Читать книгу Wie aus dem Ei gepellt ... - Sandy Penner - Страница 9
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Die Rosenkönigin
„Ich denke, jetzt sind alle Körbe voll“, sagte der Hasenvater. Er hatte die Osterkörbe auf die Bank gestellt und die Eier gleichmäßig verteilt.
Die Hasenmutter blickte ihren Sohn Sammy an. „Ich fürchte, das bedeutet viel Arbeit für dich“, meinte sie. „Nur gut, dass dein Freund Nick morgen kommt. Ich weiß, dass ihm das Bemalen der Ostereier genauso viel Spaß macht wie dir. Außerdem habt ihr letztes Jahr bewiesen, dass ihr ein eingespieltes Team seid.“ Sammy gähnte. Das Bemalen der Ostereier konnte bis morgen warten. Heute war er müde und wollte bloß noch ins Bett.
„Ich hoffe, dass du kein Schlafwandler bist“, scherzte der Hasenvater. „Wenn du heute Nacht gegen die Bank stößt, sind die Eier kaputt.“
„Wer malt dann die zerbrochenen Eier an?“, fragte Sammy im Halbschlaf. Als der Hasenvater ihm antworten wollte, merkte er, dass sein Sohn bereits eingeschlafen war.
Mitten in der Nacht wachte Sammy auf. „Ich werde mir ein Glas Wasser holen“, dachte er und tastete sich durch den Hasenbau. Da passierte das Missgeschick. Sammy stieß so ungeschickt gegen die Bank, dass sie umfiel. Die Körbe lagen auf dem Boden und die meisten Eier waren zerbrochen. Sammy stockte der Atem. „So ein Mist! Ich brauche dringend neue Eier, sonst fällt Ostern dieses Jahr aus.“ Er schaute zu seinen Eltern. Die hatten nichts gehört und schliefen.
Sammy schlich sich leise aus dem Hasenbau. „Ich werde zum Bauernhof gehen und die Hühner bitten, mir frische Eier zu legen“, dachte er. Es war dunkel, aber der Mond schien und Sammy machte sich auf den Weg. Es dauerte nicht lange, bis er den Hühnerhof erreichte. „Ich muss mich leise nähern“, flüsterte er, „sonst erschrecken die Hühner, fallen von der Stange und legen kaputte Eier. Das wäre schlecht, denn zerbrochene Eier habe ich selbst.“ Sammy stellte überrascht fest, dass die Hühner überhaupt nicht schliefen. Sie liefen fröhlich gackernd umher und schienen sich nicht daran zu stören, dass es eigentlich Nacht war. Die Oberhenne stand bereits am Tor und erwartete ihn. „Eine schlimme Sache ist das mit den Eiern“, sagte sie, „aber ich fürchte, ich kann dir nicht weiterhelfen. Die Hühner feiern das bevorstehende Osterfest und haben keine Zeit mehr zum Eierlegen. Es tut mir leid.“
„Ich brauche die Eier unbedingt“, bettelte Sammy. „Können Sie überhaupt nichts für mich tun?“
Die Oberhenne hielt den Kopf schief und dachte nach. „Wenn du in Not bist, dann kann dir nur ein guter Freund helfen“, antwortete sie schließlich. „Aber jetzt muss ich das Tor wieder schließen, bevor der Fuchs kommt.“ Die Oberhenne verschwand und augenblicklich wurde es still auf dem Hühnerhof.
„Kein Huhn gackert mehr, alle scheinen plötzlich zu schlafen“, wunderte sich Sammy. „Woher wusste die Oberhenne eigentlich, dass ich die Eier zerbrochen habe? Ich hatte es ihr doch gar nicht erzählt.“ Sammy hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Er machte kehrt und beschloss, seinen Freund Nick aufzusuchen, wie es die Oberhenne empfohlen hatte. So schnell er konnte, rannte er zum Hasenbau, in dem Nick wohnte. Die Tür stand offen und Sammy ging vorsichtig hinein. Niemand war zu sehen. „Das ist aber seltsam“, sagte er. „Es ist mitten in der Nacht und Nick ist nicht zu Hause.“
Aber das war nicht die einzige Überraschung, denn als Sammy sich im Hasenbau umschaute, entdeckte er einen Gang, der ihm noch nie aufgefallen war. Er folgte ihm, bis er in der Ferne ein Licht erblickte und den Ausgang erreichte. Vor ihm lag eine große Wiese, die mit bunten Blumen bedeckt war. Die Sonne schien am Himmel, die Vögel zwitscherten und die Bienen flogen summend von Blüte zu Blüte. In der Mitte der Wiese entdeckte er eine Bank und darauf standen die Körbe mit den Ostereiern. Es waren genau die gleichen, die Sammy gerade im Hasenbau heruntergeworfen hatte. Auf der Bank saß Nick und war mit dem Bemalen der Eier beschäftigt.
„Hallo Sammy“, rief er erfreut. „Wo bleibst du denn? Hast du vergessen, was wir heute vorhaben?“
Sammy war jetzt völlig verwirrt. „Da stehen ja die Osterkörbe“, sagte er.
Nick blickte ihn verwundert an. „Wo sollen sie denn sonst stehen?“, fragte er. „Dein Vater hat sie uns doch gestern gebracht. Komm und hilf mir.“ Sammy setzte sich neben Nick und beobachtete ihn. Sein Freund pinselte kleine Rosen auf die Eier. „Seit wann kannst du so wunderbare Blumen malen?“, fragte Sammy erstaunt. „Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.“ Nick beachtete ihn nicht, sondern malte unentwegt weiter. Mit atemberaubender Geschwindigkeit zeichnete er Rose um Rose. Sammy kam mit dem Pinsel überhaupt nicht zurecht. Der war viel zu dick, um ein Osterei damit zu verzieren. Aber sein Freund arbeitete mit dem gleichen Werkzeug.
Auf einmal stand Nick auf und sagte: „Ich besorge uns neue Farben. Warte hier auf mich.“ Dann verschwand er und Sammy mühte sich weiter mit dem Pinsel ab. Er wollte ihn in den Farbtopf tauchen, den Nick stehen gelassen hatte. Dabei brach der Pinsel ab und Sammy war jetzt völlig durcheinander. In diesem Augenblick kam Nick zurück. „Sammy“, rief er entsetzt. „Was ist mit den Eiern geschehen?“ Sammy wusste nicht, was Nick meinte und drehte sich um. Die Osterkörbe lagen am Boden und die kunstvoll verzierten Eier ebenfalls. Alles war kaputt. Sammy bekam nun auch einen Riesenschreck.
„Ich weiß nicht, wie das passiert ist“, stotterte er. „Ich bin die ganze Zeit hier gesessen.“
Nick winkte ab. „So schlimm ist das nicht“, sagte er beruhigend. „Aber wir müssen es der Rosenkönigin melden. Sie wird wissen, was zu tun ist. Komm schnell, wir gehen gleich zu ihr.“
„Welche Rosenkönigin?“, fragte Sammy verdutzt. „Nick, was geschieht hier? Ich verstehe überhaupt nichts.“ Sein Freund hörte ihn nicht, denn er war schon losgerannt. „Warte auf mich!“, schrie Sammy hinterher. „Ich kenne den Weg nicht.“
Während Nick leichtfüßig über die Wiese rannte, kam Sammy kaum vorwärts. Seine Beine waren schwer und er fühlte sich matt und kraftlos. Mühsam folgte er den Spuren seines Freundes. Plötzlich sah er sie: die Rosenkönigin.
„Das muss sie sein“, dachte Sammy. „Sie sitzt inmitten der Rosen und trägt eine prunkvoll verzierte kleine Krone. Außerdem hat sie goldene Haare und lächelt. Ob sie auch noch so freundlich ist, wenn sie die Geschichte mit den zerbrochenen Eiern erfährt?“
Sein Freund Nick kam angelaufen. „Sammy, wo bleibst du denn?“, rief er. „Die Rosenkönigin ist ganz begeistert von den bemalten Eiern. Komm schnell.“
„Die schönsten Ostereier weit und breit“, stellte die Rosenkönigin lobend fest, als sie Sammy sah. „Sie werden den Kindern auf der ganzen Welt gefallen. Ihr habt sie wunderbar verziert.“ Sammy bemerkte, dass die Osterkörbe mit den bemalten Eiern neben ihr standen.
„Sammy!“, hörte er seinen Namen. Er blickte zu Nick, aber der schaute zur Rosenkönigin. „Sammy!“, hörte er seinen Namen ein zweites Mal und das klang schon viel lauter. Auf einmal waren die Rosenkönigin und Nick verschwunden. Überhaupt alles war verschwunden und Sammy sah in das Gesicht seiner Mutter. „Sammy, willst du denn überhaupt nicht aufstehen?“, fragte die Hasenmutter. „In einer Stunde kommt Nick und bis dahin solltest du fertig sein.“
Sammy schaute zur Bank. Sie war leer. „Wo sind die Osterkörbe mit den Eiern?“, schrie er aufgeregt. „Die hat dein Vater gestern noch auf den Boden gestellt“, antwortete die Mutter und lachte. „Er hatte Sorge, dass die Bank unter dem Gewicht der Eier zusammenbricht. So ein Unsinn. Jetzt komm und iss deinen Salat. Ihr werdet heute den ganzen Tag Eier bemalen und da brauchst du deine Kraft.“
Volker Liebelt wohnt in Öhringen und ist 46 Jahre alt. Seine Hobbys sind seine Familie, Lesen, Wandern und Kurzgeschichten schreiben. Er hat schon mehrere Geschichten in diversen Anthologien veröffentlicht. Nach seiner ersten Kurzgeschichte „Keiner spielt mit mir“ in der letzten Osteranthologie schlug sein Sohn vor, dass es in diesem Jahr ein weiteres Abenteuer mit den beiden Häschen Sammy und Nick geben sollte.