Читать книгу Trust me, Vögelchen! - Sara-Maria Lukas - Страница 4
Kapitel 1
Оглавление„Das Licht geht so nicht. Bob! Was sollen die verdammten Scheinwerfer auf der rechten Seite, wir drehen von DA!“
Trevor Quentin wedelt wild mit dem zusammengerollten Skript in seiner Hand in eine Richtung und Bob nickt. „Alles klar, Boss, kein Problem, geänderte Pläne müssen einem nur mitgeteilt werden, nicht wahr?“
Annabell presst die Lippen fest aufeinander. In ihr verkrampft sich schon wieder alles. Dabei hat sie nichts falsch gemacht. Allein die miese Stimmung, die Trevor verbreitet, reicht, um ihr Magendrücken zu verursachen. Es ist, als würde seine Laune die Luft verpesten, die sie einatmet.
Bob grinst nur. Wie beneidenswert. Keiner am Set ist so entspannt wie Bob, dabei ist er es, der die Allüren ihres Regisseurs am heftigsten zu spüren bekommt.
„Wo ist das Kostüm der Virginia? Annabell! Sage kann nicht auftreten, weil es nicht da ist! Du solltest doch dafür sorgen, dass es geändert wird!“
Sie zuckt zusammen, als die heisere Stimme Trevors in ihre Richtung dröhnt, und dreht sich schnell zu ihm um. „Annie ist dabei. Es muss jeden Moment fertig sein, aber zaubern kann sie nun mal nicht.“ Sie hält ihr Handy hoch. „Sobald sie sich meldet, laufe ich rüber und hole es.“
Trevor schnaubt. „Was muss die dumme Kuh auch schwanger werden, bevor die Kiste abgedreht ist!“
Annabell schluckt. Sie wird das Handy in der Hand behalten, um sicher zu sein, dass sie den Anruf der Kostümbildnerin nicht verpasst. Schließlich hat sie nur das Vibrieren, falls das Bluetooth ausfallen sollte. Einen Klingelton darf sie ja nicht einstellen. Trevor nervt es, Telefongebimmel zu hören, und die Gefahr, dass es eine Aufnahme stören könnte, ist natürlich auch riesengroß.
Sie greift an das kleine Bluetooth-Ohrding mit Mikro, das sie bei der Arbeit trägt, und rückt es zurecht.
Trevor blättert in seinem Skript und überfliegt ein paar Zeilen. „Wir drehen erst die Szene mit dem Cowboy und ihrem Dad.“
„Okay, ich sage allen Bescheid.“ Annabell geht hektisch die Tabelle auf ihrem Klemmbrett durch, um zu sehen, wer für diese Szene gebraucht wird, und rennt in Richtung der Wohnwagen außerhalb des parkähnlichen Grundstücks, die den Darstellern als Garderoben dienen. Hoffentlich sind noch alle da. Trevor würde den nächsten cholerischen Anfall bekommen, falls schon einer, in der Annahme, dass er erst am nächsten Morgen auftreten würde, nach Hause gefahren ist.
Aber zum Glück sind alle da. Als sie zurückkehrt, steht Trevor mit dem neuen Techniker Todd und den Kameraleuten auf der Terrasse der schlossähnlichen Villa. Sie brauchen für den Film eines dieser typischen protzigen Millionärshäuser aus dem letzten Jahrhundert, bei denen man von einem riesigen Garten direkt an den Strand gehen kann. Das Haus steht zum Verkauf, deswegen konnten sie es für die Dreharbeiten mieten.
Ein leichter Wind weht und macht die Hitze einigermaßen erträglich. Trotzdem klebt Annabells Kleidung an ihrer Haut. Sie muss jedes Mal durch den riesigen Garten bis vor das Haus laufen, um vom Set zum Quartier der Crew zu gelangen. Die Eigentümer haben Angst, dass der gepflegte Rasen zu viel Schaden nimmt, wenn die Wohnwagen und Container dort stehen.
Die Männer besprechen die nächste Szene. Das dürfte einen Moment dauern. Annabell nutzt die Zeit, um den Campingtisch aufzuräumen, der als Regieschreibtisch dient und den Trevor vermutlich innerhalb weniger Minuten erneut in ein chaotisches Durcheinander verwandeln wird, sobald er zurückkehrt, aber das ist nun mal ihr Job. Als sie sich unbeobachtet fühlt, zieht sie das Fläschchen mit Desinfektionslösung aus der Hosentasche, besprüht ihre Hände damit und verreibt alles. Trevor schwitzt immer gewaltig, und wenn er seine Arme auf den Tisch auflehnt und Annabell hinterher dort aufräumt, hat sie den Drang, sich zu reinigen.
Es sind nur noch drei Bleistifte da. Es müssen vier sein. Hektisch sucht sie den Fußboden unter dem Tisch ab und atmet erleichtert auf, als sie den Stift entdeckt. Schnell legt sie ihn in die Reihe zu den anderen auf der schmalen, grauen Ablage, die sie extra für die Bleistifte besorgt hat.
Ihr Handy brummt unter dem Oberarm. Wie immer hat sie es da eingeklemmt, wenn sie beide Hände frei haben muss. Zum Glück nimmt sie das Vibrieren wahr, obwohl der Stoff ihrer Bluse es dämpft. Vermutlich wäre es direkt auf der Haut deutlicher zu spüren, aber das kann sie nicht. Sie klemmt das Handy oft unter den Arm, und wenn da kein Stoff wäre, würde der Schweiß ihrer Haut am Smartphone kleben. Was für eine widerliche Vorstellung.
Emily, ihre Kollegin, steckt das Handy immer in die Gesäßtasche ihrer Jeans, wenn sie am Set arbeitet. Annabell ist das zu unsicher. Natürlich hört man über den Ohrstöpsel, wenn jemand anruft, aber was, wenn das Ding mal nicht funktioniert? Was, wenn sie das Handy in der Tasche stecken hat und nicht merkt, dass ein Anruf eingeht?
Annabell weiß, dass Emely sich über ihren Spleen amüsiert, und vermutlich tun das einige weitere Kollegen auch. Sollen sie, egal, Annabell kann nicht anders. Außerdem hat die Psychologin gesagt, sie dürfe sich nicht unter Druck setzen, sondern solle so leben, wie sie sich sicher fühle.
Auf dem Display erscheint nicht Annies Name, sondern der von Sandy. Mit gerunzelter Stirn meldet sie sich. „Was gibt’s, Schwesterchen?“
„Hi, Bella! Wollte nur mal hören, ob du noch lebst.“
Annabell stöhnt. „Ich habe gerade keine Zeit, um zu telefonieren.“
„Arbeitest du etwa jetzt noch?“
„Am Set haben wir keine festen Arbeitszeiten, das weißt du doch.“
Sandy seufzt. „Schade, ich dachte, wir treffen uns mal wieder auf einen Cocktail am Strand.“
„Ist mit Mike Schluss?“
„Wie kommst du darauf?“
Annabell verdreht die Augen. „Du meldest dich grundsätzlich nur bei mir, wenn du jemanden zum Ausheulen brauchst.“
„Der Mistkerl hat mich betrogen.“
Trevor hat seine Besprechung beendet und kehrt zu seinem Tisch zurück.
„Süße, ich rufe dich an, wenn ich Zeit habe, dann kannst du mir alles erzählen, okay?“, murmelt Annabell hektisch.
Sandy stöhnt theatralisch. „Okay.“
Annabell drückt den Anruf weg. Typisch ihre kleine Schwester. Wieso fällt Sandy immer wieder auf Typen herein, die sie dann doch nur verarschen? Warum kann sie nicht mal solo bleiben, bis einer kommt, der nicht so ein Fiesling ist? Nein, sie muss sich stets dem Erstbesten an den Hals werfen. Dabei stehen die Männer bei ihr Schlange, und sie könnte sich die Zeit nehmen, einen Typen erst näher kennenzulernen, bevor sie mit ihm ins Bett steigt, aber das macht sie nicht. Sobald einer nett lächelt, schmilzt sie verliebt dahin und vergisst, dass sie auch ein Gehirn zum Denken hat.
Sandy hat dieses gewissen Etwas, das Männer anzieht wie stinkendes Fleisch die Fliegen, doch wenn eine Frau so einfach zu haben ist, darf sie sich nicht wundern, wenn sie auch schnell wieder fallen gelassen wird.
Trevor hat es sich mit der Kameraposition doch wieder anders überlegt, er dreht noch mal um und ruft die Männer erneut zu sich. Annabell nutzt die Zeit und reinigt mit dem Spray schnell noch mal ihre Finger. Wer weiß, wann sie wieder die Gelegenheit dazu hat, und es gibt für sie nichts Widerlicheres als klebrige Finger.
Das Handy brummt erneut. Das wird Annie sein. Annabell sieht auf das Display. Nein, es ist Ken von der Produktionsfirma. Der hat ihr gerade noch gefehlt. Sie tippt auf die grüne Taste und drückt das Headset wieder in die optimale Position, um ihn gut hören zu können. „Hi, Ken!“
„Hi, Annabell, Darling. Gehst du heute Abend mit mir aus? Wir essen, trinken Schampus und haben wilden Sex am Strand.“
„Nein.“
„Okay.“
Annabell stöhnt genervt. Meine Güte, hält der sich mal wieder für lustig. „Was willst du?“
„Ich soll dir Bescheid geben, dass nächste Woche eine Fotojournalistin aus Germany anreisen wird.“
Na klasse. Wann soll sie für die denn noch Zeit haben? „Was will die bei uns?“
Ken gluckst. „Fotos machen?“
„Was du nicht sagst, aber ich muss doch wissen, was genau, wen, wann und ob ich auch Interviewtermine vereinbaren soll und ob ...“
„Keine Ahnung, sie kommt von einem deutschen Kinomagazin. Mehr weiß ich nicht. Du musst eben spontan organisieren, was sie braucht. Das wird ja nicht so schwer sein. Die genauen Flugdaten bekommst du noch, ein Zimmer hat der Auftraggeber aus Germany bereits reserviert.“
„Und wie lange bleibt sie?“
„Hier steht zehn bis vierzehn Tage.“
„Geht’s nicht genauer? Ich muss doch …“
„Nö. Ciao.“ Es klickt und Ken hat das Gespräch weggedrückt, ohne sich die Mühe zu machen, ihr zuzuhören.
„Arschloch“, knurrt sie leise, während sie das Telefon zurück unter den Arm klemmt. So ein Mist! Sie wird mindestens zehn Tage lang eine Frau am Hals haben, die sich bestimmt furchtbar wichtig findet und sämtliche Tagesabläufe durcheinanderbringt. Wahrscheinlich will sie wissen, wo die Stars abends anzutreffen sind, und Annabell muss mit ihr nächtelang in den Bars rumsitzen und ihr beim Flirten zusehen. Bei der Aussicht juckt es schon wieder in ihren Armbeugen und Kniekehlen. Sie hasst das! Es gibt zwei Worte, auf die sie allergisch reagiert: Spontan ist das eine und Improvisieren das andere. Um sich wohlzufühlen, braucht sie Pläne. Ablaufpläne, auf die sie sich verlassen kann. Tief in ihrem Brustkorb spürt sie die herannahenden Wellen einer Panikattacke. Oh nein! Tief atmen und die Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand richten. Die Kamera. Okay. Die Kamera steht auf einem stabilen Stativ. Einatmen. Ausatmen. Die Kamera ist schwarz. Einatmen. Ausatmen. Ein rotes Kabel hängt daran. Einatmen. Ausatmen.
Das Handy vibriert. Diesmal ist es eine WhatsApp von Annie. Das Kleid ist fertig. Endlich mal eine gute Nachricht. Annabell läuft los in Richtung des Containerbüros an der Straße, in dem sämtliche Kostüme aufbewahrt werden und in dem Annie auf einem kleinen Tisch ihre Nähmaschine stehen hat. Eins … zwei … drei … Annabell starrt vor sich auf den Boden und atmet bewusst bei jedem Schritt. Vier … fünf … sechs … es sind siebenundsechzig Schritte bis zum Container, und der Aufruhr in ihrem Brustkorb beruhigt sich, während sie zählt.
Aufatmend lächelt sie Annie an, als die ihr den Fummel entgegenhält.