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5. Kapitel

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Erschöpft ließ sich Sandra in ihren Lieblingssessel in ihrem kleinen, aber gemütlichen Wohnzimmer fallen. Ihr Lieblingssessel, der einmal ihrer Großmutter gehört hatte, und den sie geerbt hatte, als diese ins Pflegeheim gekommen war, war ihr immer eine Zuflucht, eine Oase der Ruhe in beigem Gobelinmuster, bequem wie kein zweiter. Sandra legte ihre müden Füße auf den zum Sessel passenden Hocker und schaltete lustlos den Fernseher an. Es war ein alter Apparat, aber er tat es noch. Vieles in ihrer Wohnung war alt oder gebraucht. Sie hatte sich nie die Möbel kaufen können, die ihr gefielen, sondern immer nur die, die sie sich leisten konnte. Dennoch, sie hatte das Beste daraus gemacht und fühlte sich wohl in ihrer und Sams Wohnung. Ihr Wohnzimmer war ein wenig zusammengewürfelt, aber sie hatte es genauso dekoriert, wie sie es mochte. Niemand war da gewesen, der ihr hatte hineinreden können. Die Wand hinter ihrem Fernseher hatte sie dunkelrot gestrichen, und sie hatte einige Teelichthalter, Kerzenständer und anderen Dekokrimskrams in Gold. Über ihr furchtbar hässliches graues Sofa hatte sie einen bordeauxroten Überwurf drapiert und überall, auch auf dem Boden, lagen Kissen aus orientalischen Stoffen und schufen ein gemütliches und warmes Ambiente. Annabell war vor einiger Zeit für einen Modeljob in Marokko gewesen und hatte ihr einige Meter wunderschöner, farbenprächtiger Seide mitgebracht. „Die kriegt man da nachgeschmissen“, hatte sie beteuert und Sandra in die Hand gedrückt. Damit hatte sie Sandra eine riesige Freude bereitet. Sie konnte ein wenig nähen, und so hatte sie sich Vorhänge und eben diese Kissen einfach selbst gemacht. Seitdem bemühte sie sich, Sam von diesen fern zu halten – was gar nicht so einfach war -, aber verklebte Kinderfingerchen vertrugen sich einfach nicht mit orientalischer Seide. Sie liebte ihr kuscheliges Wohnzimmer, hier fand sie meist die Entspannung, die sie so dringend brauchte. Und heute war wirklich ein anstrengender Tag gewesen – wieder mal. Allmählich hatte sie das Gefühl, in einer Zeitschleife festzustecken, denn jeder Tag schien so zu verlaufen wie der vorhergehende. Sam wecken, für sich und Sam Frühstück bereiten (sie aß Müsli, Sam Cornpops), Sam anziehen und versuchen, ihn pünktlich im Kindergarten abzuliefern, um dann auch pünktlich im Laden sein zu können. Dann neun Stunden ungeliebte Supermarktarbeit. Obwohl, alles hasste sie nicht an ihrem Job. Aber es war nun mal nicht ihr Traumjob – das war nicht schönzureden. Früher, vor Sam, hatte sie andere Träume gehabt – Fotografin, vielleicht Ärztin, oder zumindest Arzthelferin. All das hätte ihr, so glaubte sie fest, mehr Freude gemacht als ihr Mädchen-für-Alles-Job bei Hank. Aber für all das hätte sie eben auch eine Ausbildung gebraucht, drei Jahre mit nur winzigem Einkommen, und wer bitte schön hätte eine Schwangere oder junge Mutter eingestellt? Damals, als sie feststellte, dass sie schwanger war, war das ein Schock gewesen. Für ein Baby hatte sie sich wirklich noch zu jung gefühlt, und Tyler… so richtig rund lief es bei ihnen beiden schon seit Monaten nicht mehr. Oft hatte sie sich bei dem Gedanken ertappt, wie es wohl ohne ihn wäre, was sie tun würde, wenn sie sich trennten. Doch Tyler war ihr Freund, ihr erster richtiger Freund, und sie hing an ihm. Auch wenn er immer weniger mit ihr unternahm, öfter mit seinen Kumpeln rumhing und zu viel trank… er war immer noch ihre erste große Liebe, oder? Als sie dann überfällig war, hatte sie das zunächst verdrängt. Obwohl ihre Periode ansonsten stets pünktlich kam, redete sie sich ein, es gäbe einen Grund für die Verzögerung. Stress, eine Erkältung… oder nur Zufall. Mögliche Ursachen gab es viele. Doch irgendwann war sie immer unruhiger geworden, und hatte sich mit klopfendem Herzen und rotem Kopf einen Schwangerschaftstest gekauft. Zwei Striche, schwanger, das war’s dann. Sandra war geschockt. Aber dies war auch eine Chance, befand sie, als der erste Schreck hinter ihr lag. Ihre Beziehung zu Tyler konnte sich zum Besseren wenden, er würde Vater, sie würden heiraten… Sandra begann, sich ihre Zukunft in den schönsten Farben auszumalen. Sicher, sie waren eigentlich zu jung für ein Kind, aber eine Ausbildung oder ein Studium liefen ihr nicht weg, oder? Sandra hatte die Hand auf ihren noch ganz flachen Bauch gelegt und zaghaft Glück empfunden. Nur wie sollte sie es Tyler sagen? Am nächsten Abend waren sie verabredet, wollten endlich mal wieder essen gehen. Sandra beschloss eine Planänderung – sie würde kochen. Lasagne, Tylers Lieblingsessen. Sie würde alles romantisch dekorieren, Kerzen anzünden und es ihm dann sagen. Sicher wäre er auch erst mal schockiert. Aber sicher würde er sich, genau wie sie, mit dem Gedanken anfreunden und sich über die unerwartete Wendung freuen. Das redete sie sich ein, so lange, bis sie es selber glaubte. Doch dann war alles ganz anders gekommen. Tyler klingelte, gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und ging an ihr vorbei in die Wohnung. „Lange kann ich nicht bleiben, Sandy“, gab er ihr dabei zu verstehen, „ich bin nachher noch mit den Jungs verabredet.“ Sandra seufzte leise, so dass Tyler sie nicht hören konnte. So oft war sie in letzter Zeit zugunsten seiner „Jungs“ vernachlässigt worden… aber heute würde hoffentlich alles anders werden. Sie schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. „Klar, Schatz“, gab sie zurück, „kein Problem!“. Sie führte ihn zu dem liebevoll gedeckten Tisch, auf dem auch ein kleines, hübsch verpacktes Päckchen stand. Darin befand sich ein Schnuller… mal sehen, ob Tyler den Wink verstand. Sie selbst hatte gelächelt und Freude empfunden, als sie ihn gekauft hatte. In der Babyabteilung des riesigen Drogeriemarkts hatte sie sich ein bisschen verloren gefühlt – ein Fremdkörper zwischen Müttern, Kinderwägen und schreienden Säuglingen, überfordert von der Auswahl an Milchpulver, Windeln und Feuchttüchern. Noch. Bald würde sie dazu gehören, obwohl sie sich im Moment beim Anblick von Stilleinlagen (was war denn das?!) noch schaudernd abwandte. „Setz dich doch“, ermunterte sie Tyler, der nur dastand und nachdenklich dreinschaute. „Hab‘ ich irgendeinen Jahrestag vergessen, oder so?“, fragte er schroff. „Quatsch“, beschwichtigte ihn Sandra, „ich wollte dir nur eine Freude machen… und eine kleine Überraschung habe ich auch noch für dich!“. Klein war die Überraschung nur im wahrsten Wortsinn. Sandra hatte im Internet herausgefunden, dass ihr Kind gerade mal zwei Zentimeter groß war. Noch so klein und doch hatte es ihr Leben bereits unwiderruflich verändert… und nun würde es Tyler erfahren. Sie servierte ihm ein großzügiges Stück der Lasagne, die sie eigens für ihn gemacht hatte, nahm sich selbst ein kleineres und setzte sich Tyler gegenüber. Über die brennende Kerze hinweg lächelte sie Tyler an, prostete ihm zu (er hatte Wein, sie Traubensaft) und freute sich, dass auch er sie anlächelte. Sein tolles Lächeln… deswegen hatte sie sich damals in ihn verliebt, und sie sah es leider immer seltener. „Guten Appetit“, wünschte sie ihm, und beide begannen, zu essen. Gott sei Dank! Erleichtert stellte Sandra fest, dass ihr die Lasagne gelungen war. Man stelle sich vor, so eine große Neuigkeit, und das Essen wäre missraten…! Aber dem war nicht so. „Hmmm“, machte Tyler genießerisch, „schmeckt gut, Sandy!“ Und so aßen sie, schweigend, aber irgendwie zufrieden und behaglich. Als Sandra Tyler dann noch eine zweite Portion brachte, zog er sie auf seinen Schoß und küsste sie zärtlich. „Mal sehen… vielleicht müssen die Jungs heute mal ohne mich auskommen“, murmelte er und fuhr mit seiner Hand ihren Oberschenkel hinauf unter ihren Rock. Sandra küsste ihn und machte sich los. Sie freute sich. Jetzt war der richtige Moment, befand sie. „Schön! Aber iss erst mal weiter… und hast du denn das Geschenk gesehen?“, wollte Sandra wissen, und deutete auf das kleine Päckchen. Tyler nickte mit vollem Mund, und als er den Bissen heruntergeschluckt hatte, fragte er, „für mich?“. Nun nickte Sandra, und Tyler begann, das Papier abzureißen. Sandra hielt die Luft an. Wie würde er reagieren? Nun… kurzum, seine Reaktion war nicht wie erhofft ausgefallen, im Gegenteil. Am Ende stand sie alleine da, traurig, verlassen, schwanger.

So war sie bei Hank gelandet, und das war alles in allem gut so. Nur diese Sache mit der Zeitschleife… obwohl, heute hatte es immerhin eine Abwechslung gegeben. Dieser unverschämte Mann mit der Tüte mit den tollen Augen ging ihr einfach nicht aus dem Sinn. Er hatte ihr Paroli geboten – das schaffte sonst kaum jemand. Caro und Annabell sagten immer, sie habe die schärfste Zunge der nördlichen Halbkugel, und die hatte ihr das ein oder andere Mal bereits Ärger eingebracht. Sie lächelte bei der Erinnerung, und ertappte sich dabei, dass sie hoffte, ihn wiederzusehen. Vielleicht konnte sie dann das letzte Wort behalten. Mehr wollte sie nicht – von Männern hatte sie unwiderruflich die Nase voll. Die Ausnahme war Sammy, und der zählte nicht. Er war ihr Engel, ihr größter Schatz, ihr Augenstern… er hatte ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt. Seit er da war, war nichts mehr wie zuvor. Ihr ganzes Leben hatte sich geändert, sie hatte sich geändert. Sie war Mutter geworden, und die Muttergefühle hatten sie mit voller Wucht erwischt, als sie ihn zum ersten Mal im Arm gehalten hatte, knallrot, verschrumpelt, und aus Leibeskräften brüllend. Sie hatte seinetwegen ihre Träume begraben, und dennoch war er ihr größtes Glück, und um nichts in der Welt wollte sie jemals wieder ohne ihn sein. Sandra lächelte beim Gedanken an ihren Sohn, den süßen, perfekten kleinen Sammy. Er brauchte sie, und sie brauchte ihn. Nach einem Blick auf die Uhr – 23:14, schon so spät! - stand sie schwerfällig aus ihrem gemütlichen Sessel auf und rieb sich ihre vor Müdigkeit juckenden Augen. Sie sollte ins Bett gehen, sonst würde sie noch im Sessel einschlafen und morgen mit entsetzlichen Rückenschmerzen aufwachen (das war ihr tatsächlich schon einige Male passiert). Sie tappte durch den kurzen Flur ihrer sehr kleinen Wohnung. Bevor sie ins Bad ging, um sich zum Schlafen fertig zu machen, ging sie wie immer noch einmal in Sams Zimmer, um nach ihm zu sehen. Er hatte das größte Zimmer der Wohnung, und Sandra hatte es liebevoll dekoriert, mit bunten Wänden und noch bunteren Möbeln. Alles gebraucht, aber Sandra hatte die Möbel liebevoll aufgearbeitet und fröhlich-bunt lackiert. Er sollte nicht jetzt schon spüren, dass sie mehr sparen mussten als seine Spielkameraden im Kindergarten. Sandra trat an sein Bett, das so voller Kuscheltiere war, dass Sammy kaum Platz fand, und streichelte ihrem schlafenden Sohn über den seidigen, warmen Kopf. Wie jedes Mal erfasste sie eine Welle von Zärtlichkeit, so stark, dass ihr fast die Tränen kamen. Sammy hatte sich wie immer freigestrampelt, und so deckte Sandra ihn wieder zu. „Nacht, Kleiner“, flüsterte sie, „Mami liebt dich!“.

ANNABELL: Und, was war noch mit dem Kotzbrocken?

SANDRA: Nichts.

CARO: Sei ehrlich!

SANDRA: NICHTS!!!

ANNABELL: Nichts?

SANDRA: Hat sich sein Zeug genommen und ist verschwunden. Den seh ich sowieso nie wieder. Hoffe ich. Kotz.

Ja, Mr. Blue Eyes

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