Читать книгу Einmal im Jahr für immer - Sarah Ricchizzi - Страница 9
Kapitel 4
ОглавлениеDer Clown
Wenn für gewöhnlich von der Tür in irgendeiner Weise Geräusche herkamen, ignorierte sie Amelie stets gekonnt. Ganz gleich, ob freundlich geklopft oder zögerlich geklingelt wurde. Oder aber ein energisches Klingeln. Oder etwa ein länger anhaltendes Klopfen. Ihre Antwort war stets gleich ausgefallen: Schweigend. (Ausgenommen der Pizzalieferant).
Für gewöhnlich endete die Aufmerksamkeit auch nach einer kurzen Weile, so dass sie nie wirklich länger gestört wurde, obwohl es da nicht viel zu unterbrechen gegeben hätte.
Mit der Zeit lernte der Postbote zum Beispiel, dass er es sich sparen konnte, überhaupt den Versuch zu wagen und sie wohl nie wieder an die Tür locken konnte. Für die ersten Wochen hatte er sich erstaunliche Mühe dabei gegeben ihre gesamten Briefe und Rechnungen, sowie mit der Zeit natürlich auch Mahnungen, zuzustellen. Allerdings hatte auch der Briefkasten so seine Grenzen. In dem Moment wäre es wahrscheinlich ratsamer gewesen, eine Haustür mit Briefschlitz zu besitzen. Dann hätte man ein ganzes Haus, um Post anzusammeln.
Allerdings war ihr Postbote sehr ambitioniert, denn er hinterließ ihr einen Brief. Ja, tatsächlich. Und auf diesem teilte er ihr mit, dass die Nachbarn ihren überquellenden Briefkasten nicht mehr ertragen konnten und für eine große hässliche Tonne zusammengelegt hatten, damit ihre Post nun darin solange ihren Platz fand, bis sie sich dazu herablassen konnte und ihren Briefkasten endlich wieder leeren würde. Amelie war etwas stutzig gewesen, hatte aber auch nicht den Nerv gehabt, das zu hinterfragen. Denn eigentlich wohnten in ihrer Nähe keine angrenzenden Nachbarn.
Am Ende hatte selbst ihre Mutter nachgegeben und Amelie holte bei tiefer Nacht nicht selten das schlechte Gewissen ein. Doch sie konnte es nicht. Sie konnte all den Menschen, die es vollbrachten weiterzuleben, nicht entgegentreten. Sie wollte keine normalen Gespräche führen, über das Wetter plaudern oder sich Ratschläge erteilen lassen, die sie nicht hören wollte.
Geh mal wieder raus.
Du musst nach vorne blicken.
Oder ihr persönlicher Favorit: Willst du dir vielleicht professionelle Hilfe holen?
Dabei wusste sie, dass sie die Menschen um sich herum verscheuchte, vielleicht irgendwann einsam endete und schlussendlich der Postbote sie irgendwo tot auffinden könnte, doch das war ihr für den Moment nicht weiter wichtig.
Bis allerdings zu diesem Tag. Es war mittlerweile über drei Monate her. Genau genommen siebenundneunzig Tage.
Nach all dieser Zeit erklang schließlich ein terroristisches Klopfen an ihrer Tür und schien jeden Moment diese zu durchbrechen, wenn derjenige nicht alsbald aufhören würde. Dabei wunderte Amelie sich, wie dieser jemand, der da so aggressiv ihre Haustür misshandelte, sich nur annähernd vorstellen konnte, dass irgendein vernünftiger Mensch auf diesem Planten überhaupt öffnen würde.
POOOOOOOMMMM!
POOOOOOOOMMMM!
POOOOOOOOOMMMMM!
Begonnen hatte das Klopfen, was vielmehr so klang, als würde jemand mit dem Fuß gegen die Haustür stampfen, als Amelie gerade auf der Waage stand. So manch einer verlor sein Hungergefühl, während der anhaltenden Trauer, aß nicht ein bisschen und magerte derart ab, dass selbst das Erscheinungsbild das Elend, welches man durchlitt, nur allzu deutlich hervortat. Bei Amelie war es etwas anders zugegangen.
Ihr Leben lang hatte sie stets auf ihre Figur geachtet und war mehr als gertenschlank gewesen. Sie aß ausschließlich gesund und genehmigte sich nicht einmal Kaffee oder eine Diät-Cola. Disziplin gehörte zu einer ihrer Tugenden, weshalb sie es auch beruflich hoch hinausgeschafft hatte. Niemals verließ sie ihren Pfad der Vernunft und erlaubte sich zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens Fehltritte.
Als Math allerdings verschwand, wusste sie sich nicht mehr zu erklären, weshalb sie eigentlich noch versuchen sollte, diesen oberflächlichen Schein zu wahren. Wozu all die Bemühungen, die harte Arbeit, die Strenge und Kraft, die sie aufgebracht hatte, um sich dieses Leben zu errichten, wenn es am Ende alles nicht getaugt oder nicht ausgereicht hatte, um ihn hier bei ihr zu halten?
Amelie war es leid zu kämpfen. Einen Kampf, den sie gegen ihren Willen und all ihren Bemühungen, nie im Stande gewesen war zu gewinnen. Er ist von ihr gegangen und es wäre ganz gleich gewesen, was sie getan hätte, um es zu verhindern. Kein Wort dieser Welt hätte ihn retten können. Denn wie es schien, war er schon viel länger verloren, als es ihr jemals bewusst gewesen war.
Von dieser Erkenntnis getroffen, ließ sie ihre Schilder fallen und hörte einfach auf sie selbst zu sein. Wozu höflich und freundlich sein, Anrufe beantworten und der Welt dort draußen gerecht werden? Warum sollte sie einer Gesellschaft, die sie nicht verstand, eine Antwort schulden und sich selbst so aufopfern, dass es sie von innen heraus zerfraß?
Amelie wollte schlichtweg nicht mehr. Sie konnte nicht mehr diese Marionette sein, die sich zum Willen anderer lenken ließ, damit das Gewissen Fremder beruhigt war und sie den Schmerz und das Leid nicht mitansehen mussten. Also ließ sie alles raus. Zeigte, dass sie litt, ein Teil von ihr fort war und dies für immer.
Amelie Red war gebrochen. Doch leider zerbrach ihr Körper nicht in einem glatten Schnitt. Es war unschön, würde Narben hinterlassen und vielleicht nicht einmal mehr zu retten sein. Selbst wenn die Wunden irgendwann geheilt sein werden, würden die richtigen Stücke fehlen, um sie wieder Ganz werden zu lassen.
Amelie würde nie wieder so leben können wie zuvor. Diese neue Seite von ihr hatte einen großen Teil verloren und sie war sich nicht einmal sicher, ob das, was fehlte, jemals auch nur annähernd wieder gefüllt werden konnte.
Einen Ersatz für die Liebe, gab es nämlich nicht.
Abgesehen davon, dass ihre Pflege zu wünschen übrigließ, ihre Haare so fettig waren, dass sie daraus gewiss hätte irgendetwas frittieren können, Mitesser ihre Haut übersäten, als hätte sie zu einer riesigen Feier geladen und sie begonnen hatte Kleidung zu tragen, die bereits im Wäschekorb vor sich hin muffelte, hatte sie angefangen sich täglich mit Pizza beliefern zu lassen.
Es war nicht so, dass sie zuvor kein Fan von Fastfood gewesen war. Amelie und Mathiew hatten unwahrscheinlich viel Zeit in der Küche verbracht, um die verrücktesten Dinge zu kochen. Dabei konnte sich so eine Kochpartie mal gerne um Stunden in die Länge ziehen. Diese Zeit hatte sie genossen. Stets etwas Anderes zu probieren. Nie den gleichen Trott in sich reinzuschlingen. Kochen konnte so hingebungsvoll sein, wenn die nötige Zeit und Leidenschaft genutzt wurde, um aus den Gerichten etwas ganz und gar Besonders zu machen. Dabei kam es nicht selten vor, dass sie während der Zubereitung so viel genascht und getrödelt hatten, dass es zum eigentlichen Hauptgang gar nicht mehr gekommen war. Sie hatten gerne experimentiert, unbekannte Früchte und Gewürze probiert, waren über den orientalischen Markt gelaufen, mit Speisen zurückgekehrt, die sie erst im Internet hatten nachschlagen müssen. Ja, mit Math war das möglich gewesen. Er hatte gerne Dinge probiert, nicht nur, was das Kochen betraf. Nichts schreckte ihn jemals zurück. Darum war es umso erstaunlicher für Amelie gewesen, dass dieser scheinbar lebensfrohe Mensch, eigentlich depressiv war, getarnt hinter Abenteuern und diesem Lachen.
Sein Geheimnis hatte sie erst entdeckt, als sie zusammengezogen waren. Vor vielen Jahren. Und sie war überzeugt gewesen, dass sie es schaffen würden. Gemeinsam. Mit seinem Lachen und ihrer Kraft.
Die Küche konnte sie kaum betreten. Zu niederschmetternd war der Gedanke, dass sie dort gemeinsam so viele Stunden verbracht hatten und es nie wieder tun würden. Dass sie ihn nicht umarmen konnte, während er irgendeine Kreation auf dem Herd verbrennen ließ. Oder mit Feuer spielte. Dass sie gegenseitig blind irgendwelche Dinge in die Töpfe schütteten und das Kochen genossen. Es war wie ein Spiel gewesen. Doch ohne ihn, würde sie den Spaß darin nicht erkennen können. Sie verspürte nicht die geringste Lust sich alleine so lange vor den Herd zu stellen, um für sich ganz allein irgendeinen Brei zu kochen, nur damit sie satt wurde.
Also war für Amelie Red die Küche geschlossen.
Und das für immer.
Stattdessen begutachtete sie die Prospekte, die ihr Postbote hin und wieder in ihre Posttonne fallen ließ. Unter anderem fiel ihr der Pizzalieferservice auf, der innerhalb von dreißig Minuten lieferte und eine Geldzurückgarantie versprach. Bislang waren sie mehr als pünktlich gewesen, doch das machte nichts. Dafür musste sie nicht hungernd auf der Couch verelenden, was allerdings auch ihre größte Jeans mittlerweile zur Kenntnis nahm.
Aus Neugier, ob es an der Jeans, die vielleicht bedingt durch eine irrationale Luftfeuchtigkeit, oder Heinzelmännchen bei Nacht (man wusste ja nie, wie es um einen geschieht) oder aber an dem zu schnellen Pizzalieferservice lag, wagte Amelie einen Gang auf die Waage. Sie wunderte sich, warum sie sich darum eigentlich scherte. Doch irgendwie trieb sie wohl die Neugier dorthin, als wollte sie erfahren, wie weit sie ihren Körper bereits zerstört hatte.
In dem Moment, da die Nadel ausschlug, polterte es an der Tür und für einen winzigen Augenblick, war sich Amelie nicht sicher, ob das Klopfen oder die Zahl sie derart zusammenschrecken ließ.
Um ein möglichst vortreffliches Ergebnis zu erlangen, hatte sich Amelie natürlich nackt auf die Waage gestellt. Nicht der beste Moment, um einen ungewollten Besucher zu empfangen. Schon gar nicht solch einen penetranten. Besonders lange hielt das Klopfen nicht an. Es verlief eher testweise: Zuerst ein störrisches Hämmern. Dann Pause. Wahrscheinlich um zu lauschen, ob jemand dadurch vom Stuhl gefallen war. Dann ein erneutes Poltern, nur noch lauter. So laut, dass man meinen könnte, die Tür würde diese ungenierte Art nicht mehr allzu lange überleben.
Amelie hielt die Luft an und wartete.
Ihr war klar, dass sie die Tür niemals öffnen würde. Das einzige, was es noch zu entscheiden galt, war, ob sie die Polizei rufen müsste. Ob da jemand mit ihr Scherze trieb? Nun, darauf ließ sich Amelie nicht ein. Sie stieg ganz unbeeindruckt wieder auf die Waage. Nur, um ganz sicher zu gehen, ob die Nadel nicht vielleicht durch das Beben der Tür derart weit ausgeschlagen war. Es war still. Verdammt. Das Ergebnis war korrekt gewesen: Zwölf Kilo in zwölf Wochen. Nur, dass es leider kein Titel eines Diät-Bestsellers war, sondern die saftigen Pizzen, die sich als schleichendes Hüftgold an sie geheftet hatten.
Amelie wusste nicht genau, wie lange sie diese rote Nadel der Waage anstarrte, um zu begreifen, was für eine absurde Zahl dort eigentlich angezeigt wurde. Allerdings konnte sie mit ziemlicher Sicherheit sagen, wann sie von der Waage wieder hinunterstieg: Nämlich, als ein Clown mit Farbeimern plötzlich in ihrer Badezimmertür stand. In dem Moment, indem sie ihn registrierte, erkannte auch er, in welch missliche Lage er sich hineinmanövriert hatte.
Der Clown hatte die Tür so schnell zu geschnellt, dass Amelie sich für einen winzig kleinen Augenblick nicht wirklich sicher war, ob dies gerade wirklich passierte: Sie befand sich nackt auf ihrer Waage im Badezimmer im ersten Stock und ein Clown stand im Türrahmen. Mit Farbeimern.
Ein Clown.
EIN CLOWN.
Ein wirklich echter, geschminkter, mit einer kräftigen roten Nase bestückter Clown. Samt Kostüm und wenn sich ihre Erinnerung von diesem recht kurzen (und dann wiederum viel zu langen) Moment nicht trog, dann hatte er auch diese Luftballons bei sich getragen, aus denen sie für gewöhnlich bei Kindergeburtstagen Tiere knoteten. Nur, dass es sich hier ganz gewiss um keinen Kindergeburtstag handelte.
Dann schrie sie. Endlich. Von der anderen Seite der Badezimmertür erklangen ebenfalls Laute.
»VERSCHWINDEN SIE!«
»Sorry! Ich dachte ich hätte mich mehr als deutlich angekündigt!«
»RAUS! ICH RUFE DIE POLIZEI!«
»Kein wirklich guter Bluff. Du bist nackt, kein Telefon in Sicht Schätzchen.«
»RAUS! RAUS!« Amelie starrte entsetzt die Tür an. Ihr Herz pochte fürchterlich. Was geschah hier eigentlich? Was war das für ein makabrer Scherz? Hatte sie nicht bereits genug durchlitten? Musste jetzt auch noch ein Clown in ihr Haus einbrechen, um… ja, was machte der eigentlich hier? Wollte er sie umbringen? Nun, dafür hätte er die Badezimmertür wohl eher offenstehen gelassen. Hatte er dann etwa vor sie auszurauben? In einem Clownskostüm wohl eher eigenartig. Andererseits: Was war bitteschön normal an dieser Situation? Es hätte zweifelsfrei einfach keinen vernünftigen Grund geben können. Dies konnte nur bedeuten: Ein Perverser. Wunderbar. Das würde ihr doch kein Mensch glauben. Math hingegen schon.
Bitterkeit breitete sich auf ihrer Zunge aus, als sie daran denken musste, dass sie ihm diese Verrücktheit nicht erzählen konnte. Wie sie da so auf der Waage stand und ein Clown sie splitterfasernackt angestarrt und dann die Tür verschlossen hatte. Außer ihm hätte sie das niemandem erzählen können. Er wäre wahrscheinlich neidisch gewesen, auf diesen Moment und hätte ihr diese Geschichte für immer nachgetragen, zu jedem Augenblick sie damit aufgezogen und niemals losgelassen. Womöglich hätte er ihr zum Geburtstag eine rote Nase geschenkt, nur um sie zu ärgern. Doch das ging nun nicht mehr.
»Ich bin kein Verrückter, auch wenn unser erstes Zusammentreffen wohl eher… unglücklich verlaufen ist.«
»RAUS HABE ICH GESAGT!« Dann entkam von der Tür ein eigenartiges rauschendes Geräusch, welches Amelie schließlich von der Waage runtersteigen ließ. Sie tapste verängstigt rückwärts Richtung Fenster, wobei ihr, auch ohne einen Blick hinauszuwerfen, bewusst war, dass sie wohl eher einen Kampf mit diesem Clown überleben würde, als einen Sprung durch das Fenster. Während ihre Gedanken sich mit dem Geräusch so ziemlich jedes schreckliche Szenario zusammenreimten, was von giftigem, betäubendem Gas bis hin zu einer Waffe reichte, entpuppte sich das Etwas, als ein Stück Papier, welches der Clown durch die Tür hindurch schob.
»Wie gesagt, ich bin nicht verrückt. Aber lies ruhig selbst. Ich fange in der Zwischenzeit unten schon einmal an.«
»Was? Moment — womit? WAS?«
Ihr Herz beruhigte sich, als sie tatsächlich hörte, wie der Mann die Stufen hinunterging. Mit Skepsis betrachtete Amelie zunächst von der Ferne das Papier, welches nun so unschuldig auf ihrem gefliesten Boden lag. Die Fliesen waren eine einzige Katastrophe, was Amelie dazu brachte für einen flüchtigen Augenblick vage zu lächeln. Das Haus war bei ihrem Kauf stark renovierungsbedürftig gewesen. Doch es befand sich in einer traumhaften Umgebung, eingebettet zwischen Feldern und Wäldern, etwas einsam abgelegen und gleichzeitig nahe der Stadt.
Ihr Zuhause war ein Zufluchtsort und eine Oase gewesen. Der Platz, an dem ihre Liebe noch weiterwachsen sollte.
Amelie hatte sich in dieses Haus und die Umgebung verliebt, allerdings direkt verneint, es zu kaufen. Albern wäre es, schließlich müsste so viel gemacht werden und um jemanden zu beauftragen, dafür hätten sie kein Geld. Sie hatten gerade genug, um dieses Haus mit einem Kredit kaufen zu dürfen. Doch Math war der Abenteurer. Er liebte Herausforderungen, stichelte sie an, zwang sie dieses Wagnis einzugehen, auf seine Art. Er wusste bis wohin er sie schubsen musste, um ihre Grenzen abzuwägen. Dabei wird er das Glänzen in ihren Augen gesehen haben, als sie sich in dieses unfassbare Haus und die Lage verliebt hatte und nur ihr Zwang zur Sicherheit sie von diesem Heim fernhielt. Math war immer der einzige gewesen, der es geschafft hatte, diese Barriere zu überwinden und sie immer ins kalte Wasser schmiss. Er wollte sehen, was sie aus solch einer Situation machen würde, wie sie durchdrehte, wahnsinnig wurde, mit ihrer durchgeplanten Art. Er genoss es, wenn das absolute Chaos um Amelie ausbrach und sie das Gefühl hatte, die Wände aufwärts laufen zu können.
So hatte er es auch hierbei geschafft. Schließlich hatten sie gemeinsam den Kaufvertrag unterschrieben und das, obwohl sie beide jeweils keine Handwerksgenies waren. So wirkte auch der Fußboden im Badezimmer. Als hätten Dilettanten ihr Werk versucht. Nicht eine Fliese lag eben oder gar gerade auf dem Boden. Doch das machte nichts. Den Tag, als sie die Fliesen gekauft und verlegt hatten, würde sie nicht vergessen. Dabei konnte sie nicht abstreiten, dass sie sich aufgeregt und am Ende wahrscheinlich das meiste verunstaltet hatte.
Als Math vorschlug die Fliesen selbst zu verlegen, hatte sie direkt dagegen argumentiert. Ihr Vater könne das machen, das wäre wohl die geschickteste Lösung. Doch Math wollte sein Eigenheim selbst errichten, ohne jedwede Hilfe. Er hatte sie in den Wahnsinn getrieben und eigentlich waren sie am Ende so verblieben, dass er sich wenigstens Ratschläge erteilen lassen würde. Als sie dann jedoch nach einem langen Arbeitstag nach Hause gekommen war, hatte Math es versucht, wie er es ausdrückte. Leider mit eher weniger Erfolg. Dabei hatte er kläglich darauf gehofft, dass es ihr nicht weiter auffallen würde und ihr zunächst nichts erzählt. Dass er etwas auffällig versucht hatte sie vom Badezimmer fernzuhalten, war ihr damals ebenfalls nicht entgangen, was sie jedoch eher dazu antrieb hochzugehen und einen Blick hineinzuwerfen. Hätte sie es nur bei einem Anblick belassen, so wäre das Endergebnis wahrscheinlich nicht so verheerend gewesen: Denn Amelie war wutentbrannt auf den noch nassen Beton getreten, in dem die Fliesen wenige Stunden zuvor eher weniger ordentlich und gerade verlegt worden waren.
Jetzt waren die Fliesen nicht nur krumm und schief, sondern auch so uneben, dass man bergauf lief, wenn man das Bad betrat. Ganz zu Beginn sogar, genau dort, wo das Blatt Papier vom Clown nun hineingeschoben worden war, da hatte Amelie ihre Fußspitze hineingekrallt, als sie ins Bad gestürmt war und dann gemerkt hatte, dass der Boden unter ihr nachgab. Dort hatte sich dann eine Kuhle gefügt, die sie nicht mehr ausgeglichen hatten.
An dieser Stelle nistete sich nun dieser Zettel ein und wartete darauf von ihr aufgehoben zu werden.
Amelie atmete tief durch und ließ sich auf diese Situation ein. Der Clown war hinabgegangen. Ihre Kleidung lag leider im Schlafzimmer. Schließlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass sie sich so schnell wieder anziehen müsste. Also blieb ihr die Möglichkeit aus dem Bad, so flink es ihr möglich war, zu verschwinden, sich rasch etwas einigermaßen weniger Stinkendes überzustreifen und dann das Haustelefon zu suchen. Dabei fiel ihr wieder ein, dass sie es zerstört hatte. Und ihr Smartphone lag entladen irgendwo in einer ihr unbekannten Ecke. Wunderbar. Da drängte sich wochenlang die Außenwelt in ihr Leben, um ihr etwas, wie sie ihr zu sagen pflegten, Gutes zu tun und wenn sie dann wirklich Hilfe brauchte, konnte sie niemanden rufen, weil sie sich vollkommen isoliert hatte. Ausgezeichnet gelaufen.
Einen Schritt nach dem anderen. Zuerst: Kleidung.
Amelie hatte zunächst gar nicht in Erwägung gezogen sich das, was der Clown dort hinuntergeschoben hatte, überhaupt näher zu betrachten. Ganz gewiss handelte es sich um etwas Unnützes, was sie unnötig ablenken sollte. Als sie dann zur Tür hinüberging und einen kleinen Spalt mit vorsichtigen Fingern öffnete, wich ihr Blick doch etwas von Neugier geplagt hinunter auf das Papier. Sie verharrte in ihrer Bewegung, ließ die Tür außer Acht und ging in die Knie. Amelie konnte gar nicht genau sagen, wie lange sie diesen Brief ansah, bevor sie ihn endlich zwischen die Finger nahm. Maths Handschrift würde sie überall herauslesen können. Er nutzte stets einen Füllfederhalter, weil es ihm gefiel, wie die Tinte zerfloss und etwas Vergängliches bei sich trug.
Dort standen sie niedergeschrieben, ganz unerwartet, in einem Brief auf ihrem Badezimmerfußboden: Die letzten Worte von Mathiew Red, ihrem toten Ehemann.