Читать книгу Die Nikolaus-Entführung - Sarah Bosse - Страница 8
Warum lügt Mirja?
ОглавлениеSeltsam! Alles war so still. Wenn die Eltern Wenzel zur Arbeit waren und Yannick und Mirja das Haus für sich hatten, war sonst immer die Luft voll dröhnender Musik. Hip-Hop war bei ihnen angesagt. Aber jetzt war alles still im Haus und ums Haus herum.
Harry presste den Daumen noch einmal auf den Klingelknopf. »Die müssen doch da sein! Haben die Pudding in den Ohren?«
Das Haus der Wenzels lag kaum hundert Meter entfernt auf der anderen Straßenseite. Luc und Harry waren durch den Nieselregen hinübergespurtet. Yannick und Harry waren Klassenkameraden und dazu dick befreundet. Harry hatte sich nach der Schule noch von den beiden verabschiedet. Und ausgerechnet jetzt sollten sie nicht zu Hause sein?
Harry bullerte mit der Faust gegen die Tür.
»Hör schon auf!«, sagte Luc. »Das bringt doch nichts. Sie sind halt nicht da, hängen vielleicht bei Opa Charly rum. Sollen wir’s dort mal …« Weiter kam Luc nicht.
Denn in diesem Augenblick öffnete sich die Haustür einen Spaltbreit. Mirjas Gesicht erschien.
»Na endlich!«, stöhnte Harry. »Habt ihr gepennt?«
»N-n-nein! W-w-wir haben Mathe geübt. Hey, Harry! Wen hast du denn da mitgebracht?« Mirja riss die Haustür weit auf und rief über die Schulter: »Yannick, komm mal schnell! Überraschung!«
Yannick kam zögernd in die Diele. »Wow, Luc! Super, dass du uns endlich mal wieder im öden Habichtsdorf besuchst.« So richtig begeistert klang er allerdings nicht. »Wollt ihr reinkommen?«
Was für eine blöde Frage!
Harry und Luc folgten den Geschwistern ins Wohnzimmer. Mirja raffte hastig ein paar beschriebene Blätter zusammen und strich sich die langen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Luc bemerkte mit scharfem Detektivblick, dass die Haare an den Spitzen nass waren. Warum war Mirja so nervös?
Yannick wandte sich an Luc. »Du warst schon fast ein halbes Jahr nicht mehr hier. Hab ich recht, Alter?«
Luc schüttelte den Kopf. »Ich war doch in den Herbstferien noch zu Besuch. Weißt du nicht mehr? Wir haben bei Opa Charly Bogenschießen geübt.«
»Doch, klar!« Yannick klatschte sich vor die Stirn. »Aber du bist in der Zeit mindestens zehn Zentimeter gewachsen, und ich hab dich trotzdem wiedererkannt.« Yannick kicherte albern über seinen doofen Witz.
Luc war enttäuscht von diesem Wiedersehen. Keine Umarmung, kein Schulterklopfen. Und dazu diese merkwürdige, fast befremdliche Stimmung! Irgendwas stimmte nicht.
»Luc hat ein neues Computerspiel mitgebracht«, erklärte Harry. »Wollen wir uns das nachher mal zusammen reinziehen?«
»Klingt prima – eigentlich.« Mirja druckste herum. »Aber ich habe Yannick versprochen, mit ihm Mathe zu üben.« Sie breitete die Arme aus und zuckte mit den Schultern. »Sorry!«
Jetzt platzte Harry fast. »Seit wann braucht Yannick Nachhilfe in Mathe? Der ist doch besser als die meisten aus der Klasse. Außerdem haben wir morgen gar kein Mathe.«
Yannick guckte zur Decke. »Es ist mehr so grundsätzlich, versteht ihr?«
»Nein!«, riefen Luc und Harry gleichzeitig.
Mirja kam ihrem Bruder zu Hilfe. »Da ist noch was anderes. Bisschen peinlich, ihr dürft es nicht weitersagen! Wir müssen jede Menge Weihnachtskarten schreiben, weil unsere Eltern keine Grüße per Mail verschicken wollen. Zu unpersönlich. Also gibt es Karten mit Engelscharen und Krippchen und den Heiligen Drei Königen und natürlich Fröhliche Weihnachten! in goldener Schnörkelschrift. Yannick und ich, wir haben die ganze Schreiberei am Hals. Mit Füller.« Mirja haute sich mit den Fäusten gegen die Stirn.
Harry sagte: »Kitschige Weihnachtskarten sind doch lustig.«
»Du musst sie ja nicht schreiben«, knurrte Yannick.
Luc hatte bemerkt, dass die Geschwister auf Socken rumliefen. »Kann ich die Karten mal sehen?«, fragte er.
Mirja winkte ab. »Die sind noch verpackt. Yannick und ich machen uns erst mal was zu essen. Sehen wir uns morgen?«
Das war eindeutig. Es hieß: Haut endlich ab! Yannick begleitete Harry und Luc bis zur Haustür. Luc nahm mit einem Seitenblick wahr, dass in der Diele die Steppjacken von Mirja und Yannick an den Garderobenhaken hingen. Sie waren klatschnass. Und darunter standen die Schuhe, beschmiert mit Erde und Lehm.
»Dann statten wir eben Opa Charly einen Besuch ab«, sagte Harry und hob zum Abschied kurz die Hand. »Schade, dass ihr keine Zeit habt.«
Yannick stand im Türrahmen und schaute noch schuldbewusster. »Den Besuch bei Opa Charly könnt ihr knicken. Der macht mit seinem Kegelklub ’ne Bustour an die Mosel. Ich glaube, der kommt erst am Samstag zurück.« An Luc gewandt fügte er hinzu: »Er ist übrigens ins Gartenhaus umgezogen. Das ganze Anwesen und das Haupthaus gehören jetzt seiner Enkelin und ihrem Mann.« Dann zog er die Tür zu.
Luc und Harry liefen zur Bushaltestelle und stellten sich im Wartehäuschen unter. Der Regen hatte zwar nachgelassen, doch der nasse Wind brannte im Gesicht. Ein dicker Trecker mit einem Anhänger voller Kartoffelsäcke donnerte vorbei.
»Die beiden waren ja total komisch!«, schimpfte Harry.
»Und dass Mirja uns so derbe belogen hat!« Luc hielt die Hand hoch und zählte an den Fingern ab: »Erstens hatte Mirja nasse Haarspitzen, zweitens liefen beide auf Socken rum, drittens hingen an der Garderobe nasse Jacken, viertens standen da vollgeschlammte Schuhe.«
Harry schaute seinen Cousin verblüfft an. »Sagt dir das deine kriminalistische Logik?«
»Ganz genau!« Luc stemmte die Hände in die Seiten. »Yannick und Mirja haben nicht Mathe geübt, das war eine bekloppte Ausrede. Und den Quatsch mit den Weihnachtskarten kannst du auch vergessen. Was schließen wir daraus, Partner?«
»Dass sie gerade erst nach Hause gekommen waren, als wir geklingelt haben. Aber warum schwindeln sie uns an? Sie sind doch unsere Freunde!«
»Vielleicht, weil sie ein dickes Problem haben«, sagte Luc und dachte in diesem Moment ganz plötzlich wieder an das tanzende Licht. »Vielleicht könnten wir ihnen helfen, wenn sie irgendwie in Schwierigkeiten sind.«
»Aber erst müssen sie mal mit der Sprache rausrücken«, knurrte Harry. »Vor guten Freunden hat man keine Geheimnisse.«
Das sah Luc genauso. »Kann ja sein, dass sie morgen mit uns reden. Wenn sie wieder klar im Kopf sind. Komm, lass uns trotzdem mal zu den Gänsen gehen, auch wenn Opa Charly auf Kegeltour ist.«
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Ortsrand. Lange Jahre hatte Opa Charly dort eine Baumschule betrieben, aber dazu fühlte er sich nun zu alt. Eigentlich hieß der alte Herr Karl Merx, aber warum er von allen Opa Charly genannt wurde, wusste niemand mehr so recht. Möglicherweise lag es daran, dass er seit Ewigkeiten im Sommer einen Cowboyhut trug und im Winter eine Trappermütze aus Pelz.
Schade, dass er nicht zu Hause ist, dachte Luc. Ich hätte ihm gern mal wieder Hallo gesagt.
Wartet die nächste Überraschung auf Harry und Luc?
Lies morgen weiter!