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„Wo fahren wir hin?“, frage ich Sean, nachdem er sich in den Verkehr eingegliedert hat und den BMW durch die Straßen lenkt.

Es ist der gleiche Wagen, den er schon auf der Highschool gefahren ist. Allerdings habe ich bereits auf den ersten Blick gesehen, dass er ein paar Dinge hat machen lassen. Die Stoßstange ist nicht mehr eingedrückt und die Beifahrerseite nicht mehr zerbeult. Das war passiert, als ihm einer in die Seite gefahren war. Er hatte es damals so belassen, da die Versicherung Stress gemacht hat und er sich die Kosten sparen wollte.

„Es ist schon ein paar Jahre her, seitdem ich das letzte Mal in Las Vegas war, deswegen musste ich erst meine Eltern fragen. Ich hoffe, ich finde das Restaurant auf Anhieb.“

„Deine Eltern wohnen noch hier?“, hake ich interessiert nach.

„Ich glaube, sie werden in den nächsten Jahren ebenfalls die Stadt verlassen. Sobald meine Schwester diesen Schleimer geheiratet hat, hält sie hier auch nichts mehr.“

Bei der Erwähnung von Cole zucke ich kurz zusammen.

Weiß Sean, dass ich mit diesem Schleimer zusammen war?

Ich habe keine Ahnung, aber falls dies nicht der Fall sein sollte, muss ich es ihm früher oder später sagen. Allein der Gedanke daran, dass ich ihm unsere frühere Beziehung enthüllen muss, sorgt dafür, dass sich mir der Magen umdreht. Es fühlt sich an, als hätte ich ihn betrogen, dabei waren wir doch gar nicht zusammen.

„Aber über Cole brauche ich dir ja nichts zu erzählen. Du kennst ihn ja zur Genüge.“

Kurz schaut Sean zu mir rüber. Bei seinen Worten geht mein Mund wie von alleine auf, um etwas zu erwidern. Allerdings habe ich keine Ahnung, was ich sagen soll. Deswegen schließe ich ihn schnell wieder und hoffe, dass er es nicht bemerkt hat.

„Du weißt, dass wir zusammen waren?“, frage ich ihn, obwohl die Frage überflüssig ist.

„Sicher“, sagt er mit einer Selbstverständlichkeit in der Stimme, dass ich mir vorkomme, als wäre ich ein kleines Kind.

„Wie lange ging eure Beziehung?“, fragt er mich nun.

„Ach? Das weißt du nicht?“

„Mike hat es nicht so mit Zahlen“, erklärt er mir.

„Etwas über ein Jahr“, flüstere ich, da die Beziehung zu Cole in diesem Moment das Letzte ist, an das ich denken will.

In vielerlei Hinsicht war es falsch, mich mit ihm einzulassen. Leider wollte ich nicht auf Mike hören, der mich mehr als einmal gewarnt hat, und habe deswegen viel zu spät begriffen, wie Cole wirklich ist.

Sean scheint zu spüren, dass meine Laune sich rapide verschlechtert. Er greift über die Mittelkonsole hinweg und nimmt meine Hand zärtlich in seine.

Sofort kommt wieder das gleiche vertraute Gefühl zum Vorschein, das er schon vor Jahren in mir wachgerufen hat. Um mich abzulenken, konzentriere ich mich wieder auf die Straße.

Es dauert eine Weile, aber schließlich halten wir auf einem Parkplatz, der zwischen zwei großen Häusern liegt.

Sean sagt kein Wort, als er den Motor abstellt und aussteigt. Ich beobachte ihn dabei, wie er mit geschmeidigen Bewegungen den Wagen umrundet und schließlich vor meiner Tür stehen bleibt, um sie zu öffnen. Er schaut mich etwas unsicher an, als er mir seine Hand reicht. Auch wenn ich dieses Verhalten schon immer lächerlich gefunden habe, muss ich zugeben, dass ich die bei ihm unerwartete Höflichkeitsgeste genieße. Langsam greife ich nach seiner Hand und verschränke meine Finger mit seinen.

Ein hoffnungsvoller Ausdruck erscheint auf seinem Gesicht, der auch in mir Hoffnung weckt. Aber ich lasse es mir nicht anmerken. Immer wieder rufe ich mir in Erinnerung, wieso ich mich von ihm getrennt habe. Er wohnt in einer anderen Stadt, und alleine deswegen wird es zwischen uns nicht funktionieren.

Kaum bin ich mit beiden Füßen auf dem Boden, stellt er sich so dicht vor mich, dass ich spüren kann, wie seine Brust sich bei jedem Atemzug hebt und senkt.

„Vergiss den Idioten“, flüstert er dicht an meinem Ohr.

Sein heißer Atem streift es und sorgt dafür, dass ich eine Gänsehaut bekomme. Dem zufriedenen Lächeln, das sich auf seinem Gesicht ausbreitet, entnehme ich, dass er meine Reaktion auf ihn durchaus bemerkt hat.

„Ich habe überhaupt nicht an ihn gedacht.“

Sean sagt nichts, sondern legt seinen Arm um meine Hüfte und führt mich in das Restaurant.

„Meine Mutter meint, dass es hier das beste Steak in der ganzen Stadt gibt. Sollte es also nicht schmecken, bin ich nicht schuld daran.“

Er zwinkert mir kurz zu und rückt mir etwas unbeholfen den Stuhl zurecht, damit ich mich setzen kann.

Ich lasse meinen Blick durch das Lokal wandern und bewundere die Einrichtung, die an den Wilden Westen erinnert. An den Wänden hängen alte Sättel und Schwarz-Weiß-Bilder von Cowboys, die Lassos werfen, um Rinder einzufangen. Auch die Stühle und Tischen sehen so aus, wie ich sie mir in einem richtigen Saloon vorstelle.

Vor meinem inneren Auge erscheint ein Bild von Sean, wie er damals war. Er war ein echter Bad Boy, der mit allen Ärger hatte und sich von niemandem etwas sagen ließ. Nicht einmal von mir.

Wie ich nun aber feststellen muss, hat er sich in den letzten Jahren verändert. Wobei ich mir aber sicher bin, dass dieser Charakterzug nicht ganz verschwunden ist.

„Hast du jedes Mädchen, mit dem du zusammen warst, zum Essen ausgeführt?“, frage ich ihn kokett, um die Stimmung etwas zu heben.

„Nach dir war ich mit keiner Frau mehr zusammen. Das war mein Ernst.“

Die Mischung aus seiner Antwort und seinem Blick sorgt dafür, dass die Schmetterlinge in meinem Bauch noch wilder durcheinander flattern.

Ich lasse meinen Blick über seinen Körper schweifen, da ich das, was er sagt, kaum glauben kann. Sein Aussehen muss die Frauen doch magisch anziehen.

„Was kann ich Ihnen bringen?“

Dankbar für die Unterbrechung lächle ich die Kellnerin an. Das verschafft mir die Möglichkeit, meine Hormone wieder in den Griff zu bekommen.

„Ich nehme ein Wasser“, antworte ich ihr.

„Das Gleiche, außerdem zweimal das Steakmenü.“

Höflich nickt sie und verschwindet wieder von unserem Tisch.

„Es ist wunderbar, dass du dich wieder besser mit deinen Eltern verstehst“, beginne ich, da ich die Stille zwischen uns nicht mehr ertrage.

Auch wenn ich es mir seit unserer Trennung nie eingestanden habe, merke ich jetzt, wie sehr ich seine tiefe Stimme vermisst habe.

„Das finde ich auch. Wäre ich hiergeblieben, wäre es wohl nicht so gekommen.“

„Wie läuft es denn in Fresno?“

„Das Studium ist einfach und macht Spaß.“ Sean zuckt mit den Schultern. „Und wie läuft es bei dir?“

„Ich studiere Informatik. Eigentlich wollte ich gar nicht aufs College gehen, aber mein Vater und meine Stiefmutter haben mich so lange bearbeitet, bis ich zugestimmt habe. Deswegen wohne ich auch noch bei ihnen.“

„Wieso wolltest du denn nicht?“

„Ich hätte lieber eine Ausbildung gemacht, damit ich Geld verdienen kann. Ich will die Welt sehen, da ist es nicht sehr hilfreich, wenn man studiert.“

So oft habe ich den Leuten schon zu erklären versucht, wieso ich dazu keine Lust habe. Aber bis jetzt hat es noch keiner verstanden.

„Das wolltest du damals schon“, entgegnet Sean. „Hast du mittlerweile mal etwas von deiner leiblichen Mutter gehört?“

Als er meine Erzeugerin erwähnt, zucke ich unbewusst zusammen. Auf sie war ich noch nie gut zu sprechen.

„Wir wissen nicht, wo sie ist oder ob sie eine neue Familie hat. Aber das ist mir auch egal. Dad ist glücklich in seiner zweiten Ehe. Marianne ist wie eine echte Mutter für mich. Sie hat so viel von meinem Leben mitbekommen, dass ich sie schon seit Jahren als Mutter ansehe. Und genauso hat sie Mike und mich auch von Anfang an behandelt.“

„Ich erinnere mich noch sehr gut an ihre Pfannkuchen.“

Sean wackelt mit den Augenbrauen, was mich zum Lachen bringt. Immer wenn Marianne Pfannkuchen gemacht hat, haben wir uns alle versammelt und sind darüber hergefallen.

Während wir auf das Essen warten, unterhalten wir uns über belanglosere Dinge. Meine Sucht nach dem dunkleren Klang seiner Stimme ist wieder erwacht. Ich liebe das Gefühl, das er damit in mir auslöst. Er lässt mich ruhiger und zugleich wilder werden. Niemals hätte ich gedacht, dass er immer noch dieselbe Wirkung auf mich haben würde, sobald wir uns wiedersehen, aber es ist so.

Als die Kellnerin das Essen serviert, läuft mir von dem köstlichen Duft das Wasser im Mund zusammen. Erst jetzt merke ich, dass ich seit meinem Frühstück mit Joleen nichts mehr gegessen habe, da ich die ganze Zeit viel zu aufgeregt war.

„Ich hoffe, dass es dir schmeckt“, bemerkt Sean nach einem erwartungsvollen Blick auf seinen Teller.

Nachdem ich einen Bissen probiert habe, nicke ich begeistert.

„Deine Mutter hat einen guten Geschmack“, erkläre ich ihm.

Zufrieden grinst er mich an und probiert ebenfalls ein Stück. Während wir essen, sagen wir kaum etwas. Mein Kopf ist immer noch dabei zu verarbeiten, wie hier überhaupt passiert, sodass ich froh darüber bin, keine Unterhaltung führen zu müssen.

Allerdings spüre ich immer wieder seinen Blick auf mir. Doch sobald ich ihn ansehe, wendet er sich ab und schaut auf seinen Teller und das leckere Essen, das vor ihm steht.

„Wollen wir ein wenig spazieren gehen?“, fragt er mich, als wir um zehn Uhr das Restaurant verlassen.

„Sicher“, antworte ich, ohne darüber nachzudenken, da diesen Abend nur ungern schon so früh enden lassen will.

Ich genieße es, wieder Zeit mit ihm zu verbringen, obwohl mir klar ist, dass dies gefährlich ist. Viel zu lange habe ich dafür gebraucht, um die Trennung verarbeiten zu können, falls ich es überhaupt jemals geschafft habe. Denn wie ich jetzt merke, fühle ich mich nur bei ihm frei und sicher.

Sean nimmt meine Hand in seine und verschränkt seine Finger mit meinen. Nur mit Mühe gelingt es mir, das Zittern zu unterdrücken, welches meinen Körper zu erschüttern droht.

Wir schlagen die Richtung zum Strip ein, wo gerade viele Shows für die Touristen aufgeführt werden. Alles leuchtet in den buntesten Farben und Schilder blinken immer wieder auf, um auf die verschiedenen Glücksspiele aufmerksam zu machen. Vor dem Paris in Las Vegas bleiben wir stehen. Da sich von allen Seiten Menschen an uns vorbeidrängen, schiebt Sean mich vor sich und legt seine Arme so um mich, dass er sie vor meinem Bauch kreuzen kann. Mein Körper wird von Wärme durchflutet. Ich vergesse alles um uns herum und lasse mich in seine Arme sinken.

Obwohl ich mich immer wieder ermahne, dass ich vorsichtig sein muss, kann ich nicht leugnen, dass dies der erste Moment seit Monaten ist, in dem ich wirklich entspannt bin.

Eine Weile stehen wir so da und betrachten den kleinen Eiffelturm. Als Sean sich ein wenig von mir löst, durchfährt mich ein Gefühl von Kälte, obwohl es warm ist.

„Komm, lass uns reingehen.“

Er legt seinen Arm um mich und führt mich in das riesige Hotel.

Obwohl ich schon ein paar Mal im Inneren des riesigen Gebäudes war, habe ich es noch nie so wahrgenommen, wie in diesem Moment. Es ist geradezu magisch. Eine kleine Stadt wurde hier nachgebaut, in der romantische Musik spielt. Es gibt sogar Gondeln, die auf einem künstlich angelegten Kanal fahren.

„Setz dich dorthin“, flüstert er in mein Ohr und zeigt dabei auf einen kleinen Tisch, der in unserer Nähe steht. „Ich bin gleich wieder da.“

Sean wartet meine Antwort nicht ab, sondern dreht sich einfach um und verschwindet in einem der Häuser, die um uns herum aufgereiht sind.

Während ich auf ihn warte, betrachte ich die Menschen, die um mich herumwuseln. Sie sprechen verschiedene Sprachen, aber an ihren Gesten und der Tonlage ihrer Stimmen erkenne ich, dass sie von alldem begeistert sind. Und genauso geht es mir auch.

Wie kann man das in dieser Stadt auch nicht sein? Vor allem, wenn der Mann bei einem ist, den man in den letzten Jahren nicht vergessen konnte?

Es dauert ein wenig, bis er wieder auf der Bildfläche erscheint und zwei große Becher Eis in der Hand hält.

„Was würde wohl deine Schwester dazu sagen, wenn sie wüsste, dass du den Abend mit mir verbringst?“, frage ich ihn leise, als er sich auf den Stuhl setzt, der mir gegenüber steht.

Ich habe keine Ahnung, wieso ich diese Worte ausgerechnet jetzt ausspreche. Aber die geistern mir schon eine Weile im Kopf herum.

Heather ist wahrlich kein Fan von mir. Und das zeigt mir auch offen. Ich kann mir vorstellen, dass sie ihm das Leben schwer machen würde, wenn sie es wüsste.

„Das ist mir egal. Sie wusste auch damals nichts von uns, und wenn es nach mir geht, werde ich es auch dieses Mal vor ihr verheimlichen.“

Sean lässt mich keine Sekunde aus den Augen. Seine Worte erwärmen mein Herz, trotzdem komme ich nicht drum herum, ihn mit großen Augen anzusehen.

„Dieses Mal?“

Meine Stimme ist schrill, aber das ist mir egal. Ich konzentriere mich auf ihn und beachte meine Umgebung nicht mehr. Sollen alle anderen doch denken, was sie wollen, diese Unterhaltung ist zu wichtig.

„Weißt du noch, was ich dir damals gesagt habe?“

Ich bin sprachlos. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, dass er dies wirklich ernst meint, obwohl ich es gehofft habe. Daher nicke ich nur.

„Das war mein Ernst. Auf diese Chance habe ich gewartet. Noch einmal werde ich dich nicht gehen lassen.“

Mit leicht geöffnetem Mund sitze ich da und starre ihn an. Ich weiß nicht, was ich sagen soll oder ob ich überhaupt etwas von mir geben soll. Nur langsam kommt die Bedeutung seiner Worte bei mir an und sorgt dafür, dass mein Herz für einen kurzen Moment aufhört zu schlagen.

„Ich habe es jeden einzelnen Tag bereut, dass ich dich habe gehen lassen. Das wird mir kein zweites Mal passieren.“

Ganz automatisch nicke ich, da ich immer noch keinen Ton herausbekomme. Aber mir ist klar, dass ich ihm gerade das Einverständnis gegeben habe, dass er um mich, uns, kämpfen darf.

In der Nähe wird leise Musik gespielt, auf die ich mich allerdings nicht konzentrieren kann, da meine Gedanken sich nur um Sean drehen. Jetzt, wo er mir dies mitgeteilt hat, sieht er plötzlich viel glücklicher und geradezu erleichtert aus. Wir lachen beide und haben Spaß miteinander. All das trägt dazu bei, dass dies der schönste Abend ist, den ich je mit einem Mann verbracht habe.

Aber leider geht er viel zu schnell vorbei.

„Ich sollte dich nun nach Hause bringen“, raunt er mir zu, nachdem er meine Hand wieder in seine genommen hat.

Ich hingegen werfe einen prüfenden Blick auf die Uhr und stelle fest, dass es nur noch eine halbe Stunde dauert, bis es Mitternacht ist.

Ehe ich mich versehe passiert das, was ich mir in den letzten Stunden so sehr gewünscht habe.

Sean drückt seine Lippen sanft auf meine. Tausend kleine Explosionen werden dadurch in meinem Inneren ausgelöst. Ohne dass ich darüber nachdenke, legen sich meine Hände an seine Brust. Unter meinen Fingern spüre ich, wie sein Herz schnell und kräftig schlägt.

Noch bevor dieser Kuss beendet ist, weiß ich schon, dass ich ihn niemals vergessen werde. Egal, wie das hier ausgehen wird, dieser magische Moment wird für immer in meinem Gedächtnis bleiben. Es wird in mich eingebrannt sein, wie wundervoll es sich angefühlt hat, wieder mit diesem Mann vereint zu sein.

Sean rückt ein wenig von mir ab und schaut mir in die Augen.

„Das wollte ich schon machen, als du heute Morgen in mich hineingelaufen bist.“

Ich sehe ihm an, dass er versucht, das kleine Grinsen zu stoppen, welches sich auf seinem Gesicht ausbreitet.

Ich lege meine Hand zärtlich an seine Wange und streiche über den rauen Bartansatz. Dabei betrachte ich ihn liebevoll.

„Danke“, flüstere ich schließlich.

„Wofür?“

„Für alles.“

Second Chance For Love

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