Читать книгу Cogito, ergo dumm - Sebastian 23 - Страница 6
1. Einleitung
Оглавление»Wer nur Gebildete und Vernünftige kennengelernt hat, der kennt den Menschen überhaupt nicht oder nur zur Hälfte.«
Jean de La Bruyère
Wir leben in einer Zeit, in der ein amerikanischer Präsident den Klimawandel leugnet, Gutmensch ein Schimpfwort geworden ist und in TV-Shows Partnerwahl anhand entblößter Körperteile betrieben wird. Während auf der einen Seite der Welt Menschen verhungern, werden auf der anderen Seite Gesetze erlassen bezüglich der zulässigen Länge von Bananen. Schon durch diese wenigen Beispiele kann man ins Staunen geraten und die Frage in den Raum stellen, ob Dummheit nicht womöglich der zentrale Bestandteil unserer Kultur ist.
Aber was ist Dummheit eigentlich genau – und wenn ja, wie viele? Ist der Mensch tatsächlich dumm? Werden wir womöglich immer dümmer? Wie hat sich Dummheit im Laufe der Menschheitsgeschichte entwickelt – und wo stehen wir heute? Und wie geht es in Zukunft weiter – werden wir womöglich bald alle von einer überlegenen künstlichen Dummheit ersetzt? Das sind auf den Punkt gebracht nur einige der Leitfragen dieses Buches.
»Der Mensch nutzt nur zehn Prozent seines Gehirns«, hat Albert Einstein mal gesagt. Das würde natürlich einiges erklären. Stimmt aber nicht, denn dieses Zitat, das Einstein so oft zugeschrieben wird, stammt überhaupt nicht von ihm. Es ist davon abgesehen auch überhaupt nicht richtig. Der Mensch nutzt nämlich sein komplettes Gehirn; selbst in Ruhephasen feuern die Neuronen munter weiter. Trotzdem hält sich dieses Gerücht mit den zehn Prozent seit über hundert Jahren und war Inspiration für Filme, Lieder und den mystischen Löffelverbieger Uri Geller. Dieser meinte nämlich, Zugriff auf jene ungenutzten Hirnareale zu haben und mithilfe seines überlegenen Geistes folglich die Fähigkeit zu besitzen, das Geschirr zu krümmen. Und in den Achtzigern verbog sich ihm die halbe Menschheit zu Füßen. Ob das die Hälfte war, die Jean de La Bruyère im Eingangszitat gemeint hat?
Tatsächlich haben wir in den letzten Jahrzehnten sehr viel darüber herausgefunden, wie unser Gehirn funktioniert. Auch über Intelligenz ist schon viel geschrieben worden. Aber wie die dunkle Seite des Mondes wird die andere Seite der Medaille selten in Betracht gezogen. Und das, obwohl es so scheint, als ob die Dummheit einen großen und wachsenden Bestandteil unseres Lebens und unserer Kultur ausmacht. Gibt es tatsächlich kein Denken ohne Dummheit? Ich würde sagen, das gibt es so wenig wie Stärke ohne Schwäche. Solange ich nicht unendlich klug bin, bin ich dümmer als jemand, der unendlich klug ist. Aber wir gelten sicher auch deswegen ungern als dumm, weil Klugheit uns Sicherheit verspricht. Oder zumindest haben wir das Gefühl, sicher zu sein, weil wir ja in der Lage sind, die Welt und ihre Gefahren richtig einzuschätzen. Unser Stammhirn ist also schon evolutionär bedingt dagegen, dass wir dumm sind. Nun ist aber der Mensch ohne Dummheit undenkbar, genauso wie ein Mensch ohne Schwäche. Ist unser Stammhirn also gegen sich selbst? Ein weiterer Grund, diesem Phänomen einmal systematisch nachzugehen.
Doch bevor wir einen Blick darauf werfen, welche Dummheiten die Menschheit so angestellt hat, lohnt sich eine Untersuchung dessen, was Dummheit eigentlich bedeutet. Und klar, da kann man leicht mit dem Finger auf den venezianischen Stadtrat zeigen, dessen rechtskonservative Mehrheit aus Lega Nord und Forza Italia am 12. November 2019 ein Maßnahmenpaket zur Abwendung des Klimawandels ablehnte – und Minuten später wurde der Sitzungssaal vom steigenden Meerespegel überflutet. Derlei eindrückliche Beispiele für menschliche Dummheit aus Vergangenheit und Gegenwart finden sich viele, aber es erscheint vorab zumindest sinnvoll, sich kurz mit der Dummheitstheorie zu befassen. Wir werfen dabei auch einen Blick auf die funktionale Dummheit, emotionale Dummheit und künstliche Dummheit. Ergründen wir die Dummheit in ihrer Vielfalt. Und vergessen wir dabei nie meine eigene Dummheit als Autor. Denn ich würde mich nie trauen, ein Buch über Dummheit zu schreiben, wenn ich nicht selbst nur ein Stück Seife im Kopf hätte.