter und Anwälte aus dem Jahre 2011, dürften mit Glaubensfragen an den, ... nun den Ostereiermacher, etwas überfordert sein. Bitte wenden Sie sich mit Ihrer Klageschrift an die werten Richter ihrer Gegenwart. Außerdem möchte ich Ihnen sagen, dass die Kinder in der heutigen Zeit durchaus noch an sie glauben. Also sehen Sie es den Kleinen nicht so lange nach.

Liebe Grüße,

Hildegard Flinkenstein, Richterin

Wittenberg, anno 2011

Dann hatte sie umständlich etwas Kerzenwachs auf den sauber gefalteten Zettel geträufelt und mit dem Stempel „Sonderpost“ abgestempelt und samt dem Nest wieder vor die Tür des Amtsgebäudes gelegt.

Nun starrte sie die ganze Nacht aus dem Fenster ihres Autos. Hildegard wollte unbedingt wissen, wer sie alle zum Narren hielt. Die Kanne mit heißem Tee half ihr wach zu bleiben, doch so sehr sie auch das Nest bewachte und keine Sekunde lang aus den Augen ließ, sie konnte niemanden bemerken. Aber als sie sicherheitshalber gegen halb sechs in der Früh danach schaute, war ihre Nachricht verschwunden und ein weiterer kleiner, versiegelter Brief lag stattdessen darin.

Die Richterin bekam eine Gänsehaut. Sie entnahm die Nachricht und mit zitternden Fingern brach das Siegel auf.

Sehr geehrte Frau Flinkenstein,

ich danke Ihnen für Ihre aufmunternden und ehrlichen Worte. Aber wie um Himmels willen bin ich bloß in das Jahr 2011 gekommen? Ich glaube, ich muss mir meinen Korb einmal ganz genau ansehen. Irgendetwas scheint da mit der Reisemechanik nicht zu stimmen. Vielleicht klemmt auch irgendwo ein Ei? Außerdem bin ich mit den Jahren auch nicht gerade dünner geworden, schließlich muss ich die Qualität der Schokolade ja jedes Jahr aufs Neue prüfen. Und das mit der Klage gegen die Kinder, da haben Sie wohl recht, werte Frau Richterin. Und den Erwachsenen, denen kann man es eh nie ganz recht machen!

In diesem Sinne wünsche ich ein frohes Osterfest, und schauen Sie doch einmal auf den Rücksitz Ihres eigenartigen Gefährts. Ist nur ein kleines Dankeschön für ihre Beratung.

Fröhliche Grüße,

Eduard Lampe, Ostereiermacher

Osterburg, anno 1812

Geradezu hektisch blickte Hildegard auf und ging völlig verunsichert zu ihrem Auto zurück. Immer wieder blickte sie sich ängstlich um, doch niemand war weit und breit zu sehen. Der Platz vor dem Gericht war menschenleer, denn schließlich war Ostern. Und auch keine langen Ohren waren in den hübsch bepflanzten Beeten vor dem Gerichtsgebäude zu erkennen. Vorsichtig öffnete sie die hintere Tür ihres Autos und lugte über den Rahmen in das innere hinein. Über und über war der Rücksitz mit den buntesten und schönsten Ostereiern bedeckt. Wenn sie nicht irgendwann tief und fest eingeschlafen war, dann war das hier einfach überhaupt nicht möglich.

Mit zittrigen Fingern startete sie schließlich das Auto und fuhr nach Hause. Erzählen würde sie wohl niemandem von dieser seltsamen Geschichte, denn wer sollte ihr das schon glauben ...

Lorenz-Peter Andresen lebt in Wanderup.

Wie aus dem Ei gepellt ...

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