Читать книгу DIE, DIE NICHT STERBEN - Sebastian Fleischmann - Страница 4
Оглавление01 - home, sweet home
Das monotone Geräusch des Motors übertönte die leisen Stimmen aus dem Radio. Dunkelheit umschloss das Fahrzeug. Nur die Scheinwerfer vermochten einen Bruchteil der Finsternis zu durchdringen und erhellten die Straße einige Meter weit. Die einzige Orientierungshilfe boten Begrenzungspfeiler, welche im Abstand von fünfzig Metern an den Straßenrändern angebracht waren. Stetig im selben Takt huschten sie an den Fenstern des fahrenden Mazdas vorbei, bevor die Dunkelheit sie wieder verschlang. Die Größe der sich seitlich erstreckenden Wiesen und Ackerfelder ließ sich nur erahnen. Es gab keine Häuser, keine Gebäude. Nicht einmal ein entgegenkommendes Auto, welches Zivilisation anmuten ließ.
Sie saßen übermüdet in dem Mazda und fuhren allein auf einer Landstraße immer tiefer ins Nichts, weit abseits von der vorher gut befahrenen Autobahn.
Tom schlug die Augen auf und starrte die ersten Sekunden zum Beifahrerfenster hinaus. Sein Nacken schmerzte. Durch die Monotonie kroch sofort wieder Müdigkeit in seine ohnehin noch schwerfälligen Glieder. Am liebsten würde er weiterschlafen - seine Verspannungen einfach ignorieren. Kurz wendete er seinen Kopf dem Armaturenbrett zu und blickte auf die Digitaluhr. Einundzwanzig Uhr siebzehn. Dann versuchte er eine etwas bequemere Position auf dem Sitz zu finden.
>>Wir müssten doch langsam mal ankommen?<<
>>Es ist nicht mehr weit. Höchstens noch ein paar Minuten.<<
>>Na gut, weck' mich, wenn wir da sind.<<
Tom schloss erneut die Lider und versank im Halbschlaf.
Er war ein schlanker, drahtiger Mann, Mitte dreißig. Anhand der Konturen, die sich auf seinem kornblumenblauen Hemd abzeichneten, konnte man auf einen trainierten Körperbau schließen. Die kurzen, dunkelbraunen Haare wiesen leichte Druckstellen auf, die von der Kopfstütze herrührten.
Sein Bruder saß am Steuer und lenkte den Wagen mit Richtgeschwindigkeit über den Asphalt. Er war beinahe ein Jahrzehnt älter und im Gegensatz zu Thomas bereits einmal verheiratet gewesen. Martin hatte schwarze, schulterlange, glatte Haare und einen Vollbart, welcher Ansätze von Grau aufwies. Er war von durchschnittlicher Statur, trug T-Shirt und Pullover, sowie eine Jeans im gängigen Blau. Martin kannte zwar die Strecke, dennoch kam es ihm wie eine Ewigkeit vor. Er war das letzte Mal vor einem halben Jahr in dieser Gegend gewesen. Da viele Straßen umgebaut und erneuert wurden, lief das Navigationssystem mit, um gelegentlich Hilfestellung zu geben. Es zeigte noch etwas mehr als sechs Minuten an.
Aus dem Radio klangen die leisen Töne eines Oldieklassikers. Eine Fliege zerklatschte auf der Windschutzscheibe und hinterließ einen klebrigen, weißen Fleck. Martin aktivierte das Spritzwasser und den Scheibenwischer. Die Aktion bot nur wenig Erfolg. Schlieren bildeten sich.
Dann schälten sich in der Ferne Scheinwerfer aus der Dunkelheit und kamen näher. Die Lichter begannen Martin zu blenden. Er kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Kurz darauf sauste das entgegenkommende Fahrzeug an ihm vorbei. Nach einem kurzen Blick in den Rückspiegel konzentrierte er sich wieder auf die Straße vor ihm.
>>In vierhundert Metern links abbiegen.<< Das Navigationssystem meldete sich. Martin warf einen Blick darauf und wechselte anschließend den Radiosender. Die Musik der achtziger Jahre war nicht das, was er gerne hörte. Er tippte das Bremspedal an, um den Tempomat zu lösen und setzte den Blinker. Vor ihm ging eine kleine Straße ab. Er las das Ortsschild. Redwitz, 1 km. Sie hatten es geschafft. Dreieinhalb Stunden Fahrt neigten sich dem Ende. Martin verlangsamte den Wagen und folgte der Anweisung des Navis. >>Jetzt links abbiegen.<<
Toms Kopf sackte durch die Fliehkraft von der Nackenstütze, wodurch sein Schlaf abermals unterbrochen wurde. Noch etwas benommen blickte er zur Windschutzscheibe hinaus.
>>Haben wir's geschafft?<<
>>Ja, wir sind da.<<
Tom nahm eine aufrechte Haltung ein und steckte sich eine Zigarette in den Mund. Dann öffnete er das Fenster einen Spalt und entzündete den Tabak.
>>Kannst du damit nicht noch einen Moment warten?<< Es war Martin nicht recht, dass sein Bruder im Auto rauchte. Außerdem würden sie ihr Ziel ohnehin bald erreichen.
>>Du kennst doch unsere Mutter. Wenn ich mir vor ihr eine Zigarette anzünde, muss ich mir nur wieder anhören, wie schädlich das ist.<<
Tom warf einen kurzen Blick zu seinem Nebenmann.
>>Gönn mir doch die kleine Freude.<<
Martin nickte leicht abwertend und fuhr - inzwischen mit gedrosselter Geschwindigkeit - auf eine Bahnüberführung zu. Diese war nicht besonders hoch. Lastkraftwagen hätten hier wohl gewisse Schwierigkeiten und wären gezwungen die nächste Einfahrt ins Dorf zu nehmen.
Martin durchquerte den steinernen Tunnel von geringer Länge. Für einen kurzen Moment wurde das Motorgeräusch von den massiven Wänden reflektiert und hallte ins Wageninnere. Als der Mazda die Straßenunterführung wieder verließ, bestrahlten die Scheinwerfer das Ortsschild. Redwitz grüßt seine Gäste.
>>Was ist denn hier los?<< Tom ließ seinen Blick durch die Finsternis schweifen. Die Gegend vor ihnen war noch immer dunkel. Kein Licht erhellte den Weg. Die Straßenlaternen waren erloschen. Es herrschte weiterhin absolute Dunkelheit.
>>Wahrscheinlich ein Stromausfall.<< Martin nahm den Fuß vom Gaspedal und stellte den Tempomat auf dreißig Kilometer pro Stunde. Langsam passierten sie die ersten Häuser, welche sich anfangs nur auf der linken Straßenseite erstreckten.
Das Radio gab ein leises Rauschen von sich. Innerhalb weniger Sekunden steigerte es sich zu einem nervigen Kratzen und nahm an Stärke zu. Die Musik wurde mehr und mehr übertönt, bis das Rauschen sie endgültig verdrängte. Die Brüder warteten einen Moment ab. Vielleicht handelte es sich nur um eine Übertragungsstörung, was sich gleich wieder bessern würde. Doch das nervige Rauschen blieb und nahm an Stärke nur noch zu. Schließlich stellte Martin das Radio ab.
>>Das ist aber ein gewaltiger Stromausfall.<<
Der Mond befand sich im kleinsten Stadium und bot keinerlei Hilfe in der Nacht. Seine bestrahlenden Eigenschaften waren ungenügend ausgeprägt. Die Fenster der Wohnhäuser blieben dunkel. Jene Grundstücke ebenfalls. Auf der rechten Seite erhellten die Scheinwerfer des Mazdas den Parkplatz einer kleinen Einkaufsfiliale. Zwei Autos schälten sich aus der Schwärze. Alle anderen Stellplätze waren leer. Obwohl fast die komplette Front des Ladens aus Glas bestand, konnte man im Inneren nicht das Geringste erkennen.
Vor den Brüdern auf der Straße nahm etwas Großes Gestalt an. Nach ein paar Sekunden blickten sie auf das Heck eines Autos, welches mitten auf der Fahrbahn zu parken schien. Es war ein Kleinwagen, der noch gut eineinhalb Meter vom Bordstein entfernt stand. Martin schlug das Lenkrad sachte nach links ein und steuerte den Wagen langsam auf der Gegenfahrbahn daran vorbei. Sie erkannten die Fahrertür, welche komplett offen stand. Beide blieben mit ihrem Augenmerk daran haften und wollten einen Blick ins Innere erhaschen. Niemand war zu sehen. Das Fahrzeug war verlassen. Während Martin noch immer in die Richtung schaute, drehte sich Tom wieder nach vorne.
>>Vorsicht!<<
Martin wandte sich sofort reflexartig der Straße zu und entdeckte ein Fahrrad, das direkt vor ihnen auf der Straße lag. Er riss das Lenkrad herum. Die aufkommende Fliehkraft drückte Tom in Richtung seines Bruders, während die Reifen den Gepäckträger nur um Haaresbreite verfehlten. Nachdem sich Martin wieder auf der richtigen Straßenseite befand, konnte er seine ruhige Fahrweise fortsetzen.
>>Was soll das denn? Wohnen hier inzwischen nur Idioten?<< Tom blickte noch einmal über seine Schulter durch die Heckscheibe, bis das Fahrrad wieder von der Schwärze verschlungen wurde.
>>Schätze, da ist ein Unfall passiert.<< Auch Martin sah in den Innenspiegel. Allerdings galt seine Aufmerksamkeit eher dem Rücksitz.
>>Und wieso ist dann kein Mensch zu sehen?<<
>>Keine Ahnung. Vielleicht rufen sie in irgendeinem Haus gerade die Polizei.<<
>>Ja, vermutlich.<< Tom zog noch einmal an seiner Zigarette. Die aufkeimende Glut tauchte sein Gesicht für einen kurzen Moment in ein seichtes Rot. Dann warf er sie aus dem Fenster und betätigte einen Schalter, damit die Scheibe wieder in die Führung glitt.
>>Halten sie sich links<<.
>>Das Navi können wir ausmachen, oder? Du kennst doch den restlichen Weg<<, fragte Thomas.
>>Ja, na klar.<<
Tom schaltete es ab. Damit erlosch die letzte Lichtquelle im Wageninneren und hinterließ nur schemenhafte Silhouetten der zwei Brüder. Martin folgte der Vorfahrtsstraße in die entsprechende Richtung, welche das Navigationssystem als letzte Anweisung vorgab.
Der Lichtkegel bestrahlte eine Gartenmauer, welche die Sicht auf das dahinterliegende Grundstück verbarg. Die Straße führte eine kleine Anhöhe hinunter. Nicht weit, höchstens zweihundert Meter. Wieder bog Martin nach links ab und fuhr eine kleine Nebenstraße entlang. Er würde noch zweimal die Fahrbahn wechseln müssen, um das Haus seiner Eltern zu erreichen. Der Mann verspürte eine Erleichterung. Nach beinahe vier Stunden konnte er eine Pause gebrauchen. Seine Augenlider wurden bereits schwer. Müdigkeit übermannte ihn. Sie wollten ursprünglich schon nachmittags fahren, aber Tom hatte es arbeitstechnisch nicht so früh schaffen können.
Auch dieser Teil des Dorfes war ohne jegliche Beleuchtung. Keine Menschen waren zu sehen. Kein einziges Licht brannte in den Fenstern der Häuser. Es wirkte wie eine Totenstadt, welche man aus dem Fernsehen kannte. Normalerweise würde es nur ein paar Minuten dauern, bis die Arbeiter vom Umspannwerk - welches sich ganz in der Nähe befand - den Fehler behoben hätten. Aber hier schien es wohl ein komplexeres Problem zu geben. Martin überlegte, wie er sich in so einem Fall verhalten würde. Wahrscheinlich genauso, wie die Menschen in diesem Dorf. Er würde ein paar Kerzen anzünden und ebenfalls in seiner Wohnung bleiben, bis das Licht wieder funktionierte. Von daher war es nicht ungewöhnlich, dass sich keine Personen auf den Straßen befanden.
>>Das ist ein Kinderwagen.<< Tom sah aus dem Fenster. Auch sein Bruder entdeckte ihn und konnte seinen Blick nicht abwenden. Er sah nicht aus wie ein Puppenwagen, welcher einfach vergessen worden war.
Langsam fuhren sie daran vorbei. Tom versuchte in die Liege zu sehen, was jedoch bei der nicht vorhandenen Beleuchtung und dem halbrunden Sonnendach des Kinderwagens unmöglich war.
>>Sollten wir nicht kurz anhalten?<< Tom sah seinen Bruder an.
>>Warum?<<
>>Ich weiß nicht. Das ist ein Kinderwagen.<<
>>Hab' ich gesehen. Na und?<<
>>Hast du als Vater jemals den Kinderwagen auf halbem Weg vergessen? Ich denke nicht. An so etwas denkt man doch. Ich würde mich einfach wohler fühlen, wenn ich schnell nachsehen könnte.<<
Tom hatte recht. Es schadete nicht, wenn Martin kurz hielt. Er stoppte den Wagen und schaltete in den Leerlauf. Dann drückte er den Fuß aufs mittlere Pedal. Die aufleuchtenden Bremslichter tauchten einen kleinen Teil der hinteren Straße, inklusive dem Kinderwagen, in ein tiefes Rot.
Tom öffnete die Beifahrertür und trat hinaus. Abgesehen vom laufenden Motor war kein anderes Geräusch wahrzunehmen. Er ging auf den Kinderwagen zu, der nur wenige Schritte von ihm entfernt war. Es war nichts Außergewöhnliches daran festzustellen. Zumindest äußerlich. Leichtes Unbehagen stieg in ihm auf, was er sich jedoch nicht erklären konnte. Wie sein Bruder bereits vermutete, was sollte schon passiert sein?! Dennoch spürte er, wie sich sein Brustkorb zusammenzog und ein beklemmendes Gefühl hinterließ. Toms Atmung wurde intensiver. Schließlich hatte er den Kinderwagen erreicht. Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte er - stand nur da. Dann umfasste der Mann die Griffstange und drehte den Wagen langsam zu sich. Die Schatten in der Liegefläche wichen. Die Bremslichter begannen den Innenraum zu erhellen. Jetzt konnte Tom den kompletten Inhalt des Wagens einsehen. Nichts. Er war leer.
Erleichterung setzte ein. Thomas begann sich erneut zu entspannen und kehrte zu seinem Bruder zurück.
>>Nichts drin.<< Er setzte sich auf den Beifahrersitz und schloss die Tür. Martin legte den ersten Gang ein und brachte das Auto in Bewegung.
>>Ich schätze, ein Kind hat damit gespielt und ihn einfach stehen lassen.<<
>>Glaube ich auch. Aber jetzt hab' ich erstmal Lust auf ein kühles Bier<<, entgegnete Tom.
>>Da schließe ich mich an.<<
Wenige Augenblicke später bog Martin in die Einfahrt des Grundstücks ihrer Eltern und hielt schräg hinter deren Kombi. Die Scheinwerfer bestrahlten den Eingangsbereich des Hauses.
Die äußeren Mauern des zweistöckigen Gebäudes waren noch nicht verputzt. Der Neubau besaß außerdem noch keine Garage, sondern lediglich eine festgefahrene Kiesauffahrt, welche am Wiesenrand des zaunlosen Gartens endete. Bis Mitte nächsten Jahres sollte das Grundstück in voller Pracht erstrahlen, was noch etwa sieben Monate Arbeit bedeutete. Auch hier hielt die Dunkelheit Einzug.
>>Erwarten sie uns?<<, fragte Tom.
>>Natürlich. Aber die genaue Uhrzeit wissen sie nicht.<< Martin stellte den Motor ab, ließ jedoch die Batterie eingeschaltet, damit die Scheinwerfer weiterhin Licht spendeten.
>>Anscheinend doch.<< Tom bezog sich auf die Haustür, welche komplett offen stand.
Martin schnallte sich ab und stieg mit seinem Bruder aus dem Fahrzeug. Es war absolut ruhig. Sie konnten bei jeder Bewegung den Kies unter ihren Schuhsohlen knirschen hören.
>>Ich gehe schon rein und sag ihnen, dass wir da sind<<, meinte Thomas.
>>Okay. Wir kommen gleich nach.<<
Tom ging ein paar Schritte zum Eingang des Hauses und stieg die drei Stufen hinauf. Dann verließ er den Lichtkegel und trat ins Innere. Martin öffnete die Tür zum Rücksitz und beugte sich hinein.
>>Aufwachen, mein Schatz. Wir sind da.<< Sanft berührte er mit einer Hand ihre Schulter.
>>Wach auf.<< Seine Stimme klang ruhig, einfühlsam. Leicht bewegte er den Oberkörper des Mädchens. Es war vielmehr ein Streicheln, als ein Schütteln. Schließlich öffnete sie ihre Augen, brauchte jedoch ein paar Sekunden um sich zu orientieren, bis sie ihren Vater in der geöffneten Tür erblickte.
>>Sind wir da?<<
>>Ja. Lass uns reingehen. Oma und Opa warten schon auf dich.<<
Trotz Valentinas anzumerkender Müdigkeit erkannte Martin ein Lächeln. Sie war froh, endlich ihre Großeltern wieder besuchen zu können. Das letzte Mal, dass Valentina sie gesehen hatte, war vor sechs Monaten gewesen.
Noch leicht benommen vom Halbschlaf schnallte sie sich ab und stieg aus dem Wagen.
>>Warum ist es hier so dunkel?<<
>>Der Strom ist ausgefallen. Aber mach dir keine Sorgen. Das ist bald wieder vorbei.<< Überzeugt von seinen eigenen Worten ließ er hinter seiner Tochter die Wagentür ins Schloss fallen. Bis sie jedoch eine andere Lichtquelle finden würden, halfen weiterhin die Xenon-Scheinwerfer.
Valentina Kruger war neun Jahre jung. Sie trug pinke, gefütterte Winterstiefel über einer schwarzen Thermoleggins. Der lange, modisch gestreifte Pullover reichte ihr bis zu den Oberschenkeln. Auf ihre Jacke verzichtete das Mädchen und ließ sie im Wagen zurück. Schließlich waren es nur ein paar Meter bis zum Haus ihrer Großeltern und der Schnee hielt noch keinen Einzug. Valentina war gerade in einem Alter, indem sie gerne Vorbildern nacheiferte, die sie aus Zeitschriften und dem Fernsehen kannte. So hatte ihre Haarfarbe derzeit einen rötlichen Schimmer, welches auf eine Sängerin zurückzuführen war. Ein plüschiger Haargummi formte ihre schulterlangen Haare zu einem Zopf, was nicht vollkommen verhinderte, dass dennoch einzelne Strähnen über ihre Stirn ins Gesicht hingen.
Während Martin und seine Tochter die Stufen zur Haustüre hinaufstiegen, formte sich eine Silhouette aus dem Inneren und trat ins Licht.
>>Ich finde sie nicht.<<
>>Irgendwo werden sie schon sein, Tom. Jetzt lass uns erstmal reingehen.<< Die Gewohnheit ließ Martin den Lichtschalter betätigen. Nichts passierte.
>>Hab’ ich auch schon versucht<<, sagte Tom. Die Blicke der drei versuchten das Dunkel zu durchdringen, doch über den Hausflur hinaus konnten sie nichts als Schwärze erkennen.
Direkt links von ihnen befand sich die fichtenfarbige Holztüre zur Toilette, welche geschlossen war. Auf der rechten Seite stand ein antikes Mobiliar mit eingelassenem, großen Spiegel. Daneben befand sich ein fünfarmiger Garderobenständer, woran mehrere Jacken sorgfältig aufgereiht hingen.
Vor ihnen erkannte Martin ein düsteres Flackern aus dem angrenzenden Zimmer. Es war kaum wahrzunehmen.
>>Es ist voll unheimlich.<< Valentina fasste nach der Hand ihres Vaters.
>>Keine Angst. Du weißt doch, in der Nacht ist auch nichts anders, als am Tag. Nur das es dunkel ist.<< Er schenkte seiner Tochter ein entspanntes Lächeln. Diese nickte ihm zu. Valentina wusste das natürlich. Dennoch konnte sie ihr Unbehagen nicht verbergen.
>>Lass uns mal umsehen. Vielleicht finden ja ein paar Kerzen. Was meinst du?<<
>>Ja, gut.<<
>>Ich gehe zum Auto und hole die Taschenlampe<<, meinte Tom und lief nach draußen.
Inzwischen gingen sein Bruder und dessen Tochter weiter ins Hausinnere. Mit jedem Schritt wurde es dunkler. Natürlich kannte Martin das Haus. Er war schon während des Rohbaus einige Male hier gewesen und ebenfalls als seine Eltern begannen es einzurichten.
Sie ignorierten die Tür zur Küche und traten durch die offenstehende ins Esszimmer. Ein sanftes, rötliches Flackern ließ erkennen, dass der große Tisch bereits gedeckt war. Mehrere undeutlich sichtbare Gegenstände befanden sich darauf. Teller, Gläser und ein dreiarmiger Kerzenhalter.
Martin wandte sich um und trat durch eine Durchgangszarge ins Wohnzimmer. Hier hatte das Flackern seinen Ursprung in einem Kachelofen. Das darin schwach lodernde Feuer war bis auf ein paar wenige, züngelnde Flammen erloschen. Das Holz zerfiel bereits zu Asche.
Zwei verschiedengroße Sofas und ein Sessel waren um einen niedrigen Couchtisch platziert. Eine schulterhohe Pflanze ragte neben dem Fernseher in der gegenüberliegenden Ecke empor. Das Zimmer hatte den Anschein höchster Ordnung.
>>Setz dich doch schon mal. Ich werde uns ein bisschen Licht machen.<< Martin wies mit einer kurzen Geste Richtung Couch.
>>Papa, wo sind Oma und Opa?<<
>>Das weiß ich nicht. Aber sie wussten auch nicht genau, wann wir ankommen. Sie sind bestimmt gleich hier.<<
Valentina nahm auf dem Sessel platz und streckte ihre Füße auf dem gepolsterten Schemel vor sich aus. Martin trat inzwischen an den Ofen und öffnete die gläserne Front. Unter dem Sitzvorsprung - welcher sich um den gesamten Kachelofen erstreckte - befand sich sorgfältig aufgebahrt trockenes Holz. Martin legte ein paar davon in die Glut. Funken stoben auf. Die untergehenden Flammen griffen sofort nach dem Rohstoff und begannen ihn zu verzehren. Langsam erhellte das Feuer den Raum etwas mehr und entfaltete eine beruhigende Atmosphäre.
Valentina griff nach der Fernbedienung und versuchte das TV-Programm einzuschalten. Mit einer leichten Enttäuschung musste sie feststellen, dass auch dieses nicht funktionierte.
Während Martin ins Esszimmer ging und eine Vitrine öffnete, trat Tom wieder herein. Das Licht seiner Taschenlampe kam Martin sehr gelegen und erleichterte ihm die Suche.
>>Wonach suchst du?<<
>>Nach Kerzen.<<
>>Auf dem Tisch stehen welche.<<
>>Ich weiß. Aber sie haben doch bestimmt noch weitere irgendwo gelagert, wie ich sie kenne. Damit wir ein bisschen mehr Helligkeit hier rein bekommen.<<
Während Martin am Regal beschäftigt war, entzündete Tom die Kerzen auf dem Esstisch. Dieser war bereits vollkommen angerichtet. Fünf Teller mit Besteck, entsprechend Gläser, zwei Topfuntersetzer und eine dezente Blumendekoration waren ordentlich aufgereiht.
>>Naja, weit weg können sie nicht sein.<<
>>Vielleicht sind sie kurz zu den Nachbarn gegangen, als der Strom ausfiel. Deswegen auch die offene Tür<<, entgegnete Martin.
>>Bis sie wieder da sind mach' ich mir ein Bier auf. Willst du auch eins?<<
>>Ja, gerne.<<
Tom ging durch einen schmalen Torbogen in die Küche und somit an einer Theke vorbei, welche gleichzeitig die Durchreiche zwischen beiden Zimmern darstellte. Erstaunt starrte er für einen Moment auf die neue, moderne Kücheneinrichtung.
>>Wow. Das ist mal eine geile Küche.<<
>>Bringst du mir auch etwas zu Trinken mit?<<, rief Valentina ihm nach.
>>Natürlich.<<
Tom schwenkte seine Taschenlampe über die Anrichte und dem Herd. Töpfe mit Essen, eine Schüssel Salat und mehrere Utensilien waren darauf verteilt. Ein weiterer Blick ging in den Backofen und er wusste, was sie heute essen würden.
>>Hey, es gibt Ente. Lecker.<<
>>Fantastisch. Hab' ich schon lange nicht mehr gegessen<<, erwiderte sein Bruder aus dem Nebenzimmer.
>>Kann ich etwas davon haben?<<, fragte Valentina.
>>Ich würde doch sagen, wir warten noch auf Oma und Opa<<, entgegnete ihr Vater.
>>Na, gut.<<
Tom umfasste inzwischen den kühlen Metallgriff des Kühlschranks und öffnete ihn. Er war beinahe komplett gefüllt. Anscheinend wollten ihre Eltern, dass es ihnen an diesem Wochenende an nichts fehlte. Der Mann griff nach zwei Bierflaschen und klemmte sich einen Tetrapack Orangensaft unter den Arm.
Als er sich wieder dem Esszimmer zuwandte, trat er auf etwas Hartes. Abrupt blieb er stehen und senkte seinen Blick. Der kegelförmige Schein seiner Taschenlampe zeigte auf etwas metallisches, welches das Licht reflektierte. Tom bückte sich und hob ein großes, etwa dreißig Zentimeter langes Küchenmesser auf. Kurzerhand legte er es auf ein Schneidbrett der Anrichte und ging zurück ins Wohnzimmer, wo Martin bereits einige Kerzen auf dem Tisch positioniert hatte und diese mit einem Feuerzeug entzündete. Tom öffnete die Flaschen und ließ sich auf das Sofa fallen.
>>Eigentlich mal ganz entspannend, so mit Kerzen und sichtbarem Feuer.<< Er nahm einen kräftigen Schluck seines Biers. Der Raum war inzwischen in ein warmes, beruhigendes Licht getaucht. Die Taschenlampe benötigte er gerade nicht, also schaltete er sie ab. Schließlich setzte sich auch sein Bruder und atmete hörbar aus. Er genoss den ersten Moment der Ruhe, nach einer langen und schlauchenden Fahrt. Auch er trank genüsslich aus seiner Flasche.
>>Ist die Autobeleuchtung eigentlich noch eingeschaltet?<<
>>Hab' ich ausgemacht. Nur die Haustür steht noch offen, falls die beiden zurückkommen.<<
Kaum hatte Tom das ausgesprochen, vernahm Martin einen kühlen Luftzug, welcher ihm die feinen Armhärchen aufstellen ließ.
>>Ich ruf sie mal an und sag' ihnen, dass wir schon da sind.<< Er holte sein Handy aus der Hosentasche und begann im Telefonverzeichnis nach der Mobilfunknummer seines Vaters zu scrollen. Dann hielt er das Gerät an sein Ohr und wartete. Tom nahm einen weiteren Schluck und blickte wie gebannt durch die verglaste Front in das Feuer des Kachelofens. Die züngelnden Flammen hatten ihn in einen beruhigenden Bann gezogen.
>>Ich habe gar kein Netz.<< Martin blickte auf das Display.
>>Lass gut sein, ich ruf sie an.<< Tom griff ebenfalls nach seinem Handy und entfernte die Tastensperre.
>>Ich habe auch keinen Empfang.<< Irritiert blickte er seinen Bruder an. >>Ich erinnere mich gar nicht, dass hier das Netz so schlecht ist.<<
>>Ist es eigentlich auch nicht.<< Martin erhob sich vom Sofa. >>Gib mir mal die Lampe, ich telefoniere vom Büro aus.<< Tom überreichte sie ihm.
>>Meinst du, es funktioniert, wenn kein Strom da ist?<<
>>Werde ich gleich merken.<< Martin verließ den Raum und ging über den Flur zum Büro seines Vaters. Er öffnete die Tür und trat vor den Schreibtisch, worauf das Telefon stand.
Das Zimmer war karg eingerichtet. Lediglich ein Schreibtisch mit einem Computer prangte in der Mitte des Raums. Dahinter stand ein großer, lederner Chefsessel. Gegenüber befanden sich zwei weniger bequeme Stühle, welche wohl für Kunden gedacht waren. Ein schmaler Aktenschrank machte die Einrichtung komplett.
Martin führte den Hörer ans Ohr und horchte für einen Moment hinein, bevor er ihn wieder auf die Feststation legte. Kein Freizeichen. Schließlich ging er zurück ins Wohnzimmer und setzte sich auf seinen ursprünglichen Platz.
>>Hattest recht, Tom.<<
>>Tja, dann werde ich wohl einfach hinüber gehen und hallo sagen.<<
>>Du weißt doch gar nicht, ob sie wirklich dort sind. Bleib sitzen, genieß dein Bier und warte einfach noch fünf Minuten.<<
>>Wo sollen sie denn sonst sein?! Viele Möglichkeiten gibt's ja nicht. Außerdem habe ich Hunger.<< Tom war bereits aufgestanden und hatte von seinem Bruder die Taschenlampe wieder an sich genommen. >>Also, bis gleich.<< Damit ging er aus dem Zimmer.
>>Wo geht er denn hin?<< fragte Valentina.
>>Tom geht zu den Nachbarn und sagt deinen Großeltern bescheid, dass wir da sind.<<
Er verließ das Gebäude durch die Haustür, welche noch immer offen stand, ging die Stufen hinunter und marschierte zwischen beiden Autos hindurch auf das Nachbargebäude zu. Mit einem großen Schritt durchquerte er eine hüfthohe Baumreihe, welche an den Grundstücksgrenzen entlang gepflanzt war. Der Rasen war weich und gepflegt, trotz der kalten Jahreszeit.
Vor ihm befand sich eine kleine Terrasse aus unbehandeltem Lärchenholz. Sie war umringt von einer Vielzahl an Gewächsen. In der Mitte führten zwei schmale Steinstufen zu den Gartenmöbeln hinauf; ein relativ großer Holztisch aus Eiche mit einer Eckbank und zwei Stühlen. Daneben befand sich ein Kugelgrill, der scheinbar noch in tadellosem Zustand war. Vermutlich hatten sie ihn mehr zur Dekoration, als zur Nutzung. Die übergroße Terrassentür schien verschlossen. Der Vorhang dahinter war zugezogen.
Tom wandte sich nach links und marschierte ums Hauseck zur Vordertür an der Straßenseite. Immer wieder fiel ihm die absolute Stille auf. Er kam aus einer Großstadt, daher war Thomas Motorengeräusche und Stimmengewirr gewohnt. Es war, als könne Tom die Stille hören. Langsam kroch sie in seine Glieder und verlieh ihm ein unbehagliches Gefühl.
Ein kurzer Luftzug streifte seinen Hinterkopf. Er spürte, wie sich die feinen Nackenhärchen aufstellten. Kälte, gefolgt von einem hauchzarten Geräusch sich dehnenden Leders. Für einen kurzen Moment glaubte Tom, eine Bewegung über sich auszumachen. Etwas, das noch schwärzer war, als die Nacht.
Er blieb stehen und richtete die Taschenlampe in den Himmel. Der Lichtkegel verlor sich irgendwo in der Dunkelheit. Für ein paar Sekunden stockte der Mann in seinen Bewegungen und lauschte in die Nacht. Abgesehen von der auffällig ungewöhnlichen Stille nahm er für den Bruchteil eines Wimpernschlags noch den schwachen Geruch von Fäulnis wahr - ähnlich vergammeltem Fleisch. Tom verharrte in seiner lautlosen Stellung, doch alles blieb unauffällig.
Dann entschied er sich, weiter zur Hautür zu gehen. Dort, auf der Schwelle stehend, drückte er die Klingel. Noch im selben Moment, als er diese betätigte, fiel ihm ein, dass sie ohne Strom nicht funktionieren konnte. Tom hob die Hand und klopfte ein paar Mal gegen das Holz der schweren Eichentür. Sekunden verrannen. Nichts passierte. Er hob erneut seine Hand und hämmerte abermals dagegen. Diesmal härter, lauter.
>>Hallo?! Ist jemand da?! Ich komme von nebenan!<<
Wieder blieb er regungslos stehen und lauschte, ob er Stimmen aus dem Inneren hören konnte. Er wurde abermals enttäuscht. Jetzt griff er nach seinem Handy und blickte auf das Display. Noch immer kein Empfang.
>>Das gibt's doch nicht.<< Frustriert ließ er es zurück in seine Hosentasche gleiten. Er nahm die Möglichkeit wahr, durch eines der Erdgeschossfenster zu blicken. Tom musste sich auf die Zehenspitzen stellen, damit er ausreichend über den Sims ragte. Er legte eine Hand seitlich an seinen Kopf zwischen Scheibe und Gesicht, damit er der Spiegelung seiner Lampe entgegenwirken konnte.
Das Licht traf im Inneren auf einen Tisch. Darauf befand sich ein Spielbrett, deren Plastikfiguren noch immer aufgereiht standen. Tom hatte Mühe, durch den Vorhang zu blicken und erkannte immer nur Konturen. Als er das Licht langsam von einer Seite zur anderen gleiten ließ, stellte er fest, dass es sich um die Küche handeln musste. Alles schien normal. Hinter dem Tisch führte eine Tür in ein weiteres Zimmer. Doch die Überreste des Lichtstrahls - die durch den Vorhang drangen - verloren sich knapp hinter dem Holzrahmen.
Schließlich ließ Tom wieder vom Fenster ab. Sein Atem hatte auf der Scheibe eine hauchdünne Frostschicht hinterlassen. Für einige Sekunden blieb er vor dem Haus stehen, überlegte. Wo könnten sich seine Eltern noch aufhalten, wenn nicht bei ihren liebsten Nachbarn?! Der Mann entschied sich wieder zu seinem Bruder zurückzukehren. Mehrere Gedanken durchfluteten sein Gehirn.
Vielleicht sind sie bei anderen Nachbarn?
Eventuell ist ihnen etwas passiert und sie sind zum Arzt gefahren!?
Warum steht dann ihr Auto noch in der Einfahrt?
Und warum verflucht hat man immer genau dann kein Netz, wenn man dringend telefonieren muss?!
Ein kurzer Anflug von Wut fuhr durch seinen Körper, welchen er allerdings sofort wieder verwarf. Diesmal schloss er die Tür hinter sich, als er erneut das Haus seiner Eltern betrat.
>>Hast du sie gefunden?<<, fragte Martin.
>>Nein. Drüben ist auch niemand.<< Tom war wieder bei seinem Bruder angekommen und schaltete die Taschenlampe ab.
>>Aber wo sind sie dann?<<, wollte Valentina wissen.
>>Ich weiß es nicht, mein Schatz<<, entgegnete ihr Vater.
Die beiden saßen noch immer auf ihren Plätzen. Valentina hatte es sich bereits gemütlich gemacht und ihre Schuhe ausgezogen. Das Zimmer hatte inzwischen eine angenehme Temperatur angenommen, vom Feuer ausgehend. Tom verspürte dies mit wohlwollen, als positiven Gegensatz zur knochigen Kälte im Freien.
Martin erkannte, dass Tom unruhig geworden war. Er konnte sich nicht wirklich entspannen und lehnte mit verschränkten Armen im Durchgang zum Wohnzimmer.
>>Ich verstehe das nicht, Martin. Vielleicht sollten wir...<< Tom stockte. Noch während des Satzes fiel ihm ein, dass er Valentina nicht unnötig beunruhigen wollte.
>>Vielleicht sollten wir was?<<, fragte Martin mit in Falten gelegter Stirn.
>>Ach, ich weiß auch nicht.<< Doch nach kurzem Besinnen musste Tom es doch loswerden.
>>Valentina, du hast doch Hunger, oder?<<
>>Ja, voll.<<
>>Sollen wir dir schon mal was zu Essen bringen? In der Küche steht bestimmt etwas, das bereits fertig ist.<<
>>Gerne. Einen riesigen Teller.<< Ihr Gesicht erhellte sich mit zunehmender Fröhlichkeit.
>>Na dann sehen wir mal, ob wir überhaupt so einen großen Teller finden.<< Tom erwiderte ihr Lächeln und wandte sich dann an seinen Bruder.
>>Hilfst du mir dabei, Martin?<<
>>Klar.<< Er lächelte Valentina zu und folgte Tom anschließend in die Küche. Er wusste, dass dieser mit ihm unter vier Augen reden wollte. Dort angekommen ergriff Tom direkt das Wort. Beide redeten mit gedämpften Stimmen, damit das Gesagte nicht bis ins Wohnzimmer drang.
>>Kannst du mir erklären, was hier eigentlich los ist?!<<
>>Woher soll ich das wissen?! So einen riesigen Stromausfall habe ich auch noch nicht erlebt.<<
>>Maria und Gregor sind weder hier noch bei den Nachbarn.<<
>>Ja, dass erwähntest du schon.<<
>>Ich will damit sagen, niemand ist dort. Es ist genauso verlassen wie hier.<<
Martin stutzte. >>Warst du im Haus?<<
>>Nein. Aber ich hab' wie ein Irrer geklopft und durch ein Fenster gesehen.<<
>>Es ist Freitagabend. Sie könnten sonst wo sein<<, meinte Martin und fuhr sich mit einer Hand über den Bart, bevor er sich rückwärts an die Küchenzeile lehnte.
>>Und unsere Eltern? Könnten die auch sonst wo sein?!<<
>>Keine Ahnung.<< Er neigte seinen Kopf zur Seite und versuchte wahrlich nachzudenken, wo sich ihre Eltern aufhalten könnten, wenn nicht hier, oder bei den Nachbarn.
>>Die habe ich auch nicht. Ich meine ja nur, dass sie inzwischen längst wieder hier sein müssten.<< Tom machte eine gestische Handbewegung Richtung Ofen und Anrichte. >>Schließlich waren sie mitten am Kochen.<<
Martin sah sich in der Küche um. Natürlich hatte sein Bruder recht. >>Und was schlägst du vor?<<
>>Ich finde, wir sollten zur Polizei fahren.<<
>>Zur Polizei?! Was glaubst du ist mit ihnen passiert?!<<
>>Das weiß ich nicht. Vermutlich gar nichts. Aber wie lange wollen wir noch warten, bis wir uns entschließen, etwas zu unternehmen?<<
>>Jetzt male nicht gleich den Teufel an die Wand. Wir sind ja erst seit Kurzem hier.<<
Da meldete sich Martins Tochter aus dem Wohnzimmer. >>Papa, bringst du mir noch was zu Trinken mit?<<
>>Natürlich, Valentina. Nur noch einen kurzen Moment.<< Martin bemühte sich zu einer normalen, sanften Tonlage.
>>Okay, danke<<, rief es nochmals von nebenan, bevor er sich erneut seinem Bruder zuwandte.
>>Du weißt doch gar nicht, ob das Polizeirevier noch geöffnet hat. Wir sind hier nicht in einer Großstadt.<<
>>Na und?! Das ist die Polizei. Da wird doch wohl immer jemand sein<<, entgegnete Tom.
Martin wandte seinen Blick in Richtung Valentina, dann wieder zurück zu seinem Bruder.
>>Ich weiß nicht, ob dass nicht zu früh ist. Wie du schon sagtest, wahrscheinlich ist alles vollkommen harmlos.<<
>>Und wenn nicht?<< Toms Blick festigte sich jetzt in den Augen seines Bruders.
>>Lass uns noch zehn Minuten warten. Wenn sie dann nicht wieder hier sind, kannst du fahren.<<
>>Okay. Aber du musst mitkommen. Als ich das letzte Mal hier war, gab es das Revier noch nicht. Ich habe keine Ahnung wohin ich muss. Und bei der Dunkelheit schon gar nicht.<<
>>Dann fahren wir alle. Ich lasse Valentina auf keinen Fall hier allein.<<
>>Na klar.<<
Martin drehte sich zur Küchenzeile und nahm einen Teller aus einem der Wandschränke.
>>Leuchte mal ein bisschen.<<
>>Was willst du machen?<<
>>Valentina etwas zu Essen bringen. Deswegen wollten wir ja schließlich in die Küche.<<
Tom verstand und legte die eingeschaltete Taschenlampe auf die Anrichte - so, dass der Lichtkegel vorteilhaft ihre folgenden Aktionen unterstützte.
Während Martin erst mal versuchte, sich einen Überblick über die vor ihm befindlichen Töpfe und deren Inhalte zu verschaffen, hoffte er - inzwischen doch mit einer innerlichen, mulmigen Anspannung - dass seine Eltern in den kommenden Minuten wieder zurückkehren würden. Krampfhaft versuchte er eine Antwort darauf zu finden, was sich hier abgespielt haben könnte.
Seine Überlegungen blieben ergebnislos.