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1.2.2 Concerns

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Auf der Ebene der Konsequenzen sind u.a. Befürchtungen (concerns) verortet. Hier wird die emotive Dimension der Arzt-Patient-Kommunikation erkennbar, die ebenfalls von Bedeutung für den w. o. genannten Aushandlungsprozess ist (an dessen Ende im Idealfall gegenseitiges Verständnis und Vertrauen steht). Levenstein et al. erkennen bereits 1986 insbesondere diese emotive Dimension des Patienten-Frameworks als zentral für den Prozess der Patientenzentrierung über den Weg der Zusammenführung von Arztperspektive und Patientenperspektive:

When a patient consults a physician, he has a certain agenda in mind. We have chosen to define this in terms of his expectations, feelings and fears. The doctor also has his agenda, which in general may be stated as the correct diagnosis of the patient’s complaints and the implementation of preventive procedures that are appropriate for the patient’s age, sex and risk factors. For individual patients he may have a more specific agenda based on previous knowledge of the patient and his family. In the patient-centred method, the physician’s aim is to ascertain the patient’s agenda and to reconcile this with his own.1

Matthys et al. beschreiben diese emotive Dimension sehr treffend als „the expressed fear/worry of the patient about a possible diagnosis or treatment“2.

Die gesprächsinteraktionale Berücksichtigung von Ängsten und Befürchtungen stellt eine Abkehr von der traditionellen schulmedizinischen Konzeption dar, in der allein die somatischen Komponenten von Bedeutung sind.3 Dabei bilden somatische Phänomene und psychische Prozesse eine untrennbare Einheit, die auch im Gespräch nicht aufgelöst werden darf: „Gegenstand des Arzt-Patienten-Gesprächs sind […] mehr oder weniger gravierende Beschwerden, Krankheiten und somatische Ausnahmezustände, und diese sind unweigerlich mit einem bestimmten, mehr oder weniger starken Erleben und entsprechenden Emotionen verbunden“4. Diese Festlegung gilt nicht nur für Erkrankungen, sondern auch für lebensverändernde Situationen, in denen Ärzte die Rolle des Aufklärers übernehmen. So kann auch die Mitteilung einer Schwangerschaft ohne medizinische Risiken bereits zahlreiche Ängste auslösen. An diesem Beispiel lässt sich die Komplexität psychischer Prozesse infolge eines somatischen Befunds gut zeigen, denn eine Schwangerschaft ist

die Einheit aus einer Gravidität und den Sorgen um die Entwicklung des Fetus, Unsicherheiten darüber, welche Veränderungen dies für das eigene zukünftige Leben bedeutet, Überlegungen, ob die Partnerschaft der neuen Situation gewachsen sein wird, und letztlich auch der Freude auf das Kind.5

Eine Asymmetrie der Informationsinteressen von Arzt und Patient lässt sich in diesem Beispiel, in dem krankheitsbezogene Parameter eigentlich keine Rolle spielen, sehr gut ablesen. Sie zeigt sich in prinzipiell allen Ereignissen, in denen somatische und psychische Komponenten verschmelzen. Für die Medizin kann angenommen werden, dass dies immer dann der Fall ist, wenn Ärzte Diagnosen stellen – seien es schwerwiegende Erkrankungen oder leichtere Verletzungen. Selbst ein gebrochenes Bein „ist so die Einheit aus der Fraktur von Tibia und Fibula und Befürchtungen, Sorgen etc. […]“6 über vielerlei Folgen (berufliche Einschränkung, Heilungsdauer und -qualität, Folgeschäden etc.). Insofern spielen Ängste und Befürchtungen, also die Erlebnissituation, in der modernen patientenzentrierten Kommunikation eine wesentliche Rolle: „Im Hinblick auf seine Beschwerden sind beim Patienten Angst, Sorge, Befürchtungen, Unsicherheit und eine Minderung des Selbstwertgefühls […] die wesentlichen Emotionen und Formen des Erlebens“7. In sachorientierten Gesprächen kommen diese psychischen Komponenten der Patientenperspektive kaum zur Sprache, sodass die Abkopplung von Erleben und Emotionen u.U. zu einer Verdrängung dieser Emotionen führt, die sich negativ auf das Befinden des Patienten auswirkt. Dies gilt gleichermaßen auch für die Beziehungsebene zwischen Arzt und Patient selbst: Jegliche Interaktion zwischen Ärzten und Patienten löst aufseiten des Patienten ein „spezifisches Erleben“8 aus, das im Idealfall Zufriedenheit und Beruhigung darstellt, in denjenigen Fällen aber, in denen concerns unausgesprochen bleiben, als Enttäuschung, Unzufriedenheit und Verärgerung manifest wird. Gesprächssituationen, in denen Patienten nicht zugleich mit ihren Beschwerden auch ihre Gefühle thematisieren können oder (in der traditionell sachorientierten Anamnese) dürfen, können „als [defizitär, S.B.] empfunden werden und dazu führen, dass der Patient von der Arzt-Patienten-Interaktion enttäuscht ist“9.

Gerade in der Einbindung der emotiven und psychosozialen Dimension in das Gespräch liegt ein wesentlicher Faktor, der für das Gelingen der Interaktion als Ganzes verantwortlich ist.

Nach Lalouschek (1993) erfordert diese Einbindung „neben der Erhebung der somatischen Anamnese die Erfassung des familiären und beruflichen Hintergrunds [der Patienten] sowie deren erlebensmäßig-emotionale Struktur“10. Gemeint ist dabei, die Befürchtungen und Ängste der Patienten (concerns) in den Prozess der Bewertung von patientenseitigen Aussagen einzubeziehen. In dieser Einbeziehung erkennt Lalouschek den Schlüssel zum Erfolg einer patientenzentrierten Kommunikation, die sich als prozesshaftes Erarbeiten eines gemeinsamen Krankheitskonzepts manifestiert:

Über die Herausarbeitung lebens- und krankheitsgeschichtlicher Zusammenhänge erfolgt die gemeinsame Erarbeitung eines Krankheitskonzepts. Dieses Vorgehen ist schließlich die Grundlage einer tragfähigen Arzt-Patient-Beziehung.11

Der Hinweis auf diesen Integrationsgedanken ist deswegen wichtig und notwendig, weil die Bearbeitung von Emotionen in der Vergangenheit nicht oder zumindest nicht häufig auch Teil der ärztlichen Verantwortung gewesen ist bzw. von den Ärzten als weniger wichtig bewertet wurde. Einen Hinweis auf dieses Problem, der sicher als Mahnung verstanden werden darf, formuliert Lalouschek 1993 auf der Basis ausgewerteter Patientengespräche wie folgt:

Wenn PatientInnen Erleben und Emotionen thematisieren, wird die affektive Dimension dieser Darstellung normalerweise nicht interaktiv manifestiert, sondern vom Arzt / von der Ärztin als Teil des ,somatischen Problems‘ behandelt oder als dysfunktional dethematisiert. Wenn es doch zur Manifestation von Emotionen kommt, wird im Normalfall die somatisch-technische Perspektive wieder etabliert. Bei den kommunikativen Mustern der Emotionsbearbeitung im herkömmlichen Arzt-Patient-Gespräch handelt es sich daher vorwiegend um die Regulation von Emotionen in Form von Glaubensbekundungen und nicht um interaktiv weiterführende Prozessierungsstrategien wie Fokussierung, Deutung, Eingehen oder Hinterfragen.12

Bis heute scheint dieses Grundproblem nicht gelöst zu sein. Die Regeln, nach denen Arzt-Patient-Gespräche ritualisiert, formalisiert und institutionell determiniert sind, scheinen sich nur langsam – und wesentlich durch die Kenntnis der patientenseitigen Dimensionen, die im ICE-Modell erst in neuerer Zeit in den Vordergrund treten (in ihrer Wichtigkeit für den Interaktionsprozess zahlreich belegt durch Studien, s. Kap. 3.1) – zu verändern. So stellt Fiehler noch im Jahr 2005 fest: „Arzt-Patienten-Gespräche sind eine besondere Form institutioneller Kommunikation. Sie dienen der Erfüllung bestimmter Zwecke, und für sie sind eigene Regeln herausgebildet worden, Regeln, die von denen der Alltagskommunikation abweichen“13. Diese funktional begründeten Abweichungen sind problematisch für die Arzt-Patient-Beziehung, weil sie sich v.a. in der Ausblendung von Emotionen manifestieren:

Eine der Abweichungen besteht darin, dass das Arzt-Patienten-Gespräch – im Rahmen einer somatisch-naturwissenschaftlichen Konzeption von Medizin – dem Anspruch nach ganz weitgehend sachorientiert auf die Behandlung von somatischen Beschwerden, Krankheiten und Ausnahmezuständen […] bezogen ist und dass das Erleben und die Emotionalität des Patienten wie auch des Arztes weitgehend ausgeklammert bleiben.14

In der neueren Forschung liegen zahlreiche Untersuchungen vor, die insbesondere auf den hohen Stellenwert der Berücksichtigung von Emotionen hinweisen und die belegen, dass Emotionen einen wichtigen Aspekt medizinischer Kommunikation insgesamt bilden.15 Diese Erkenntnisse scheinen sich bei den Ärzten selbst noch nicht ausreichend herumgesprochen zu haben. Zugleich weist Lindemann nämlich noch im Jahr 2015 darauf hin, dass Emotionen im Gespräch häufig nur als Randbemerkungen thematisiert, häufig nur implizit angedeutet und bisweilen sogar explizit als nicht relevant bezeichnet werden:16 „Emotionen zeichnen sich bei genauem Hinsehen vor allem durch ihren nur angedeuteten Charakter, ihre Verneinung oder ihre offensichtliche Problematik für den Gesprächsverlauf aus“17. Hier kommt es künftig (stärker als bisher) bei der Entwicklung von Kommunikationscurricula für die Lehre darauf an, diese emotive Dimension in Modelle ärztlicher Gesprächsführung zu integrieren und fest zu verankern.18

Modelle wie das ICE-Modell, das als patientenorientiertes Modell in der Arzt-Patient-Kommunikation vor allem die Erlebensdimension in das traditionell eher sachorientierte Problemlösungsgespräch integrieren will, helfen dabei, der somatischen Fragmentierung der Patienten entgegenzuwirken.

Dass hierbei besonders die Dimension der Ängste und Befürchtungen (concerns) stärker in den Blick genommen werden muss, liegt in der (untrennbaren) Einheit aus somatischen Phänomenen und psychischen Prozessen begründet, die eine Integration beider Dimensionen in das Gespräch fordert.

Zugleich ist es hilfreich, Gefühle zu prozessieren, bevor sie aufgetreten sind, diese also im Gesprächsverlauf zu antizipieren, wodurch sich Ängste kommunikativ beeinflussen bzw. regulieren lassen: „Eine […] Form des Umgangs mit Erleben und Emotionen besteht in der Prozessierung von Gefühlen, bevor sie aufgetreten sind: der Erlebnisprävention durch den Arzt“19. Diese Form von Gefühlsarbeit basiert auf der Kenntnis der Komponente concerns des ICE-Modells, was diesem Element eine zentrale Rolle im Interaktionsprozess zuweist.

Verglichen mit den beiden anderen Elementen ideas und expectations werden concerns seltener im Gespräch aktualisiert (sowohl von Patienten als auch von Ärzten), was in der traditionellen Sachorientierung dieser Gesprächsform sowie der Rollenasymmetrie zwischen Ärzten und Patienten begründet sein dürfte. Denn: Auch Patienten besitzen eine sehr genaue (gelernte) Vorstellung davon, welche Inhalte im Arzt-Patient-Gespräch üblich und relevant sind und vermeiden häufig die aktive Bezugnahme auf ihre Erlebnissituation. Lalouschek bezeichnet diesen Umstand als ,doppelte Fragmentierung‘20, weil Patienten zum einen die aus ihrer Sicht medizinisch relevanten Informationen aus ihrem komplexen Lebenszusammenhang herauslösen müssen, um diese Informationen sprachlich einzubringen, und weil sie zum anderen die Erlebnissituation, die sie für irrelevant halten, ausblenden müssen. Diese traditionelle Rollenvorstellung, die viele Patienten haben, führt dann zu einem Fragmentierungsproblem (somatische Fragmentierung), wenn Ärzte als die Gesprächsverantwortlichen nicht genau dies zu vermeiden wissen. Die Exploration der emotiven Komponente des ICE-Modells ist im Sinne der ganzheitlichen Betrachtung des Patienten als Menschen zwingend erforderlich.

Ideas, Concerns and Expectations (ICE) in der Arzt-Patienten-Kommunikation

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