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4. Romeo
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Romeo
T ick. Tick. Tick.
Meine Armbanduhr ist das einzige Geräusch im Raum. Nicht einmal Mables Atem ist zu hören. Ich warte, bis ich mir sicher sein kann, dass sie schläft, dann stehe ich auf. Wie ein Schatten bewege ich mich durch Jaxons Zimmer und werfe einen Blick zurück auf die Frau, die er momentan als sein größtes Opfer auserkoren hat.
Leere erfüllt mich bei dem Gedanken, dass er sie früher oder später genau hier ficken wird. In seinem Bett, zwischen den weißen Laken. Er wird sie für seine Pläne nutzen wie alle anderen vor ihr. Es widert mich an, ihr wieder und wieder das Gefühl zu geben, es wäre anders. Nicht, weil ich Amabelle Weaver mag. Gott bewahre. Es ist nach dem x-ten Mal einfach langweilig.
Ich könnte wesentlich wichtigere Dinge tun.
Mich Größerem widmen.
Stattdessen liege ich neben einem verliebten, blutjungen Ding im Bett und merke allein an ihren Blicken, dass sie mir bereits jetzt mehr vertraut als allen anderen Kings. Sie ist so blind und naiv, dass ich Lust verspüre, genau jetzt, während sie schläft, an ihr Bett heranzutreten, meine Hand um ihre Kehle zu legen und so lange zuzudrücken, bis sie endlich kapiert, was und wer wir wirklich sind.
Wer ich wirklich bin.
Was ich wirklich über Amabelle Weaver denke, halte ich allerdings verschlossen. Jaxon verlässt sich auf mich, und ich werde tun, was immer nötig ist, um seine Position zu stärken. Nicht nur, weil es klug ist, sich in dem Dunstkreis zukünftiger Zirkelmitglieder zu bewegen. Ich wünschte, das wäre der einzige Grund. Das würde mich alles, was geschieht, noch pragmatischer sehen lassen.
Stattdessen geht es mir um mehr.
Und das macht mich angreifbar. Niemand darf meinen wahren Schwachpunkt aufdecken. Zum Glück sind bisher alle Menschen, die mich umgeben, meilenweit davon entfernt.
Aus meinem Zimmer hole ich festes Schuhwerk und Kleidung, einen Rucksack, den ich nur zu besonderen Anlässen hervorkrame, und laufe in der Dunkelheit zu der Kapelle.
Wir haben aus dem Fehler gelernt, als Weaver uns dabei beobachtet hat, wie wir Harper freundlich ausgefragt haben, was ihre neue Ambition, Stipendiatinnen zu helfen, zu bedeuten hat, und unsere Treffen in den Keller verlagert. Unter der Kirche befindet sich seit jeher ein stickiges Gemäuer, das mittlerweile über elektrisches Licht verfügt, dessen Leitungen Buchanan für uns verlegt hat.
Ich bin ein absoluter Gegner davon, ihn diese Arbeit verrichten zu lassen, aber irgendjemand muss es tun. Er ist vermutlich das geringste Übel von allen.
»Ah, mein Freund«, begrüßt Jaxon mich und stellt durch einen einzigen Blick fest, dass ich nicht hier wäre, wenn Amabelle nicht seelenruhig und unwissend in seinem Bett schlafen würde. Um den King herum stehen die anderen. Niemand von ihnen trägt eine Maske. Das gibt mir bereits einen Hinweis darauf, wie dieser Abend enden wird.
Ich betrachte interessiert das Schauspiel, das sich mir bietet. In der Nähe des Kellergemäuers liegt ein Mann. Einer der drei Männer. Weavers Vergewaltiger. Er ist benommen oder bewusstlos.
Als die Villa eingestürzt ist und wir ins Wasser gesprungen sind, haben die drei Bastarde mich von hinten angegriffen. Sechs starke Arme, die mich unter Wasser drückten. Ich spüre die Atemnot jetzt noch. Hätte Vance es nicht bemerkt und wäre Sylvian ihm nicht zur Hilfe gekommen, um die drei zu überwältigen, wäre ich ertrunken. Zwei von ihnen haben wir in den Trümmern zurückgelassen und ich vermute, sie sind tot. Der dritte liegt vor uns. Ich dachte, er wäre entkommen und es erfüllt mich mit Genugtuung, ihn hier zu sehen.
»Chloroform?«, frage ich.
»Wir dachten, so lässt es sich entspannter warten«, entgegnet Zayn.
Über sein Gesicht ziehen sich hässliche Schnitte, die teilweise noch bluten. Ich werfe Sylvian, der mit seinem Butterfly in der Hand spielt, einen anerkennenden Blick zu.
Als er diesen Blick bemerkt, flackert Hass in seinen Augen auf, und ich muss schmunzeln. Ich akzeptiere ihn voll und ganz als Freund an Jaxons Seite. Aber Sylvian ist der Meinung, dass ich zu weit gehe. Dabei hat er keine Ahnung, was ich wirklich im Beisein bewusstloser Mädchen tue. Es ist auf jeden Fall weit weniger schlimm als das, was er gerade Weavers einem Peiniger angetan hat.
»Was habt ihr herausgefunden?«, frage ich in die Runde.
»Er hat ein Boot gesehen«, erklärt Reece kalt. Er steht abseits. Immer wieder frage ich mich, wie er zu den Dingen steht, die wir in dieser Kirche und mittlerweile in diesem Gemäuer unter der Erde tun. Eigentlich ist es nicht sein Ding. Düstere Ecken sind nicht die Orte, an denen er sich gerne herumtreibt. Und er hätte es bei Weitem nicht nötig, sich zu verbergen. Er könnte selbst mordend und vergewaltigend durch die Straßen ziehen, der Zirkel würde ihn immer noch wollen. Auf jemanden wie ihn können sie nicht verzichten und sein Platz wird von niemand anderem besetzt werden können.
Ich kann mir vorstellen, dass Reece den besonders zwielichtigen Teil seiner Seele bisher verborgen hält. Vielleicht kennt er ihn nicht einmal selbst. Aber man muss schon einiges mitbringen, um zuzulassen, dass der eigene psychotische Doppelgänger dieselben Frauen vögelt wie man selbst. Wer von den Crescent-Brüdern ist eigentlich verrückter? Reece, der Zayn gewähren lässt, oder Zayn, der seinem Bruder stets und überallhin folgt?
»Das Boot?«, frage ich.
»Ja«, entgegnet Jaxon. Er sieht auf seine Uhr und blickt ungeduldig zur Tür. »Das Boot. Unsere kleine Belle wurde aus dem Wasser gefischt. Rachel ebenso. Sie wird uns vermutlich sagen können, was wir aus Amabelle bisher nicht herausbekommen haben. Vance bringt sie her.«
»Warum die Umstände?« Ich schiebe die Hände in die Taschen meiner Hose und lehne mich an die feuchte Wand. »Wir könnten Weaver fragen.«
Reece hebt die Schultern. »Sie hat berechtigte Gründe, uns nicht zu trauen.«
»Und deswegen schleppt ihr Rachel hierher und macht schlimmstenfalls auf uns aufmerksam? Amabelle Weaver schläft seelenruhig in Jaxons Bett. Wir müssten die Waffe nicht einmal laden, die wir ihr an die Stirn halten, um sie höflich zu bitten, uns die Wahrheit zu sagen.«
Sylvian presst die Kiefer zusammen und macht einen drohenden Schritt auf mich zu. »Du wirst deine schmierigen Finger von ihr lassen. Dass du überhaupt bis eben bei ihr warst …«
Jaxon streckt beschwichtigend einen Arm aus. »Ich vertraue Romeo mein Leben an, Sy. Belle könnte der ohnmächtigste Mensch der Welt sein, Romeo würde nicht einmal daran denken , etwas zu tun, das wir nicht wollten, richtig?«
Du kannst dich immer und für alle Zeit auf mich verlassen, Jax. »Natürlich. Ich bin nicht so notgeil wie du, Silvano.« Wieder verziehe ich die Lippen und er knurrt.
Wenn er hier mit uns in dieser Kirche ist, ist er in seinem Element. Ich will nicht wissen, wie oft er in seiner bisherigen Laufbahn als Erbe der Silvanos und schließlich als Dealer die Gesichter von Männern hat aufschlitzen müssen, damit sie ihm sagen, was er will.
Er versucht völlig zu Recht, Weaver auf Abstand zu halten. Leider verspielt er damit die Chance, dass die arme Prinzessin den einzigen King bekommt, der einigermaßen gut zu ihr wäre. Bis auf das Gewaltpotenzial. Es würde mich nicht wundern, wenn Sylvian sie aus einer schlechten Laune heraus spankt und damit nicht mehr aufhören kann, bis sie fast ohnmächtig ist und blutet.
Armer, armer Silvano.
Dein Schicksal ist wirklich bitter.
»Ich bin Romeos Meinung, falls es irgendwen interessiert«, schaltet sich Zayn ein und kassiert drei tödliche Blicke. »Wozu die Umstände? Dole könnte uns ebenfalls alles sagen.«
»Weißt du, was mich an dir stört, Crescent?«, blafft Jaxon ihn an. »Romeo ist Pragmatiker, ihm verzeihe ich solche Vorschläge. Aber du hast sie vorhin noch in meiner Limousine geleckt, und es kam mir fast so vor, als hättest du Spaß daran. Also hör auf, so zu tun, als wäre sie irgendeine für dich. Hätte ich Clarisse oder eine andere Schlampe in meiner Limo gefickt, hättest du dich niemals zu uns gesellt.«
Zayn betrachtet ihn ausdruckslos. »Mich turnt es einfach an, wie dumm sie ist, Jax, dass sie dir verfällt. ›Ich habe mich in dich verliebt.‹ Uuuh. Jede andere lutscht deinen Schwanz, weil sie hofft, dass du ihr dafür drei Sekunden deiner Aufmerksamkeit widmest oder sie im besseren Fall sogar für ganze fünf Minuten wahrnimmst. Aber was macht sie? Sie gibt sich ausgerechnet dir hin. Du kannst mich nicht dafür verurteilen, dass ich das geil finde. So ein bisschen, wie jemandem dabei zuzusehen, wie er sich langsam, aber sicher selbst umbringt. Am Ende wirst du Dole vernichten, und ich werde mich gerne daran erinnern, wie ich Teil davon war, ihr wirklich … sehr wehzutun.«
Jaxon sieht nicht danach aus, als würde er überhaupt auf Zayns Worte eingehen wollen.
Es ist Sylvian, der mich überrascht. »Noch ein Wort und ich werde dich töten, Zayn.«
Wir alle sehen in seine Richtung. Sylvian steht gelassen da. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass dies die gefährlichsten Momente sind. Wenn alle Wut aus ihm gewichen ist und er die Ruhe selbst zu sein scheint.
Zayn lacht ihn aus. »Dir schaue ich by the way auch echt gerne zu, du machst das großartig. Ich kann jedes Mal hören, wie Mables zartes Herz noch ein Stück mehr bricht, wenn du den Namen Harper in ihrer Nähe in den Mund nimmst.«
»Zayn!«, herrscht Reece, aber es ist zu spät.
Sylvian stürzt sich auf Zayn, das Butterfly erhoben, und wir anderen sind fast nicht schnell genug.
Die Klinge landet an Zayns Kehle, und nur weil Jaxon seinen Arm gerade rechtzeitig zurückzerrt, dringt sie nicht tief ein.
Drei Männer, um Sylvian Silvano zu bändigen. Einer weniger und Zayn wäre tot.
Reece’ Zwilling starrt Sylvian an. Die Panik, die kurz in seinem Blick aufgeflackert ist, als Sylvian ihn zu Boden gerungen hat, ist wieder verschwunden. »Du liebst sie wirklich«, flüstert er.
»Ich warne dich, du kleiner, hässlicher Scheißer«, knurrt Sylvian. »Wenn ich mitbekomme, dass du ihr auch nur ein fucking Haar krümmst, werden die anderen nicht da sein, um mich aufzuhalten.«
Zayn presst die Lippen zusammen und schweigt, bis wir anderen Silvano wieder in den Stand gezerrt haben. »Wieso zur Hölle dürft ihr sie fertigmachen, aber ich nicht?!«, fragt er anklagend und hält genügend Abstand zu Sylvian. »Was soll das? Ich bin hier im Raum ja wohl der Einzige, der sie noch nicht verletzt hat.«
»Du hast Rachel gefickt«, erinnert ihn Reece.
»Ja, na und?! Weil ich Bock auf Rachel hatte, nicht, um Dole zu verletzen, so wie Sylvian, der Harper nur deswegen die ganze Zeit zum Orgasmus bumst, damit es die Kleine besonders hart trifft.«
Jaxon verdreht die Augen. »Genau. Ich glaube dir sofort, dass du nicht darauf spekuliert hast, Belle würde dich dabei beobachten, wie du mit Rachel rumhurst.«
Zayn verzieht abfällig die Lippen. »Nur weil sich niemand von euch vorstellen kann, dass nicht jeder Mann der Welt auf die kleine Fotze abfährt, müsst ihr mich nicht wie einen Idioten hinstellen.«
»Nein«, sage ich und schenke ihm ein schmieriges Lächeln. »Es ist nicht, dass wir uns nicht vorstellen können, dass du sie nicht magst, Crescent.«
Auch Jaxon fasst Zayn scharf ins Auge. »Wir wissen nur zu gut, was passiert, wenn du dich bedroht fühlst«, führt er aus. »Du willst Belle loswerden, weil sie deinem Bruder zu nahe kommt. Du hast bereits gezeigt, dass du keine Hemmungen hast, so zu tun, als wäre es Reece, der sie verletzt. Zum Beispiel, als du Rachel in ihrem Wohnheim gevögelt hast. Es gab eine einfache Regel, und diese besagt, dass du niemals und unter absolut keinen Umständen Sex mit einer Frau haben wirst, während sie denkt, du seist Reece – außer Reece ist dabei. Du hast diese Regel gebrochen, Zayn. Wir tolerieren das, weil es die kleine Hure Rachel war. Aber du wirst dieses Spiel nicht mit Amabelle abziehen. Falls doch … nun ja, werden wir möglicherweise wirklich nicht in der Nähe sein, wenn Sylvian das nächste Mal sein Butterfly zückt.«
Zayn zuckt lässig mit den Achseln, aber ich weiß, wie hart ihn Jaxons Worte treffen und dass Reece ihn nicht verteidigt. Alles, was sein Bruder tut, ist, auf ihn zuzugehen und den Schnitt zu überprüfen.
»Er geht etwas zu tief«, sagt Reece tonlos. »Er wird die nächsten Tage sichtbar sein.«
»Das bedeutet wohl, dass du für eine Weile zu Hause bleiben musst, Crescent«, bemerke ich süffisant.
»Wir werden sehen«, sagt Reece. Er müsste sich selbst schneiden, damit sie die exakt selbe Wunde haben, und selbst dann wäre der Unterschied für eine Amabelle Weaver, die auf jedes Detail achten wird, sichtbar.
Von draußen dringen schwere Schritte zu uns und im nächsten Moment wird die Tür aufgestoßen.
»Lass mich los, Vance, du Bastard!«, schreit Rachel, was er auch sofort tut.
Buchanan stößt sie von sich, sodass sie auf allen vieren vor uns auf dem Steinboden landet.
Sie starrt zu uns hoch und kauert sich ängstlich zusammen. Ihr Blick fällt auf den Typen, der noch immer ausgeknockt an der Wand liegt, als wäre er tot. Dann bemerkt sie Zayn und Reece. »Nein«, keucht sie und weicht in die einzige freie Ecke des Raumes zurück. »Das ist … das ist nicht wahr.«
»Da habt ihr sie.« Buchanan trägt eine Kapuze und die schwarze Maske darunter, die sein Gesicht nicht identifizierbar macht. »Wie geht es Mable?«
»Fick dich, Vance«, sagt Zayn, der nahe der Tür steht und noch immer ganz leicht aus dem Schnitt an seinem Hals blutet. »Es hat dich einen Scheiß zu interessieren, wie es Dole geht.«
Vance knurrt etwas. Dass er uns überhaupt hilft, könnte allein daher kommen, dass auch Weaver in Lebensgefahr schwebt. Die anderen Kings sind blind, wenn sie nicht erkennen, dass Buchanan von Weavers Verhalten beeindruckt ist. Nicht einmal, dass sie sich von Jaxon ficken lässt, kann seiner Bewunderung Abbruch tun. Mit Mables Art, sich dem Spiel zu verweigern, hat sie bleibenden Eindruck bei Vance Buchanan hinterlassen.
Vermutlich holt er sich seit Oktober einen auf sie runter.
Oder, falls er das nicht tut, hält er sich zumindest krampfhaft davon ab. Ich frage mich, wie lange es gut gehen wird, einen Feind in den eigenen Reihen zu haben, der ausgerechnet Jaxons Opfer am liebsten für sich hätte.
Das schreit nach Drama. Ich fürchte, irgendwann wird Vance Buchanan sterben müssen.
»Bitte tötet mich nicht«, fleht Rachel und kauert sich ängstlich in ihrer Ecke zusammen.
»Haben wir nicht vor«, entgegnet Jaxon. »Sag uns einfach, was das für ein Boot war, was du damit zu tun hast, wer sich darauf befand und … ja. Dir wird es zumindest besser ergehen als dem Typ in meinem Rücken.«
Jaxon lügt. Das mag ich.
»Ich weiß nicht, was das für ein Boot war!«, keucht Rachel. »Irgendeine … Verrückte. So eine mit eingefallenem Gesicht, glasigen Augen, Narben überall. Und zwei Typen, die so durchschnittlich aussahen, dass ich nicht mal weiß, wie ich sie beschreiben soll. Außerdem war es dunkel.«
»Eleanore?«, fragt Sylvian rätselnd.
Rachel sieht panisch zu ihm. »Genau.«
Etwas zwischen uns verändert sich. Ich werfe Jaxon einen Blick zu, Jaxon wirft Reece einen Blick zu, Sylvian starrt einfach nur Rachel an.
»Eleanore«, murmelt Jaxon verblüfft.
»Was hast du mit ihr zu tun?«, frage ich weiter.
»Nichts! Sie haben mir aus dem Wasser geholfen. Sie hat irgendein Zeugs vor sich hin gebrabbelt, wir müssten zusammenhalten und … Total verrücktes Zeug! Sie fragte mich, wer sich noch im Haus befinden würde, weil sie einige der Pfähle sprengen werden. Ob ihr alle da wärt. Ich dachte, sie spinnt total, und habe einfach genickt. Sie fragte mich auch, welche der Stipendiatinnen auf der Party sind. Ich zählte Brittany auf, Lien, Mable, die anderen Typen aus meinem Wohnheim. Sie fragte daraufhin … wer von uns etwas mit Sylvian hatte.«
»Was hast du geantwortet?« Sylvian blickt konzentriert auf Rachel hinab.
»Dass ich keine Ahnung habe, dass ich nur weiß, dass du Mable gefickt hast!«
»Mhh«, macht Jaxon nachdenklich.
»Kurze Zeit später«, fährt Rachel stammelnd fort, »gab es eine Detonation unter Wasser und ein Teil des Hauses sackte einfach in sich zusammen.«
»Weiter«, befiehlt Reece.
Ihr Blick flackert zu ihm, dann zu Zayn, und ich sehe die ersten verzweifelten Tränen in ihren Augen. Wie schade, dass ich so gut wie nie etwas fühle, sonst könnte ich etwas Mitleid haben.
»Diese Eleanore begann mit den Typen zu streiten. Sie wollten unbedingt, dass wir Mable retten, aber sie wollte es erst nicht. Aber dann fuhren sie doch Richtung Haus und hielten nach Mable Ausschau, fischten sie aus dem Wasser und schlugen dafür … Reece«, wieder flackert ihr Blick in Crescents Richtung, »auf den Kopf, damit er sie loslässt. Ich dachte, er wäre ertrunken.« Sie schluchzt plötzlich heftig.
»Nein, ich war bei ihm«, mischt sich Zayn ein. »Sonst wäre er es vielleicht.«
»Ihr seid … Zwillinge?«
»Nee, wir wurden geklont«, erwidert Reece spöttisch.
Ich lache beinahe. Vor allem, weil Rachel darüber nachzudenken scheint, ob das die Wahrheit sein könnte.
»Können wir beim Thema bleiben?«, knurrt Sylvian. »Red weiter.«
Rachel zuckt zusammen, als hätte er sie geschlagen. Ich frage mich, was Vance tun musste, um sie hierherzubringen. Als er sie hereingebracht hat, schien sie keinen Respekt vor ihm zu haben. Aber vor Sylvian hat sie welchen. »Eleanore redete auf Mable ein. Ich glaube, Mable hat genauso wie ich echt Schiss bekommen und einfach alles gesagt, was Eleanore hören wollte. Dass sie auf ihrer Seite ist und … keine Ahnung. Dann kamen auch schon die Hubschrauber und die Typen mit uns auf dem Boot wurden unruhig. Sie diskutierten schnell und hastig und verlangten von uns, dass wir an Land schwimmen, damit wir nicht entdeckt werden, und dass wir schweigen.«
»Hm, das hat ja gut geklappt.« Zayn lächelt schief.
»Die ist verrückt! Lieber erzähle ich euch alles, als dass sie das nächste Mal mich versucht zu töten!«
»Du bist also an Land geschwommen, und dann?«
»Dann habe ich versucht, mich unter die Menschenmenge zu mischen, aber ein Polizist griff mich sofort auf. Als hätte er es mir irgendwie angesehen, dass ich einem Verhör ausweichen wollte. Ich erfand irgendeine Story und wurde erst mal in einen Mannschaftswagen gebracht. Dort drin saß ich für Stunden. Wenigstens brachten sie mich dann ins Wohnheim.«
»Wo sie ihre Sachen gepackt hat, als ich kam«, schließt Vance die Story.
»Klingt alles … ganz logisch«, fasst Jaxon zusammen. »Aber wir sollten die Sache trotzdem prüfen.«
Sylvian und ich treten vor.
»Was … was wollt ihr jetzt tun?«, stammelt Rachel, als sie von uns aus der Ecke gezerrt wird. Sylvian fasst an ihren schwitzigen Hals, drückt das Butterfly in ihre helle Haut und ich gehe zu meinem Rucksack. »Bitte, tötet mich nicht!«, ruft sie panisch.
Ein paar Sekunden krame ich darin herum und überlege, was gerade am meisten Wirkung erzielen könnte. Ich greife schließlich zu der Smith&Wesson und lade sie durch.
»Nein!«, kreischt sie und windet sich in Sylvians starkem Griff. »Nein, bitte nicht!«
»Halt still«, knurrt Sylvian, schneidet ihr in die Wange, sodass sie zusammenzuckt, und zwingt sie gleichzeitig auf die Knie.
Sie sitzt vor mir und ich drücke ihr die Mündung der Pistole mitten auf die Stirn.
»Nein!«, fleht sie. »Nein, bitte, nicht, bitte, ich habe euch alles gesagt, ich werde nie wieder … ich habe …«
»Sei still«, befiehlt Jaxon. Er steht an meiner Seite und blickt auf Rachel hinunter. »Sag uns, was wirklich auf dem Boot geschehen ist.«
»Ich habe euch alles gesagt!« Tränen rinnen wie Flüsse Rachels Wangen hinab.
»Du gehörst zu Eleanores Gruppe, oder?«, fragt Jaxon ruhig.
»Nein! Nein, wirklich nicht, nein!«
»Und kannst du uns helfen, mehr über sie herauszufinden?«
»Ich weiß nicht! Ich weiß nichts darüber! Ich habe keine Ahnung, wer diese Eleanore ist! Absolut keine! Es tut mir so leid, was ich Mable angetan habe! Ich wollte das nicht! Ich hatte so Angst um mein Studium! Bitte, bitte tötet mich nicht!«
»Hm.« Jaxon wartet eine ganze Weile, während Rachel verzweifelt heult und am gesamten Körper zittert. »Sie verdient den Tod, findet ihr nicht auch?« Er fragt es mit einer Kälte, die keinen Zweifel daran offen lässt, warum er so fühlt. Er will Rache für das, was Rachel Mable angetan hat. Noch nie wollte er sie so sehr.
»Soll ich es tun?«, frage ich ihn.
»Nein, bitte nicht!«, schreit Rachel und kneift panisch die Augen zusammen. »Bitte nicht!«
»Ich bitte dich, Romeo. Sie ist es nicht wert.« Jaxon dreht sich um. »Vance, hast du Interesse?«
»Nein, danke«, brummt er sarkastisch.
»Aber irgendwie …« Jaxon fährt sich durchs Haar, als ich die Waffe herunternehme.
Rachel atmet erleichtert auf, als hätte sie vorher keine Luft bekommen, und bleibt am Boden zusammengekauert sitzen.
Sylvian nimmt Abstand und steckt sein Messer weg.
»Irgendwie glaube ich, dass man unsere Position infrage stellen wird. Trotz allem.« Jaxon sieht uns der Reihe nach an. »Wir sollten ein Exempel statuieren. Vor allem auch, um allen, die Eleanore nacheifern wollen, klarzumachen, dass es ein Spiel um Leben und Tod ist.«
»Was schwebt dir vor?«, fragt Zayn ihn, nicht mehr ganz so gelassen wie zuvor.
Jaxon dreht sich zu dem Loser um, der noch immer betäubt an der Wand liegt. »Wir machen aus Rachel eine Mörderin.«
Vance regt sich, Sylvian verspannt und Zayn atmet scharf Luft ein.
Die nächste Frage, die Jaxon stellt, ist rhetorisch. »Wie klingt das für dich, Rachel?«