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Kapitel 3

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Nervös starrt Annabell auf die Uhr in ihrem Armaturenbrett, während sie das Desinfektionsspray in ihren Händen verreibt. Sie muss in zwanzig Minuten am Terminal sein, hoffentlich würde sie das schaffen.

Das Team hat mal wieder länger gedreht als geplant. Jim Wartenheimer war persönlich am Set und hat mit Trevor ewig über eine Kameraeinstellung und einen Dialog diskutiert. Trevor wollte den Text kürzen, weil er der Meinung war, dass das Gespräch zu lang sei, und Jim hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Bei ihrem Streit war den wichtigen Herren natürlich scheißegal, dass sie, die unwichtige Produktionsassistentin, noch die Journalistin vom Flughafen abholen muss. Manchmal hasst Annabell ihren Job.

Sie wird die Frau nur kurz willkommen heißen, ins Hotel bringen und dann direkt zu Hause ins Bett fallen. Sie reibt sich über die Stirn und streicht ein paar Haarsträhnen zurück, die sich aus ihrem Zopf gelöst haben.

Ein Fußgänger überquert vor ihrem Auto im Laufschritt die Straße. Sie muss hart bremsen und donnert mit der Faust auf die Hupe. „HEY!“

Der Typ winkt gelassen ab und läuft auf dem Gehweg weiter. Arschloch.

Sie ist so schrecklich müde. Die Drehtage beginnen im Moment um sechs Uhr am Morgen und Pausen hat sie den ganzen Tag lang so gut wie keine.

Endlich erreicht sie die Abzweigung zum Flughafen und biegt ab. Zum Glück findet sie dort schnell einen Parkplatz. Wenn sie rennt, müsste sie es pünktlich ins Terminal schaffen.

Außer Atem und durchgeschwitzt hetzt sie durch die Drehtür in die Ankunftshalle, zieht das Schild mit dem Namen ihrer Produktionsfirma aus der Tasche und stellt sich gut sichtbar für die ankommenden Reisenden an die Seite.

Wie sie auf den Anzeigetafeln sehen kann, ist die Maschine vor einigen Minuten gelandet. Die Fotografin müsste also jeden Moment am Ausgang erscheinen. Angestrengt hält Annabell nach einer Frau Ausschau, der eine dieser typischen, riesigen Fototaschen über der Schulter hängt, wie Journalisten sie haben. Nebenbei reinigt sie noch schnell ihre Hände, denn es wäre wirklich peinlich, würden sie kleben, wenn sie der Fremden zur Begrüßung die Hand gibt.

Doch es kommt keine Frau mit einer solchen Ausrüstung durch die Tür, sondern ein sportlicher, drahtiger Kerl mit blonden Haaren, die nicht so aussehen, als hätte er sie sich innerhalb der letzten Stunden gekämmt.

Er trägt in der anderen Hand eine Reisetasche, bleibt am Durchgang zur Ankunftshalle stehen und sieht sich um. Nicht nur Annabell mustert ihn, auch zwei weitere Frauen drehen die Köpfe nach ihm um, denn er ist einer dieser Typen, auf die jede Frau abfährt. Er trägt ein schwarzes, enges T-Shirt, eine abgewetzte Jeans und Sneakers. Annabell kann den Blick nicht abwenden. Irgendetwas an ihm fasziniert sie auf fast hypnotisierende Weise.

Plötzlich sieht er zu ihr rüber und nickt ihr zu. Erschrocken wendet sie sich ab und hält wieder nach der Fotografin Ausschau.

Drei Minuten später steht der Typ vor ihr, und es ist ihr nicht möglich, seine Anwesenheit zu ignorieren.

„Hi. Ich bin Ian Carter.“

Ihr Kopf zuckt herum, und ihr Blick bleibt an einer Kette hängen, die er um den Hals trägt. Der Anhänger ist rund. In dem silbernen Rahmen, der ihn umfasst, befindet sich eine schwarze Fläche, auf der sich, als hell glänzende graue Linie, eine Triskele ausbreitet, die Ähnlichkeit mit dem chinesischen Yin-Yang-Zeichen hat.

Das Symbol kennt sie. Mittelalterfans und Esoteriker tragen so was, aber Annabell kennt es vor allem seit vielen Jahren aus der BDSM-Szene. Man findet es im Internet auf den entsprechenden Seiten.

Einen Moment lang ist sie völlig konfus, dann fängt sie sich, hebt den Kopf und sieht ihm ins Gesicht. Sein Kinn ist mit Bartstoppeln bedeckt, seine Lippen bilden eine geschwungene Linie und ein paar leicht wellige Haarsträhnen fallen ihm in die Stirn. Seine Haarfarbe ist ein Mix aus weizenblond mit dunkleren Strähnen, was seiner Person einen verwegenen Ausdruck verleiht. Er lächelt, während er aus braunen Augen auf sie herabsieht. Doch die freundliche Miene kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Blick auf fast arrogant wirkende Weise direkt und forschend auf ihr ruht.

Annabell runzelt die Stirn. Was will der Typ von ihr? Kennt er sie von damals? Quatsch. Die letzten Sessions hatte sie vor sieben oder acht Jahren, und sie hat sich seitdem viel zu sehr verändert, als dass sie jemand aus der Zeit erkennen könnte.

„Hi“, grüßt sie zögernd zurück und lässt den Blick an ihm vorbei, wieder durch die Halle gleiten.

„Warten wir auf einen weiteren Ankömmling?“ Seine Stimme ist tief und scheint die Luft zum Vibrieren zu bringen.

„Was?“

„Holst du nicht nur mich ab?“

„Ich verstehe nicht …?“

Er neigt leicht den Kopf zur Seite. „Du bist doch das Empfangskomitee, das mich ins Hotel bringen soll, oder nicht?“

„Ähm … ich warte auf eine Redakteurin von Yellow Light aus Germany.“

Er winkt ab. „Die kommt nicht, sie ist krank geworden. Ich bin der Ersatz.“

„Oh.“ In Annabells Nacken kribbelt es plötzlich und sie spürt Hitze im Gesicht. „Sorry, äh … das hat mir … äh … keiner gesagt.“

Seine Augenbrauen zucken höher. „Und ist das jetzt ein Problem?“

„Was? Äh … nein, natürlich nicht.“

„Dann können wir ja los.“

„Ja.“ Sie deutet zur Tür. „Mein Auto steht draußen.“

„Tatsächlich?“ Er grinst. „War hier drin kein Parkplatz mehr frei?“

Annabell verdreht die Augen. „Sehr witzig.“

Verdammt! Wo ist denn ihr Verstand geblieben? Der Typ muss sie für total bescheuert halten. Sie atmet tief durch und konzentriert sich. „Soll ich dir eine Tasche abnehmen?“

„Danke, geht schon. Sagst du mir deinen Namen?“

„Sorry, natürlich. Ich bin Annabell Walter, Produktionsassistentin und deine Ansprechpartnerin während deines Aufenthalts hier.“

„Hi, Annabell. Nett, dich kennenzulernen.“ Während er ihren Namen sagt, sieht er ihr in die Augen, als wäre es nicht nur eine Floskel, sondern eine tiefsinnige, wichtige Erkenntnis. In ihrem Bauch kribbelt es ganz unten, fast im Becken, da, wo es gefährlich wird, weil es mit Erregung zu tun hat und den Verstand durcheinanderbringt.

Sie verlassen das Terminal und er hebt den Kopf. „Ganz schön schwül bei euch.“

„Ja, wir haben einen heißen Sommer dieses Jahr. Du sprichst sehr gut Englisch.“

Ian fummelt eine Sonnenbrille aus seiner Reisetasche und setzt sie auf.

„Ich bin in den USA aufgewachsen und erst vor ein paar Jahren mit meinen Brüdern nach Deutschland ausgewandert.“

Natürlich. Sein Name ist amerikanisch, sie hätte auch selbst draufkommen können, dass er kein Deutscher ist.

Er atmet deutlich sichtbar tief durch. „Gutes Gefühl, mal wieder Heimatluft zu schnuppern.“

Als sie das Auto erreichen, öffnet Annabell den Kofferraum und Ian verstaut sein Gepäck. Dann steigen sie ein.

Während sie den Motor startet, bekommt sie bereits Platzangst. Die Nähe des fremden Mannes macht ihr zu schaffen. Sie greift zu ihrer Sonnenbrille, die wie immer über dem Rückspiegel hängt, und setzt sie auf. Dann sprüht sie noch kurz ihre Hände ein und verreibt das Desinfektionszeug, bevor sie losfährt. Seinen Seitenblick ignoriert sie dabei. Es geht ihn gar nichts an, was sie mit ihren Händen macht.

Der Typ ist für ihr kleines Auto einfach viel zu groß. Sie startet den Motor, fährt rückwärts aus der Parklücke und bremst, um in den Vorwärtsgang zu schalten. Zählen … ruhig atmen und zählen … eins … zwei … drei … einatmen … vier … fünf … sechs … ausatmen … sieben … acht … neun … einatmen … zehn … elf … zwölf … ausatmen. Ihr Puls normalisiert sich. Erleichtert fährt sie an und das Auto macht einen kleinen Ruck, weil sie versehentlich zu viel Gas gibt. Mist. Ob ihm was aufgefallen ist?

Sie wirft einen schnellen Blick zur Seite. Ian mustert sie. Durch die dunkle Brille kann sie seine Augen nicht sehen, aber der spöttisch verzogene Mund ist aussagekräftig genug. Arroganter Arsch.

„Alles okay mit dir?“, fragt er.

„Natürlich.“

„Dann ist es ja gut. Wohin fahren wir?“

„Wir drehen zurzeit in einer Strandvilla am Venice Beach und dein Hotel ist ganz in der Nähe. Ich bringe dich jetzt hin, damit du dich nach dem langen Flug ausruhen kannst. Morgen früh um sechs Uhr ist Drehbeginn. Ich hole dich um fünf Uhr dreißig ab, wenn das für dich okay ist.“

*

Ian seufzt. „Klar, ich liebe es, mitten in der Nacht aufzustehen.“

Sie runzelt die Stirn. „Ich habe den Drehplan nicht geschrieben.“

„Das weiß ich doch.“ Die kleine Annabell scheint ein Problem mit ihm zu haben. Sie ist bei der Begrüßung schon nicht gerade freundlich gewesen, und seit sie im Auto sitzen, ist ihre Gereiztheit nicht mehr zu übersehen.

Eigentlich hat sie ein nettes Gesicht, doch sie zieht die Stirn kraus und presst die Lippen fest zusammen, wenn sie ihm nicht gerade auf eine Frage antworten muss.

Ihr Blick zuckt hin und her, und wenn ihn nicht alles täuscht, hat sie sich erschrocken, als sie den Anhänger seiner Kette gesehen hat, den Cat ihm zum letzten Geburtstag geschenkt hat.

Vielleicht ist sie auch einfach nur müde. Dunkle Ränder unter ihren Augen zeugen von Erschöpfung. Der Job als Produktionsassistentin ist mit Sicherheit kein Zuckerschlecken, und Trevor Quentin hat nicht den Ruf, ein geduldiger, freundlicher Mensch zu sein. Was soll’s? Ihr Job, ihr Problem, nicht seins.

Ian lehnt sich zurück und lässt den Blick schweifen. Die Sonne ist gerade untergegangen und der Himmel tiefblau. Die Straßen von L.A. sind von Wolkenkratzern gesäumt. Was für ein krasses Gegenteil zu den schmalen Gassen der Altstadt von Stade. Fast muss er über sich selbst lachen, als ihm klar wird, dass es wohl kaum Sinn ergibt, die kleine Stadt an der Elbe mit der Metropole L.A. zu vergleichen.

Es ist schön, mal wieder in der Heimat zu sein. Sosehr ihm das Landleben in Norddeutschland auch gefällt, L.A. mit all seinen bunten Facetten ist amerikanischer Lifestyle pur, und er freut sich, hier zu sein.

Sein Handy kräht. Er zieht es aus der Tasche und sieht auf das Display. Es ist eine unbekannte Nummer, deshalb meldet er sich mit fragendem Unterton. „Carter?“

„Hier auch, alter Junge“, ertönt eine raue Stimme.

Ian grinst. „Mason.“

„Bist du gut angekommen?“

„Ja, alles bestens. Ich lasse mich gerade in mein Hotel kutschieren und hoffe, der Jetlag haut mich nicht völlig um.“

„Wir rechnen, wie vereinbart, am Wochenende mit dir. Ich habe bereits einigen Subs vorgeschwärmt, dass mein heißer Cousin anreist, der gekonnt den Rohrstock schwingen kann.“

Ian lacht. „Wenn der Job es zeitlich erlaubt, bleibt es natürlich dabei. Ich musste meinen Brüdern und ihren Frauen versprechen, jedes Detail eurer Einrichtung zu fotografieren, die ihr nicht nach ihren Plänen habt bauen lassen. Besonders diese raffinierte Liebesschaukel mit Deckenhalterung, von der du am Telefon erzählt hast, hat es unserer Cat angetan. Und die mittelalterlich anmutende Wagenrad-Idee wollen sie ebenfalls unbedingt nachbauen. Logan ist sicher, dass es so was in ganz Deutschland noch nicht gibt.“

Mason lacht heiser. „Du kannst alle Möbel nach Herzenslust ausprobieren. Hier gibt es immer genügend nette Mädchen, die mit einem Kerl wie dir sehr gerne spielen würden. Und ein paar aktuelle Profi-Fotos für unsere Website wären natürlich auch nicht schlecht.“

Ian lacht. „Die kriegst du. Ich habe meine Kamera immer dabei. Hör zu, ich melde mich, sobald ich weiß, wie mein Job hier läuft und wann ich Zeit habe.“

„Mach das. Ciao.“

„Ciao, Mason.“ Ian steckt das Handy weg.

Stille breitet sich im Auto aus. Er wirft Annabell einen Seitenblick zu. Sie starrt durch ihre Sonnenbrille nach vorn, von ihren Lippen ist nur noch ein schmaler Strich zu sehen, und ihre Finger umklammern das Lenkrad, als hätte sie die Befürchtung, dass es wegfliegt. Ups. Sie hat das Gespräch gehört. Hält sie ihn jetzt für ein Monster?

„Alles in Ordnung?“, fragt er vorsichtig.

„Natürlich. Das sagte ich doch bereits.“

„Äh … ich dachte nur, wegen des Gesprächs eben …“

„Das geht mich nichts an.“

„Ich möchte nur, dass du weißt, dass …“

„Ich will NICHTS davon wissen!“

Das war deutlich. Die Kleine entpuppt sich als keifendes Monster. Und mit der muss er es zehn Tage lang aushalten und darf ihr nicht das Popöchen versohlen! Das kann ja heiter werden. Seufzend lehnt er sich im Sitz zurück.

Sie erreichen ein exklusives Hotel. Es ist ein modernes Gebäude mit riesigen Glasfronten. Immerhin hat sich Yellow Light in Bezug auf die Unterkunft nicht lumpen lassen.

Annabell parkt und schaltet den Motor aus. Sie reißt sich die Sonnenbrille runter und springt aus dem Wagen, als könnte sie es keine Sekunde mehr neben Ian aushalten.

Gemächlich folgt er ihr, holt seine Taschen aus dem Kofferraum und schlendert ihr in die klimatisierte Lobby nach.

Er schiebt sich die Sonnenbrille über die Stirn, betrachtet die Kehrseite seiner Chauffeurin und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Schade, dass sie so ein abweisender Besen ist, ihr Arsch wirkt tatsächlich einladend.

Der Portier begrüßt sie und tippt auf seinem Computer rum.

Dann runzelt er die Stirn. „Sorry, aber das Zimmer ist erst ab Dienstag reserviert.“

„Waaas?“ Annabells Stimme klingt so schrill wie das Geschrei eines Geiers, der darauf wartet, dass ein verletztes Tier krepiert.

Ian seufzt. „Die haben bei der Reservierung bestimmt die Zeitverschiebung vergessen und dachten, ich käme erst morgen früh an. Sicher ist doch ein anderes Zimmer frei, oder?“

Der Portier verzieht das Gesicht, als hätte er Schmerzen. „Ich fürchte nicht, und Sie werden auch in keinem anderen Hotel Glück haben. Im Trump National Golf Club findet zurzeit ein internationales Turnier statt und deshalb wird jede noch so kleine Kammer der Stadt besetzt sein.“

Die kleine Geier-Belli starrt den armen Portier an, als wollte sie ihn ermorden. „Er muss irgendwo übernachten“, stößt sie schrill aus.

„Tut mir leid, bei uns ist wirklich nichts mehr frei.“

Trust me, Vögelchen!

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