Читать книгу Nur ein Kuss, Mr. Perfect? - Sarah Veronica Lovling - Страница 6
3. Kapitel
ОглавлениеAm nächsten Tag, nach stundenlangen Drehs für den Werbespot, wollte Annabell nur noch eins – nach Hause. Der Atlantik war nicht wärmer geworden, und den Werbeslogan hatte sie so oft wiederholt, dass sie befürchtete, ihn niemals wieder aus dem Kopf zu bekommen. „MegaShine – lassen Sie Ihr Auto strahlen!“, hatte sie gefühlt tausende Male enthusiastisch gerufen und eine Flasche des Wundermittels in die Kamera gehalten. MegaShine, verdammt, davon werde ich heute Nacht in meinem Bett bestimmt sogar träumen… Doch Sehnsucht breitete sich in Annabell aus. Ihr Bett, ihr Zuhause. Ihr Heim war eine große Wohnung in einer noch recht neuen, nun ja, Residenz für die gehobenen Ansprüche (so hatte es damals in der Werbebroschüre gestanden), und sie hatte sie erst vor knapp zwei Jahren bezogen. Sie hatte noch immer die Worte ihres Vaters im Ohr, der ihr geraten hatte, erst alles zusammenzusparen, und dann erst eine Wohnung zu kaufen… „Bella, mein Schatz, verschulde dich niemals!“ Einfach war ihr Elternhaus gewesen, aus bescheidenen Verhältnissen. Viel Geld war nie da gewesen, Not aber auch nicht. Ihre Eltern waren sparsame, fleißige, rechtschaffene Leute. Auch jetzt, als Annabell mehr als gut verdiente, trauten sie dem Braten noch nicht so recht. Und so hatte Annabell fast vier Jahre lang wie eine Besessene gearbeitet, war von Jahr zu Jahr erfolgreicher geworden, und hatte immer noch bei Mama und Papa im Kinderzimmer gewohnt. Heute schmunzelte sie darüber, aber auch sie selbst war der Meinung, dass es richtig und wichtig gewesen war. Sie hatte mehr und mehr verdient, aber immer das meiste zur Seite gelegt. Vorsichtige Versuche, ihre Eltern zu unterstützen, waren meist gescheitert. „Wir haben doch alles“, pflegten sie zu sagen. „Es fehlt uns an nichts.“ Das einzige, was sie Annabell nach viel Hin und Her dann doch erlaubten, war, ihnen eine Urlaubsreise zu schenken – sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater träumten schon seit Jahren davon, eine Kreuzfahrt zu machen. Kleinere Urlaube waren immer mal wieder möglich gewesen, aber eine derartige Ausgabe war einfach undenkbar gewesen. Und so hatte Annabell ihren Eltern zur Silberhochzeit eine Kreuzfahrt durch die Karibik geschenkt, mit allen Extras und Schikanen. Überglücklich waren sie abgereist, und noch glücklicher zurückgekommen. „Kind, es war wunderbar!“, hatten sie gejubelt, aber noch im gleichen Atemzug hinzugefügt, „Wir sind so froh, wieder zuhause zu sein!“ Bella hatte gegrinst und sich mit ihnen gefreut. Typisch. Sie schenkte ihren Eltern eine Luxus-Reise, und sie sehnten sich nach ihrer kleinen Wohnung mit den abgewohnten Möbeln… Dennoch, sie sahen gemeinsam die Fotos an, schwelgten in Urlaubserinnerungen, noch Jahre danach. So waren sie eben. Und nach vier Jahren erfolgreicher Modeltätigkeit und Sparsamkeit hatte Annabell dann, nun ja, richtig viel Geld angespart – genug, um sich Apartment 27D zu leisten.
Und sie genoss es. Ihr Apartment, ihr Zuhause. Sie hatte sich bei ihren Eltern ihr Leben lang wohl gefühlt, aber in den letzten Jahren mehr und mehr Sehnsucht nach den eigenen vier Wänden gehabt. Einen Rückzugsort vor dem stressigen Modeldasein, eine Insel der Ruhe in ihrem zumeist hektischen Alltag. Und das war es geworden. Mit viel Liebe zum Detail hatte sie eine wirklich gemütliche Wohlfühloase geschaffen, in der sie sich pudelwohl fühlte. Hier konnte sie sein, wer sie wirklich war – nicht „Anna“, das coole Model, sondern Bella, die alte Möbel liebte, viele Kissen, und noch mehr Schnickschnack. Hier reihte sie in ihrer Küche Tee an Tee, sammelte alte Kannen, die sie in beleuchteten Vitrinen zur Schau stellte – viel besser als diese schreckliche moderne Kunst, die sich manche ihrer Modelkolleginnen ins Zimmer hängten, fand sie - und hängte Vorhänge auf, die sogar Sandra kitschig fand. Und sie hatte ihre Wohnung ganz anders aufgeteilt als üblich. Sie hatte einen separaten Eingangsbereich, der „Model“ schrie – ein großer Raum, ganz in schwarz-weiß gehalten, mit einem Schreibtisch mit Computer und allem Drum und Dran, dazu einer hypermodernen, aber völlig unbequemen Sitzecke und einer kleinen Bar mit Theke. Dort gab es einen Kühlschrank voller Mineralwasser verschiedenster Quellorte, teils mit „Heilsteinen“ angereichert – für Annabell der reinste Unfug – und Champagner in rauen Mengen, dazu eine Kaffeemaschine, die aussah, als wäre sie im ersten Leben die Kommandozentrale eines Raumschiffs gewesen. Diese Maschine gab klang- und lichteffektreich vor, einfach alles zu können. Annabells kaffeeverrückte Freundin Sandra hatte vor den scheinbar lebenswichtigen Entscheidungen Schaummenge: wenig-mittel-viel, Schaumkonsistenz: fein-dicht-light, Koffeingehalt: 1-10 (was bedeutete 10? 48 Stunden Wachgarantie?) und weiteren diffizilen Fragen aus den Bereichen Herkunftsland, Temperaturauswahl und Sirup (Geschmacksrichtung – Zuckergehalt – Menge) allerdings schnell kapituliert und sich in Annabells eigentlicher Küche einen altmodischen Filterkaffee zubereitet – darüber lachte Bella heute noch, besonders über ihren geknurrten Kommentar, „Brauche ich jetzt etwa ein Diplom zum Kaffeekochen?“. Dennoch – jeder Besucher, ob Gast oder beruflich, betrat dieses durchgestylte, mondäne Refugium. Und die meisten blieben dort, denn so war es von Bella gedacht. Nur Freunde, also Sandra und Caroline, und ihre Eltern, durchquerten dieses Zimmer und betraten durch eine in die Wand eingelassene, unscheinbare Tür Annabells eigentliche Wohnung. Kein Modelscout, Werbetexter oder Fotograf hatte jemals einen Fuß auf Bellas geliebten Perserteppich gesetzt. Der Vorraum war zum Repräsentieren und Arbeiten da, der Rest gehörte nur ihrer Seele. Ihr Reich. Und sie machte, was sie wollte. Sie kombinierte verschiedene Stile, mischte moderne, skandinavische Designer-Möbel mit echten Antiquitäten, kaufte einen Tisch mit drei Beinen und ersetzte das vierte durch eine nachgebildete antike Säule. Sie hielt nichts von Konventionen. In einer Ecke ihres riesigen Wohnzimmers lag eine alte Matratze einfach nur auf dem Boden, bedeckt von unzähligen Kuscheldecken und Kissen, daneben eine Stehlampe und ein ganzer Haufen Bücher, teils gelesen, teils ungelesen, und alles dazwischen. Ihre Leseecke, in der sie viele Male sogar die ganze Nacht geschlafen hatte. Ihre Küche bestand aus einem riesigen, knallroten Kühlschrank (den sie sogar liebevoll und regelmäßig polierte, im Gegensatz zu ihrem Auto) und dem alten Gasherd ihrer Großmutter. Die kleineren Elektrogeräte, wie Toaster oder Mikrowelle, standen in einem Schrank mit Drahtgittertüren – früher waren dies einmal Kaninchenställe gewesen. Annabell hatte ihn einem Bauern abgekauft, ihm fünfzig Dollar in die Hand gedrückt und am nächsten Tag abholen lassen. Der Bauer hatte ausgesehen, als hätte er im Lotto gewonnen. Der Restaurationsbetrieb, der für Annabell schon vorher mehrere alte Möbel aufgearbeitet hatte, nahm sich auch diesem Projekt an. Unter Bellas Anleitung wurde aus dem ehemaligen Kaninchenstall ein extrem stabiler Schrank, zudem rot lackiert, passend zum Kühlschrank. Der Rest des Raumes bestand aus einem kleinen Bistrotisch mit Marmorplatte – Annabell frühstückte nur dort, ansonsten aß sie im Wohnzimmer – mit zwei Stühlen, original aus einem Pariser Straßencafé. Wobei aber ein Stuhl immer unbesetzt war, denn Bella frühstückte allein. Immer.
Ihr größter Stolz allerdings war ihr Badezimmer. Als sie das Apartment gekauft hatte, war das Bad der kleinste Raum gewesen. Unmöglich – zumindest für Bella. Sie liebte es - Baden, Duschen, Pediküre, Maniküre, Peelings, Haarkuren und Gesichtsmasken… Vielleicht hatte das mit ihrer Arbeit zu tun, aber Bella glaubte das nicht. „Wirst du nicht schon genug frisiert, geschminkt und so weiter?“, hatte Caroline Bella mal neckend gefragt. Bella hatte nur gegrinst und geantwortet, „Das ist nicht dasselbe.“ Denn das war es tatsächlich nicht. Das eine war ihr Job, das andere war sie. Ihr persönliches Entspannungsprogramm nach einem harten Tag. Ihre Ablenkung vom Alltag. Ihr kleines Rezept gegen die Einsamkeit. Daher konnte das Badezimmer nicht so klein sein wie ein… Schuhschrank, verdammt! Bella hatte mit dem Verwalter geflirtet, danach mit dem Besitzer. Schließlich hatte sie bekommen, was sie wollte – einen Umbau. Aus dem Bad wurde ein begehbarer Kleiderschrank, und das Schlafzimmer wurde zum neuen Badezimmer. „Und wo werden Sie schlafen?“, war sie verwundert gefragt worden, und Bella hatte nur den Kopf geschüttelt. Welcher Idiot hatte das Gesetz erlassen, man müsse in einem extra dafür vorgesehenen Raum schlafen? Das Wohnzimmer war fast achtzig Quadratmeter groß! Und so stand ihr bequemes Kingsizebett nun in einer Ecke des Wohnzimmers, an einer Seite durch eine Regalwand vom Rest des Raumes getrennt, an der anderen Seite durch einen bordeauxroten Samtvorhang. Und sie fand es einfach toll so.
An genau dieses Bett, groß, bequem und ihres, ihr eigenes, dachte Annabell, als sie aus dem Aufzug stieg und nach dem Schlüssel kramend auf ihre Wohnungstür zuging. Schlafen, das wollte sie, und zwar sofort, und zwar die ganze Nacht hindurch… es war Montagabend, zwar noch nicht allzu spät, aber sie konnte einfach nicht mehr. Der Flug zurück war unruhig gewesen, und sie hatte auch die Nächte zuvor im Hotel nicht gut geschlafen. Das ging ihr oft so. Es schien so, als könne sie nur in ihrem eigenen Bett die Ruhe finden, die sie so dringend brauchte. Nur dort fühlte sie sich sicher und geborgen, und konnte die Kontrolle abgeben, um wirklich tief zu schlafen. Sie brauchte keinen Psychologen, um den Zusammenhang zu dem… Erlebnis… von vor fünf Jahren herzustellen. Bella seufzte leise auf, als sie ihren Schlüssel fand und die Tür öffnete. In ihrem Arbeitszimmer ließ sie ihre Tasche auf die Sitzgarnitur fallen und hängte ihre Jacke auf, und als sie sich gerade die unbequemen High-Heels von den Füßen streifen wollte… klingelte es an der Tür. Verdammt. Wer war das denn jetzt?
Jon trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, als er zum gefühlt tausendsten Mal auf die Klingel des Apartments 27D gedrückt hatte. Würde er endlich Glück haben? Gerade eben hatte er den Fernseher von Mrs Connor repariert – wobei „reparieren“ es nicht ganz traf. Die alte Dame hatte ihren TV-Schrank verschoben (warum nur, fragte sich sein müdes Gehirn) und dadurch musste sich das Kabel ein wenig gelöst haben – denn kaum, dass Jonathan schon eher halbherzig daran herumfummelte, jubelte Mrs Connor. „Er funktioniert wieder, Jonathan, Sie sind ein Genie!“ Jon hatte nur gegrinst und sich erleichtert verabschiedet. Puh. Sie hatte ihn zwar aus dem Schlaf gerissen, aber immerhin war er schnell fertig gewesen. Jetzt wollte er es eben nochmal bei 27D versuchen. Wenn er den Zähler jetzt auch noch ablesen könnte, hätte er alle, und er würde noch besser schlafen können. Und, oh Wunder, er hörte ein Geräusch, und kurz darauf wurde die Tür geöffnet! Jonathan sah auf… und erblickte die schönste Frau, die er je gesehen hatte.
Als sein Hirn sich von diesem Schock erholt hatte, versorgte es ihn mit den nötigen Informationen. Die junge Frau aus 27D war Model, wie ihm jetzt wieder einfiel. Natürlich – so, wie sie aussah... Das brachte ihn schnell wieder zu Verstand, und er blendete diese unfassbaren blauen Augen und die lackschwarze Haarmähne aus. Unwillig und arrogant hatte sie die Tür geöffnet, und als sie ihn gesehen hatte, praktisch und so uncool in seinen Blaumann gekleidet, hatte sie lediglich eine Handbewegung gemacht, als wolle sie eine lästige Fliege verscheuchen. Was er für sie sicherlich auch war. Lästig, und noch dazu unwichtig. Doch Jon wollte sich einfach nicht mehr verscheuchen lassen. Er hatte sage und schreibe 47 der Wohnungen erledigt, und er würde diese hier nicht auf morgen verschieben. Nicht, wenn diese Trulla jetzt endlich tatsächlich zuhause war! Und so blieb er hartnäckig da stehen, wo er stand, und zwar auf ihrer Türschwelle, nein, sogar einen halben Schritt dahinter. So konnte sie ihm nicht mal die Tür vor der Nase zuknallen (was ihm tatsächlich gestern einmal passiert war!), denn seine Schuhe waren im Weg, noch dazu die Arbeitsschuhe mit den Stahlkappen. Er grinste, als sie entnervt Luft holte. „Was bilden Sie sich eigentlich ein?“, hatte sie losgelegt, und er grinste noch mehr. Einen Dollar für diesen Satz, dachte sich Jon, und ich wäre an diesem Wochenende reich geworden… „Gar nichts, Miss…“ – „Jenkins!“ – „Miss Jenkins also. Ich bin Jonathan Bingly, Ihr neuer Concierge…“ Ihre Miene spiegelte nichts als Verwirrung, und jetzt kam auch noch Abwehr hinzu. Hatte sie tatsächlich überhaupt keine Ahnung, wer er war? „Sie erinnern sich vielleicht an meinen Begrüßungsbrief im…“ Wie hatte es Mrs Connor genannt, als er einfach „Eingangshalle“ gesagt hatte? Richtig – sie hatte die Stirn gerunzelt, dann die Augenbrauen gehoben und „Entrée, mein Lieber, nicht Eingangshalle!“ gesagt. Er räusperte sich und fuhr fort. „… im Entrée, mit Foto…“ – „Ich habe weiß Gott weder Zeit noch Lust, irgendwas zu lesen, nur weil es in der Eingangshalle hängt!“, konterte die immer wütender aussehende Miss Jenkins, und Jon lachte in sich hinein. Was war das denn für eine? „Nun, dann wüssten Sie, wer ich bin.“ Sie schnappte nach Luft, und noch während sie nach einer Erwiderung suchte, fügte er hinzu, „Und meinen Infobrief dazu, dass ich die Zählerstände ablesen muss, haben Sie sicher auch nicht erhalten?“ Da erhellte sich überraschenderweise die Miene der jungen Frau. Mein Gott, war sie hübsch, besonders, wenn sie, wie jetzt, ein etwas freundlicheres Gesicht machte… groß, schlank, mit diesem atemberaubenden schwarzen Haar… welches sie jetzt gekonnt über ihre Schulter warf und ihr Gesicht zu dem überheblichsten Lächeln verzog, das er jemals gesehen hatte. „Ach ja… der Hausmeister… Na dann, kommen Sie mal rein, und bringen wir es hinter uns.“