Читать книгу Codename: Ghost - Sawyer Bennett - Страница 4
Kapitel 1
ОглавлениеMalik
Ich ziehe die Decke fester um mich und versuche, ein Zittern zu unterdrücken. Am blauschwarzen Licht um mich erkenne ich, dass die Nacht gekommen ist, doch ich habe keine Ahnung, wie spät es ist. Ich habe vor langer Zeit aufgehört, auf die Tageszeiten zu achten.
Ich weiß nur, dass ich seit Monaten in dieser Holzhütte bin, deren Ritzen mit Lehm ausgestopft sind. So viel weiß ich genau, aber nicht, wie viele Hütten es gibt.
Die Hütte ist lediglich ein Bretterverschlag auf dem steinharten Wüstenboden. Dieser ist eine geologische Besonderheit, genannt Wüstenasphalt. Steine und Sand sind fast wie Asphalt verdichtet. Einer der Gründe, warum ich annehme, mich in der syrischen Wüste zu befinden, was jedoch nicht allzu viel aussagt, da über fünfzig Prozent dieses Landes aus Wüste bestehen.
Meinen Entführern genügt es nicht, mich in dieser Hütte gefangen zu halten. Irgendwann vor meiner Ankunft haben sie ein 3 x 3 Meter großes Loch in den Boden gegraben und einen Stab in der Mitte befestigt, an dem ich nun angekettet bin. Im Stehen reicht mein Kopf kaum bis an die Decke. Selbst auf Zehenspitzen kann ich nicht mehr sehen als das Dach der Hütte. Es gibt keine Tür, nur ein Fenster ohne Scheiben oder Klappläden. Ich bin wie ein Hund angekettet. Ich frage mich oft, warum sie mich in ein Loch gesperrt haben, und die einzige Erklärung ist, dass es Teil der Folter ist. Ich muss sagen, dass es scheiße ist, weder den Himmel noch die Sonne zu sehen oder ihre Wärme zu spüren.
Die Nächte werden langsam recht kalt, weshalb ich annehme, dass in Syrien der Winter beginnt. Ich schätze, dass es nachts so um die 5 °C Grad wird. Die beiden kratzigen Wolldecken, die man mir gegeben hat, kommen dagegen nicht an. Ich kann nachts nicht schlafen, friere zu sehr und fühle mich elend, sodass ich mich mehr tagsüber ausruhe, wenn es wärmer ist.
Ich erhebe mich von meinem Lager, das nur aus den zusammengefalteten Wolldecken besteht und so weit wie möglich vom Nachttopf entfernt liegt. Nicht, dass das eine Rolle spielt. Meinen Geruchssinn habe ich schon lange verloren, was in diesem Fall ein Gottesgeschenk ist. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ich stinken muss. Ich trage noch dieselben Klamotten, in denen ich gefangen genommen wurde, abgesehen von den Stiefeln, die sie mir weggenommen haben. Schwarze Arbeitshose, langärmeliges schwarzes Thermohemd und Baumwollsocken. Die sind steif und unbeweglich, durchtränkt von Schweiß, Blut und Urin, nach Monaten der Gefangenschaft.
Allerdings nicht von meinen Tränen.
Nicht ein Mal in meiner Gefangenschaft haben sie meine Tränen bekommen.
Steif bewege ich mich durch das Loch im Boden, halte die dicke Kette an meinem Knöchel fest, um nicht darüber zu stolpern. Ich gehe auf die Zehenspitzen und versuche, etwas zu sehen, doch es ist sinnlos. Es gab eine Zeit, da hätte ich mich mühelos aus diesem Loch stemmen können, aber jetzt fehlt mir die Kraft. Sie wurde aus mir herausgeprügelt und -gehungert. Außerdem ist da noch das Problem der Kette um meinen Knöchel.
Als ich geschnappt wurde, war ich nicht erleichtert, noch zu leben. Mir war klar, in den Händen des Feindes zu sein – höchstwahrscheinlich der ISIS –, was bedeutete, auf dem Weg in den Foltertod zu sein. Zusätzlich trauerte ich heftig um meine verlorenen Teamkameraden.
Schnell bin ich gefesselt worden, habe einen Sack über den Kopf gezogen bekommen und bin gefühlte Stunden von dem kurzen Feuergefecht weggefahren worden, in das wir geraten waren. Ich habe immer noch das qualvolle Stöhnen der Männer in den Ohren, die erschossen wurden.
Was als Nächstes kam, ist zu erwarten gewesen. Ich gehörte zur Special-Forces-Einheit der Marines, bevor ich der Privatarmee Jameson Force Security beitrat und das SERE-Training mitmachte.
Survival. Evasion. Resistance. Escape.
Überleben. Flucht. Widerstand. Ausbruch.
Ich bekam nicht die Gelegenheit, meine Überlebens- und Ausbruchsfähigkeiten zu testen. Sie warfen mich direkt in den Widerstandsteil, als sie mir den Sack vom Kopf nahmen und mit der Folter anfingen, damit ich drauflos plauderte.
Gern würde ich behaupten, ich hätte der Folter tagelang widerstanden, aber das wäre nicht die Wahrheit. Der menschliche Körper kann nur bis zu einer gewissen Grenze mithalten, doch im Grunde lag es daran, dass ich einfach nicht die Informationen hatte, die sie haben wollten. Ich gehöre ja nicht mehr dem aktiven Dienst an. Als sie begriffen, dass ich einer privaten Sicherheitseinheit angehöre und in die Hände des Feindes gefallen bin, änderte sich ihr Interesse an mir.
Bevor sie mich verlegten, sagten sie, dass ich wertvoll sein könnte, um beim Austausch von Spionen mit anderen Ländern benutzt zu werden. Oder sie könnten mich vielleicht brauchen, um eine gute alte Enthauptung ins Internet zu stellen, was sich dann viral verbreiten würde, wie die meisten solcher Videos.
Sie stülpten mir wieder einen Sack über, fuhren mich stundenlang durch die Gegend und warfen mich in dieses Loch, in dem ich seit weiß Gott wie lange hocke. Es ist schwer, den Zeitraum im Auge zu behalten, besonders in den letzten paar Wochen, seit ich immer schwächer werde. Ich schlafe viel. Und morgens und abends bin ich oft wie benebelt, und die Zeit verläuft zu gleichförmig, um sie zu begreifen.
Ob ich bei guter Gesundheit bin, ist denen nicht wichtig. Ich bekomme zu essen, aber nicht regelmäßig. Meine Rippen stehen hervor und meine Knie sind knochig. Meistens bringen sie mir Reis, manchmal ein schales und trockenes Gebäck, das sie Ka’ak nennen. Ab und zu mal etwas Ziegenfleisch. Wasser bekomme ich genug, aber es schmeckt rostig. Ich muss mich dazu zwingen, es zu trinken. Mein Urin ist so braun wie das Wasser, was bestimmt bedeutet, dass ich langsam sterbe.
Diese Tatsache habe ich inzwischen akzeptiert.
Ich lasse mich auf meiner Decke nieder, lehne mich an die kalte, schmutzige Wand und wickele die andere Decke enger um mich. Mit geschlossenen Augen denke ich an meine Familie. Ich wette, dass meine Eltern und Geschwister jeden Winkel nach mir absuchen. Und mit Sicherheit nutzt mein Boss Kynan McGrath jeden seiner Regierungskontakte, um dasselbe zu tun. Ohne Zweifel hat mich noch niemand aufgegeben, so wie ich mich selbst. Sie werden nicht ruhen, bis sie Klarheit über meinen Verbleib haben. Das tut mir leid für sie, denn mich zu finden, gefangen in einem Loch mitten in der syrischen Wüste, ist, wie eine Stecknadel im Heuhaufen zu suchen.
Ich bin unauffindbar.
Ich höre Stimmen draußen, aber ich verstehe kein Arabisch. Schon gar nicht kann ich Dialekte unterscheiden. Ich kann nur sagen, dass ich immer zwei Bewacher habe, die sich alle paar Tage abwechseln. Einer ist normalerweise immer wach und der andere pennt auf dem Boden der Hütte. Manchmal höre ich ein Fahrzeug kommen und wieder fahren, wahrscheinlich, um die Wachen zu wechseln und Lebensmittel zu bringen.
Nie reden sie mit mir, und zwar nicht unbedingt, weil sie kein Englisch können, sondern weil ich ein Niemand für sie bin. Nur ein Gefangener, den sie in dem Loch lassen müssen. Sie empfinden mich nicht als Bedrohung, also ignorieren wir uns einfach gegenseitig. Ich glaube, sie müssen mich nur ansehen, um zu merken, dass ich vor langer Zeit schon sämtliche Fluchtpläne aufgegeben habe.
Schritte stapfen über den Wüstenasphalt. Jemand betritt die Hütte und das Gesicht eines Mannes erscheint über mir. Bill starrt mich an.
Nun ja, nicht wirklich. Ich kenne deren Namen nicht, aber da ich diese Männer täglich sehe, habe ich ihnen meine eigenen Namen gegeben.
Bill ist der netteste meiner Bewacher, doch das bedeutet nicht viel. Nur, dass er mir den Behälter mit meinem Essen nicht zuwirft, sondern sich an den Rand kniet und ihn mir reicht, damit nichts ausschwappt. Außerdem ist er der Einzige, der mich ab und zu aus dem Loch holt, aber ich glaube, nicht, weil er ein Herz hat. Er lässt mich nur raus, damit ich in die Wüste kacken oder pissen kann anstatt in den Eimer, den er am Ende auskippen muss.
Diesmal hat er kein Essen dabei, sondern winkt mir nur wortlos zu, ob ich raus will, um mich zu erleichtern.
Diese Chance lasse ich nie aus, ob ich rausmuss oder nicht, also nicke ich schnell.
Bill ist ein starker Mann und weiß, dass ich es mit ihm nicht mehr aufnehmen kann. Er schwingt das Gewehr auf seinen Rücken und legt sich am Rand des Lochs auf den Bauch. Wenn er einen Befehl ruft, den ich nicht verstehe, weiß ich, dass ich meine Hände zusammenlegen soll, damit er sie mir fesseln kann. Ich trete unter ihn, halte die Hände hoch, falte die Finger zusammen, sodass er ein Seil um meine Handgelenke wickeln kann.
Wenn das getan ist, springt er in das Loch und öffnet die Klammer um meinen Knöchel, die an der dicken Kette hängt. Stumm faltet er die Hände zur Räuberleiter zusammen, und ich stelle – wie schon so oft – einen Fuß hinein, sodass er mich hochhieven kann. Er ist stark und kann mich direkt hinauskatapultieren. Meine Landung ist hart und presst mir die Luft aus den Lungen. Bill ist genauso fit wie groß und springt mühelos hinter mir aus dem Loch.
Grob packt er mich am Arm und zerrt mich auf die Beine. Er schubst mich grob und befördert mich aus dem Eingang in die Nachtluft. Es ist frostig, aber gleichzeitig erfrischend. Ich erlebe einen kurzen Moment der Klarheit und eine Welle der Kraft. Sollte ich ihn angreifen? Versuchen, ihm die Waffe abzuringen? Ich blicke zu seinem Partner, meinem anderen Wärter, den ich Mortimer genannt habe. Er sitzt neben einem kleinen Feuer und nagt an einem Knochen mit knorpeligem Fleisch. Wahrscheinlich Ziege. Ich würde töten für einen Bissen, doch ich weiß, dass ich keinen bekommen werde.
Unerwartet schubst mich Bill erneut. Ich stolpere vorwärts und falle auf ein Knie. Über die Schmach, mich nicht wehren zu können, bin ich lange hinaus. Es ist mir egal, dass ich nicht einmal die Kraft habe, stehen zu bleiben, wenn mich jemand stößt.
Bill brüllt etwas auf Arabisch und zerrt mich wieder auf die Füße. Mortimer antwortet etwas und die beiden lachen. Ich starre Bill an und frage mich, ob er eine Familie hat und warum er solche Dinge tut. Wird er gut dafür bezahlt? Glaubt er an die Ziele, die meine Entführer anstreben?
Wieder sagt er etwas zu mir, das ich in einer Million Jahre nicht verstehen werde. Genauso verstehe ich das zischende Geräusch nicht, das ich höre.
Plötzlich explodiert sein Kopf in einer Wolke aus Blut, Knochen und Hirn.
Mortimer flucht scharf. Zumindest glaube ich das, und dann höre ich noch ein zischendes Geräusch und sein Kopf explodiert ebenfalls.
Beide Männer fallen auf den Wüstenasphalt, Bill mir direkt vor die Füße. Erstarrt sehe ich zu, wie Blut aus dem herausläuft, was von seinem Kopf übrig ist, und wie die Pfütze auf meine dreckigen Socken zukommt. Sie glänzt im Mondlicht und sieht beinahe schön aus.
Und dann begreife ich.
Ich bin frei.
Ich sehe auf, blinzele in die Nacht, doch der Schein von Mortimers Lagerfeuer macht es unmöglich, viel zu sehen.
„Hände hoch“, befiehlt eine amerikanische Stimme am Rand der Dunkelheit.
Ohne zu zögern, hebe ich die gefesselten Hände und sehe mich um.
Und dann treten Schatten aus der Schwärze. Meine Teamkameraden von Jameson. Tank und Merritt, mit einer Handvoll anderer Männer, alle in Tarnkleidung und bis an die Zähne mit Gewehren und Granaten bewaffnet.
Im Juni waren Tank und Merritt zusammen mit mir auf einer Mission, um Geiseln zu befreien, als wir in eine Falle gerieten. Bis jetzt hatte ich keine Ahnung, ob sie überlebt haben. Mir wird schwindelig, als mir bewusst wird, was ich hier sehe. Ich hatte sämtliche Hoffnungen aufgegeben, dass dies je geschehen wird.
Plötzlich steht mein Freund Cage Murdock vor mir und meine Beine geben nach. Er schlingt die Arme um mich und hält mich aufrecht. Tank und Merritt kommen näher, um mich genauer zu betrachten, während die anderen Männer die Überreste von Bill und Mortimer untersuchen.
„Ich habe dich, Kumpel“, versichert mir Cage. „Keine weiteren Wächter, oder?“
Ich schüttele den Kopf. „Ich glaube nicht. Ich habe immer nur zwei gesehen.“
Tank sieht sich um und nickt zu der Hütte, in der ich gefangen war. „Wir beobachten alles seit ein paar Tagen. Haben auch sonst niemanden gesehen, aber wir müssen sichergehen.“
„Wir sind sicher“, murmele ich, obwohl ich mir momentan über gar nichts sicher bin.
„Gut“, antwortet Cage und lächelt, tätschelt nicht sehr hart meine Schulter. „Das bedeutet, wir können deinen Arsch nach Hause bringen. Ich wette, das gefällt dir, was?“
Ich knirsche mit den Zähnen und weiß, dass meine Antwort niemals gut genug wäre. Stattdessen gebe ich der Wüste, was ich monatelang zurückgehalten habe.
Ich lasse meinen Tränen freien Lauf.