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3. Dummheit im Wandel der Zeit

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»Ich glaube nicht an den Fortschritt, sondern an die Beharrlichkeit der menschlichen Dummheit.«

Oscar Wilde

Was dumm ist oder vielmehr was die Menschen dumm fanden, war nicht immer das Gleiche. Im Laufe der Menschheitsgeschichte hat sich das Verständnis von Dummheit immerzu gewandelt. Das liegt einerseits daran, dass progressive Dummköpfe fortlaufend neue Möglichkeiten gefunden haben, dumm zu sein. Andererseits wandelt sich das Verständnis von gesellschaftlich akzeptablem Denken kontinuierlich und damit auch die Definition von allem, was davon abweicht und als dumm gilt.

Waren Sie vielleicht gestern noch ein ausgesprochener Vollidiot, weil Sie behaupteten, dass alle Dinge auf der Welt im Innersten nicht aus Dreiecken bestehen, sondern aus kleinen Nubsis, die niemand sehen kann und die Sie freiweg Atome nennen? Diese Atome sind angeblich so klein, dass in einem Glas Wasser mehr Atome sind als Gläser Wasser in allen Ozeanen der Welt? Klar, wenn Sie als Erster mit so einer Idee um die Ecke kommen, hält man Sie vermutlich für dumm. Doch das mag morgen bereits komplett anders aussehen. Und übermorgen kommt jemand daher und sagt, da geht es unter den Atomen aber noch ein paar Ebenen runter zu Quarks und Quanten. Und dann kommen die Physiker*innen vom »Quantum Gravity Research Center« und behaupten, dass die Grundstruktur des Universums aus einer vierdimensionalen quasikristallinen Struktur aus Tetraedern besteht – also letztlich Dreiecken. Klingt völlig seltsam und ausgedacht? Ist aber alles genau so passiert. Gut, nicht innerhalb eines Absatzes, sondern binnen zweieinhalbtausend Jahren, aber die Mühlen der Dummheit mahlen halt langsam.

In der griechischen Mythologie war es Prometheus, der den Menschen das Feuer der Erkenntnis brachte und sie damit zu den Herren ihrer Sinne machte. Um es mit den Worten des amerikanischen Anthropologen Paul Radin zu sagen, war es Prometheus, der die Menschen »kindisch-blöd zuvor, verständig machte und zu ihrer Sinne Herren«. In der Bibel war es eine Schlange mit einem Apfel, beziehungsweise einer anderen Frucht, denn – kleiner Fun Fact am Rande – tatsächlich wird der Apfel nirgends in der Geschichte erwähnt. Das Versprechen der Schlange jedoch war, äßen die Menschen vom Baum der Erkenntnis, »so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist«. So steht es im 1. Buch Mose, 3,5. Was offensichtlich ist: In beiden Fällen waren die Götter so gar nicht damit einverstanden und straften die Menschen und die Überbringer der Erkenntnis aufs Härteste. Woraus sich entspannt schlussfolgern lässt: Eigentlich waren wir dumm geplant und wir würden im Einklang mit unseren Schöpfern leben, wenn wir schön dumm geblieben wären. Selig sind die geistig Armen. Amen.

Ganz ähnlich liest sich das im Höhlengleichnis, das Platon in seinem Buch Politeia darlegt. Darin sitzt die Menschheit in einer Höhle, hinter ihnen ein Feuer und vor ihnen eine Wand. Und weil ihre Köpfe fixiert sind, schauen alle nur in Richtung der Wand und sehen somit nur Schatten, auch von sich selbst. Sie alle wetteifern in der Beschreibung der Schatten und halten diese für die ganze Welt. Schließlich befreit sich jemand und erkennt plötzlich die Wahrheit über die Schatten und die Menschen und das Feuer und die Wand. Mehr noch, derjenige schafft es sogar, die Höhle zu verlassen und gelangt nach draußen an die Sonne, in die wahre Welt hinein. Die Pointe des Gleichnisses ist nun, dass derjenige keine Möglichkeit hat, wieder in die Höhle zu gehen und seine Erkenntnisse mit den anderen zu teilen. Diese würden ihn ja für verrückt halten, weil er behauptete, ihre ganze Welt sei nicht echt und es gäbe dahinter eine ganz andere, realere Welt. Wie Erasmus von Rotterdam ironisch anmerkt, ist der Weise damit übrigens ganz sicher nicht glücklicher als jene, die zufrieden damit sind, wenn sie »bloß die Schatten und Abbilder der verschiedenen Dinge sehen und bewundern«.

Niemand will die Sonne sehen. In Anbetracht der Helligkeit der realen Sonne ist das ja auch verständlich. Die Menschen, die es eben doch versuchen, stellen sich dabei übrigens manchmal äußerst dumm an. Im August 2017 gab es zum Beispiel eine solche totale Sonnenfinsternis in den USA. Die Bilder von Präsident Donald Trump gingen um die Welt, die staunend Zeuge wurde, dass er tatsächlich entgegen der Warnungen aller Fachleute ohne Schutzbrille in die Sonne schaute. Dabei hatte er eine Schutzbrille, er hielt sie nur erst mal lieber in der Hand. Andere Menschen hatten keine Schutzbrille und improvisierten auf ihre Art. Tatsächlich wurden damals mehrere Menschen ins Krankenhaus eingeliefert, die sich zur Beobachtung der Sonnenfinsternis allen Ernstes Sonnenmilch in die Augen gekippt hatten. Dann bleibe ich doch lieber in meiner Höhle und bewundere die Schatten.

Sie können sich Platons Gleichnis statt mit einer Höhle und Schatten gerne auch mit einem Sofa und einem Fernseher oder Computer vorstellen, wenn Sie mögen. Der Punkt bleibt: In unserem Naturzustand sind wir doof und haben keinen Plan von der Welt. Es braucht großen Aufwand und sogar die Bereitschaft, die meisten Menschen hinter sich zu lassen, wenn man tiefere Einsicht in die Welt erhalten möchte, um das wahre Wesen der Dinge zu erkennen. Jede*r, der/die schon mal versucht hat, ein Smartphone aus der Hand zu legen, wird das bestätigen können. Wobei, ganz ehrlich, so unter uns: Schatten sind natürlich auch real.

Sokrates, der Lehrer des Platon, war da eigentlich auch schon einen Schritt weiter. Ihm hatte das Orakel von Delphi gesagt, dass er der Weiseste aller Griechen sei. Nicht nur, weil er soeben einen gültigen Reim auf Selfie gefunden hatte, sondern weil er wusste, dass er nichts wusste. Es war dieses »Ich weiß, dass ich nichts weiß«, das ihn zum »weisen Idioten Griechenlands« machte, wie es Johann Gottfried Herder einmal ausdrückte. Die anderen sind so dumm, dass sie nicht mal wissen, dass sie dumm sind. Bis heute ein zentrales Element der höchsten Form von Dummheit. Nun waren Sokrates und Platon also auch ganz vorsichtig dabei, die Dummheit hinter sich zu lassen, und erfreulicherweise wurden auch nur 50 Prozent von ihnen zum Tode verurteilt, weil sie zu viel wussten. Das muss als echter Fortschritt gelten.

Es ist auch kein Wunder, dass die griechischen Philosophen vorsichtig waren. Einer der ersten, Thales nämlich, ist vor allem durch die Anekdote bekannt, dass er beim Studieren der Sterne in einen Brunnen fiel und von einer thrakischen Magd ausgelacht wurde. Auch in dieser Geschichte lacht diejenige, der die Erkenntnis fehlt über denjenigen, der versucht, sie zu erlangen. Hier zeigt sich auf einer sehr einfachen Ebene die Perspektivität von Dummheit: Für die Magd ist Thales ganz klar ein Dummkopf, der in die Sterne schaut und deswegen in einen Brunnen fällt. Jemand, der noch Jahrtausende später als Vorlage für einen weltbekannten Idioten namens Hans-Guck-in-die-Luft dienen würde. Für Thales hingegen ist die Magd dumm, denn sie hat kein Wissen und kein Verständnis vom Wesen der Welt. Und sie bemüht sich noch nicht mal darum. Wenigstens ist Thales nämlich nur einmal in den Brunnen gefallen und hat dann daraus gelernt, die Magd hingegen hat kurz Spaß gehabt und nimmt ansonsten nichts aus der Geschichte mit.

Analog verhält es sich mit einem der schönsten Gedanken zum Thema Diskussion: Der Gewinner jeder Debatte ist immer derjenige, der von Anfang an unrecht hatte, denn nur er ist derjenige, der etwas dazulernen kann. Man muss unrecht haben, um sich entwickeln zu können. So schreibt Aristoteles in der Nikomachischen Ethik, derjenige sei stupide, der nicht wisse, dass aus Einzelhandlungen die festen Grundhaltungen hervorgehen. Ähnlich formulierte es Albert Einstein: »Wahnsinn ist, wenn man immer wieder das Gleiche tut, aber andere Resultate erwartet.« Sie ahnen es vielleicht: Auch dieses Zitat stammt in Wirklichkeit nicht von Einstein, es wird ihm nur immer wieder zugeschrieben, in Büchern, auf Tassen, T-Shirts und Aufklebern. Wahrscheinlich gibt es irgendwo auch einen neongrünen Klodeckel mit dieser Aufschrift. Armer Einstein.

Eine Sache noch zum antiken Griechenland. Von dort stammt nämlich auch das Wort Idiot. Ein ἰδιώτηζ (idiotes) war jedoch zunächst einfach nur die Bezeichnung für einen einfachen Bürger im Unterschied zu Vertretern der Regierung. Erst sehr viel später wurde es als Bezeichnung für Nicht-Experten verwendet, und von dort aus rutschte die Bedeutung über Ahnungsloser bis hin zum Synonym für Dummkopf oder Minderbemittelter. Spannend, wie schon hier der Bürger mit sprachlichen Mitteln zum Depp gemacht wurde, oder?

Auch Seneca hat sich mit Dummheit befasst. Für ihn war es zum Beispiel ein Zeichen von Dummheit, wenn man seinen Reichtum nicht wie einen Sklaven behandelte, sondern sich diesem stattdessen unterwarf. Und auch diesem Motiv der Dummheit, die sich im stumpfen Streben nach Geld äußert, ist die Menschheit bis heute treu geblieben. Es folgen im Buch noch zahlreiche Beispiele, aber Sie kennen sicher auch jemanden, der schon mal etwas Dummes getan hat, weil es Profit versprach: sich selbst.

Sind Sie der Meinung, dass das nicht stimmt? Kein Wunder: Seneca schrieb weiter, dass Weise den Sinnzusammenhang erkennen, Toren hingegen nur Meinungen haben, die übereilt gebildet sind, schwankend und ohne sicheren Erkenntnisgrund. Aber keine Sorge, Seneca hielt sich nicht für klüger als Sie: »Wenn ich mich mal an einem Narren erheitern will, dann brauche ich nicht lange zu suchen: Über mich selbst lache ich.«

Für Lukian war ebenso klar, dass Philosophen die wahren Narren sind, da sie beständig lesen und sich den Kopf mit fremden Gedanken füllen und sich so durch ihre Gelehrsamkeit von der Vernunft abführen. Bei Lukian darf man sich aber nie sicher sein, ob er das nicht satirisch meinte. Sein Beitrag zur Dummheitsforschung ist übrigens nicht zu unterschätzen, denn Lukian ist einer der antiken Schriftsteller mit dem weitreichendsten Einfluss auf die europäische Kultur. Besonders hervorheben möchte ich aus Lukians Fanclub Erasmus von Rotterdam, der nicht nur gemeinsam mit Thomas Morus eine Werksammlung Lukians herausgab, sondern »dessen spöttischen Geist er in seinem Lob der Torheit wiederaufleben lässt«, wie die Philosophin Astrid Nettling feststellt. Das Lob der Torheit wiederum gilt bis heute nach über 500 Jahren vielen Leuten als bestes Buch über Dummheit. Aber dazu später mehr.

Ist es nun also klug, zu erkennen, dass man dumm ist? An der Stelle springt dann die Bibel noch mal auf und ruft: »Ja!«

Und während der Rest der Welt sich noch wundert, dass ein Buch sprechen kann, zitiert sich die Bibel selbst: »Wer auf seinen eigenen Verstand vertraut, ist ein Tor / Wer in Weisheit seinen Weg geht, der wird gerettet« (Sprüche 28,26). Denn für den Gläubigen ist in dieser Sichtweise die wahre Weisheit, sich von der Gelehrsamkeit und dem Ergründen der Welt abzuwenden und auf Gott zu vertrauen.

Fast scheint es, als wären Sokrates und Gott hier auf einer Linie, aber so ganz stimmt das natürlich nicht. Denn Sokrates war stets bemüht, Erkenntnisse zu erlangen. Mehr noch: Seine Bereitschaft, dabei althergebrachte Traditionen infrage zu stellen, war es wohl, die ihm am Ende sein Ende bereitete, denn er galt den Athenern als Verführer der Jugend. Das Eingeständnis der eigenen Dummheit war für Sokrates ein Ausgangspunkt und nicht das Ziel. Von dort an wird losgedacht und alles infrage gestellt und nicht aufgehört, der Vorhang herabgelassen und Gott der Rest überlassen. Diese aktive Abwendung vom Streben nach neuer Erkenntnis erlangte jedoch einigen Einfluss. Denn, wie der Autor Werner van Treeck betont, für den Gläubigen verkehren sich gewissermaßen die Vorzeichen: Wissen und Erfahrung wird abgewertet, Glaube und Offenbarung wird aufgewertet.

Dieser Verzicht auf die Nutzung des Verstands war eine Art Keimzelle für die Gleichheit aller Menschen. Vor Gott sind alle Menschen gut, solange sie halt an ihn glauben. Man musste nichts besonders machen oder können oder sagen. Das ursprüngliche Christentum war da sehr tolerant und kannte übrigens auch kaum rituelle oder andere Vorschriften. Man denke nur daran, wie Jesus es schaffte, auch mal ein Auge zuzudrücken und keinen Stein zu werfen. Doch mit fortschreitendem Dogmatismus und der wachsenden hierarchischen Struktur der römischen Kirche änderte sich das.

Der Physiker Emil Kowalski ist der Ansicht, die in der Folge aufkommende »Behinderung der Evidenzbasierten Wissenschaft war Ursprung der Inquisition und der Verfolgung von Denkern und Forschern, die an den dogmatischen Erklärungen der Natur zweifelten«. So blieb die (westliche) Menschheit erst mal ein paar Jahrhunderte im Mittelalter stecken, bis wieder etwas Bewegung reinkam und tradierte Lehre infrage gestellt werden durfte. Bei Thomas von Aquin klang das noch vorsichtig, wenn er Neugier verurteilte, da diese zur Beschäftigung mit wenig nützlichen Dingen führe. Aber dazu mehr im Kapitel Unwissenschaft und Technik.

Bevor wir dazu kommen, noch einmal Thomas Hobbes: In seinem Leviathan wird die oben erwähnte thrakische Magd zumindest indirekt abgewertet. Menschen mit geringen Fähigkeiten, so schreibt er, »sind gezwungen, die Unvollkommenheiten anderer Menschen zu beobachten, um vor sich selbst bestehen zu können«. Vielleicht speichern Sie sich das mal zwischen, für den nächsten Anlass, wenn Schadenfreude in Ihnen keimt, Sie im Internet über »Epic fails« lachen oder jemand wegen eines Rechtschreibfehlers zurechtweisen wollen.

Bereits erwähnt habe ich ja auch das wohl berühmteste Buch über Dummheit, das Lob der Torheit. Geschrieben hat es Erasmus von Rotterdam, der heute vor allem auch berühmt ist als Namensgeber für ein internationales Programm, bei dem Studierende Gastsemester im Ausland verbringen und dann statt Bier ein halbes Jahr lang Cervesa trinken und herausfinden, wie es ist, in einer ganz anderen Kultur bis mittags zu schlafen und dann nicht zur Uni zu gehen. Kurz: Erasmus ist Namenspate für zigtausend Torheiten. Aber eigentlich kam er noch glimpflich davon. Leibniz war vor 350 Jahren einer der bedeutendsten Gelehrten Europas, und heute ist ein Keks nach ihm benannt. Was sagt man da? Glückwunsch? Knusper, knusper?

In Lob der Torheit ist es jedenfalls die Torheit selbst, die die erzählende Stimme ist und sich selbst lobt. Denn, wie sie selbst sagt: »Ich pfeife nämlich auf jene Weisen, die es gleich bodenlose Dummheit und Unverschämtheit heißen, sobald sich einer selbst lobt.« Aufschlussreich ist, wie die Torheit ihre Herkunft erklärt. Sie sei nicht die Tochter des Chaos, des Orkus oder des Saturns, nein, ihr Vater sei Pluto. Und dieser Gott des Geldes beherrsche »den Krieg, den Frieden, Armeen, Räte, Gerichte, Versammlungen, Heiraten, Verträge, Bündnisse, Gesetze, Künste, Kurzweil, Arbeit – der Atem geht mir aus – kurz alles, was die Menschen im Staat und im Hause beschäftigt«. Ah, es geht doch nichts über eine subtile, frühneuzeitliche Kapitalismuskritik, finden Sie nicht auch?

Ebenso elegant bediente sich Erasmus der antiken Mythologie, um darzulegen, was für ihn zentrale Elemente der Dummheit sind. Die Mutter der Torheit sei Neotes, die leibhaftige Jugend; gesäugt haben sie die weinselige Methe und die wilde Apädia. Ihr Gefolge sind die selbstgefällige Philautia, die schmeichelnde Kolakia, die gedächtnisschwache Lethe, die bequeme Misoponia, die freudentrunkene Hedone, die gedankenlose Anoia und die üppige Tryphe. Dazu kommen die beiden männlichen Gottheiten Kosmos, der bei keinem Gelage fehlt, und Hypnos, der Langschläfer. Mit diesem Team sieht sich die Torheit so ziemlich an der Spitze der Macht, sie nennt sich die Geberin aller Gaben. So sei es ohne Dummheit undenkbar, dass sich jemand in den Bund der Ehe begibt und Kinder geboren werden. Schließlich sei allen klar, wie gefährlich, stressig und schwierig das sei. Aber weil die Menschen eben auch dumm sind, machen sie es trotzdem.

Aber sie gibt noch viel mehr: Der Obergott Jupiter habe gefürchtet, dass die Menschen trübselig und traurig werden könnten, darum hat er »an Trieben viel mehr verabreicht als an Vernunft, ein Pfund auf ein Lot«. Das ist etwa das 39-Fache und damit der Grund, warum die Vernunft so wenig gegen die Triebe ausrichten kann, außer vielleicht, sich aus Protest heiser zu schreien. Auch eine schöne Beschreibung der Gründe für situative Dummheit. So würde es ohne die Torheit keinen Spaß geben, denn sie ist der Grund für Lachen und Scherze. Und überhaupt wäre kein soziales Miteinander denkbar, denn dazu müssen die Menschen »eben einander zuliebe bald fünf gerade sein lassen, bald zum Schmeicheln sich verstehen, bald ein Auge klug zudrücken, bald mit dem Honig der Torheit sich bei Laune erhalten«. Ist man dumm, kann man sogar die Leiden des Alterns ausblenden. Auch die Kunst wäre ohne die Torheit der Selbstgefälligkeit undenkbar, tapfere Krieger gäbe es nicht ohne die Torheit der Risikobereitschaft.

Langsam redet sich die Torheit in Wallung und behauptet schließlich, sogar die Klugen seien dumm, denn sie versuchen, mit saurer Arbeit und schlaflosen Nächten, sich einen berühmten Namen zu sichern. Dabei wüssten sie, dass Ruhm nur Schall und Rauch ist. Doch selbst Weisheit schützt vor Torheit nicht: »Der Weise nimmt seine Zuflucht zu den Büchern der Alten und lernt daraus nichts als in Worten zu kramen; der Tor packt frisch die Dinge selbst an und schlägt sich mit ihnen herum, und so erwirbt er sich das, was ich wahre Klugheit nenne.« Der Weise ist also dumm, und der Dumme ist der wahre Kluge. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber je länger ich darüber nachdenke, umso klarer wird mir, dass ich weiß, dass ich nichts weiß.

Eine Sache noch zur Geschichte der Dummheit: Es ist klar, dass wir manches Verhalten unserer Ahnen nur aus heutiger Perspektive dumm finden. Das würde ich anachronistische Dummheit nennen. Denn aus dem jeweiligen historischen Kontext heraus war es vielleicht gar nicht dumm, sich ein nacktes Huhn auf den Kopf zu setzen. Aber auch dazu später mehr.

Cogito, ergo dumm

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