Читать книгу Codename: Ghost - Sawyer Bennett - Страница 5
Kapitel 2
ОглавлениеAnna
Es ist erstaunlich, wie effizient ich geworden bin, Avery und mich morgens fertig zu machen. Nicht, dass es besonders schwer wäre, ein vier Monate altes Baby zu versorgen. Ich bade sie abends, sodass ich morgens hauptsächlich die Windel wechseln muss, ihr das niedlichste Outfit anziehe, das ich unbedingt habe kaufen müssen, und sie stillen. Letzteres dauert am längsten, aber es ist auch das Schönste. Fast meditierend sehe ich meiner Tochter zu, wie sie sich ihren Lebenssaft von mir holt.
Danach dusche ich schnell und betrachte Avery in ihrem Maxi-Cosi durch die Duschtür. Dann föhne ich mir die Haare, lege etwas Make-up auf und bin nach anderthalb Stunden aus der Tür, bringe Avery zu meiner Mutter und fahre zur Arbeit.
Ich muss daran denken, wie anders alles wäre, wenn die Umstände anders wären. Zum Beispiel wie viel einfacher, würde ich meiner Mutter nachgeben und zu ihr ziehen, damit sie sich um uns beide kümmern kann. Sie versteht einfach nicht, wie wichtig mir meine Unabhängigkeit ist.
Oder wie viel leichter es wäre, Avery zu versorgen, wenn Jimmy noch bei mir wäre.
Mein Ehemann ist vor sechs Monaten in Syrien umgekommen, als eine Mission schiefging. Jimmy ist der Typ Mann gewesen, der darauf bestanden hätte, sich ebenfalls um Avery zu kümmern. Er hätte Windeln gewechselt und sie morgens angezogen, da ich ja diejenige bin, die sie stillt. Doch auch da wäre er dabei gewesen. Er hätte sich neben mich auf die Couch gesetzt, mich in seine starken Arme genommen und sie genauso verträumt angesehen wie ich, denn sie ist unser kleines Wunder.
Zumindest glaube ich, dass er so gewesen wäre.
Die Zeit vernebelt den Menschen den Verstand, genau wie das Schicksal, schwanger mit dem ersten Kind zur Witwe zu werden. In Wahrheit hatten Jimmy und ich uns erst zwei Jahre gekannt, bevor er gestorben ist. Wir waren beide in der Army und lernten uns kennen, als wir in Ft. Bragg, North Carolina, stationiert waren. Es war eine wilde Romanze, eine versehentliche Schwangerschaft und eine schnelle Heirat. Manch einer mag sagen, dass ich gar nicht voraussagen könne, wie Jimmy als Vater gewesen wäre, denn ich kannte ihn kaum, aber das stimmt nicht. Jimmy war die Art Mensch, der Avery und mich sein ganzes Leben lang abgöttisch geliebt hätte. Nur weil er uns genommen wurde, bevor er das beweisen konnte, heißt das nicht, dass ich diese Tatsache nicht weiß.
Trotz allem will ich eins beweisen: dass ich die starke und unabhängige Frau bin, die Jimmy so bewundert hat. Das hat ihn an mir sofort angezogen. Obwohl er kein Problem damit hätte, dass ich mich auf meine Mutter stütze – was ich mit Sicherheit nach seinem Tod auch getan habe –, würde er von mir erwarten, dass ich Avery ein Vorbild dafür bin, dass man auch mit Schicksalsschlägen im Leben fertig werden kann. Und das versuche ich, indem ich einen Schritt nach dem anderen gehe und weitermache.
Täglich sage ich mir selbst: Du schaffst das, Anna.
Doch heute, während ich Avery im Auto festschnalle, habe ich meinen schwachen Moment. Einmal jeden Tag gebe ich mich der Trauer, dem Selbstmitleid und den Tränen hin. Ich habe noch nicht herausgefunden, wie ich das loswerden kann, aber der Moment dauert meist nicht lange. Manchmal ist es nur ein dumpfer Schmerz in meiner Brust und ein Brennen der Tränen in den Augen, wenn ich an Jimmy denke.
An anderen Tagen kann ich mich nicht zurückhalten. Während Avery babymäßig vor sich hin plappert und eine Rassel in ihrer winzigen Faust hält, rollen mir warm die Tränen über die Wangen. Es tut weh, das heftige Schluchzen zu unterdrücken, das sich den Weg freimachen will. Ich sacke gegen den Türrahmen, atme durch und verfluche den Himmel, dass er mir den Ehemann und Avery den Vater genommen hat. Kurz gebe ich mich dem Selbstmitleid hin, denn es ist verdammt schwer, eine junge Witwe und alleinerziehende Mutter zu sein. Das habe ich nicht verdient.
Dann fällt mein Blick auf Avery und sie sieht mich nachdenklich an. Ihr Blick ist stechend, und ich glaube, sie weiß, dass ihre Mutter einen schwachen Moment hat. Mit dem Handrücken wische ich die Tränen fort, schniefe durch die Nase und lächele mein kleines Mädchen an. Sie antwortet, indem sich ihre kleinen Mundwinkel heben und sie grinst. Sie schwingt die Rassel und stößt einen kleinen Quietscher aus, der eines Tages sicher ein wunderschönes Kichern werden wird.
Und schon ist mein Moment vorbei.
Ich beuge mich vor und küsse Avery auf die Stirn, ziehe an ihren Gurten, um sicherzugehen, dass sie festsitzen, und wiederhole mein Mantra.
„Du schaffst das, Anna.“
*
Ich gehe am zweiten Stock vorbei, wo sich mein Büro befindet, und hoch in die Gemeinschaftsküche im vierten. Dort gibt es den besten Kaffee und meistens bringt irgendjemand etwas vom Bäcker mit.
Ich arbeite erst seit ein paar Monaten bei Jameson Force Security. Es war Jimmys Job und ich war nur die Ehefrau. Seine Erfahrungen bei der Army haben ihn für den Auftrag als Spezialist für die private Sicherheitsfirma prädestiniert. Er wurde für einen Auftrag, den unsere Regierung der Firma erteilt hatte, eingeteilt. In Syrien Helfer retten, die als Geiseln genommen worden waren.
Meine Rolle ist weit weniger heldenhaft, doch ich bin für sie wie geschaffen. Bei der Army bin ich im Büro tätig gewesen, was mich als Assistentin des Bosses qualifiziert. Kynan McGrath und seine Frau Joslyn haben mir nach Jimmys Tod sehr geholfen. Ständig haben sie sich nach mir erkundigt, mich besucht und mir versichert, dass sie für immer für mich und meine Tochter da sein werden.
Das habe ich nicht unbedingt gewollt, aber Kynan hat nicht gezögert, als ich ihn um eine Arbeitsstelle bat. Ich brauchte etwas, was mir das Gefühl gab, etwas wert zu sein. Seltsamerweise war es genau das, was ich brauchte, für die Firma zu arbeiten, in deren Auftrag mein Mann ums Leben kam.
Jameson ist eine interessante Firma. Sie wurde in Vegas von Kynans bestem Freund Jerico Jameson gegründet. Vor ein paar Jahren hat er sie an Kynan verkauft. Der verlegte das Hauptquartier nach Pittsburgh, damit er an der Ostküste war und näher an der Regierung in D.C.
Die Firma wickelt eine breite Spannweite an Sicherheitsservices ab. Wir haben Technik-Teams, die einfache Sachen wie das Installieren von Haus-Alarmsystemen übernehmen, bis hin zu Teams, die sogar in gefährliche Länder gehen und Menschen retten. Letzteres tun wir erstaunlich oft, denn die sprichwörtlichen Hände unserer Regierung sind oft gebunden, wenn es darum geht, wohin sie ihre Truppen schicken kann. In solchen Fällen, wenn etwas erledigt werden muss, und zwar vollkommen inoffiziell und geheim, heuern sie Privatfirmen an. Ich bin ein bisschen stolz, zu sagen, dass sie sich meistens an Jameson wenden.
Mom kann nicht verstehen, wieso ich bei der Firma arbeite, bei der mein Mann umgekommen ist. Ich habe versucht, es ihr zu erklären, doch sie wird es nie nachvollziehen können. Jimmy hat seinen Auftrag nicht vollenden können. Er hat sein Leben gegeben, als er etwas sehr Wichtiges tat. Das Leben Unschuldiger retten. Wenn ich dieser Firma irgendwie helfen kann, ihre Ziele zu erreichen, habe ich das Gefühl, Jimmy zu helfen, seine Mission zu Ende zu bringen.
Außerdem ist Jimmy nicht das einzige Opfer gewesen. Sein Teamkamerad Sal Mezzina wurde ebenfalls getötet. Und vielleicht noch schlimmer: Sein anderer Teamkamerad, Malik Fournier, war in Gefangenschaft geraten und monatelang festgehalten worden.
Vor zwei Wochen ist Malik jedoch befreit worden. Ich kann gar nicht in Worte fassen, welche Bürde das von meinen Schultern genommen hat.
Aus irgendeinem Grund bin ich sehr in die Suche nach Malik verstrickt worden. Monatelang hatte Jameson Hunderttausende Dollars in geheime Reisen nach Syrien investiert. Wir bezahlten Informanten, verstießen gegen die Wünsche unserer Regierung, von Befreiungsversuchen abzusehen, und durchsuchten das ganze Land nach ihm. Erst nachdem Kynan eine Million Dollar für brauchbare Informationen über Maliks Aufenthaltsort – tot oder lebendig – aussetzte, bekamen wir endlich einen soliden Beweis seiner Gefangenschaft.
Kynan traf die mutige Entscheidung, unser Team zu schicken, das Malik vor seinen Entführern rettete – die Mithilfe unserer Regierung vermeidend oder besser gesagt die Behinderung, denn die müssen immer nach bestimmten Regeln vorgehen.
Diese Nachricht hat mich glücklicher gemacht, als ich seit einer ganzen Weile war. Ich hatte das Gefühl, dass Jimmy und Sal ihre leitenden Hände über unserem Team hatten, das Malik erfolgreich nach Hause gebracht hat.
Seit zwei Wochen befindet sich Malik in Montreal und erholt sich bei seiner Familie. Da seine Mutter Amerikanerin ist und sein Vater Franko-Kanadier, besitzt er beide Staatsbürgerschaften. Sicherlich würde jeder an seiner Stelle eine Weile zu Hause bleiben wollen, um sich von den Strapazen zu erholen. Doch Kynan sagte, dass er bald wieder zur Arbeit komme, und ich kann es kaum erwarten, ihn zu sehen. Ich muss mich selbst davon überzeugen, dass Wunder geschehen können und dass Jimmys Tod vielleicht doch nicht ganz umsonst war.
Wie erwartet liegt eine Schachtel voller Donuts auf dem Tresen der großen Küche, die in den Gemeinschaftsraum übergeht. Auf dieser Etage befinden sich ein paar kleine Apartments, in denen unsere alleinstehenden Kollegen wohnen. In der Küche finden große Team-Essen statt, Zusammenkünfte, und der Aufenthaltsbereich ist wie ein großes Wohnzimmer, ausgestattet mit bequemen Sofas, Fernsehsesseln und einem riesigen Fernseher. Hier veranstaltet Kynan immer eine umwerfende Superbowl-Party, wurde mir erzählt.
Ich schaue auf meine Uhr und sehe, dass ich noch fünfzehn Minuten bis zu meiner Morgenbesprechung unten mit Kynan habe, in der wir seine Termine und Aufgaben für den Tag durchgehen. Ich nehme mir eine Tasse Kaffee, einen Ahornsirup-Donut, setze mich an die Kücheninsel und checke mein Handy. Schon hat Mom mir drei Fotos von Avery geschickt, die ich mir eine Weile ansehe, während ich dabei meinen Donut futtere.
Der frühere Lastenaufzug hält im vierten Stock und die Tür gleitet auf. Ich sehe nicht einmal von meinem Handy hoch, da ich annehme, es wäre Kynan, der sich Kaffee und einen Donut holen will.
„Hi, Kynan“, sage ich und blättere zum ersten Foto von Avery zurück, auf dem sie eine kleine Spuckeluftblase vor den Lippen hat. „Sieh dir das an.“ Ich hebe den Kopf, drehe ihm das Handy zu, und dann bleibt mir der Mund offen stehen wegen des Mannes, der aus dem Aufzug tritt. Er hat eine große Militärtasche über der Schulter.
Malik Fournier.
Wir haben uns erst ein Mal gesehen. An dem Abend vor dem Einsatz, doch die Unterschiede zwischen diesem Mann und dem, der jetzt vor mir steht, sind mehr als deutlich.
Malik war ein großer Mann, und das trifft auf seine Höhe immer noch zu. Doch als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er muskulös. Ein straffes Paket, und er schien genau zu wissen, wie er seine Kraft einsetzen kann. Der Mann vor mir ist viel dünner, auch wenn er in den letzten zwei Wochen bei seinen Eltern sicherlich gut zugenommen hat. Seine Wangen sind leicht eingefallen und seine Augen haben Ringe. Vielleicht dauert es länger als zwei Wochen, um den Schlaf aufzuholen, den er sicherlich in der Gefangenschaft nicht bekommen hat.
Ich weiß, dass es ihm schlecht ergangen ist, denn ich habe Cage nach allen schrecklichen Details ausgefragt, als er nach der Rettung wieder in Pittsburgh war. Erst hat er sich geweigert, aber dann nachgegeben. Weil Cage ein sehr guter Freund geworden ist und besser als jeder andere weiß, wie sehr ich in Maliks Rettung verstrickt war, um endlich inneren Frieden zu finden und über Jimmys Tod hinwegzukommen.
Cage hat mir alle Details erzählt. Nachdem er damit fertig war, wünschte ich, er hätte es nicht getan. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie jemand so etwas überleben kann.
Und dennoch … ihn jetzt vor mir zu sehen, noch nicht wieder ganz der Alte und doch so stark, dass er die Gefangenschaft überlebt hat, trifft es mich so, wie ich es erwartet habe. Es ist wie Balsam für meine Seele, zu wissen, was für ein Wunder es ist, dass er überlebt hat. Obwohl es Jimmys Tod nicht leichter zu akzeptieren macht, nimmt es mir definitiv einen Teil der Trauer und ersetzt sie durch echte Freude, dass Malik das Unmögliche geschafft hat.
Wir sehen uns eine Weile an, dann blickt Malik auf das Handy.
„Süßes Kind.“