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PROLOG

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Wenn Menschen, die das Theater lieben, aber nicht am Theater arbeiten, hören, dass ich Schauspiellehrer bin, fragen sie mich oft, was man den hoffnungsvollen jungen Anwärtern denn beibringt, damit sie irgendwann zu ausgebildeten Schauspielern werden.

»Eine ordentliche Aussprache natürlich«, mutmaßen sie dann selber. »Und Atemtechnik und körperliche Anmut. Aber was noch – gibt es da überhaupt noch mehr?«

Und ob. Die anderen Elemente der Ausbildung, die einen Menschen als Schauspieler oder Schauspielerin unverwechselbar und spannend machen, sind die filigransten Faktoren, die man als Lehrer überhaupt vermitteln kann. Wenn man jemanden zum Anwalt, Arzt, Architekten, Chemiker und so gut wie jedem anderen Beruf ausbildet, kann man auf Leitsätze und Lehrbücher zurückgreifen. Nicht so beim Theater. In den meisten Berufen verwenden alle, die sie ausüben, die gleichen Werkzeuge und Techniken, doch das wichtigste Werkzeug des Schauspielers ist er selbst. Und da kein Mensch dem anderen gleicht, gibt es auch keine universelle Regel, die sich auf einen Schauspieler genauso anwenden ließe wie auf einen anderen.

Ich habe einmal vier wunderschöne Monate auf Puerto Rico verbracht, in einem kleinen Haus am Strand, mit dem ganz konkreten Ziel, über diese Fragen ein Buch zu schreiben. Ich schrieb zwei Kapitel. Als ich sie später wieder las, verstand ich sie nicht mehr, und dachte, damit wäre das Buch am Ende. Ein kreatives Lehrbuch über das Schauspielen erschien mir wie ein Widerspruch in sich, und ich fand es unsinnig, sogar falsch, etwas Derartiges schreiben zu wollen.

Dann allerdings überzeugten mich vertrauenswürdige Freunde, dass meine Erfahrungen damit, jungen Schauspielern ihr Handwerk beizubringen, doch wertvoll seien und es vielleicht mit Hilfe eines Koautors möglich wäre, aus meinen Überlegungen ein Buch zu machen. Ein Koautor wurde gefunden, ein Buch wurde geschrieben, und ich war von dem Ergebnis bitterlich enttäuscht. Zwar waren meine Grundprinzipien jetzt niedergeschrieben, aber paradoxerweise wurde nicht ausreichend ersichtlich, auf welche ganz spezielle Weise ich diese Gedanken vermittelte. Auch meine Schüler kamen auf diesen Seiten nicht vor, genauso wenig wie der Unterrichtsraum, in dem wir Woche für Woche miteinander agierten. Und schließlich – das war der größte Mangel – fehlte auch die Dramatik, die unseren Interaktionen innewohnt, wenn die Schüler mühsam lernen, was ich ihnen mühsam beizubringen versuche. Mir wurde klar, dass die Art, wie ich lehre, von der schrittweisen Entwicklung jedes einzelnen meiner Schüler bestimmt wird.

Das damalige Buch wurde nie veröffentlicht. Das hätte mein Theaterinstinkt mir gleich sagen müssen. Der Beichtmodus lässt sich im Theater, einer Arena, in der Menschen als Persönlichkeiten in der Realität des Handelns aufeinandertreffen, nicht dauerhaft aufrechterhalten. Wenn wir an die Figuren aus einem Theaterstück denken, tun wir das automatisch auf aktive, objektive Weise. Ödipus ist ein Er. Phädra eine Sie. Lear und der Narr gehen ab.

Diese ganze Vorgeschichte dient dazu, den Lesern zu erläutern, welche Form die vorliegende, neuerliche Zusammenarbeit genommen hat. In diesem Buch erscheine ich nicht als »Ich«, sondern als »Er«. Anders gesagt, ich erscheine als das, was ich bin: ein Lehrer, umringt von talentierten Schülern, der eine schwierige und letztlich unerklärbare Kunst unterrichtet, die Kunst des Schauspielens. George Bernard Shaw, den ich für den größten Theaterkritiker seit Aristoteles halte, hat einmal geschrieben: »Selbst-Verrat, so weit vergrößert, dass er der Optik des Theaters entspricht: Darin besteht die ganze Schauspielkunst.« Mit »Selbst-Verrat« meinte Shaw die reine, unbefangene Art, mit der ein talentierter Schauspieler seinem Publikum sein innerstes, intimstes Wesen enthüllt. Auf den folgenden Seiten enthüllen sich die Schauspielschüler durch die diversen Anforderungen der Übungen, um so die Selbsterkenntnis zu erreichen, die für die Umsetzung der Grundprinzipien meines Schauspielansatzes nötig ist. Auch ich »verrate« mich, denn um das zu vermitteln, was ich weiß, muss ich zwangsläufig sehr viel mehr von mir preisgeben, als jeder vernünftige Mensch seinem Priester beichten würde.

Eine letzte Bemerkung noch: Falls ich mich der Kritik aussetze, indem ich mich zum Hauptakteur der folgenden Aufzeichnungen mache, so tue ich das nur im Namen der Kunst der Selbst-Enthüllung auf dem Theater, denn das ist genau die Rolle, die ich in meinen Unterrichtsstunden spiele. Und zwar mitten auf der Bühne!

Sanford Meisner,

New York City, Oktober 1986

Schauspielen. Die Sanford-Meisner-Technik

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