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Kendra

Mit geöffneten Augen liege ich in der Dunkelheit des Zimmers und versuche mein noch immer wild schlagendes Herz wieder unter Kontrolle zu bekommen. Doch die Wahrheit sieht so aus, dass es mir in der letzten Stunde nicht gelungen ist und ich daher auch nicht glaube, dass ich es jetzt schaffen werde.

Immer wieder geht mir der Moment durch den Kopf, in dem man das erste Mal auf mich geschossen hat. Erst habe ich es nicht realisiert. Das heißt, ich habe es schon realisiert, aber nicht wirklich wahrgenommen. Doch in dem Moment, in dem Brady mich hinter die Hauswand geschoben hat, habe ich verstanden, was hier gerade los war. Und das war der Moment, in dem ich mich am liebsten auf den Boden gelegt und ergeben hätte.

Allerdings bin ich froh darüber, dass ich es nicht getan habe. Wer auch immer diese Männer waren, sie waren hinter uns her und ich habe es nur Brady zu verdanken, dass ich noch lebe. Ich kenne mich mit solchen Situationen nicht aus. Daher rechne ich mir auch keine allzu großen Überlebenschancen ein, wenn ich alleine auf mich gestellt gewesen wäre.

Brady hat mich zu seinem Freund Riley gebracht, den ich schon an meinem ersten Tag in dem neuen Haus gesehen habe. Nun sitzt er mit ihm und ein paar anderen Männern, die in der letzten Stunde nach und nach gekommen sind, im Wohnzimmer und erzählt ihnen was passiert ist.

Ihre leisen Stimmen dringen durch die Tür zu mir hindurch. Ich habe zwar keine Ahnung, was sie genau sagen, doch aufgrund ihrer Stimmen weiß ich, dass sie alle wütend sind.

Ich hingegen bin damit beschäftigt zu verarbeiten, dass ich mich tatsächlich mit einem Navy Seal getroffen habe. Als ich hergezogen bin, habe ich mir geschworen, dass ich genau das nicht machen werde. Ich habe mich nie als eine Soldatenfrau gesehen. Und schon gar nicht als die eines Seals. Ich wollte immer wissen, dass mein Mann abends nach Hause kommt und ich mir keine Sorgen um ihn machen muss.

Mir ist bewusst, dass sie in dieser Stadt ihr Hauptquartier haben. Ich glaube, das weiß jeder, der auch nur ansatzweise zwischendurch mal vor die Tür geht. Doch ich habe nicht gedacht, dass er einer von ihnen ist.

Auch, wenn ich es hätte wissen müssen.

Und das bringt mich zu meiner nächsten Frage.

Was ist passiert, dass er sich in psychologischer Behandlung befindet?

Das etwas vorgefallen sein muss weiß ich. Doch mich würde interessieren, wie diese Geschichte aussieht.

Ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit vergeht, bis ich höre, wie sie sich voneinander verabschieden und die Tür aufgeht, um einige Sekunden später wieder ins Schloss zu fallen. Doch ich weiß, dass es eine Ewigkeit ist. Und dann dauert es noch einmal ein paar Minuten, bis die Tür zum Gästezimmer aufgeht und ich die Umrisse von Brady im Licht der aufgehenden Sonne erkennen kann.

Einige Sekunden steht er im Türrahmen und sieht mich einfach nur nachdenklich an. Doch dann schließt er sie wieder und kommt auf das Bett zu. Seufzend lässt er sich auf die Kante sinken und greift nach meiner Hand.

„Geht es dir gut?“, fragt er mich schließlich.

Einen Moment sehe ich ihn an, ehe ich mich aufrichte und leise seufze.

„Ich muss den Schreck noch ein wenig verarbeiten, aber mir geht es gut“, erkläre ich ihm und zucke mit den Schultern.

Er wirft mir einen skeptischen Blick zu, als würde er sicher gehen wollen, dass es auch mein ernst ist. Doch ich lasse keinen Zweifel daran. Daher beuge ich mich ein Stück nach vorne und küsse ihn sanft. Gerade kommt es mir so vor, als könnte ich ihn nur so davon überzeugen, dass er sich keine Sorgen um mich machen muss.

„Du brauchst dir keine Gedanken zu machen“, flüstere ich dennoch.

„Das mache ich aber, da ich weiß, wie das hätte ausgehen können. Und das werde ich so lange, bis ich weiß, was hier los ist.“

Ich spüre die Anspannung, die von ihm ausgeht. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken während ich überlege, wie ich dafür sorgen kann, dass er sich ein wenig entspannt. Doch es ist egal, was mir in den Sinn kommt, ich bin mir sicher, dass es nichts bringen wird.

Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er es der Polizei überlassen soll, damit sie herausfinden, was hier los ist. Doch ehrlich gesagt bin ich mir gerade nicht sicher, ob die da wirklich etwas unternehmen können. Außerdem ist er ein Seal.

Er weiß, was er macht. Das hat er mir vorhin schon bewiesen und die Tatsache, dass seine Teamkollegen so schnell hier waren, beruhigt mich irgendwie.

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, sagt er nun und zieht so meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Dir wird nichts passieren. Aber ich will, dass du dich die nächsten Tage krankmeldest.“

Überrascht sehe ich ihn an.

„Wieso das?“

Ich bin verwirrt und kann es auch nicht für mich behalten.

„Solange ich nicht weiß, was hier vor sich geht, will ich kein Risiko eingehen. Und das würde ich dann eindeutig. Doch ich bin mir sicher, dass diese Männer auch dafür verantwortlich sind, dass mein Haus nur noch eine Ruine ist. Schon alleine aus diesem Grund müssen wir vorsichtig vorgehen.“

Er lässt keinen Zweifel daran, dass er es so meint, wie er es gesagt hat.

Mit leicht geöffnetem Mund sehe ich ihn an. Ja, dieser Gedanke ist mir auch schon gekommen. Schließlich ist alles in derselben Nacht geschehen. Doch es aus seinem Mund zu hören ist etwas völlig anderes.

Einige Sekunden betrachtet er mich, bevor er seine warme Hand an meine Wange legt.

„Ich bin ein Seal, daher muss ich mir leider diese Frage stellen“, stellt er nun fest.

Ich nicke, da ich nicht genau weiß, was ich darauf erwidern soll. In meinem Kopf gehen unzählige Dinge herum, sodass ich nicht einmal weiß, wo ich gerade überhaupt anfangen soll. Aber wenigstens vor mir selber kann ich zugeben, dass ich es mir nach dem Mist auch nicht zutraue, zur Arbeit zu gehen. Daher bin ich ganz froh darüber, dass er anscheinend der gleichen Meinung ist.

„Guten Morgen“, begrüße ich Riley, als ich am nächsten Tag in die Küche komme.

Es dauert ein paar Sekunden, doch schließlich dreht er sich in meine Richtung und betrachtet mich mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

„Morgen“, verkündet er gut gelaunt. „Hast du gut geschlafen?“

„Nachdem ich endlich zur Ruhe gekommen bin, ja.“

Nachdenklich sieht er mich einen Moment an. Doch dann bedeutet er mir, dass ich mich setzen soll und reicht mir eine Tasse Kaffee.

„Wo ist Brady?“, frage ich ihn, nachdem ich mich einmal umgesehen habe. Weit und breit kann ich ihn jedoch nirgends entdecken oder hören.

„Er ist gerade bei seinem Wagen und will es untersuchen.“

„Untersuchen?“

Einen Moment sieht er mich so an, als würde er darüber nachdenken, ob er es mir wirklich sagen kann. Doch dann seufzt er.

„Er will sich vergewissern, dass er keinen Sender an seinem Fahrzeug hat.“

Es dauert einen Moment, bis seine Worte bei mir angekommen sind. Doch dann sehe ich ihn mit großen Augen an.

In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Er braucht es nicht zu sagen. Ich weiß auch so, was er mir damit sagen will. Auch wenn ich noch immer etwas unter Schock stehe, bin ich nicht doof.

„Oh Mann“, entfährt es mir, obwohl ich es eigentlich für mich behalten wollte.

Doch in dem Moment, in dem er noch etwas von sich geben will, dringt das leise Klingeln meines Handys an meine Ohren.

„Wer ist das?“, erkundigt sich Riley, nachdem ich einen Blick auf das Display geworfen habe.

„Meine Schwester. Da muss ich rangehen. Ich möchte nicht, dass sie sich auch noch Sorgen macht.“

Ich werfe ihm einen entschuldigenden Blick zu, bevor ich nach der Tasse greife und aus dem Zimmer verschwinde.

„Hi“, begrüße ich sie, nachdem ich die Tür zum Gästezimmer hinter mir geschlossen habe.

„Hi. Hast du Lust, dich heute mit mir zum Mittag zu treffen?“

„Heute ist schlecht“, murmle ich.

Gleichzeitig hoffe ich, dass sie nichts von der Unsicherheit bemerkt, die mich gerade fest im Griff hat.

„Oh“, sagt sie nur.

„In den nächsten Tagen geht es bestimmt“, erkläre ich schnell, bevor sie noch etwas dazu von sich geben kann.

„Darf ich den Grund erfahren?“

Tief atme ich durch, während ich überlege, was ich ihr erzählen kann. Zumindest werde ich ihr nichts von der Schießerei berichten, das steht fest. Doch irgendetwas muss ich ihr geben.

„Ich hatte gestern ein Date und wir treffen uns nachher wieder“, beginne ich also und berichte ihr von Brady.

Vor meinem inneren Auge kann ich sehen, wie sie sich ein Stück nach vorne beugt und mir aufmerksam zuhört, bis ich geendet habe. Dabei behalte ich jedoch für mich, dass er ein Navy Seal ist.

Ich weiß nicht genau wieso, doch meine Schwester ist nicht sehr gut auf sie zu sprechen. Dabei kann ich mich nicht daran erinnern, dass sie mal mit einem zusammen war und auch sonst kennt sie niemanden. Doch ich habe auch keine Lust es jetzt herauszufinden.

„Das ist ja wunderbar. Wann lerne ich ihn kennen?“ Vor Aufregung ist ihre Stimme so schrill, dass ich mein Handy ein Stück vom Ohr entfernt halte, damit ich nicht taub werde oder einen Tinnitus bekomme.

„Das ist alles noch ganz frisch. Daher würde ich es lieber erstmal ruhig angehen lassen“, erwidere ich, als die Tür aufgeht und Brady auf der Bildfläche erscheint.

„Aber ich will ihn sehen“, erklärt sie nun mit beharrlicher Stimme.

„Irgendwann wirst du das. Jetzt muss ich aber auflegen, die Arbeit ruft.“

Mit diesen Worten unterbreche ich die Verbindung, ohne darauf zu warten, dass sie noch etwas sagt.

„Ich wollte nicht stören“, erklärt er und deutet dabei auf das Telefon.

„Keine Sorge, meine Schwester wird es überleben.“

Ich kann mir ein leises Lachen nicht verkneifen.

Einen Moment sieht Brady mich an, ehe er sich langsam in Bewegung setzt. Schließlich bleibt er so dicht vor mir stehen, dass ich meinen Kopf ein Stück in den Nacken legen muss, um ihn ansehen zu können.

„Ich werde gleich kurz verschwinden. Ich möchte, dass du in dieser Zeit in der Wohnung bleibst. Ich werde zu den Häusern fahren. Es wird nicht länger als eine Stunde dauern.“

Mit einem eindringlichen Blick betrachtet er mich. In diesem Moment hat er mich so sehr in seinen Bann gezogen, dass ich nur nicken kann. Ich bin nicht in der Lage, einen Ton von mir zu geben.

„Mach dir keine Sorgen. Sollte etwas sein, ruf mich sofort an. Ich werde mich dann direkt auf den Weg machen.“

„Ich mache mir keine Sorgen um mich, sondern um dich“, erkläre ich ihm, obwohl ich es eigentlich für mich behalten wollte.

Einen Moment ist es ruhig zwischen uns. Dann nimmt er mein Gesicht in seine Hände und küsst mich sanft. Ich schließe meine Augen und schmiege mich an seinen warmen Körper.

Nicht zum ersten Mal wird mir bewusst, dass ich keine Ahnung habe, was das zwischen uns ist. Auch als ich letzte Nacht in seinen Armen eingeschlafen bin, habe ich darüber nachgedacht. Doch genauso wie vor einigen Stunden weiß ich es auch jetzt nicht.

„Ich bin bald wieder da.“

„Pass auf dich auf“, weise ich ihn noch an.

Er nickt und verschwindet dann genauso plötzlich, wie er aufgetaucht ist. Nachdem ich gehört habe, wie die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen ist, lasse ich mich seufzend auf das Bett sinken und fahre mir über das Gesicht.

„Verdammt!“

Seal Team 9

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