Читать книгу Codename: Ghost - Sawyer Bennett - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеMalik
Nachdem ich aus meinem Apartment gegangen bin, schließe ich es ab und stecke den Schlüssel ein. In der Gemeinschaftsküche treffe ich niemanden, aber es riecht nach frischem Kaffee. Doch den ignoriere ich, denn nach der Morgendusche hatte ich bereits meine eigene Tasse für den Tag.
Soweit ich weiß, wohnen hier zurzeit sonst nur noch Cage und Merritt, die ich beide noch nicht gesehen habe, seit ich wieder da bin. Ich war die meiste Zeit in meinem Apartment, weil ich nichts Besseres zu tun hatte.
Die Jameson-Apartments liegen im vierten und obersten Stock eines renovierten Lagerhauses im Hill District von Pittsburgh. Von außen ist das Gebäude heruntergekommen und voller Graffiti. Von innen ist es eine ganz andere Nummer.
Neben den Apartments, der Küche und dem Unterhaltungsbereich gibt es im vierten Stock auch ein erstklassiges Fitnessstudio und einen Dachgarten.
Man kann das Haus auf zwei Wegen verlassen. Mit dem originalen Lastenaufzug mit der schmiedeeisernen Tür, der eine halbe Ewigkeit nach unten rumpelt, oder über die schwebende Treppe. Sie ist aus aufgearbeitetem Holz, hat ein Eisengeländer und hängt an Stahlseilen, sodass sie wie frei schwebend aussieht.
Ich nehme die Treppe, gehe in den zweiten Stock, wo sich alle Büros und administrativen Leute befinden. Auch hier hat Kynan bei der Ausstattung nicht gespart. Die Wände bestehen aus den Original-Backsteinen wie von außen, sind jedoch sandgestrahlt worden, bis sie ihre ursprüngliche Schönheit wiederhatten. Auf dem Boden liegt Parkett mit Teppichen in einzelnen Bereichen, und an der Decke verlaufen die eisernen Träger und geben dem Ganzen den Industrie-Look. An einem Ende des zweiten Stocks gibt es lederne Sessel mit Alutischen, wo Mitarbeiter arbeiten oder spontane Meetings abgehalten werden können.
Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich Büros hinter Glasscheiben und davor stylishe Schreibtische aus Stahl und Holz. Das Großraumbüro wird nicht durch Stellwände unterteilt, was zu einer gemeinschaftlicheren Atmosphäre beiträgt.
Ich trete von der Treppe und biege scharf rechts ab Richtung eines Büros hinter einer Glasscheibe, auf deren Türschild steht: Dr. Corinne Ellery.
Sie ist eine nette Frau und auf jeden Fall eine Augenweide. Ich schätze, dass sie in den Dreißigern ist. Sie hat dichtes braunes Haar und trägt es meist als Knoten am Hinterkopf. Sie hat eine Brille, die sie klug aussehen lässt, aber da sie einen Doktortitel hat, wird sie es wahrscheinlich wirklich sein.
Gestern habe ich mich mit ihr und Kynan beim Debriefing getroffen. Dieses fand im großen Konferenzraum im zweiten Stock statt, das Kynan mit digitalen Karten auf einem großen Bildschirm unterstützt hat, damit wir die Mission nachvollziehen konnten.
Ich hielt keine Details zurück, nicht mal die schmerzlichen an den Stellen, wo ich glaube, versagt zu haben. Da Kynan noch andere Quellen hat, bin ich sicher, dass ich ihm nichts Neues sagen konnte über die Falle, in die wir geraten waren, und wie wir mit all dem umgegangen sind.
Jameson war zusammen mit einem internationalen Rettungsteam beauftragt worden, in Syrien Helfer aus der Geiselnahme zu befreien. Ein normaler Bürger wäre überrascht, wie oft Regierungen – auch die unsrige – private Sicherheitsfirmen anheuern, um bei Einsätzen zu helfen. Jameson ging mit einem Fünferteam rein. Jimmy Tate, Sal Mezzina, Merritt Gables, Tank Richardson und ich. Wir haben mit den Special-Forces-Teams in England und Australien gearbeitet, denn die Geiseln kamen aus diesen Ländern. Auch wenn keine Amerikaner dabei waren, spielte es keine Rolle, ob Jameson den Auftrag annehmen würde. Wenn die Bezahlung gut ist und die Risiken überschaubar sind, helfen wir Menschen auf der ganzen Welt.
Das Debriefing hat eine Stunde gedauert. Dr. Ellery hörte schweigend zu, während Kynan den Bericht durchging und mich mit Fragen bombardierte. Ich musste ihm ein paar Sachverhalte anhand der syrischen Karten erklären. Er führte mich durch jeden Schritt vom Basiscamp bis zur Entführung.
Natürlich fiel es mir nicht leicht, über den Moment zu reden, als Jimmy und Sal getroffen wurden, doch sicher war es auch für Kynan schwer, das Ganze noch einmal hören zu müssen.
Danach sprachen wir über meine Gefangenschaft. Obwohl das sicherlich der Teil war, der besonders Dr. Ellery interessierte, hörte sie nur gelassen zu, ohne sich Notizen zu machen. Kynan löcherte mich hartnäckig über alle Details.
„Wohin haben sie dich gebracht?“
„Ich weiß nicht, ich hatte die ganze Zeit einen Sack über dem Kopf, aber die Fahrt hat ungefähr zwei Stunden gedauert.“
„War es eine Stadt oder irgendwo außerhalb?“
„Ein kleines Dorf, glaube ich, anhand der Tiergeräusche, und es herrschte kaum Verkehr. Ich konnte nie aus dem fensterlosen Raum schauen, in dem sie mich untergebracht haben.“
„Wie sah es da drin aus?“
„Holzboden, gerissene Wände, ein Tisch mit zwei Stühlen in der Mitte. Ein Tisch an einer Wand mit einer Wasserkanne. Sie tranken davon, boten mir aber nichts an.“
Und so ging es weiter, bis Kynan ans Eingemachte kam.
„Wie haben sie dich gefoltert und wie oft?“, fragte er, ohne den Tonfall zu verändern. Es ging ihm nur um die Informationen, aus denen er etwas zu erfahren hoffte.
„Mehrmals am Tag, ungefähr neun Tage lang, soweit ich jetzt noch sagen kann. Schlafentzug die ganze Zeit, Hungern, laute Musik, Elektroschocks und Prügel.“
Kurz und bündig und emotionslos ratterte ich es herunter. Ich hatte trainiert, Folter durchzustehen. Zumindest bis zu einem gewissen Grad. Irgendwann gab jeder auf. Und das war auch keine Schande. Wichtig war, es ihnen nicht zu leicht zu machen, ihnen die am wenigsten schädigenden Infos zu geben oder bei dem Versuch zu sterben, und währenddessen über den Feind herauszufinden, was man nur konnte. Darin war ich erfolgreich gewesen, hauptsächlich, weil ich nicht viel wusste, was ich hätte verraten können. Glücklicherweise glaubten sie mir und hörten auf, mich zu foltern, schafften mich durch die Wüste in ein Loch, bis ich ihnen irgendwann auf andere Weise nützlich werden könnte.
Dann fragte Kynan nach der Kommunikation, wann die Wachen gewechselt hatten und ob ich noch etwas anderes in Erfahrung bringen konnte. Ich sagte ihm alles, was ich wusste, und wurde nicht einmal ungeduldig, als er manchmal dieselbe Frage zweimal stellte. Es war eine übliche Taktik, um meine Aufrichtigkeit zu testen und mir zu helfen, weitere Erinnerungen zu wecken.
Am Ende bedankte er sich bei mir und wiederholte, dass ich jetzt Dienst am Schreibtisch haben würde, bis die Therapie bei Dr. Ellery vorbei sei. Dann würde sie mich gesundschreiben.
Und jetzt gehe ich in ihr Büro.
Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und sieht auf ihren Computer. Hinter ihr befinden sich Regale voller Fachbücher über Psychiatrie. An einer Wand stehen zwei gemütliche Sessel mit einem Tisch mit einer Lampe dazwischen. Ich bin froh, dass sie nicht diese klischeehafte Couch hier stehen hat.
Dr. Ellery meidet das Neonlicht des Industriegebäudes. Stattdessen hat sie überall Lampen stehen, die für ein beruhigendes Glühen sorgen. Ihr Büro ist das Einzige mit Rollos an den Scheiben. Wahrscheinlich, damit sie für Privatsphäre sorgen kann. Nicht, dass es mich interessieren würde. Ich nehme an, dass es sowieso nicht lange ein Geheimnis bleiben wird, dass ich zum Seelenklempner muss, bevor ich wieder in den aktiven Dienst darf. Das finde ich in keiner Weise peinlich.
Ich will nur verdammt noch mal nicht drüber reden müssen.
Darin besteht ein Unterschied.
Als ich an die Glastür klopfe, wendet sie mir ihren Blick zu. Lächelnd winkt sie mich herein. Die Tür schwingt hinter mir von allein wieder zu.
„Hi, Malik“, sagt sie freundlich und deutet auf einen der Besuchersessel.
Sie erhebt sich, nimmt sich Block und Stift vom Schreibtisch und kommt zu mir herüber. Die Sessel drehen sich, finde ich heraus, als sie sich mit ihrem zu mir dreht.
„Schön, dass du gekommen bist.“
„Wir wissen beide, dass ich keine andere Wahl habe“, sage ich locker, in dem Versuch, etwas Humor in die Sache zu bringen. Es hört sich flach an, aber sie lächelt trotzdem.
„Nun ja, das stimmt nicht ganz. Du hättest dich auch dagegen entscheiden können. Eine Ausrede vorbringen. Dich krankmelden. Oder dir einen neuen Job suchen.“
Kapitulierend senke ich den Blick. „Verstanden, Dr. Ellery.“
„Corinne“, sagt sie. „Wir duzen uns hier alle.“
Überrascht blinzele ich. „Ich wollte eigentlicht, dass du mich Mr. Fournier nennst.“
Sie beugt den Kopf leicht zurück, lacht und nickt. „Sinn für Humor. Gefällt mir. Und ist ein gutes Zeichen. Menschen, die nach einem Trauma noch lachen können, hilft die Therapie meistens gut.“
„Also so nennen wir das wirklich, ja?“
Corinne zuckt mit den Schultern. „Nenn es, wie du magst, aber wir beide werden uns viel unterhalten. Ich muss herausfinden, ob du mit dem Trauma fertig wirst …“
„Das tue ich.“
Sie ignoriert meinen Einwurf. „Auf eine gesunde und produktive Weise. Auf eine Art, die ich für ausreichend halte, dich wieder in dein Team zu lassen. Es geht nicht nur um deine geistige Gesundheit, sondern auch um Sicherheitsbelange.“
Wenn ich darüber nachdenke, muss ich gestehen, dass es Sinn ergibt. Trotzdem will ich nicht darüber reden. Denn das kostet Zeit und öffnet Wunden, die ich lieber schnell zuheilen lassen würde. Dennoch habe ich keine andere Wahl. Nicht, wenn ich weiter bei Jameson arbeiten will.
„Na gut.“ Theatralisch gebe ich nach, mache es mir auf dem Sessel bequem und lege ein Bein über mein Knie. „Dann lass uns anfangen.“
„Sehr gut“, antwortet sie mit einem strahlenden Lächeln und hält ihren Stift über den Block. „Heute wird es erst mal langweilig sein. Hintergrundinformationen … Wo bist du aufgewachsen, wie ist die Beziehung zu deinen Familienangehörigen, warum hast du diesen Beruf gewählt und so weiter.“
„Verstanden.“ Das ist wohl der leichte Teil.
Sie legt einen Arm auf ihre Sessellehne. „Erzähl mir von deiner Familie, Malik. Du hast die Staatsbürgerschaften der USA und Kanada?“
Ich nicke. „Mein Dad ist Franko-Kanadier und Arzt. Meine Mom ist Amerikanerin und Rhetorik-Coach. Ich wurde in Montreal geboren und großgezogen und habe zwei Brüder und eine Schwester.“
„Das wievielte Kind bist du?“
„Warte …“ Ich verziehe das Gesicht, denn ich bin schlecht im Geburtstagemerken und solchen Sachen, aber ich liebe meine Geschwister und bekomme das hin. „Max ist der Älteste, er ist neunundzwanzig. Dann kommt Lucas mit achtundzwanzig. Dann ich mit sechsundzwanzig und als Letztes meine Schwester Simone. Sie ist unser Baby mit dreiundzwanzig.“
„Ich erinnere mich daran, als du das erste Mal bei Jameson warst und wir eine Besprechung im Konferenzraum hatten … Cage ist ausgeflippt, als er erfahren hat, dass deine Brüder für die Cold Fury spielen, weil das sein Lieblingshockeyteam ist.“
Darüber muss ich lachen. Cage ist zum Brüllen komisch gewesen bei dem Meeting, als ich vorgestellt wurde und er erfuhr, dass ich zwei berühmte Brüder habe. „Ja, Max und Lucas spielen bei den Cold Fury.“
Sie neigt den Kopf leicht zur Seite. „Hast du auch Hockey gespielt?“
„Ja. Max und Lucas würden sagen, dass ich auch ein Profi hätte werden können, aber das ist einfach nicht meine Leidenschaft. Ich wollte zu den Marines und nichts konnte mich davon abbringen.“
„Ein Franko-Kanadier, der zum US-Militär wollte, interessant.“
„Das liegt mir im Blut. Mein Großvater war ein Marine und als Kind liebte ich seine Geschichten.“
Auf diese Weise geht das Gespräch weiter, alles über meinen Hintergrund. Sie stöbert in meinem Privatleben herum und fragt mich, ob ich mal eine ernste Beziehung hatte. Die Antwort fällt negativ aus. Nicht, weil ich etwas dagegen hätte, sondern aus Zeitmangel. Irgendwie habe ich nie Freizeit. Bei der Arbeit in der Spezialeinheit der Marines und jetzt bei Jameson konnte ich mich nicht einmal mit jemandem verabreden. Ganz zu schweigen von der fünfmonatigen Gefangenschaft.
Zu meiner Überraschung ist die Stunde schneller vorbei, als ich es merke. Ich bin geradezu erschrocken, wie schnell die Zeit rast. Habe ich doch angenommen, diese Sitzung wäre die reinste Folter, aber im Gegenteil, mit Corinne kann man ganz locker reden.
Doch mir ist klar, dass das, was noch auf mich zukommen wird, nicht so leicht werden wird.
Bevor Corinne mich entlässt, gehen wir an den Schreibtisch zu ihrem Kalender und machen den nächsten Termin aus. Am liebsten würde ich gleich morgen weitermachen, denn wenn ich die Therapie beenden muss, bevor ich wieder in den aktiven Dienst darf, dann will ich es so schnell wie möglich erledigen.
„Morgen wäre gut“, sage ich daher.
Sie beugt sich über ihren Kalender, eins dieser dicken Bücher, und ich bin erstaunt, dass es kein digitaler ist. Sie grinst. „Wie wäre es mit Montag?“
Ich runzele die Stirn. „Aber das ist erst in vier Tagen.“
„Korrekt.“ Sie sieht zu mir hoch. „Da gibt es etwas, was man Wochenende nennt. Als ich diese Stelle angenommen habe, habe ich Kynan gesagt, dass ich nie am Wochenende arbeite.“
„Aber was ist mit morgen? Freitag?“
Corinne richtet sich auf, nickt verständnisvoll, doch erklärt mir, warum sie es langsamer angehen lässt. „Du brauchst Zeit zwischen den Sitzungen, um alles zu verarbeiten und zu entspannen.“
Ich knurre frustriert und nicke zu ihrem Kalenderbuch. „Und wann am Montag?“
„Um acht?“
„Okay“, brumme ich.
Anscheinend amüsiert sie das, denn sie lacht. „Hab Geduld, Malik. So ist es besser für dich. Und wer weiß, wenn du das Ganze komplett offen und ehrlich angehst, kann ich dich vielleicht ganz schnell davon befreien.“
Leichter gesagt als getan. Ich weiß genau, dass sie mich mit meinen Schuldgefühlen konfrontieren will. Aber darauf einzugehen bedeutet, dass ich für diesen Job nicht geschaffen bin, was ich nicht hinnehmen kann. Doch eventuell kann ich sie davon überzeugen, dass es mir gut geht.
Corinne schreibt mich in einen freien Termin und geht mit mir an die Tür. Mit der Hand auf meiner Schulter hält sie mich zurück. Ich bin gezwungen, mich zu ihr umzudrehen.
„Du glaubst es vielleicht jetzt noch nicht, aber ich bin davon überzeugt, dass wir beide gut zusammenarbeiten werden. Du wirst ruckzuck wieder im aktiven Dienst sein.“
Gott, das hoffe ich.
Ich nicke, bringe ein Lächeln zustande und gehe aus der Tür.
„Hi, Malik.“
Sofort erkenne ich Anna Tates Stimme. Sie kommt aus dem Lastenaufzug und hat einen recht großen Karton dabei, der anscheinend nicht schwer ist, aber unhandlich. Sie trägt einen schmalen, braunen Tweed-Rock, einen cremefarbenen Pullover, der sich viel zu gut an ihre Formen schmiegt, und hochhackige Lederstiefel. Ihr goldenes Haar fällt in lockeren Wellen um ihre Schultern. Sie sieht modisch und jung aus und hat ihr ganzes Leben noch vor sich. Gar nicht wie eine Witwe. Sie wirkt eher wie eine schöne Frau auf dem Höhepunkt ihres glücklichen Lebens.
Ohne weiter nachzudenken, eile ich auf sie zu und nehme ihr den Karton ab, denn so wurde ich erzogen. Erst lässt sie nicht los und unsere Blicke treffen sich.
„Es geht schon“, sagt sie und zieht ein wenig daran.
„Ist es etwas streng Geheimes?“ Ich lasse nicht los.
„Nein.“ Sie runzelt die Stirn.
„Dann erlaube mir bitte, ihn für dich zu tragen.“ Ich nehme ihn ihr aus der Hand und ignoriere ihren besorgten Blick, dass ich vielleicht nicht kräftig genug bin, um den Karton zu tragen.
Das finde ich süß von ihr und rührend.
„Ich habe fast schon wieder meine alten Kräfte zurück“, erkläre ich. Sie wird leicht rot. „Ich meine, ich kann noch keine Autos anheben oder so etwas, aber heute beginne ich mit dem Krafttraining, sodass auch das bald wieder klappt.“
„Oh, das ist schön.“ Anna lächelt und ihre Röte verschwindet. „Denn Kynan hat mir ein Projekt aufgetragen und möchte, dass du mir dabei hilfst. Eine Menge Kartons sind im vierten und müssen alle nach unten geschafft werden.“
„Ein Projekt?“, frage ich neugierig. Sie geht zu den verglasten Büros. Ich erkenne Kynans Büro, aber er ist nicht da. Anna geht in das direkt neben seinem. Es ist viel kleiner als das des Bosses, doch strategisch gut platziert, damit sie direkt bei ihm ist, sollte er sie brauchen.
„Dozer hat eine Matrix-Datenbank programmiert, die sämtliche Informationen der letzten Fälle speichern soll, damit er sie mit Algorithmen und anderer IT-Magie filtern und Vorhersagen für künftige Fälle machen kann. Du und ich haben die glorreiche Aufgabe, auszusuchen, welche Daten relevant sind, und sie ins System einzugeben.“
Ohne Scheiß. Dozer habe ich kennengelernt, als ich hier zu arbeiten anfing, und er war dabei bei dem Treffen an dem Abend, bevor ich nach Syrien geflogen bin, als wir alle ein paar Drinks zusammen hatten. Er ist so etwas wie superschlau. Gerüchte besagen, dass Kynan ihn der NASA abspenstig gemacht hat, also kann ich nicht behaupten, dass mich dieses Projekt erstaunt.
Anna deutet auf den Boden. „Stell den Karton einfach irgendwo hin. Da sind noch fünf weitere Kartons, die hierher müssen, also gehen wir und holen sie.“
„Ich werde sie holen“, sage ich und wende mich der Tür zu.
„Nett“, antwortet sie. „Danach führe ich dich als Willkommensgeschenk zum Mittagessen aus und wir besprechen, wie wir das Projekt zusammen stemmen werden.“
Ich bleibe geistig an dieser Einladung hängen, denn sie kommt mir seltsam vor. Das hier ist eine Büroumgebung und ich bin nicht an diese Lass-uns-zusammen-essen-gehen-Sache gewöhnt. Und schon gar nicht möchte ich mich bei einem Salat mit der Witwe des Mannes unterhalten, der wegen mir gestorben ist.
Ich blicke über meine Schulter, und Anna kniet neben dem Karton und wühlt darin herum. Sie bemerkt nicht, dass es mir unangenehm ist. Irgendwie vermindert das die Enge in meiner Brust, die sich immer einstellt, wenn ich auf Anna treffe.
Mein Magen knurrt und mir fällt ein, dass ich heute nichts gefrühstückt habe, und ich denke mir, ein Mittagessen wird nicht schaden.